Mittwoch, 25. Juni 2014

Alphörner in den Weinbergen

Sächsisches Hornquartett im Hoflößnitz-Kammerkonzert

Auf die üblichen Musikerwitze reagieren die Virtuosen selbst meist mit Verständnis, weil ja manchmal auch ein Fünkchen Wahrheit enthalten ist. Dass das ganze Orchester betet, wenn der Hornist spielt, sollte trotz ausgiebiger Bemühungen der Komponisten, Hornsoli immer "gefährlicher" zu komponieren, heutzutage die Ausnahme sein. Wer da als Zuhörer dem perfekten Klang auf der Spur ist, vergisst vermutlich, dass das Horn als Signalinstrument seit Urzeiten vor allem die Funktion hatte, die Jagdgesellschaft oder den Hirten auf dem Berg gegenüber zu erreichen.

Das 1996 gegründete Sächsische Hornquartett begnügte sich im Kammerkonzert in der Hoflößnitz nicht damit, die übliche Literatur für das Ensemble vorzustellen - die Zuhörer bekamen auch auf kurzweilige Art die Geschichte und manche Besonderheiten des Instruments vorgeführt. Johannes Brahms hat sein Hornmotiv aus dem Finalsatz 1. Sinfonie - glaubt man einer Postkarte an Clara Schumann - Schweizer Alphörnern abgelauscht - in der Konzertpause tönte das Motiv "original" durch die Radebeuler Weinhänge.

Die Blütezeit des Horns in der Romantik war Hauptbestandteil des Konzertprogramms, das von Franz Streuber moderiert wurde - natürlich gab es da viele mit "La Chasse" betitelte Sätze, die im pferdetrappelnden Sechser- oder Dreiertakt die deutsche Waldromantik beschworen. Das Sächsische Hornquartett ergänzte diese Piècen aber auch mit Sätzen, die die lyrischen Qualitäten des Instrumentes hervorhoben und spielte einige Volkslieder, deren warmherzige Stimmung eben in dieser Besetzung besonders gut zum Tragen kommt. Trotzdem widmeten sich nur wenige Komponisten dem Hornquartett, die Zuhörer durften daher dem Zeitgeschmack des 19. Jahrhunderts entsprechende Werke von Anton Richter, Constantin Homilius oder Nikolai Tscherepnin kennenlernen.

Oftmals schreiben oder arrangieren die Virtuosen zum eigenen Gebrauch - mit der Aufführung zweier Bearbeitungen der Chöre aus den Opern "Euryanthe" und "Der Freischütz" von Carl Maria von Weber erwies das Hornquartett auch seine Reverenz an den beim Konzert anwesenden Peter Damm - Hornist der Sächsischen Staatskapelle, Mentor und Lehrer der Solisten des Quartettes, die allesamt in sächsischen Orchestern und Ensembles tätig sind. Einen kleinen Bogen machte das Programm um die zeitgenössische Musik - auch das am Ende des Konzertes vorgestellte Quartett des Briten James Langley war sehr der Tradition verpflichtet.

Lediglich in Eugène Bozzas "Suite pour Quatre Cors" blitzt viel Inspiration in der erweiterten Harmonik und der Klangfarbenbehandlung auf. Auch hier agierten die vier Musiker stilistisch kundig - will man dem subtilen Witz des Werkes nahekommen, muss man sich erst einmal durch auf den ersten Blick gar nicht so "lustige" Passagen der Partitur durcharbeiten. Für alle diese Stücke erwies sich das Hornquartett als kompetenter Sachwalter und sorgte draußen wie drinnen für einen angenehm-vergnüglichen Nachmittag.

Montag, 23. Juni 2014

In Schwung gespielt

Das "Kammerorchester ohne Dirigenten" im Klotzscher Sommerkonzert

Wenn sich Dresden gerne "Musikstadt" nennt, so sollte man dabei immer die Summe aller Musiker im Blick haben und nicht nur die Leuchttürme professionellen Musikschaffens. Dabei dürften einige tausend Menschen zusammenkommen, die in Orchestern, Chören, Ensembles und Bands ihrer Leidenschaft nachgehen und so in allen Vierteln der Stadt für ein lebendiges Musikleben sorgen. Nicht wenige dieser Ensembles können schon auf eine große Tradition zurückblicken und zeigen sich kontinuierlich im Konzertkalender. So wurde das "Kammerorchester ohne Dirigenten" bereits 1967 gegründet.

Was sich da im Ensemblenamen als Besonderheit offenbart, ist für die Musiker sicherlich schon Alltag geworden und das sommerliche Konzert in der Christuskirche Klotzsche zeigte nicht nur, dass diese ungewöhnliche Musizierform funktioniert, sie hält auch zum aufmerksamen Miteinander an. Wer in diesem Ensemble mitspielt, kann sich nicht verstecken, die Ohren sind in alle Richtungen offen. Zwar finden sich hinter einigen Pulten Mitglieder mit durchaus musikalischen Berufen, doch viele gehen auch einer "gewöhnlichen" Tätigkeit nach. Das gut besuchte Konzert wusste zu erfreuen, da man vier Werke ausgesucht hatte, die das Ensemble nicht überforderten, aber dennoch gute Vorbereitung und Fertigkeiten benötigten.

Georg Friedrich Händels Ouvertüre zur Oper "Alcina" war zu Beginn noch ein bißchen mit Aufregung behaftet, trotzdem gab man sich in den barocken Wassern stilsicher. Gleich zwei Solokonzerte standen auf dem Programm, mit dem ersten konnten die Zuhörer gleich einen recht unbekannten Dresdner Komponisten kennenlernen: Joseph Schubert war ein Zeitgenosse von Carl Maria von Weber und Bratschist in der Hofkapelle - sein Bratschenkonzert C-Dur schrieb er wohl zum eigenen Gebrauch. Urs Stiehler gestaltete den Solopart dieses eingängigen, dem Zeitgeschmack verpflichteten Werkes aus und unterstützte gleich danach wieder seine Kollegen bei der Ausführung von Ottorino Respighis Suite "Alte Arien und Tänze für die Laute" - ein schönes Beispiel der Bewahrung der frühen italienischen Barockmusik im neuen Streichorchestergewand.

Hier hatte sich das etwa fünfundzwanzigköpfige Ensemble richtig in Schwung gespielt - es war viel Verständnis für Klangfarben und den Rhythmus der alten Tänze vorhanden. Dennoch lohnte natürlich immer ein Blick zum Konzertmeister Olaf Spies, der sich aber das ganze Konzert über freundlich einordnete - nur zum Finale zeigte er sich selbst als Solist in Wolfgang Amadeus Mozarts Violinkonzert G-Dur, hier in reiner Streicherbesetzung aufgeführt. Es war das sicherlich anspruchsvollste Werk des Konzertes, und es wurde achtbar gemeistert - vielleicht finden sich ja auch beim nächsten Mal noch einige Bläser, die die Ambitionen des Kammerorchesters unterstützen.

Ernste Angelegenheit

Rachmaninow und Ravel bei der Dresdner Philharmonie

Irgendwann müssen sie alle hindurch: das 2. Klavierkonzert c-Moll von Sergej Rachmaninow ist für junge Pianisten im Konzert und in Wettbewerben meist ein erstes Glanzstück, bevor man sich an das ungleich diffizilere dritte herantraut. Für Rachmaninow selbst war es nach der einigen missglückten sinfonischen Experimenten der auch nach einer seelischen Krise dringend benötigte Durchbruch, wenngleich sich an Rachmaninows schmachtenden Melodien auch heute gern die Geister scheiden. Pianisten wissen viel damit anzufangen, gerade das 2. Klavierkonzert bietet reichlich Spielmaterial für eigene Auslegung und Emphase bestimmter Empfindungen.

Die venezolanische Pianistin Gabriela Montero war am Wochenende zu Gast bei der Dresdner Philharmonie - bei ihr wurde das Konzert interessanterweise zu einer recht ernsten Angelegenheit. Diese Nuance mag zwar aufgrund der Moll-Tonart einleuchtend erscheinen, doch man hat bei diesem Konzert viele eher dramatisch-vorpreschende Sichtweisen in Erinnerung. Um so aufmerksamer wurde man schon bei den einleitenden Takten, die Montero bedächtig und mit Sinn für die dunklen Klangfarben des Klaviers setzte - das wurde auch sogleich vom Orchester aufgenommen. Am Dirigentenpult war Stefan Solyom, amtierender Generalmusikdirektor in Weimar, für Alain Altinogru eingesprungen. Orchester und Solistin begaben sich in einen gegenseitig inspirierenden Dialog, wobei Monteros manchmal eigenwillige Atmung in einigen Phrasen höchste Aufmerksamkeit erforderte.

Mit der offenliegenden Virtuosität hatte Montero wenig Probleme, aber hier lag auch nicht ihr Hauptinteresse - dieser Rachmaninow war von viel Melancholie und fast untergründigem Schmerz geprägt; erst im dritten Satz kann sich ein aufbegehrender, zum Ende hin drängender Impetus durchsetzen. Wer Gabriela Montero kennt, dürfte gespannt die Zugabe erwartet haben - die Pianistin widmet sich schon lange der Improvisation und bezieht diese auch selbstverständlich in ihre Konzerte ein. Das Dresdner Publikum schien etwas überrascht von der plötzlichen Interaktion und so kam das Motiv schließlich aus dem Orchester: Über Beethovens "Schicksals"-Thema legte Montero quasi eine Bach-Busoni-Fantasie hin, die aufgrund der harmonischen Fortschreitungen und immer virtuoseren Verzierungen großen Beifall hervorrief. Nach dem Konzert gab Gabriela Montero im "Epilog" noch weitere Improvisationen zum Besten und verwandelte dabei beispielsweise den Klassiker "Yesterday" in ein südamerikanisches Klavierfeuerwerk.

Doch zuvor hatte die Dresdner Philharmonie noch ein gewaltiges sinfonisches Werk zu bewältigen: Das Ballett "Daphnis und Chloé" schrieb Maurice Ravel 1912 für Serge Diaghilews "Ballets Russes", für das auch Strawinskys "Le Sacre du Printemps" ein Jahr später entstand. Statt der beiden Suiten hatte die Philharmonie das komplette etwa einstündige Ballett, von Ravel "choreografische Sinfonie" betitelt, auf den Pulten liegen. Stefan Solyom schuf eine präzise, weitgehend auf sicheres Spiel bedachte Interpretation. Diese vermochte vor allem in vielen dramatischen Passagen zu überzeugen, jedoch änderte dies nichts an einer insgesamt etwas nüchternen Grundhaltung mit vielen das Werk zerstückelnden Generalpausen, außerdem wurde auch der von Ravel eingesetzte Vokalisen-Chor eingespart - schade. Beeindruckend war jedoch, wie die teilweise sehr schweren Solopassagen vor allem der Bläser gemeistert wurden, auch das Schlagwerk kam mit Solyoms klar organisierendem Dirigat gut zurecht. Letztlich fehlte der Aufführung ein Quentchen französischer Duft und damit die Bereitschaft zu einer leichten Übertreibung - in alle emotional denkbaren Richtungen.

Sonntag, 15. Juni 2014

Rafael Frühbeck de Burgos gestorben

Am 11.6. verstarb der Dirigent und frühere Leiter der Dresdner Philharmonie in Pamplona im Alter von 80 Jahren. Frühbeck de Burgos stand von 2004-2011 der Dresdner Philharmonie als Chefdirigent vor, in dieser Zeit habe ich etliche seiner Konzerte besuchen und rezensieren dürfen, zwei Mal auch mit ihm und dem Dresdner Kammerchor musiziert (Berlioz und Haydn). Frühbeck de Burgos war ein echter Konzertdirigent, Proben gerieten manchmal überraschend kurz und ökonomisch - wenn die Basis stimmte, hob sich Frühbeck de Burgos gerne den Feinschliff für das Konzert selbst auf - um so aufmerksamer waren die Musiker dann.
In meinem Blog sind noch einige der Rezensionen ab 2007 zu lesen: Konzerte mit Rafael Frühbeck de Burgos - viele Konzerte bleiben in sehr guter Erinnerung, etwa der auswendig dirigierte, spannungsgeladene "Sacre", die Brahms-Zyklen und viel Spanisches - etliche von Frühbeck de Burgos frühen Aufnahmen (etwa die de-Falla-Werke mit der Sängerin Victoria de los Angeles) zählen zu meinen liebsten und Frühbecks energisch-kompetente, trotzdem immer sympathische Art zu proben und zu dirigieren war eine schöne Erfahrung.

Hilary Hahn interviewt Rafael Frühbeck de Burgos.

Sonderkonzert: Alle Neune!

Sächsische Staatskapelle feiert Strauss-Geburtstag

Die Feder in der Villa in Garmisch kratzt über das Papier: "Mein lieber Thielemann, eine sehr schöne Aufführung haben Sie da zu meinem Ehrentag fabriziert! Schauen Sie nur, dass meine zahlreichen für die Kapelle geschriebenen Werke auch in den kommenden Spielzeiten auf den Pulten liegen." - So oder ähnlich könnte der Dankesbrief klingen, den Richard Strauss, würde er noch leben, nach dem Semperoper-Galakonzert verfasst hätte. Überhaupt dürfte sich der Meister gefreut haben, standen doch etliche seiner Werke schon in den letzten Wochen auf den Programmen Dresdner Ensembles.

Zum 150. Geburtstag am Mittwoch wurde das Sonderkonzert der Staatskapelle Dresden per Leinwand auf den Theaterplatz übertragen. Dort feierten über 2000 Menschen schon vor dem Konzert: Axel Brüggemann und Carolin Kebekus führten launig in das Werk des Komponisten ein und anhand einiger Filmeinspielungen aus Archiv und Probenräumen der Semperoper wurden dessen Fußspuren in Dresden beleuchtet. In zahlreichen Ländern konnte man das Ereignis im Radio und Fernsehen verfolgen. Weit über sechzig Jahre währte die Zusammenarbeit des Komponisten mit der Kapelle, dabei entstanden neun Opern, mit denen Strauss nach der Dresdner Uraufführung teilweise schnell Weltruhm erlangte.

Im Konzert gelang ein fast chronologischer Ritt durch die neun Opern - natürlich waren da nur Schlaglichter möglich, aber durch die außergewöhnliche Programmzusammenstellung konnte man sehr gut verfolgen, mit welchen kompositorischen Finessen und Sujets Strauss zu welcher Zeit arbeitete. Orchesterzwischenspiele und Arien wechselten sich ab - Chefdirigent Christian Thielemann dirigiert unter anderem beide Walzerfolgen aus dem "Rosenkavalier", wobei die das Konzert einleitende erste Folge ein wenig unter Nervosität litt.

Doch im weiteren Verlauf zeigte sich die Klasse des Orchesters, das nicht nur mühelos in die rasch wechselnden Stimmungen der Opernszenen glitt, sondern auch jedes orchestrale Zwischenspiel zu einem Juwel eben mit spezifischem Strauss-Klang ausformte - viele originale Notenausgaben liegen eben nicht nur im Archiv des Hauses, sondern werden weiterhin benutzt. Drei Sopranistinnen zeigten dem staunenden Publikum, was Richard Strauss seinen Titelheldinnen zumutete - es darf durchaus betont werden, dass es sich hier lediglich um kurze Szenen handelte, die für sich genommen schon große Kraft und Können abforderten. Für die Partien von Elektra (Auftrittsmonolog) und Salome (Schlussgesang) war die US-Amerikanerin Christine Goerke zuständig. Im dramatischen Repertoire bewegt sie sich sicher und klanggewaltig, ihre Rollenästhetik und die technische Umsetzung mag jedoch Geschmacksache sein, denn ihr vibratoreiches, körperliches Singen führt etwa dazu, dass man kein Wort mehr versteht und Filigranes nur als Zurücknahme möglich wird. Ihre Darstellung der beiden großen Monologe erntete jedoch tosenden Applaus.

Strauss' Frauenfiguren waren niemals nur auf Drama und Wahn beschränkt - so zeigte Anja Harteros mit der gefühlvoll nachsinnenden "Arabella"-Szene "Mein Elemer!", wie die immer neue, geistreiche Melodieführung von Strauss' Titelheldinnen spannend interpretiert werden kann. Dank Harteros intensiver Ausgestaltung landete man sofort mitten im Stück und ließ sich von den atmosphärischer Stimmung in den Bann ziehen. Schließlich brillierte Camilla Nylund, die übrigens an diesem Tag ebenfalls Geburtstag hatte und sich und die Zuhörer mit Strauss beschenkte, mit einer Szene aus "Die Ägyptische Helena" und der fast überirdisch wirkenden Schlussszene der Oper "Daphne" - faszinierend, wie Nylund da im schwebenden Piano höchste Töne ansetzte und großen Lyrismus verströmte.

Herrlich einfühlsam geriet die orchestrale Begleitung aller drei Sängerinnen, wobei Christian Thielemann mit fast bedingungslos kammermusikalisch gedachter Transparenz gewann. Nach großen Ovationen im Saal und einer Zugabe ging es dann nach draußen, wo die Dresdner Opern-Fans den Sängern zujubeln durften.

Vollkommene Hingabe

Anja Harteros brilliert in den "Vier letzten Liedern" im Kapellkonzert

Die Sächsische Staatskapelle rüstet für das große Richard-Strauss-Jubiläum, das zum 150. Geburtstag am 11. Juni mit einem großen Gala-Konzert gewürdigt wird. Bereits am Sonntag dirigierte Chefdirigent Christian Thielemann das 11. Sinfoniekonzert mit Strauss-Werken. Der Beginn gehörte jedoch dem diesjährigen Capell-Compositeur Wolfgang Rihm. Während sich die vor einem Jahr ebenfalls im Kapellkonzert wiederaufgeführten "Ernsten Gesänge" von Hanns Eisler nicht explizit auf Johannes Brahms gleichnamiges Spätwerk bezogen, wird hier die Beschäftigung offenkundig: Rihm nimmt harmonische und melodische Fortschreitungen ins Visier und formt daraus ein merkwürdig vertrautes Stimmungsbild, das von melancholischem Nachsinnen bestimmt ist.

Dafür wurden vier Klarinetten exponiert dort platziert, wo sonst die ersten Violinen sitzen - der warmtönend-grüblerische "Spätwerkklang" von Brahms wird hier nie verleugnet. Christian Thielemann konnte mit dem 1996 entstandenen Stück viel anfangen, da es hier auf klangmalerische Nuancen ankam, die er der Kapelle hervorragend zu entlocken weiß. Auch in die folgenden "Vier letzten Lieder" von Richard Strauss war Wolfgang Rihm einbezogen - er orchestrierte das erst in den 80er Jahren im Nachlass der Sängerin Maria Jeritza wiedergefundene Strauss-Lied "Malven", das aber ausdrücklich nicht in den Zyklus gehört, wohl aber nun als "allerletztes Lied" des Meisters gehandelt wird.

Rein von der kompositorischen Faktur wirkte es, an zweiter Stelle zwischen die Hesse-Lieder "Frühling" und "September" gesetzt, allerdings wie ein Fremdkörper, daran änderte auch Rihms behutsame Instrumentation nichts. Absolut großartig ist allerdings die Interpretation der nun fünf Lieder durch die Sopranistin Anja Harteros zu nennen. Eine nur vollkommen zu nennende Hingabe und Einfühlsamkeit ging einher mit der in absoluter Ruhe und Besonnenheit geführten Stimme. So konnte Harteros mühelos sowohl visionäre Erwartung im "Frühling" als auch den gewisshaften Abschied im "Abendrot" entfalten und legte den Text in völlig natürlich scheinender Weise auf ihre strömenden Melodielinien. Hat man diese Lieder je schöner gehört? Christian Thielemann bettete Harteros selbstverständlich auf Orchester-Samt und führte die von der Sängerin immer intimer geformte Atmosphäre mit dem entrückten Orchesternachspiel zu einem nachdrücklichen Abschluss.

Nach der Pause wartete die Gipfelbesteigung: Ein Strauss-Geburtstag ohne die 1915 entstandene "Alpensinfonie" ist vor allem in Dresden undenkbar, steht die Widmung "Der Königlichen Kapelle in Dankbarkeit" doch gleich auf der zweiten Partiturseite. Trotz des realen topographischen Defizits in Sachsen bewiesen die Kapellmusiker reichlich bildhaftes Vorstellungsvermögen für Sonnenaufgang und Gipfelsturm samt tosendem Gewitter. Thielemann sorgte dabei für recht flüssigen Fortgang, viel Kantables und gute Präzision und stellte vor allem die Tiefenschärfe der "Fotos" ein: gleich der erste Sonnenaufgang wurde in lediglich mildem forte platziert und auch im größten Sturmgewirbel besann man sich der mittels vielerlei Noten zu erzeugenden feinen Landschaft - bis hin zur in b-Moll herniedersinkenden Nacht: ach, schön.

Dem Melos verpflichtet

Dresdner Philharmonie mit Richard-Strauss-Programm

Kurz vor dem Geburtstagstermin am 11. Juni platzierte die Dresdner Philharmonie ein Konzert im Albertinum mit einem reinen Richard-Strauss-Programm und reiht sich damit in die musikalischen Festivitäten dieser Tage ein. Das Konzert sollte der frühere Chefdirigent Rafael Frühbeck de Burgos dirigieren, erst letzte Woche jedoch verbreitete sich die traurige Meldung, dass Frühbeck de Burgos aus gesundheitlichen Gründen endgültig den Dirigierstab niederlegt - eine Wiederbegegnung in Dresden kommt nicht mehr zustande.

Markus Poschner, der erste Gastdirigent der Dresdner Philharmonie und Bremer Generalmusikdirektor, sprang dankenswerterweise ein und übernahm das Programm ohne Änderung. Eingeleitet wurde dieses Geburtstagskonzert mit Kammermusik: das Sextett, die Einleitungsmusik aus der Oper "Capriccio", wurde vorne am Bühnenrand von Solisten der Philharmonie musiziert. Zwar war dies eine interessante Musik zum Auftakt, allerdings verloren sich die filigranen Fäden im großen Saal etwas, da die Musiker ihre Partien in nicht immer gleichrangiger Präsenz darboten.

Mit einem weiteren Spätwerk wurde das Konzert fortgesetzt, wie "Capriccio" entstand auch das Oboenkonzert in den 40er Jahren. Es strahlt eine eigentümliche Atmosphäre aus und mag auch manchen Hörer ratlos zurücklassen, denn abgesehen von einem vielleicht "herbstlich" zu nennenden Tonfall bleiben die Zeitläufte besonders in diesem Stück draußen vor der Tür. Licht und mozartesk ist die Instrumentierung, die Oboe ist ganz dem Melos verpflichtet, wobei den schwelgerischen Melodien, wenn sie so gut ausgeführt werden wie durch die Solo-Oboistin der Philharmonie, Undine Röhner-Stolle, kaum anzumerken ist, dass dafür eine ziemliche Kraft und Technik aufgewendet werden muss. Das gesamte Konzert lag bei ihr in guten, kompetenten Händen und Markus Poschner hatte mit dem klein besetzten Orchester wenig Mühe, diesem schönen Melodiefluss zu folgen.

Mit der Pause wurde ein großer Zeitsprung gemacht - die Tondichtung "Ein Heldenleben" schrieb Strauss 1898. Perfekt versteht sich der Komponist aufs Geschichtenerzählen - mit dem "Zarathustra" steigern sich auch die Ausmaße der Tondichtungen ins Monumentale. Markus Poschner formte einen energiegeladenen Beginn und setzte auch im Fortgang des Werkes zumeist auf Kraft und entfesseltes Musizieren, was zu einer vielleicht nicht unbedingt perfekten, dafür aber volltönenden (dass die Fern-Trompeten seitlich der Bühne offenbar "gegen die Wand" schmetterten, führte zu einer besonderen Präsenz) und immer wieder von vorne impulsiv vorangetriebenen Interpretation führte. Schade, dass der Ruhepunkt des Werkes im "eingebauten Violinkonzert" misslang, Konzertmeister Ralf-Carsten Brömsel kam mit der Rolle der "Heldengefährtin" in seinen Koloraturen an diesem Abend kaum zurecht. Dafür entschädigte ein nur wild zu nennender, mutig ausgeführter Bläsersatz, der zur "Weltflucht" am Ende in sanfter Wärme ausklingen durfte.

Schlichte Edelsteine

The King's Singers gastierten mit dem "Great American Songbook"

Sie mussten gleich ein zweites Konzert ansetzen - die Könige des a-cappella-Gesangs. Denn rasch war das Musikfestspiel-Gastspiel der "King's Singers" im Ballsaal des Brauhauses Watzke in Pieschen ausverkauft. Dem Ensemble, das schon mehrfach in Dresden zu erleben war, wurde "a very warm welcome" bereitet, konstatierten die sechs Sänger nach ihrem Konzert - und das war auch von der Temperatur im Ballsaal her wörtlich zu nehmen. Das störte aber nahezu niemanden, denn das Publikum war ohnehin die ganzen zwei Stunden damit beschäftigt, mit Staunen und Bewunderung dieses Bad im Vokalklang-Luxus zu genießen. Es wäre wohl ziemlich gleich gewesen, welches Motto die Festspiele den King's Singers angeboten hätte - die sechs smarten Herren kennen sich von der Renaissance bis zur zeitgenössischen Musik und vom Pop bis zur Weltmusik in allen Genres aus.

Zufällig passte das Musikfestspielmotto der "Goldenen 20er" gut zur jüngsten Aufnahme des Ensembles: das "Great American Songbook" ist ein hervorragendes Dokument der Entwicklung der amerikanischen Musikkultur zu Hoch-Zeiten des Broadways, aufkommender Musikfilme und natürlich des Radios, wobei die meisten berühmten Songs erst später entstanden und bis heute in unzähligen Arrangements zum Repertoire von Jazz- und Popmusikern gehören. Im ersten Teil des Konzertes kamen - neben einem Cole Porter gewidmeten Abschnitt - vor allem George Gershwin und die Comedian Harmonists zu Ehren.

Von "Love is here to stay" spannte sich der Bogen über "Tea for Two" und die Comedian-Harmonists-Klassiker "Wochenend und Sonnenschein" und "Mein kleiner grüner Kaktus" bis hin zu Duke Ellingtons "Creole Love Call". Staunte man einmal nicht gerade über die feinen Bearbeitungen etwa von Daryl Runswick, so konnte man sich am glasklaren Gesang der "King's" laben. Hat sich die Besetzung in fast 50 Jahren auch immer wieder einmal geändert, so blieb die hohe Klangkultur konstant: gemeinsame Gestaltung und perfekte Intonation selbst in halsbrecherischen Modulationen ist so selbstverständlich wie das Atmen selbst.

Kaum etwas lenkte bei diesem Konzert von den Standards ab: wenn die King's Blicke oder Gesten in die Songs hineingeben, so geschieht dies auf eine dezente, fast liebevolle Art, und das sitzt ebenso perfekt wie die feinen Maßanzüge der sechs Herren. Lag es an der doch hierzulande nicht so deutlich ausgeprägten Rezeption der Standards oder eher an den weniger spektakulären Arrangements von Alexander l'Estrange, dass der zweite Teil des Konzertes - komplett aus dem Songbook gespeist - nicht ganz so hinreißend ausfiel wie der erste? Ein echter Kontrast oder "Reißer" fehlte im Programm; auch "My funny Valentine" und "The Lady is a Tramp" waren am Ende schlichte Edelsteine, in denen die Soli ebenso rund klangen wie die durch die Stimmen wandernde Begleitung. Colemans "The Best is Yet to Come" war da schon fast ein Understatement: Sorry, liebe King's Singers, besser geht es einfach nicht.
Alexander Keuk

CD-Tipp
The King's Singers: The Great American Songbook, 2 CDs (Signum, 2013)

Montag, 9. Juni 2014

Kristalline Klarheit

Hilary Hahn, Paavo Järvi und das hr-Sinfonieorchester gastieren in der Semperoper

Die Momente in einem klassischen Konzert, in denen für einen Zuhörer einfach alles stimmt, sind rar. Hält ein solcher Zustand gar über ein ganzes Werk stand, so stellt sich ein besonderes Glücksgefühl ein. Dementsprechend hätte der Applaus in der Semperoper nach der hervorragenden Darbietung des Violinkonzerts von Johannes Brahms mit der US-amerikanischen Geigerin Hilary Hahn und dem hr-Sinfonieorchester unter Leitung von Paavo Järvi durchaus brausender ausfallen dürfen. So etwas hört man nämlich nicht alle Tage.

Hahns Interpretation zeigte eine große Reife und Perfektion, wobei letzteres im Sinne einer alle Nuancen des Werkes umfassenden, frei schwingenden Musikalität gemeint ist. Hahn gestaltete die Exposition des 1. Satzes in kristalliner Klarheit - mit der Tür ins Haus zu fallen ist ihre Sache nicht. In dieser Deutlichkeit baute sie ein über alle drei Sätze tragendes Spannungspotenzial auf, bei dem die Motive sinnfällig verbunden wurden und Raum für eigene Entfaltung erhielten. Hahn gestaltete vor allem die Übergänge zwischen kontrastierenden Abschnitten äußerst klug und fand immer wieder zu einer ruhigen Gelassenheit zurück, aus der eine neue kräftige Phrase oder eine bis in den letzten Bogenstrich vollendete Kantabilität entstehen konnte. In dieser Plastizität aller Elemente erhielt das Werk quasi eine Hochschätzung, die leichtes und selbstverständliches Musizieren ermöglichte. Die sichere Basis des fast mit Noblesse begleitenden Orchesters tat ein Übriges für dieses besondere Musikerlebnis.

Nach der Pause wurde Hilary Hahn für ihre Verdienste um die Nachwuchsförderung und Vermittlung der Musik mit dem diesjährigen Glashütte-Musikfestspielpreis geehrt. Weit über das reine Konzertieren hinaus engagiert sich die Geigerin seit Jahren für den Austausch über Musik, entwickelt Social-Media-Projekte oder läßt gleich zwei Dutzend Komponisten rund um den Erdball neue Stücke für sie komponieren. Hahn spendete als Dank einen kleinen Gedankenausflug zum Thema Erfolg, für sie bedeute dieser Begriff, "etwas Schönes zu kreieren und eine Verbindung zwischen Menschen zu bauen."

Diesem Ethos folgte auch die folgende Aufführung der 3. Sinfonie d-Moll von Anton Bruckner. Paavo Järvi, nach siebenjähriger Chefzeit beim hr-Sinfonieorchester nun in der ehrenwerten Position eines "Conductor Laureate", formte eine Interpretation, die von stetiger Partnerschaft und Vertrauen bestimmt war. So konnte in den von Järvi meist flüssig musizierten Sätzen eine exzellente Klangkultur aufblühen, die sich immer mehr zu freiem Spiel aufschwang. Vor allem das hier betont derb tänzelnde Scherzo und das saftig ausmusizierte Finale gelangen großartig - ohne Zugabe durfte das hr-Sinfonieorchester nach dem starken Applaus die Bühne selbstverständlich nicht verlassen.

Neue Orchester-Klangwelten

"Erste Anhörung" mit der Dresdner Philharmonie in der Musikhochschule

Als Bernd Alois Zimmermann zu Beginn der 60er Jahre seine Oper "Die Soldaten" dem Gürzenich-Orchester Köln zur Uraufführung vorlegte, gab es heftigen Widerstand. Längst wissen wir, dass da ein Meisterwerk des 20. Jahrhunderts gehoben wurde. Die Vorbehalte gegen das Neue sind vielleicht auch heute noch da, aber in den letzten Jahrzehnten spürt man doch gerade in den Orchestern eine größere Selbstverständlichkeit und Verantwortung gegenüber den aktuell entstehenden Partituren. So kann die erste Annäherung die Scheu nehmen, entsteht fast immer eine Erweiterung des Horizontes.

Für die studierenden Komponisten an einer Musikhochschule ist ein Workshop mit einem Orchester unschätzbar wertvoll - bereits zum siebten Mal führte nun das KlangNetz Dresden die "Erste Anhörung" in Kooperation mit der Dresdner Philharmonie durch. Einem Workshoptag, bei dem die Stücke zum ersten Mal angespielt wurden, schloss sich im Konzertsaal der Musikhochschule der Abend vor Publikum an. Moderator Jörn Peter Hiekel betonte den fortdauernden Workshopcharakter, die gute Arbeit der Musiker um Dirigent Dominik Beykirch war aber offenkundig. Selbst in schwierigsten rhythmischen Passagen musste nicht abgebrochen werden und die Zuhörer erhielten einen guten Eindruck der erfundenen Klangwelten der drei beteiligten Komponisten.

Adrian Nagel hatte die kleinste Einheit elektronisch darstellbarer Musik zum Thema seines Werkes "Nucleus" gemacht: das Sample, das in einem bestimmten Wert ein Knacken erzeugt, das aber in verschiedenen Tonhöhen auch perforiert erscheint. Das war in der Übertragung und Fortspinnung mit den Möglichkeiten des Orchesters spannend zu verfolgen: Punkte fransten aus oder bekamen plötzlich eine eigene "Farbe". Anthony Tan war mit einem ganz anderen Thema in seinem Werk "KSANA I" beschäftigt: Ksana ist ein buddhistisches Konzept von Zeit - musikalisch lotete Tan sehr klangsinnlich quasi die Modellierung eines Augenblicks und seiner Zerstreuung aus.

Schließlich übte sich Nicolas Kuhn in "Aufriss" in der absichtsvollen Verweigerung traditioneller Instrumentation und erzeugte ungewohnte Massierungen und in sich rotierende Passagen etwa im Solo-Cello oder in der Kontrabassgruppe - etwas gefährlich war die Zerfaserung seines Werkes in Einzelteile, wodurch sich der beabsichtigte Energie-Effekt etwas reduzierte. Insgesamt gelangen drei sehr anspruchsvolle, abwechslungsreiche musikalische Darbietungen, für deren Gelingen die gute Konzentration der Philharmonie-Musiker und Dominik Beykirchs jederzeit äußerst klare Dirigierzeichen verantwortlich waren. Das Sinfonieorchester, das bewies die "Erste Anhörung" deutlich, ist noch lange kein ausgereiztes Instrument vergangener Zeiten - Fortsetzung erwünscht!

Donnerstag, 29. Mai 2014

Traum LXXXIV

Perfekter Mirrortraum: nach einigem Chaos innerhalb von rasch wechselnden Szenen wache ich auf und notiere hier im Blog den neuen Traum, und zwar mit einem Wort: "Unglaublich." - Danach wache ich auf, denn diese Notiz geschah ebenfalls im Traum.

Tanz- und Exilmusik

Dresdner Philharmonie mit Alexander Toradze im Albertinum

In Kooperation mit den Dresdner Musikfestspielen veranstaltete die Dresdner Philharmonie ihr 14. Konzert im Albertinum und gestaltete ein spannendes sinfonisches Programm, das sich mit Werken aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts thematisch gut in das Motto der "Goldenen 20er" einfügte. Chefdirigent Michael Sanderling begann mit der Tanz-Suite von Béla Bartók, 1923 zur 50. Jahresfeier der Entstehung der Stadt Budapest entstanden.

Die Nachbarschaft zum fast parallel komponierten Ballett "Der wunderbare Mandarin" ist in der Musik spürbar - eine höchst farbige Instrumentation mit raschen Charakterwechseln und vor allem rhythmischer Komplexität fordert Aufmerksamkeit. Sanderling sorgte für eine feine Abstufung der Dynamik, sodass folkloristisches Material frei schwingen konnte. Schöne Soli von Trompete und Posaune ergänzten diese gute Interpretation.

Der russische Pianist Alexander Toradze - seit 30 Jahren in den Vereinigten Staaten lebend - ist kein Unbekannter in den philharmonischen Konzerten. Die Aufführung von Alexander Skrjabins "Promethée" im Jahr 2008, bei der auch Skrjabins "Farbenklavier" mit Projektionen realisiert wurde, ist noch gut im Gedächtnis. Nun hatte Toradze das 3. Klavierkonzert C-Dur von Sergej Prokofjew mitgebracht. Bereits den Kopfsatz versah er mit enormen Temperament und einem nur knackig zu nennenden Anschlag, der aber für dieses Konzert angebracht ist. Bei Toradzes rasant genommener Schlußwendung des 1. Satzes musste man fast die Luft anhalten - das Wechselspiel von Kraft, Geschwindigkeit und melodischem Innehalten lotete Toradze hervorragend aus.

Im mittleren Variationssatz geschah leider ein Malheur, was beinahe die tolle Aufführung zerstört hätte: Zweimal klingelte laut und deutlich im vorderen Publikumsbereich ein Handy, und natürlich genau in den leisesten Passagen. Die ärgerliche Unterbrechung fingen Toradze und die Philharmoniker mit professioneller Reaktion auf und setzten das Konzert beherzt fort. Natürlich war danach die Spannung eine andere, doch mit Prokofjews spritzigem Finalsatz konnten sich die Musiker geradezu "Luft machen" - Erleichterung und ein tosender Applaus folgte.

Zu Ende ging das Konzert mit Kurt Weills kaum bekannter 2. Sinfonie, ein Stück, dessen Skizzen sich 1934 in Weills Koffer auf dem Weg ins Exil befanden. Dieses "Gegenteil einer Pastorale", wie Weill die Sinfonie selbst nannte, ist von einer untergründigen Sorge und Bekümmerung bestimmt, die mehrfach den für Weill charakteristischen, lockeren Motiv-Tonfall in unheilvolle Spannung abdunkelt. Sanderling arbeitete diesen Charakter sehr intensiv heraus - eine Musik im Angesichts des Abgrunds tat sich da auf, die es wert ist, viel öfter gehört und gespielt zu werden.

Donnerstag, 22. Mai 2014

Rettet Jana - ein Tatort zum Mitspielen

Im Zusammenhang mit dem am 18. Mai ausgestrahlten Bremer Tatort "Alle meine Jungs" hat radiobremen gemeinsam mit Thadeus Roth ein Spiel namens "Dein Auftrag" entwickelt. Ich war dabei! Und bin fassungslos! (im positiven Sinne!) Und berichte. Auch wenn das nach diesen zwei extremen Wochen - das Spiel startete schon vor dem Tatort - schwer ist, in gescheite Worte zu fassen. Aber es war mein erstes Mal "mittendrin" in einem sogenannten "Suddenlife-Game" und da ich solche doch eher neuen crossmedia-Entwicklungen sehr spannend finde, denke ich sollte ich das auch reflektieren. Wer meine Ergüsse nicht lesen will, kann sich auf der radiobremen-Seite kurz und knapp informieren, dort gibt es auch ein PDF zum Ansehen und den Link zu "Toms Blog".

Ich bin seit ewigen Zeiten Tatort-Fan, seit einigen Jahren auch regelmäßig, da auch viele Freunde Tatort schauen und so wurde u. a. eine eigene Facebook-Gruppe daraus. An den beiden bisherigen interaktiven Spielen (Ludwigshafen und Stuttgart) habe ich aber aus Zeitgründen nicht teilnehmen können. Dieses Mal hörte ich über twitter, dass es ein neues Spiel gäbe, und wie in dem bekannten belgischen Video drückte ich auf den Button: Action bitte!! - Denn ich hatte gerade nicht allzuviel zu tun und überdies war das Spiel von Radio Bremen betreut, mit deren online-Aktivitäten mich ja einiges seit Jahren verbindet, wie wenige wissen...

Am zweiten oder dritten Tag bin ich eingestiegen und hoffte auf ein nettes Rätseln vorm Bildschirm. Ich legte mir Stift und Papier zurecht und schaute erstmal die Materialien an (vieles kann auch per #rettetjana noch auf Twitter angeschaut werden), die bislang zur Verfügung standen, dann arbeitete ich mich per Forum in die Geschichte ein. Recht schnell entdeckte ich dort einen Link, der auf ein Pad verwies, wo Hinweise und Story zusammengetragen werden sollten. Mit Wikis kenne ich mich einigermaßen aus, also sollte auch ein Pad keine Schwierigkeit sein.

Was dann aber begann, waren zwei Ausnahme-Wochen, die einem Außenstehenden nicht recht erklärbar sind. In dem Pad (dem auch ein Chat angeschlossen ist) traf sich nach und nach eine immer verschworenere, aufeinander bestens eingestimmte Gruppe, die sich Aufgaben verteilte, brainstormte und mit ordentlich Adrenalin versehen neuen Anrufen und Mails nachging - und zwar nahezu durchgängig! Am Chat läßt sich jetzt noch nachlesen, dass nachts um zwei die letzten rausgingen und um sechs die ersten schon wieder eincheckten und Infos weiter bearbeiteten. Schnell war ich "drin" im Spiel, in der bunten Truppe, die im harten Kern aus etwa 35 Leuten von Ingolstadt bis Bremen im Alter von 16-57 Jahren bestand. Kam gerade mal nix von der Spielleitung, wurde virtuell Kaffee gekocht und Bratkartoffeln gebrutzelt :)

Womit wir vielleicht nicht ganz gerechnet hatten, war der Aufwand und die Komplexität des Spiels - die Spielleitung aber, das wissen wir nun, hatte das auch nicht so ganz auf der Rechnung - vor allem UNS nicht. Denn wir entwickelten in unserem kleinen Kommissariat eine irre Eigendynamik: manche Aufgaben waren Minuten nachdem sie eintrudelten, bereits entschlüsselt, anderen Hinweisen gingen wir bis in die Urgründe ihrer Entstehung nach und landeten bei Mystik, Hindugöttern oder auch mal auf einem falschen Twitteraccount oder einem Anrufbeantworter in Houston... Wir brauchten neues Futter, dürsteten nach den nächsten Hinweisen und hielten damit offenbar auch die Spielleitung gehörig auf Trab.

Nur mit dem Forum versehen hätte wohl kaum jemand (schon gar nicht allein!) das Spiel lösen können, vereinzelt vernahmen wir verzweifelte Hilferufe aus Twitter, wo Nicht-Pad-Spieler versuchten ihre Post zu entschlüsseln. Wer intensiv mitspielen wollte, wurde ins Pad eingeladen, und kurz vor dem Tatort-Wochenende hatten wir sogar tatort-like unseren eigenen, allerdings ungeplanten "Nebenhandlungsstrang": ein Troll war ins Pad eingestiegen und meinte unsere Schreibarbeit zunichte machen zu müssen. Er hat nicht mit unserer Crew gerechnet - wir haben nicht nur mehrere Padumzüge geschafft, sondern bis zum Ende des Spiels auch sichere Versionen behalten können.


Die "Sieben Siegel" also auch noch. Uff. (Ausschnitt aus Toms Blog)

An dieser Stelle mal ein dickes Lob an die Spielemacher (die wegen uns auch keine ruhige Nacht mehr hatten...) - die Story war bis in feinste Verästelungen durchdacht - und da wo sie aufhörte, haben wir weitergesponnen! Die Figuren hatten allesamt Profile, Charaktere, es war eine glaubhafte - und grausige - Geschichte. Die Briefpost, die verschiedene von uns erhielten, war ein erster Höhepunkt des Spiels - nun war tatsächlich "Beweismaterial" in unseren Briefkästen, das wir auszuwerten hatten, das aber mindestens 20 neue Personen und zig neue Ereignisse verarbeitete.

Allmählich kamen wir hinter die Machenschaften der "mundita", einem als Escort-Service getarnten Prostituiertenring. Jana lieferte uns die Beweise, doch sie war selbst in Gefahr. Es spitzte sich alles auf den Tatort-Sonntag mit der Ausstrahlung der rb-Folge zu. Der Fernseh-Abend war dann auch der pure Stress für alle von uns, und es zeigten sich wahre Multitaskingtalente: der Tatort wurde protokolliert, gleichzeitig diskutiert und im Anschluss sofort an unsere Story angedockt, als es dann (wie wir bereits - richtig - erwarteten) plötzlich hieß: Außeneinsatz!! Unsere special task force machte sich auf nach Bremen-Walle, währenddessen trudelten sogar im Radio bei der Sendung "Gefühlsecht" noch Hinweise für uns ein (bitte bessere Musik demnächst dazu, wir ermitteln schließlich seriös!)

Die task force fand tatsächlich Janas Handy und am kommenden Mittag sogar noch weitere am Tatort zurückgelassene Dinge. Wir rätselten noch bis in die Nacht. Jana war erstmal in Sicherheit, aber das Spiel noch nicht zu Ende, die Bösewichter waren noch nicht alle gefaßt - wir hatten es auch mit einem etwas tüddeligen Kommissar zu tun im Spiel.

Von Montag bis Mittwoch versuchten wir die "Überorganisation" der mundita herauszufinden, deren Mitarbeiter sich mittlerweile alle nach Goa geflüchtet hatten. Es war dann eine etwas zermürbende Suche nach Passwörtern und Logins für neue Webseiten - die, so erfuhren wir nach dem Spiel, nahezu zeitaktuell von den Spielemachern noch eingebaut wurden, weil wir mittlerweile rasant mit den Lösungen dabei waren... Gleichzeitig versuchte die "Gegenseite" uns zu sabotieren und zu drohen: "NUCLEAR OPTION!" - netter Bond-Scherz, aber sowas läßt doch einen Ermittler nicht erschrecken!!


Soll das eine Drohung sein? ;)

Letzten Mittwoch dann spitzte sich alles auf die Enkodierung eines "masterkeys" um 16 Uhr zu - an diesem Tag sollte auch wirklich Schluss mit dem Spiel sein. Es wurde also am Nachmittag noch einmal spannend - wir bekamen noch weitere Webseiten und Hinweise geliefert, rätselten schließlich sogar an einer "Enigma"-Maschine - die Spielleiter hatten schweres Geschütz aufgefahren, nachdem sie mitbekommen hatten, dass wir das Spiel schon ein paarmal "links überholt" hatten und uns bereits Informationen aus Websiten geholt hatten, die wir eigentlich noch gar nicht hätten sehen dürfen, geschweige denn knacken! Mabuses Selbstmord hätten wir so glatt noch verhindern können... Tja, wir waren fix. Und hatten Schwarmintelligenz.

Mittwoch gegen 17 Uhr, nachdem wir nur - binnen einer Stunde! - enigma erledigt hatten, entdeckten wir nur noch einen rätselhaften Countdown, und es gingen "echte" Anrufe bei uns ein: Alles zu Ende, Bösewichter gefasst, geht in den Biergarten!!
Das wollte zunächst keiner glauben, es war aber am Ende doch das "offene" Ende, das offenbar bei den Spielleitern beabsichtigt war. Etwas abrupt und für die meisten von uns leider auch frustrierend, da die vielen Spielfäden nun mit Abschaltung der Websites und Dichtmachung des Forums regelrecht abgeschnitten wurden. Sei es drum, wir hatten eine Menge Spaß.

samarie2

Und uns blieb der Countdown. Der wies auf Freitag 14 Uhr - wo wir noch ein Dankeschön der Spielleitung bekamen und eine Zusammenfassung. Jetzt geht es ans Feedback, an die Aufarbeitung der insgesamt gut 4000 Zeilen Pad, die wir geschrieben haben. Und dann wird gefeiert. Und sicher ist: wir kommen wieder!!! Ich weiß nicht, ob der SWR schon vor unserem "mobilen, virtuellen und 24h am Tag einsatzbereiten Kommissariat" zittert - denn im Oktober heißt es "tatort+" - dann geht es in den Süden der Republik mit einem neuen interaktiven Spiel. Für einen newsletter von tatort+ kann man sich unter tatortplus@swr.de melden.

Ein Feedback haben die meisten von uns schon abgegeben, ich muss abschließend vielleicht sagen, dass mit dem Motto "suddenlife" ins Schwarze getroffen wurde und wir alle (da beziehe ich Spielleitung, RB und alle Spieler) auch eine Menge gelernt haben, sei es die Offenbarung in der Bibel nach Zahlensymbolik zu durchforsten oder sich mit Mindmapping und konstruierten Realitäten zu beschäftigen. Es war intensiv und es war gut. Danke.

Weitere Links:
* RadioBremen-Seite zum Spiel mit vielen Infos und einem Screenshot von unserem Arbeits-Pad (Ja, war Arbeit!)
* Spielbericht von RadioBremen (pdf)
* Gruß von der Spielleitung ("Toms WG") aus Leipzig
*Interview mit dem Medienwissenschaftler Jochen Hörisch bei nordwestradio
* Begleitung von EinsPlus beim Tatort-Spiel
* Bericht beim Mediendienst kress.de

Mittwoch, 21. Mai 2014

"Angenehmer Hintergrund"

Neues Dresdner Kammerorchester und Valery Oistrach musizierten in der Kreuzkirche

"Ich trage einen großen Namen" ist eine Fernsehshow, in der seit über 30 Jahren Gäste eingeladen werden, die mit prominenten Zeitgenossen verwandt sind. Der große Name kann dem Familienspross eine Bürde auferlegen oder verhilft zu erneuter, manchmal zweifelhafter Prominenz. Die Konzertplakate mit dem markigen Titel "Oistrach in Dresden" lassen jedenfalls die Assoziation des "großen Namens" sofort entstehen und das sorgte vermutlich am Sonntagnachmittag für ein gut gefülltes Auditorium in der Kreuzkirche.

Zu Gast im Konzert mit dem "Neuen Kammerorchester Dresden" war der Enkel des berühmten russischen Geigers David Oistrach, Valery Oistrach. Der ist in die Fussstapfen seines Großvaters getreten und hat natürlich auch mit Vater Igor zunächst eine exzellente Ausbildung an der Geige genießen dürfen. Heute wirkt Valery Oistrach als Professor am Konservatorium in Brüssel. Doch nicht nur Oistrach sorgte mit einer keinesfalls befriedigenden musikalischen Leistung für einige Irritationen.

Orchesterleiter Wolfgang Rögner kündigte in seiner Moderation zu Beginn das "Gründungskonzert" des Ensembles an - welches allerdings bereits 2013 am selben Ort unter dem gleichem Titel stattfand. Offenbar hat das kleine Orchester, das aus Dresdner Musikern beider Orchester und Hochschulabsolventen besteht, sich noch einmal neu zusammenfinden müssen - nun präsentiert man sich als "Neues Dresdner Kammerorchester" erneut dem Publikum. Im Profil des Ensembles hat sich dagegen nichts verändert: leichte, schmeichelhafte Klassik, von Rögner als "kurzweilig und heiter" beschrieben, wird in einer kleinen Streichorchesterbesetzung zu Gehör gebracht. Ob das in der Kulturstadt Dresden mit ihren mannigfaltigen Angeboten ausreicht, sollte hinterfragt werden.

Die Interpretationen rechtfertigen ein solches Unterfangen kaum - vor allem die beiden konzertanten Werke mit Valery Oistrach litten unter dem leider mangelhaften Können des Solisten. Der Geiger hatte sowohl in Johann Sebastian Bachs Violinkonzert E-Dur als auch in Antonín Dvořáks Romanze Opus 11 mit argen Intonationsproblemen zu kämpfen. Eine persönliche Handschrift war ebensowenig erkennbar wie der Sinn für eine adäquate Aufführungspraxis der Musik - mit reichlich Vibrato wurde Bach musiziert, Dvořáks Melodien kamen zähflüssig und mit unentschiedenen Tempi über die Bühnenrampe. Selten besaß Oistrach die Kraft, um selbst in dieser kleinen Besetzung im Tutti herauszustrahlen; ernüchternd muss man das Fazit ziehen, dass am Ende wirklich nur der große Name in Erinnerung bleibt, große Kunst war das nicht. In den reinen Orchesterstücken von Wolfgang Amadeus Mozart und Edward Elgar konnte Dirigent Wolfgang Rögner zwar mit seinen Musikern eine gelassene, musikantische Haltung erzeugen, dennoch reichte die Atmosphäre selten über einen gewissen hausmusikalischen Anspruch hinaus und gaben auch die Stücke und die dünne Streichorchesterbesetzung - für die Elgars "Serenade" dann doch zuwenig Schmelz ergibt - nicht genug her.

Mit reichlichem Applaus zeigte das Publikum trotzdem seine Zufriedenheit. Ob man aber weiterhin Musikdarbietungen benötigt, die in der Moderation von Rögner selbst als "angenehmer Hintergrund zur Entspannung" klassifiziert wurden, sollte sich jeder Zuhörer selbst beantworten. Wenn der Anspruch der Interpreten an die Musik bereits nur mehr einen Nebenzweck benennt, entzieht man den Tönen die Aufmerksamkeit, die ihnen eigentlich zusteht.

Montag, 19. Mai 2014

Handgelenksübungen

Christian Thielemann leitet 4. Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle

Man kennt die Karikaturen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Riesenhaftigkeit der Partituren etwa von Gustav Mahler und Richard Strauss begleiteten: Dirigenten vor Orchestermaschinen mit übergroßen Alphörnern und Schlagwerk werden da gezeigt, in einer Zeichnung vollzieht Strauss sogar höchstpersönlich mit einer Trompete die Hinrichtung der "Elektra". Solcher Humor ist verständlich, bei näherem Hinsehen aber kaum haltbar, denn bei allem Pomp und Pathos sind Strauss' Partituren nicht nur von großer Instrumentationskunst, sondern auch von reichlich Intelligenz und Ideenreichtum geprägt. Der 4. Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle bot Gelegenheit, einmal unbekanntere und kleiner besetzte Stücke kennenzulernen.

Das Konzert war gleichzeitig eine Hommage des Orchesters an den Komponisten, der nicht nur neun seiner Opern in Dresden zur Uraufführung vorlegte, sondern dem "TV", dem Dresdner Tonkünstlerverein, bereits 1882 seine Bläserserenade Es-Dur Opus 7 widmete. Chefdirigent Christian Thielemann ließ es sich nicht nehmen, diesen besonderen Konzertabend selbst zu leiten und interpretierte zu Beginn die mit 13 Bläsern besetzte Serenade als klassisches und wohlgeformtes Jugendwerk - Tonsetzereskapaden wie im aus gleicher Zeit stammenden Violinkonzert sind hier noch Mangelware. Man vermeint eine noble Aufwartung zu hören, mit der Strauss die Bande nach Dresden knüpfte, dafür taugte eine Serenade allemal besser als neutönerische Experimente.

Rund 60 Jahre später entstand erneut ein Bläserstück für Dresden: die Sonatine Nr. 1 F-Dur wurde 1944 vom Tonkünstlerverein unter Leitung von Karl Elmendorff uraufgeführt. Diese Bläsermusik weist größere Dimensionen auf und ist klanglich im Gegensatz zur Serenade mit einer größeren Klarinettenfamilie ausgeweitet. Thielemann konnte sich hier voll auf das Können seiner Musiker verlassen und beschränkte sich daher auf genaue Nuancierung der Balance und Vermittlung einer spielerische Leichtigkeit - an keiner Stelle war ein zu schwerer oder gar auftrumpfender Klang merkbar und die Mischung zwischen Holz und Blech gelang exzellent. Dichten sinfonischen Klang mit schmetterndem Hornmotiv bewahrt sich Strauss für die finale Wirkung im 3. Satz auf, über einige etwas selbstverliebte Längen kann das Werk trotzdem nicht hinwegtäuschen.

Nach der Pause kamen dann die Streicher zum Zug: Im Gegensatz zur "Handgelenksübung" der Bläsersonatine sind die 1945 entstandenen "Metamorphosen für 23 Solostreicher" - von Strauss zwar ebenfalls bescheiden als Studie betitelt - von weitaus ernsterem Charakter, zudem sollte man jedem Zweifler an Strauss' Musik dieses Stück zum intensiven Studium vorlegen. Bei allem Verharren in einer Tonsprache einer "alten Welt" bleibt dieses Stück in seiner Dichte und in seiner Leidenschaftlichkeit faszinierend. Es ist kein Geheimnis, dass die "Metamorphosen" seit Jahrzehnten zum Paradestück der Kapellmusiker zählen - erst bei den Salzburger Osterfestspielen stand das Werk wieder auf dem Programm.

Beim Aufführungsabend gelang erneut eine mitreißende, bis zur eben in diesem Stück gleichberechtigten "23. Stimme" ausgereifte Interpretation, die von Thielemann sicher in einem permanentem Fluss mit viel Sinn für Innehalten und Vorwärtsdrängen gehalten wurde. Sinnbildlich für den Charakter des ganzen Werkes stehen die sanft verklingenden Schlussakkorde - deren besondere Wärme eben nur entsteht, wenn jeder einzelne Musiker genau darum weiß. Dass Vater Franz Strauss seinen komponierenden Sohn mit der Bläserserenade und anderen Jugendwerken in Dresden vorstellte, muss eine weise Entscheidung gewesen sein.

Donnerstag, 15. Mai 2014

Sehr gleichberechtigte Ausdruckswelten

Hélène Grimaud und Paavo Järvi im 10. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle

Gewisse Künstler begleiten uns Zuhörer ein Leben lang, ohne dass wir es besonders forcieren müssen. Man merkt eine Verbundenheit, eine gesteigerte Aufmerksamkeit, wenn der Künstler etwas Neues zu sagen hat, eine neue CD veröffentlicht oder zum Konzert gastiert. Mit der Pianistin Hélène Grimaud kann man eine solch niemals ermüdende Beziehung eingehen, weil man durch das Musikerlebnis mit ihr stets bereichert wird - niemals durch Perfektion (was überhaupt ein zweifelhaftes musikalisches Ziel wäre) oder Endgültigkeit, sondern durch eine Energie der Aussage, die zur Auseinandersetzung zwingt.

Grimaud lehrt uns zum einen, wie vergänglich der Moment der Musik ist, zum anderen wie tief wir dringen können, wenn wir uns der Musik öffnen - was für Grimaud, das war im 10. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle spürbar, auch ein Art von natürlichem Abenteuer, einen Grenzgang bedeutet. Johannes Brahms 1. Klavierkonzert d-Moll bietet in seiner Komplexität erst einmal vielfältige Möglichkeiten des Zugangs, darin liegt aber auch die Gefahr, sich zu verlieren oder bestimmte Ausdruckswelten zu sehr zu betonen. Grimaud schaffte es, Dialoge zu initiieren: mit dem Orchester, mit dem Gastdirigenten Paavo Järvi, der höchst konzentriert den symphonischen Charakter des Werkes wahrte, aber auch mit dem Komponisten selbst. In Grimauds Spiel erschien die Vertrautheit der Schumannschen und Beethovenschen Welt exakt gleichberechtigt neben den schroffen Ausrufezeichen des 1. Satzes, mit denen Brahms temperamentvoll neue Ausdrucksebenen erkundet.

Der 2. Satz führt in die Welt der Poesie und des Liedes und wurde in der Dynamik von Järvi ganz zurückgenommen, niemals wurde aber der Fluss der ruhigen Ausformung verlassen. Hélène Grimaud fand viele differenzierte Farben für dieses Konzert. Selbst kleine Intermezzi, die nur in eine andere Tonart führen oder ein Thema noch einmal virtuos dekorieren, nahm sie ernst und bettete diese hervorragend in den Kontext ein. Der 3. Satz spiegelt nur am Anfang heiteren Ausklang vor, Grimaud formte daraus einen stürmischen Befreiungsakt, der unumkehrbar in den Schluss mündete - von wenigen kleinen Überraschungen bei Übergängen zwischen Solistin und Orchester abgesehen, war dies ein durchweg packendes Musikerlebnis.

Béla Bartóks 1943 entstandenes "Konzert für Orchester" stand als sinfonisches Werk nach der Pause auf dem Programm. Hier ist das "Instrument" Orchester in Bartóks Farbpalette in allen Gruppen virtuos behandelt, zudem warten die fünf Sätze mit immer neuen Formen, Zitaten und folkloristischem Material auf. Paavo Järvi wirkte fast komplett entspannt bei seiner Tätigkeit am Pult - freundlich, völlig klar in seiner Zeichengebung und dabei jederzeit Energie und Motivation vermittelnd führte er die Staatskapelle, bei der in diesem Konzert Musiker des Gustav-Mahler-Jugendorchesters mitwirkten, zu einer ausdrucksstarken und sehr lebendigen Interpretation, die selbst im turbulenten 5. Satz nie über das Ziel eines noblen, transparenten Gesamtklangs hinausschoss.
(12.5.14)

Aufmerksamkeit für die kleinen Formen

Han-Na Chang gibt ihr Dirigierdebüt beim Aufführungsabend der Staatskapelle

Das Format ist lange etabliert und wird vom Publikum gerne angenommen: die Aufführungsabende der Sächsischen Staatskapelle sind die "kleinen" Sinfoniekonzerte, in denen Werke Aufmerksamkeit erhalten, die in kleiner Form oder reduzierter Besetzung eben nicht den großen sinfonischen Kontext vertragen, aber dennoch Genuss garantieren. Zudem stellen sich hier Kapellmusiker als Solisten vor und junge Dirigiertalente sind eingeladen, im Semperbau ihre Visitenkarte abzugeben.

Auch der 3. Aufführungsabend machte da keine Ausnahme, mit der 32jährigen Koreanerin Han-na Chang stand eine Dirigentin am Pult, die schon eine beachtliche Karriere als Cellistin aufzuweisen hat. Nachdem sie mit 11 Jahren bereits den Rostropowitsch-Concours in Paris gewann, spielte sie als Jugendliche schon in den Konzertsälen der Welt - so auch 1996 gemeinsam mit Giuseppe Sinopoli in der Semperoper, wo ein Haydn-Konzert auf dem Programm stand. In den letzten Jahren widmet sie sich mehr und mehr dem Dirigieren und bekleidet Ämter im Qatar und Norwegen.

Ihr Dresdner Debüt gestaltete sie mit Werken von Mozart, Dvořák und Bartók - insgesamt recht unspektakuläre Stücke eigentlich, die daher auch besondere Sorgfalt in der Interpretation bedürfen. Das gelang Chang weitgehend gut - ihr Musizieren der Sinfonie g-Moll, KV 183 von Wolfgang Amadeus Mozart war stets lebendig und motivierend, forderte aber auch einige Male ein etwas wirkungslos im Raum stehendes forte oder piano heraus - in dieser Terrassenlandschaft hätte Chang sich durchaus mehr Freiheiten gönnen dürfen, zumal hervorragend phrasierende Musiker zur Verfügung standen.

Antonín Dvořáks Romanze Opus 11 erscheint manchmal als Zugabe in den Aufnahmen des großen Violinkonzertes, ansonsten werden solche Stücke selten zu Gehör gebracht. Konzertmeister Kai Vogler nahm sich des kurzen Werkes an und fand auf der Violine auch gleich zu dem im Stück gefragten innigen melancholisch-singenden Ton. Einige intonatorische Trübungen verwunderten jedoch im Zusammenspiel mit dem Orchester und richtig glücklich wurde man mit diesem (zu) kurzen Intermezzo aus der slawischen Musikwelt nicht.

Ganz anders liegt der Fall bei Béla Bartóks "Divertimento" - der Titel trügt, das Spätwerk offeriert keinesfalls eine lose Satzfolge munterer Musik. Nachdenklichkeit und innere Unruhe des Komponisten in der Entstehungszeit 1939 sind im Stück trotz der Beständigkeit seiner Musiksprache, die heimatliche Volksmusik stark einbezieht, immer wieder greifbar. Han-na Chang fing diesen Charakter gut ein, leitete die immer wieder solistisch aufgefächerten Streicher zu einer rhythmisch präzisen und den Bogen des Stückes weiterdenkenden Interpretation an, bei der der langsame Mittelsatz mit seinen Stockungen und aus dem Nichts erscheinenden, sich lange steigernden Melodielinien sehr intensiv gelang. Das "Grazioso" des letzten Satzes blieb eine Episode aus einer anderen Welt, der Kehraus gerät schroff und endgültig - schön, wie diese Interpretation dem Stück gerecht wurde. Han-na Chang und die Kapellmusiker erhielten dafür langen Applaus.
(2.5.14)

Mit konsequenter Selbstverständlichkeit

Jubiläumskonzert "40 Jahre Studio Neue Musik" an der Hochschule für Musik

Institutionen und Ensembles der zeitgenössischen Musik sind oft von Fluktuation und Wandel geprägt, wie sich eben auch die Kunst der Zeit auf natürliche Weise verändert und verästelt. Doch es gibt auch feste Säulen in der Musikvermittlung, deren Anspruch und Wille stark und auch über die Zeiten hinweg nützlich ist. Dazu gehört das "Studio Neue Musik" an der Dresdner Musikhochschule, das in diesem Jahr sein 40jähriges Bestehen feiert. Nicht mehr und nicht weniger als lebendige Musikgeschichte schreibt diese Institution seit vier Jahrzehnten und ist dabei als studentische Initiative entstanden. Der Wunsch, sich mit aktuell entstehender Musik praktisch auseinanderzusetzen und damit, trieb damals den Komponisten und Dirigenten Christian Münch um und er stieß auf offene Ohren.

Lange Zeit wurden die Konzerte als Gesprächskonzerte durchgeführt, später dann in den Hochschulbetrieb selbstverständlich integriert. Führen an anderen Hochschulen in der Bundesrepublik solche Studios oft ein elfenbeinturmähnliches Dasein im musikwissenschaftlichen Hinterzimmer, so ist es Christian Münch zu verdanken, dass kaum eine Partitur, die beflissene Studenten oder Komponisten ihm zur Einstudierung vorlegten, nicht realisiert wurde. Dabei entstand über die Jahre eine - hoffentlich auch dokumentierbare - enorme Menge an Ur- und Erstaufführungen.

Weltweit beachtete Komponisten, die als Gäste an der Hochschule weilten, bekamen und bekommen durch das Studio Neue Musik zumeist ein Kammerkonzert, in dem sich die Studenten praktisch mit der Musik auseinandersetzen. Nicht unerwähnt bleiben darf auch, dass aus dem Studio heraus Studenten erst Feuer und Flamme für die zeitgenössische Musik fingen, sich Ensembles bildeten und Synergien in alle Fachbereiche dringen. Das Jubiläum des Studios wurde mit einem Konzert gewürdigt, das lediglich einen feierlichen Charakter vermissen ließ - stattdessen zeigte man in bescheidener Weise den gewohnten und geschätzten Ethos praktischer Arbeit.

Das Konzert im kleinen Saal der Hochschule präsentierte Kompositionen, die allesamt keinesfalls "nebenbei" realisierbar sind und neben den instrumentalen Fertigkeiten auch gehörigen Mut zu intensivstem Ausdruck und zur Grenzüberschreitung benötigen. Das Trio für Oboe, Cello und Klavier (1979) von Georg Katzer als eine auch rhetorisch klangmächtige Auseinandersetzung mit Versen von Arthur Rimbaud forderte Yung-Hung Chang, Edyta Stomska und Jingshan Cheng enorm. Ernst Helmuth Flammers kurzes Klavierstück "Habanera", von Richard Röbel zwingend interpretiert, bot dem Ohr da eine kleine Entlastung.

Denn mit zwei weiteren Stücken von Christian Münch und Friedrich Schenker waren die Zuhörer erneut gefordert, gewohntes Hörterrain zu verlassen. Münchs "bleiben (1)" für zwei Posaunen und Tuba steckt einen geschlossenen musikalischen Raum ab, in dem man sich hörend verlieren muss, weil die Suche nach Motiven oder Kontrasten scheinbar aussichtslos bleibt - der installative Charakter einer Musik, die schlicht "anwesend" ist, tritt in den Vordergrund und stellte die Interpreten Christoph Petzold, Darius Mütze und Albrecht Gehring vor eine fast pausenlos tönende, besondere Herausforderung.

Friedrich Schenkers 1978 entstandene Ensemblemusik "Hades di Orfeo" führte zum Ende des Konzertes titelgemäß konsequent in den Abgrund - viel Gesang bleibt dem armen Orpheus angesichts der mit viel Schlagzeug und halbszenischen Aktionen demonstrierten Schreckenswelt da nicht mehr. Dirigent Andrea Barizza leitete die Studenten zu einer konzentrierten und klanggewaltigen Aufführung an, in der ab und an einige kleinere Formationen und ein formidables Kontrabass-Solo differenzierten einen Halt beim Hören ermöglichten. Das letztgenannte Werk war wiederum ein aus studentischer Initiative entwickeltes Projekt. So reichhaltig die zeitgenössische Musik sich darstellt, so ehrenwert ist Christian Münchs langjähriges Engagement mit dem "Studio Neue Musik" zu würdigen. Zeitgenössische Musik macht auch zukünftig nur Sinn, wenn man sich ihr aufmerksam und ernsthaft widmet und sie - nach sorgfältiger Erübung - erklingt.
(30.4.14)

Virtuoser Glamour und tiefer Ausdruck

Landesjugendblasorchester Sachsen zeigte Spektrum der "Klassiker"

Vermutlich nicht jedem Konzertgänger ist das "Sinfonische Blasorchester" ein Begriff - ist unsere Wahrnehmung klassischer Musik doch heute wesentlich von den Sinfonieorchestern und Ensembles der Kammermusik geprägt, die sich seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet haben. Dabei haben die Blasorchester eine eigene weitreichende Musikgeschichte, lassen sich gar auf Mozarts "Harmonie" und mittelalterliche Stadtpfeifer zurückführen. Aufgrund der speziellen Besetzung, die Verzweigungen sowohl in die Militärmusik als auch in regional geprägte Laienmusik aufweist, ist im Laufe der Zeit eine ganz eigene Musikgattung entstanden, für die es auch von klassischen Komponisten Originalkompositionen gibt.

Der spezielle Klang des etwa 40köpfigen Ensembles mit Holz- und Blechbläsern sowie Schlagzeug fordert nicht zuletzt zum Grenzgang zwischen klassischer Musik, Jazz und Unterhaltungsmusik heraus. Seit 1997 existiert in Sachsen das Landesjugendblasorchester Sachsen, das in jährlich zwei Projektphasen Konzertprogramme einstudiert und aus jungen Musikern der Musik- und Hochschulen besteht. Nach dem Eindruck des "Klassiker"-Programms, mit dem sich das Orchester am Sonnabend im Saal des Heinrich-Schütz-Konservatoriums Dresden vorstellte, möchte man behaupten, dieses Orchester kann alles, und das auch noch auf einem sehr guten Niveau.

Keineswegs handelt es sich bei der Projektphase um eine lockere Musikerferienfreizeit, die vier vorgestellten Werke waren so abwechslungsreich und für alle Bläsergruppen gleichermaßen herausfordernd, dass man merkte, wieviel Arbeit und Engagement dahintersteckte. Dirigent Thomas Scheibe, selbst erfahrener Orchestermusiker und seit Jahren mit mehreren Ensembles in Sachsen aktiv, konnte mit jederzeit klarem Dirigat die Musiker zu einer kompakten Gesamtleistung animieren. Das Motto "Klassiker" war natürlich weit auslegbar - hier handelte es sich ausschließlich um Werke des 20. Jahrhunderts.

Gustav Holsts "Suite for Military Band" Es-Dur greift auf alte Formen und Carols zurück - "very british" traf das Landesjugendblasorchester genau den warm timbrierten Ton dieser Musik. Der US-Amerikaner Don Gillis hingegen steht für eine Komponistengeneration, die Broadway, Jazz und Klassik gleichermaßen verinnerlichte und zu neuen Originalwerken führte. Rhythmische Präzision und einiges an virtuosem Glamour waren in Gillis Symphony "5 1/2" zu bestaunen - Scheibe vermochte die Klangmassen gut zusammenzuhalten und differenzierte auch die Dynamik im schwierigen Saal.

Karel Husas "Music for Prague 1968" war sicherlich das eindrucksvollste Werk des Konzertes: eine zeitgenössische Musiksprache verband sich hier mit tiefem Ausdruck. Direkte persönliche Erlebnisse des Exil-Komponisten sind hier in klageartige, nachdenkliche Klänge verwoben, vom leise pochenden Schlagzeugintermezzo bis zu großbögigen, auch kantablen Steigerungen waren die Musiker hier voll gefordert. Ein versöhnlich-volkstümlicher Ausklang gelang mit George Enescus "Rumänischer Rhapsodie Nr. 1", die auch in der originalen Orchesterfassung sehr bekannt ist. Erneut konnte man sich hier über einen mutigen Zugriff in allen Orchestergruppen freuen, überhaupt waren sämtliche Soli selbstbewusst und mit Können ausgestaltet. Das an diesem sonnigen Nachmittag leider nur spärlich besetzte Auditorium honorierte diese Leistung kräftig.
(29.4.14)

* Die Konzertwiederholung in Frankenberg wird von MDR Figaro aufgezeichnet und zu einem späteren Zeitpunkt gesendet
* http://www.blasmusik-sachsen.de/das-ljbo.html

Opulentes Oster-Menü

Rachmaninow, Strauss und Tschaikowsky mit der Dresdner Philharmonie

Die Osterfeiertage sind nicht nur christliche Feiern, sie bedeuten für viele auch die Möglichkeit einmal Luft zu holen an einem langen Wochenende und Familie und Hobbys zu pflegen. Und natürlich geht man an solchen besonderen Tagen gerne ins Konzert. Gleich dreifach spielte die Dresdner Philharmonie an den Feiertagen ihr Osterprogramm im Schauspielhaus - für diese keinesfalls selbstverständliche Leistung sei dem Orchester einmal besonders gedankt.

Keinesfalls wurde "Schonkost" angesetzt, das Ostermenü soll schließlich auch in den Ohren schmackhaft erscheinen. Der Appetizer war allerdings kaum der Rede wert - Sergej Rachmaninows "Vocalise" Opus 34/14 kam zwar sanft tönend über die Bühne, aber mehr als ein "Ach wie schön" kann man dem kurzen Stücklein kaum abringen. So war es vermutlich auch gemeint, und so erreichte es auch die Zuhörer.

Ganz anders liegt der Fall bei Richard Strauss "Vier letzten Liedern". Ein tiefgehender, melancholischer Rückblick auf ein langes Künstlerleben entfaltet sich da, in warme und vertraute Töne gegossen. Seit der Uraufführung 1950 sind die Lieder zum Meisterstück großer Sopranistinnen wie Kirsten Flagstad, Elisabeth Schwarzkopf und Jessye Norman avanciert. Als Solistin konnten die Dresdner die Rostockerin Gun-Brit Barkmin erleben - vielleicht war es für manchen eine schöne Wiederbegegnung, denn Barkmin hat an der Dresdner Musikhochschule studiert. Über Freiberg und Berlin führte ihr Weg dann an die Bühnen der Welt, wo sie heute große Titelrollen (Salome, Jenufa, Lady Macbeth) ihres Fachs interpretiert.

Die Strauss-Lieder präsentierte sie bei dem Philharmonie-Debut erstmalig und überzeugte mit guter Diktion und einer strömenden, sicher geführten Stimme. In allen vier Liedern spürte sie mit Bedacht der Balance zwischen dem großen, zyklischen Bogen und der fast innigen, intimen Atmosphäre nach - in dieser schönen Farbpalette waren die Lieder keinesfalls auf Schmerz und Abschied reduziert. Schwieriger erschien die Einbettung in den Orchesterklang - hier und da fügten sich die Harmonien nicht ganz überzeugend ineinander und eine von Sanderling bevorzugte Schattierung und Dämpfung des Klanges führte manchmal zu einer zu fahlen Gesamtatmosphäre.

Ein musikalischer Weltenwechsel stand nach der Pause an: Peter Tschaikowskys 5. Sinfonie e-Moll verspricht saftigen spätromantischen Klang. Da war es zunächst überraschend, dass Michael Sanderling den ersten Satz derartig genau sezierte, dass man die Puzzleteile der Sinfonie einzeln präsentiert bekam. Folgt man dem Stück ebenso aufmerksam, wie dies die Philharmoniker in jeder einzelnen Phrase taten, so bleibt allerdings von der Leidenschaft und dem Schmelz, den dieses Stück vermutlich braucht, um von einigen Schwächen abzulenken, nicht mehr viel übrig.

So war auch im ersten Teil des vierten Satzes noch eine genaue Bestimmung von Haupt- und Nebenstimmen gegenwärtig, bemühte man sich um Schönklang (mit feinem Hornsolo!) und genaue dynamische Abstufung. Erst bei der finalen Apotheose gibt es kein Zurück mehr und hier spielten die Philharmoniker auch befreit auf, dafür gab es viele Bravo-Rufe vom Publikum.
(21.4.14)

In jeder Tür ein Schlüssel

Klavier-Recital Radu Lupu in der Semperoper

Es ist ein Glücksfall für das Dresdner Publikum, dass die Staatskapelle den rumänischen Pianisten Radu Lupu in dieser Saison als Capell-Virtuos gewinnen konnte. Der 68jährige wählt seine Auftritte mit Bedacht; seine Kunst erscheint als das völlige Gegenteil des heute in der Klassikszene oft zu beobachtenden Personenkultes. Beim Recital in der Semperoper schritt er bedächtig zum Flügel, dem Arbeitsgerät, vor dem ein gewöhnlicher Stuhl steht. Ab diesem Moment zählen nur noch die Noten von Robert Schumann. Ruhe kehrt ein im Semper-Rund und von Lupu geht in jedem Augenblick eine solche Erdung und Ernsthaftigkeit aus, dass man für einen Moment fürchtet, je wieder die "Kinderszenen" selbst wieder in die Hand zu nehmen.

Lupu schlägt das allbekannte Schumannsche Bilderbuch auf, ohne je im Spiel ein Eselsohr oder einen Fleck auf den Blättern zu hinterlassen. Behutsam und filigran werden die Miniaturen gestaltet, manchmal gar ein bißchen lässig. Die "Träumerei" gleitet fast schwerelos vorbei, rasch wechselt Lupu die Charaktere und bleibt dabei konturenscharf. Erst beim abschließenden "Der Dichter spricht" erlaubt er sich ein Innehalten. Auch in den folgenden "Bunten Blättern", die Schumann aus früheren Klavierstücken zyklisch zusammenstellte, gelingt Radu Lupu ein atmosphärisch dichtes, immer auf Linie bedachtes Spiel. Hier gelingen atemberaubende dynamische Differenzierungen, schleicht sich ein crescendo nahezu unmerklich ein, wird der Walzer des dritten Albumblattes mit Samthandschuhen angefasst und fällt dennoch nie der Konvention anheim.

Der erste Konzertteil ist eine Veredelung der Miniatur, es sind viele Kostbarkeiten, denen gemeinsam ist, dass sie mehr den gedanklich geschärften Moment als eine lange, von womöglich dramatischer Natur bestimmte Entwicklung in den Vordergrund stellen. Im zweiten Teil des Konzertes gab es mit der späten A-Dur-Sonate von Franz Schubert keinen wirklichen Kontrast, sondern eine stimmige Ergänzung. Die vier Sätze dieser Sonate sind von einem großräumigen "parlando" und vielen lyrischen Inseln bestimmt. Radu Lupu bleibt sich auch hier treu - seine Schubert-Welt ist ein wohlaufgeräumter Ort, bei dem selbst die Erschütterungen des zweiten Satzes sorgsam eingebettet erscheinen. Es ist ein überlegter Schönklang, von langer Erfahrung mit Werk und Komponist geprägt.

Falls man sich in diesen wohlgeformten Phrasen überhaupt etwas wünscht, dann wohl lediglich, dass dieses Kartenhaus nicht ewig Bestand haben möge - ist dieser Schubert nicht doch zu schön, um wahr zu sein? Wie eine Kartografie breitet Lupu die unergründlichen Weiten des vierten Satzes auf und spielt die von Pausen durchzogenenen und nicht vollendeten Ausgänge dieser Sonate als einen Raum mit vielen Türen. Doch während andere Pianisten diesen Schubert-Raum mit Fragen und Zweifeln behaften, steckt bei Lupu in jeder Tür ein Schlüssel. Die letzte fällt mit einem noblen forte ins Schloss. Mit dem Improptu As-Dur von Schubert entfernt sich Lupu auch in der einzigen Zugabe nicht von der Ausdruckswelt dieses Abends, in der die Ausformulierung gereifter Gedanken bestimmender, haltgebender Fixpunkt war und schlicht zu einem Wohlgefühl beim Zuhören führte.
(18.4.14)

Traum LXXXIII

Ich bin in meinem alten Gymnasium. Pause. Ich laufe durch die Gänge und suche meine Tasche, die sich in irgendeinem Klassenzimmer befindet. Überall Schüler, Gerenne, Gelaufe um mich herum in den Gängen. Ich bin wieder aus dem Zimmer heraus, da sehe ich meine Mutter auf mich zukommen. Ich habe sie lange nicht gesehen, sie ist total abgemagert und hat Blässe-Flecken auf den Wangen, ich freue mich sie zu sehen und umarme sie, die Umarmung wird nicht erwidert. Sie sagt mir, sie wolle sich verabschieden. Dabei laufen wir durch die Gänge mit den Schülern, die wie ein Spalier wirken. Ich verneine und breche fast zusammen, nein, kein Abschied. Den einzigen Satz, den ich von mir selbst noch vernehme, ist in etwa "Du kannst nicht einfach gehen wie bei einem Ehepaar, du bist meine Mutter." - Die Szenerie wechselt, wir laufen weiter, sind nun draußen, das Spalier der Schüler verwandelt sich in Bäume am Wegesrand. Weiter passiert nichts, an das ich mich erinnern kann. Wache recht "mittendrin" auf und vergegenwärtige mir intensiv, dass meine Mutter vor sieben Jahren gestorben ist.

Freitag, 11. April 2014

Traum LXXXII

Ich bin auf einer Party, vermutlich in einer WG, während eines WM-Spiels. Chaotisches Wohnzimmer, überall Flaschen, Essen, Zeugs. Abwechselnd bin ich alleine, mit K. oder mit vielen Menschen. Irgendwann beschließe ich doch mit K. einen Film zu schauen, wir werden aber von den Fußballfans vertrieben, nach nebenan in einer Art Küche, die aber nur aus einem Raum mit einem großen Eßtisch besteht, an dem wir alle sitzen. K. bestimmt einen Großteil des Traumes, aber es sind auch andere Partygäste da, die irgendwie alle was von mir wollen, was mir teilweise unangenehm ist. Ein Typ möchte Partituren erklärt haben, ich stimme zu und wir verschwinden durch eine Tür im Wohnzimmer und befinden uns in Gängen der Hochschule, die sich aber wie durch einen Kellertunnel winden und überdies aus Schlünden bestehen, die nur trittsicher auf irgendwelchen lose angebrachten Metallgittern begangen werden können. Endlich in einem Raum angekommen, studiere ich mit ihm die Partituren von S. - er hat davon ein ganzes Konzert zu dirigieren, ich erkläre ihm Takte und gebe Tipps. Es ist neue Musik - in einer Partitur ist (A0) ist über die ganze Doppelseite der Schriftzug "Bach" mit dicker schwarzer Farbe statt Noten eingetragen. Irgendwann müssen wir aufhören, da in dem Raum eine Probe mit R. beginnt, ich schnappe mir mein Handy, will zurück in die WG-Räume und zu K. - lese von ihr eine Nachricht auf dem Handy: "mehr schade", aber auch noch weitere kryptische Botschaften.

NB: Fast hätte ich die Paarhufer vergessen. Zwischendurch war ich wohl vor dem Haus und sah, wie ein Stück die Straße hinauf große Säugetiere über die Straße geführt wurden. Es waren Tiere von der Höhe einer Giraffe, aber etwa so wuchtig wie ein Wisent, also ziemliche Ungetüme. Eines der Tiere war ohne Führer und bewegte sich auf mich zu, ich blieb dabei aber gelassen im Gegensatz zu einem Hund neben mir, der sich an die nächste Hauswand drückte.

Donnerstag, 10. April 2014

Oratorische Schwergewichte

Mozart, Voigtländer und Lachenmann im Hochschul-KlangNetz-Konzert

Am Sonntag fand im Konzertsaal der Hochschule das vom KlangNetz Dresden veranstaltete zweite Konzert der Reihe "Einstürzende Mauern" statt. Diesmal erweiterte sich der Besetzungsrahmen auf Werke der Chorsinfonik. Doch die Fortführung des an sich spannenden Gedankens, bezugnehmend auf den Mauerfall vor 25 Jahren die Musik dieser Zeit und ihre Voraussetzungen und Wirkungen zu beleuchten, kam bei diesem Konzert nicht gut zur Wirkung. Das lag vor allem daran, dass mit einer Dirigierprüfung, einer Stipendienverleihung - das Weber-Stipendium ging diesmal an die Pianisten Hyesu Lee und Eva Schaumkell sowie den Komponisten Nicolas Kuhn - und dem Semesterkonzert des Hochschulchores obligate Termine des Institutes mit dieser Reihe verquickt wurden.

Damit musste ein über zweieinhalb Stunden dauerndes Programm verdaut werden, dessen Dramaturgie das Motto der KlangNetz-Reihe nicht wirklich in den Vordergrund der Hörerlebnisse rückte. Andererseits ist man natürlich dankbar dafür, dass die Dresdner Musikhochschule die Musik der Gegenwart in den letzten Jahren sehr selbstverständlich in alle Elemente des Studienablaufes integriert. Im ersten Teil lauschte man aber zunächst der großen Missa in c-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart - ein Meisterwerk ohne Frage, aber die Interpretation mit dem sehr stark besetzten Chor (Einstudierung Olaf Katzer) war nicht durchweg überzeugend, da Johannes Dasch am Dirigentenpult die Musik zumeist recht geradlinig formte und trotz vieler schöner Momente - zu denen auch das Solistenquartett mit Romy Petrick, Anna Immonen, Martin Rieck und Martin Schicketanz beitrug - Kontraste und Motivausdeutung nicht intensiv genug wirkten.

Aufführungspraktische Fragen wurden da kaum berührt und der Chor wirkte oft schlicht zu massiv und bunt besetzt - die Schwierigkeiten des immer neu zu startenden Semesterprojektes "Hochschulchor" mögen einleuchtend sein, für den Zuhörer waren sie diesmal im Ergebnis nicht befriedigend. Die Messe sollte einen Widerpart zum zweiten Programmteil mit Lothar Voigtländers "MenschenZeit"-Oratorium bilden. Beide Werke erstrahlen aber in solch starker eigener Kraft, dass sie eigentlich gar nicht nebeneinander programmiert werden dürften - warum hat man sich nicht auf eines der Werke konzentriert?

Dazwischen lag ein mit Helmut Lachenmanns "Notturno" für kleines Orchester mit Cello Solo (Solist: Gilbert Bernado Roig) quasi ein Intermezzo, das trotz ansprechender Interpretation in seiner Ästhetik der "musique concrète instrumentale" etwas verloren für sich stand und es mit diesen "Schwergewichten" kaum aufnehmen konnte. Voigtländers 2007 von der Singakademie Dresden uraufgeführtes Oratorium darf man, wenn nicht als geistliches, so doch zumindest als herausragendes geistiges Werk betrachten, setzen sich doch Komponist und Autor (Eugène Guillevic) hier mit der Wahrnehmung, den Widersprüchen und Vergänglichkeiten der Zeit auseinander. Ein großes, sofort philosophische und humanistische Tiefen berührendes Thema also, für das Voigtländer eine direkte, packende musikalische Ansprache wählte.

In einer Art poetischen Unruhe werden da immer neue emotionale Stürme entfacht - trotzdem gelingt ein Festhalten im Zuhören, da der 1943 geborene Komponist in diesem Trubel die Großform fast als sicheren Ort der Zuflucht im Blick behält und somit verschiedene Sichtweisen durchhörbar bleiben. Ekkehard Klemm wahrte vom Pult aus die Übersicht - in einer manchmal doch die Lautstärkegrenzen des Saales sprengenden Darstellung konnte er sich auf die engagiert mitgehenden studentischen Ensembles ebenso verlassen wie auf ein souverän sprechendes, singendes und auch schreiendes Solistenquartett - neben Julia Böhme, Falk Hoffmann und Carl Thiemt überzeugte vor allem die Sopranistin Romy Petrick, die als Gast einzige auch noch die Doppelaufgabe mit der ebenso ansprechend ausgeführten Mozart-Solopartie auf sich nahm - diese Leistung war außergewöhnlich.

Mit Entdeckerlust und Können

1. Festkonzert zum 20jährigen Bestehen der "Sinfonietta Dresden"

20 Jahre Sinfonietta Dresden - ein "normales" Jubiläum? Sicher nicht, wenn man bedenkt, mit welchen Schwierigkeiten freie Ensembles auf dem Markt in Zeiten knapper Kassen zu kämpfen haben. Die Liebe zum Musizieren im Ensemble trieb die kleine Truppe um Olaf Georgi in den 90er Jahren an - der Enthusiasmus ist geblieben, manche entstandene Sorgenfalte wieder geglättet. Unzählige der oratorischen Aufführungen in Dresden wären ohne das Ensemble nicht möglich gewesen, dazu gestaltete man eigene Konzertreihen und kümmerte sich mit Elan vor allem um die zeitgenössische Musik aus Sachsen und Osteuropa, aber auch die Wiener Klassik blieb eine Konstante im Repertoire.

Insofern glich das erste von vier Festkonzerten, die Sinfonietta Dresden anlässlich des Jubiläums in diesem Jahr gibt, einer klingenden Rückschau, zudem war für dieses erste Programm der Dirigent Milko Kersten eingeladen, der die Arbeit des Ensembles lange Zeit geprägt hat. In der Dreikönigskirche fanden sich viele aufmerksame Zuhörer ein - das Festprogramm bot reichhaltige musikalische Abwechslung. Zu großen Festreden ließ man sich nicht hinreißen, stand doch die Musik im Mittelpunkt - das war bescheiden und sympathisch zugleich, aber eben auch Markenzeichen des Ensembles, deren Programme immer schon so sorgfältig gestaltet waren, dass die Musik selbst zu sprechen imstande ist.

Die erste Konzerthälfte war von Wolfgang Amadeus Mozart bestimmt, hier schon wurde die Entdeckerlust offenbar: Anstelle eines bekannten großen Werkes entschied sich Kersten für sechs "Deutsche Tänze" und zwei Konzertarien und trat danach den lebendigen Beweis an, dass auch vermeintlich mit flinker Feder geschriebene Gelegenheitswerke zu einigem Staunen verleiten können. Dass ein schnöder Achttakter eine Fundgrube zu vielerlei Spielerei und musikalischem Witz sein kann, zeigte Sinfonietta Dresden in den Tänzen vortrefflich. Kersten musste - ein augenzwinkernder Beweis für die Flexibilität kleiner freier Ensembles - im letzten Stück selbst im Schlagzeug aushelfen. Die Sopranistin Marie Friederike Schöder verlieh den beiden Konzertarien "Mia speranza adorata" und "Bella mia fiamma" gehörigen Biss, damit deutlichen Charakter und beeindruckte durch sichere und schön geführte Koloraturen - Orchester und Solistin hatten diese Kleinode sorgsam ausgearbeitet und glänzten sowohl in den leisen Tönen als auch in der sich bis zum letzten Ton steigernden Dramatik von "Bella mia fiamma".

Passend eingebettet zwischen die beiden Arien erschien Silke Fraikins "Grazioso 222" - ein von der Sinfonietta 2008 uraufgeführtes Werk der Dresdner Komponistin, das sich explizit mit der im Titel genannten Ausdruckshaltung mozartscher Musik befasst und in vielfachen Ausfransungen, Abbrüchen und Überlagerungen die bekannte Klangwelt wie in einem Prisma von der heutigen Zeit aus betrachtet. Wiederbegegnen konnte man nach der Pause auch der Musik des 2002 verstorbenen rumänischen Komponisten Tiberiu Olah, mit dem das Ensemble eine besondere Beziehung verbindet. Seine "Sinfonia Concertante" für Flöte, Klarinette und Streicher (Solisten Olaf Georgi und Georg Wettin) zeigt eine sehr eigene Klanglandschaft zwischen auskomponierten Flächen und sich immer wieder ornamentiert steigernden und abebbenden Wellen der beiden fast verschmelzenden Soloinstrumente.

Dass eine Sinfonie von Ludwig van Beethoven den hervorragenden Konzertabend beschloss, machte schon fast Hunger auf eine neue Konzertreihe - denn so wie Milko Kersten die 2. Sinfonie D-Dur interpretierte, wäre man gespannt auf Weiteres. Oft wird dieses Stück gar nicht erst auf das Programm gesetzt und ihm eine fadenscheinige Konventionalität bescheinigt. Wenn aber wie in dieser Lesart die Sforzati im 1. Satz so stechend, der zweite Satz so kantabel und flüssig, das Scherzo differenziert und das Finale schlicht mitreißend musikantisch ausgeführt werden, dann lösen sich diese Vorbehalte schnell in Luft auf. Der in diesem Konzert sichtlich stolz und mit Freude aufspielenden Sinfonietta gebührt Respekt und Glückwunsch für zwanzig Jahre lebendige Musikpflege in der Stadt, davon wird man sich in diesem Jahr bei den drei folgenden Festkonzerten und etlichen weiteren chorsinfonischen Terminen überzeugen können.
Alexander Keuk

weitere Festkonzerte: 20. September, 2. Oktober, 6. Dezember
(siehe Homepage)

Dienstag, 8. April 2014

Einblicke in die kompositorische Werkstatt

Zum 70. Geburtstag: Gesprächsabend mit Wilfried Krätzschmar an der Musikhochschule

Unter dem Motto "Akribie und Leidenschaft, oder: Kunst ist schön - macht aber viel Arbeit" lud die Hochschule für Musik am Dienstag zu einem Gesprächsabend mit dem Komponisten und ehemaligen Rektor des Institutes Wilfried Krätzschmar anläßlich seines 70. Geburtstages ein. Mit dem amtierenden Rektor Ekkehard Klemm saß da nicht nur der Kollege qua Amt als Gesprächspartner auf der Bühne, sondern ebenso der ehemalige Schüler und Komponist, zudem hat Klemm als Dirigent wichtige Werke Krätzschmars wie die "Schlüsseloper" (2006) oder "fragmentum" (2012) zur Uraufführung gebracht.

Krätzschmars Musik stand im Vordergrund der zweistündigen Veranstaltung und mit vielen Komponistenkollegen und Weggefährten im Auditorium bewegte man sich auf mit den Musikbeispielen zwar auf bekanntem Terrain, doch mit den einführenden Worten des Komponisten konnten die Stücke und ihre Aufführungsumgebung gleichsam neu- und wiederentdeckt werden. Zudem gab es wertvolle Einblicke in das Musikleben vor der Wende, in welchem sich Aufführungsbedingungen, ästhetische Diskussion und Rezeption anders darstellten als heute - Krätzschmar stellte aber auch fest, dass die Orientierung junger Komponisten paradoxerweise heute schwieriger ausfallen muss.

Der kurze Exkurs "Wie verhalte ich mich als Komponist in einer Orchesterprobe?" hingegen war von zeitloser Qualität. Nur zu mutmaßen ist allerdings, wie heute das Publikum auf Krätzschmars 1. und 2. Sinfonie reagieren würde - sein sinfonischer Erstling rief 1979 in Dresden einen Publikumsskandal hervor. Beiden auch in Tonbeispielen vorgestellten Werken wäre dringend eine Wiederaufführung zu wünschen, weniger weil etwas aufgearbeitet werden müßte, sondern weil die Begegnung mit Krätzschmars Musik in jeder Hinsicht bereichernd und intensiv ist. Im Gespräch musste man sich schon aus Zeitgründen auf wenige große Werk-Stationen in Krätzschmars OEuvre beschränken.

Über die 1983 in Leipzig uraufgeführten oratorischen Heine-Szenen, die - obwohl Krätzschmar lediglich des Dichters Worte zu einem Textbuch formte - aufgrund ihrer musikalisch sorgfältig gesetzten Dornen zwischen Idylle und Abgrund oder "Abgründigkeit" ebenfalls öffentliche Erregung erzeugten, ging es in einem großen Bogen zum ersten Bühnenwerk, der 2006 an der Musikhochschule uraufgeführten "Schlüsseloper", einer Burleske über Macht und Ohnmacht, deren Aktualität sieben Jahre nach der Uraufführung fast mit einem leisen Schrecken festgestellt werden musste.

Bevor der Präsident der Sächsischen Akademie der Künste, Peter Gülke, in seinem Schlusswort dankbar und sehr genau beschrieb, wie Krätzschmar Aufgaben, "die auf einen zurollen" mit Demut und Noblesse zu lösen vermag, gab der Komponist einen Ausblick auf gegenwärtiges Schaffen - es ist zu hoffen, dass auch die in Entstehung begriffene 5. Sinfonie in heimatlicher Umgebung erklingen wird und somit nicht nur neugierige Protagonisten für die musikalische Gegenwartskunst gefunden werden, sondern Krätzschmar damit auch für sein Wirken in der Stadt gewürdigt wird. Am Ende der Veranstaltung stand eine Uraufführung - "Neun späte Bagatellen" für Violine und Klavier, entstanden 2007/2008, lösten klingend das Motto des Abends ein: Alwyn Westbrooke und Torsten Reitz setzten sich für dieses ebenso akribische wie leidenschaftliche Werk, das den Aphorismus der Bagatelle unter das kompositorische Brennglas nahm, überzeugend ein.

Donnerstag, 3. April 2014

In Wunsch- und Angstsphären des Melos

Wolfgang Rihm im Konzert und im Gespräch an der Musikhochschule

Der diesjährige Capell-Compositeur Wolfgang Rihm weilte fast eine Woche in Dresden, um Aufführungen seiner Werke in der Semperoper und an der Hochschule für Musik beizuwohnen. Traditionell stellt sich der Capell-Compositeur im Rahmen von Veranstaltungen von KlangNetz Dresden und der Sächsischen Akademie der Künste auch in Workshops vor - Rihm arbeitete mit den Kompositionsstudenten im Unterricht, besuchte Proben und sprach am Freitag mit Peter Gülke und Jörn Peter Hiekel über Komposition und Musikdenken.

In dem zweistündigen, sehr gut besuchten Gespräch konnte man tiefe Einblicke in Rihms Kompositionswerkstatt gewinnen und gleichzeitig Referenzen zur musikalischen Tradition feststellen. Wenn Rihm sich selbst bei der Arbeit als "Protokollant einer Spannungsübertragung" sieht, verrät das schon viel über eine Einstellung, die zwar das Element und die Idee proklamiert, aber viel mehr Interesse am Verlauf zeigt. Kriterien entstehen da durch Vergleich, aufgebaute Feindbilder dienen zur Schaffung des eigenen Standpunktes; der Schaffensprozess selbst, so Rihm, gleicht einer "Hege" und ist im günstigsten Fall von Vertrauen und Respekt - und natürlich langer Erfahrung im Umgang mit der Materie Musik - gekennzeichnet. Die Leidenschaft des Musikschaffenden ist dem 62jährigen Rihm dabei an den Augen abzulesen: seine vielen Tätigkeiten und Engagements als Lehrer und Juror etwa bringen in heutzutage in die Position, ständig die Rückkehr an seinen Schreibtisch organisieren zu müssen.

Die Werkschau in Dresden wird Rihm jedoch sehr erfreut haben - am Sonnabend musizierten Studenten der Musikhochschule einen ganzen Kammermusikabend mit seinen Werken. Obwohl nur vier Stücke aus verschiedenen Schaffensperioden auf dem Programm standen, war die Auswahl doch so beziehungsreich, dass man einen sehr charakteristischen, geschlossenen Eindruck erhielt. Zudem überlagern sich in verschiedenen Werkzyklen Formen und Ideen, die Rihm einem übergeordneten work-in-progress gleich immer wieder aufgreift, übermalt, weiterentwickelt oder neuen Widerparts zur Diskussion stellt. Diese Erkenntnisse konnten aus überzeugenden Aufführungen heraus entstehen, da die Studenten bestens präpariert waren.

Man machte keine Zugeständnisse: das 12. Streichquartett aus dem Jahr 2002 etwa gehört zum technisch Schwersten, was Rihm überhaupt in dieser Gattung komponiert hat. Ein polyphones Dickicht tat sich da auf, und trotz permanentem Aktionismus und einer Art exaltierten Rhetorik in allen vier Instrumenten schafften die Musiker eine leicht gedämpfte, fast "gedackte" Atmosphäre herzustellen. Das war ebenso spannend nachzuvollziehen wie Elena Rubios Parforceritt in "Über die Linie VII", eine Reise in die "Wunsch- und Angstsphäre des Melos" (Rihm). Das zwanzigminütige Solostück ging die Geigerin mit einer adäquaten Besonnenheit an, die dem enormen Spannungsbogen des Stückes keinerlei physische Dramatik beigab - so schwang die Musik frei.

Das Trio "Chiffre IV" war als konzentriert dargebotener Auftakt ebenso geeignet wie das größer besetzte Ensemblestück "Chiffre II - Silence to be beaten" als vulkanischer Ausbruch zum Ende des Konzertes. Nicht nur der anwesende Komponist zeigte sich hochzufrieden - die Musiker dürften ebenso eine starke "Rihm-Erfahrung" aus dieser Woche mitnehmen wie die Zuhörer, die Gelegenheit bekamen, den "Kontinent Rihm" einmal hautnah und musikalisch intensiv zu erleben.
(31.3.14)

Zum Weiterdenken bestimmt

Wilfried Krätzschmar zum 70. Geburtstag

Er ist ein umtriebiger Geist, ein Kämpfer für die Kultur, ein Einmischer, ein jovialer und stets bereichernder Gesprächspartner. Man weiß nicht, wo man anfangen soll, wenn man Wilfried Krätzschmar würdigen und als Persönlichkeit, womöglich gar noch in einem Satz, beschreiben soll. Vielleicht ist es die ehrlichste Aussage, dass ich ihm gerne zuhöre - und das betrifft gleichermaßen Töne und Worte, in dessen weiten Feldern sich Krätzschmar nicht nur unnachahmlich gut auskennt, sondern derer er sich auch mit höchsten Anspruch an sich selbst und sein Gegenüber - dem Publikum, den Zuhörern, der Gesellschaft, bedient. Hochinteressant wird das Zuhören dann, wenn das starke und oft nicht näher zu umschreibende Gefühl entsteht, dass der Redende etwas zu sagen hat (nicht jeder, der redet, sagt etwas!), eben etwas äußert, was genau jetzt und heute an diese Stelle gehört, aber eben auch messerscharf formuliert ist, damit so etwas wie Auseinandersetzung mit dem Gesagten, Gehörten erst entstehen kann.

"Sagen, was man denkt" - das war nicht nur vor dem Hintergrund eines künstlerischen Lebensweges zu DDR-Zeiten eine hohe Kunst, sondern dürfte für Krätzschmar gleichsam Credo und Ausdruck von Lebendigkeit sein - nur so gelingt ja die eigene Einschätzung und die Einordnung in die gesellschaftliche Umgebung, lassen sich umgekehrt auch wieder andere Meinungen und Standpunkte aufnehmen. Bei Wilfried Krätzschmar ist allerdings der Zusatz unerlässlich, dass der geäußerte Gedanke sorgsam geschliffen sein sollte, bevor er die Heimstatt des Verfertigens verläßt - ein feiner Humor und die Einbeziehung des Unerwarteten, des markant gesetzten Seitenhiebs ist da zumeist inkludiert. Damit entsteht auch Konfrontation - die Krätzschmar aber nie um ihrer selbst willen gesucht hat, sondern um dahinterliegende neue Welten zu erschließen oder ein bereits vermeindlich "bestelltes Feld" um eine andere Perspektive zu erweitern.

In diesen Zusammenhang ist nicht nur sein kompositorisches Werk zu stellen, bei dem Krätzschmar viel mehr daran interessiert ist, auf spielerisch-sinnliche Art Fragen zu stellen oder Situationen zu porträtieren denn fertige Ergebnisse zu präsentieren. Das sehr genussvolle "Erörtern der Gegebenheiten", um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen, prägt auch Wilfried Krätzschmars unermüdliche Tätigkeit als Streiter für ein lebendiges und kreatives Kulturleben in Sachsen. Für die zeitgenössische Musik hat er wesentliche Aufbauarbeit im Komponistenverband und in weiteren Gremien geleistet. Auch die Dresdner Musikhochschule, der er von 1994 bis 2003 als Rektor vorstand, konnte er durch aufopferungsvolles Engagement zu dem heutigen modernen Ausbildungsinstitut weiterentwickeln und als Lehrer über fast vierzig Jahre eine ganze Komponistengeneration betreuen - Ekkehard Klemm, Christian Münch, Thomas Kupsch, Arnulf Herrmann, Benjamin Schweitzer und Michael Flade seien hier stellvertretend genannt.

Im Sächsischen Musikrat und in der Sächsischen Akademie der Künste bestanden und bestehen weitere Tätigkeitsfelder, wo Krätzschmar weniger als Bestimmer sondern vielmehr als Initiator, Weiterdenker oder Vernetzer hoch geschätzt ist. Wilfried Krätzschmar begeht am Sonntag seinen 70. Geburtstag - neben aufrichtigen Wünschen für Gesundheit und Energie sei ihm vor allem die beständige schöpferische Unruhe gewünscht, in schöner Unregelmäßigkeit in Stadt und Land seine Stimme zu erheben - in Tönen und Worten. Wir werden ihm aufmerksam zuhören, ihn - erst recht in seinem Humor - ernstnehmen. Auch das kann ein Geschenk sein, eines, das Wilfried Krätzschmar gebührt.
(22.3.14)

Traum LXXXI

Ich warte in einem Saal auf eine beginnende Probe und sitze an der Wand auf einem Tisch, die Beine hochgelegt. B. kommt herein, zieht mir den rechten Schuh aus und geht wieder. Ich fahre dann auf der Autobahn, telefoniere mit B. und weise ihn an zur Raststätte zu kommen um mir den Schuh wiederzugeben. An der Raststätte stinkt es entsetzlich nach Fett und Bratwürsten, daher fahre ich wieder und spreche mit B. - wir könnten uns auf der Hälfte der Strecke zwischen der Raststätte und zu Hause treffen. Der Ort heißt Herz.

Dienstag, 18. März 2014

Virtuoses Doppel am Klavier

Kirill Gerstein und James Gaffigan gastierten bei der Dresdner Philharmonie

"Das geht nicht" oder "das kann man nicht spielen" - solche Sätze hören Komponisten von ihren Interpreten höchst ungern. Oft hat die Musikgeschichte bewiesen, dass viele vermeintlich unspielbare Werke eine Musikergeneration später längst zum Repertoire gehören. Für Richard Strauss' "Burleske" für Klavier und Orchester traf das zwar nicht ganz zu, aber immerhin fand sich in Eugen d'Albert ein Virtuose, der die vertrackten Windungen der Komposition in die Finger zu bekommen wusste, nachdem der Widmungsträger Hans von Bülow die Partitur abgelehnt hatte.

Die Dresdner Philharmonie lud mit dem amerikanischen Dirigenten James Gaffigan (Chefdirigent des Luzerner Sinfonieorchesters) und dem russischen, in Amerika ausgebildeten Pianisten Kirill Gerstein zwei sehr interessante Gäste der jüngeren Künstlergeneration ein, die sich nicht nur für die Reputation der "Burleske" einsetzten, sondern dem ganzen Konzert eine markante Handschrift verliehen.

Strauss zur Seite gestellt waren Werke von Maurice Ravel - das erzeugte mehr ein friedliches Nebeneinander als einen Beziehungsreichtum, denn beide Komponisten waren doch in recht unterschiedlichen musikalischen Sphären unterwegs. Ravels Märchensuite "Ma mère l'oye" (Mutter Gans) beließ Gaffigan in ihrer schlichten, unaufgeregten Charakteristik. Damit gelang ein sanfter Auftakt, in welchem aber auch ein wenig noch die Spannung und damit ein Gespür für Linien und Ziele fehlte.

Das änderte sich mit dem Auftritt von Kirill Gerstein schlagartig, denn die "Burleske" gibt sich kantig und jugendlich ambitioniert. Auf das erste Paukenmotiv reagierte Gerstein mit selbstbewusstem, fast ein wenig perkussivem Anschlag und stellte klar, dass Strauss mit der Burleske vor allem eine geistige Anstrengung verband, die das Stück in Brahms-Nähe rückt, dabei aber vielfach in aberwitzig virtuose Preziosen mündet. Die Dresdner Philharmonie zog da aufmerksam mit - Solist und Orchester konnten so im Verlauf des Stücks einen mächtigen Spannungsbogen aufbauen.

Damit nicht genug: nach der Pause erschien Gerstein erneut, um den Zuhörern im Albertinum Ravels Klavierkonzert D-Dur für die linke Hand zu präsentieren. Pianistisch wie stilistisch ist das eine ganz andere Herausforderung, die aber von Gerstein hervorragend gemeistert wurde. Fast garstig-insistierend und mehr im Rock- statt im Jazzbereich angesiedelt kolorierte der Pianist den vitalen Mittelteil des Stücks, Gaffigan gab sich hingegen mit dem Orchester als gleichberechtigter Partner und steuerte eine höchst süffige, von spontaner Leidenschaft geprägte Klangwelt bei. Das war bis zum letzten Ton überzeugend und Gerstein konnte für dieses außergewöhnliche Doppel am Klavier großen Applaus empfangen.

"Till Eulenspiegels lustige Streiche - nach alter Schelmenweise in Rondeauform gesetzt für großes Orchester", so lautet die Überschrift von Richard Strauss' wohl bekanntester Tondichtung, die am Ende des Konzertes auf dem Programm stand. James Gaffigan überraschte die Zuhörer mit einem rasant durch seine Abenteuer stürzenden Till. In dieser Lesart landete die Tondichtung im Charakter fast im heutzutage auch von atemberaubender Schnittgeschwindigkeit bestimmten Trickfilmbereich. Gaffigans impulsives, forderndes Dirigat spornte die Philharmoniker dabei zu Höchstleistungen an. Gleich ob es die vielen exzellent musizierten Soli waren oder die klanggewaltige Gerichtsszene mit augenzwinkerndem Abgang - diese von rasch wechselnden Bildern bestimmte Aufführung gelang hervorragend.

"Böhmische Geschichten" mit viel Musizierfreude

Smetana, Suk und Dvořák im Konzert des Universitätsorchesters Dresden

Zumeist ein Konzert pro Semester veranstaltet das Universitätsorchester an der TU Dresden - für diesen Abend üben die Studenten, Dozenten, Mitarbeiter und Ehemalige der TU, aus denen sich das Orchester zusammensetzt, sehr engagiert in ihrer Freizeit. Es ist der Lohn der Anstrengungen, wenn sich dann pünktlich zum Konzert die größte Spannung aufbaut und jeder seinen wichtigen Teil zu den Stücken beitragen darf. Die Spannung maximierte sich am Sonntag noch, denn zum einen - eine schöne Konstante bei den TU-Musikensembles - war die Lukaskirche fast vollbesetzt, zum anderen hatte Dirigentin Monica Buckland wieder einmal ein faszinierendes und gleichzeitig sehr anspruchsvolles Programm aufgelegt.

"Böhmische Geschichte(n)" wurden dem Publikum präsentiert: drei sich musikalisch nahe stehende Werke aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts standen auf dem Programm - damit gelang ein schöner Querschnitt der Musikkultur dieses Landes zu dieser Zeit. Keineswegs reduziert sich die Musik auf "böhmische Blasmusik" (und auch die will niveauvoll dargeboten werden!) wie sie etwa explizit im zweiten Satz von Josef Suks Suite "Pohádka" (Ein Märchen) vorkam. Bereits die sinfonische Dichtung "Šárka" aus dem berühmten Zyklus "Mein Vaterland" von Bedřich Smetana war mit allerhand Herausforderungen und einer guten Portion Dramatik gespickt, woraus Buckland mit dem Orchester aber ein überzeugendes Einleitungsstück formte.

Die folgende umfangreiche Suite von Josef Suk (übrigens der Schwiegersohn von Antonín Dvořák) zeigte, wie die böhmische klassische Musik sich in der Spätromantik weiterentwickelte; Suks Musik wird leider viel zu selten aufgeführt, obwohl sie eine ganz eigene Handschrift und Farbigkeit trägt. War in "Šárka" schon ein schönes Klarinettensolo zu bewundern, so war es hier ein Geigen-Solo, das der an "Romeo und Julia" angelehnten Geschichte Charakter verlieh - ansonsten hatte man hier seine Freude an der markanten Lesart von Buckland, die nicht mit Schwelgen und sattem Klang sparte, aber stets auch konzentrierten Einsatz der Musiker forderte.

Die zweite Konzerthälfte gehörte Antonín Dvořák - seiner 6. Sinfonie D-Dur merkt man das intensive Ringen um den von der Öffentlichkeit für wichtig bewerteten nationalen Stil heute nicht an. Buckland fand auch hier das rechte Maß der Tempi, um den kantablen Themen viel Ausdruck zu verleihen. Vielleicht waren im Scherzo noch ein paar Prägnanzreserven vorhanden, doch dafür entschädigte das furiose, feuerwerksartig beendete Finale der Sinfonie. Über dem ganzen Konzert stand weniger der Anspruch der Perfektion als vielmehr gemeinsame Freude am Musizieren dieses Kulturgutes unserer Nachbarn, das damit einmal mehr wenige Kilometer den Elbestrom hinunter gewürdigt wurde - gut so.
(10.3.14)

Unbekanntes von Bekannten

Ravel, Strauss und Dvořák im Philharmoniekonzert

Die Dresdner durften am vergangenen Sonnabend erneut eine Wiederbegegnung mit einem Sohn der Stadt erleben, den es früh schon in die Ferne zog: der Dirigent Christoph König war Kruzianer und studierte an der Musikhochschule in Dresden, bevor er Engagements in Malmö und nun seit mehreren Jahren in Porto und Luxemburg wahrnahm. Im dritten Philharmonie-Konzert der laufenden Saison in der Frauenkirche übernahm König die Leitung und konnte sich über sehr guten Publikumszuspruch freuen - vielleicht ein Zeichen, dass die Dresdner ihren Künstlern treu verpflichtet bleiben, auch wenn diese ihr Glück in der Welt suchen.

Keineswegs lockte König mit einem gewöhnlichen Programm, obschon mit Ravel, Strauss und Dvořák bekannte Komponisten angekündigt waren. Einen Tag nach Maurice Ravels 139. Geburtstag gab es mit der Suite "Le Tombeau de Couperin" ein anständiges Ständchen für den Komponisten - die Musik bezieht ihren Reiz aus der Verbindung barocker Formen und Motive mit der stark dekorativen und hier auch offenherzig verspielten Stilistik des musikalischen Impressionismus. König überraschte gleich im ersten Satz mit straffen Tempi und vielen gut angelegten Kontrastwirkungen. Nachdem die Philharmoniker einmal den Willen zum Folgen signalisiert hatten, war es eine Freude, diesem orchestralen Schmuckstück zu lauschen, denn mit sorgsam differenzierter Dynamik wurde auch die Akustik der Frauenkirche berücksichtigt.

An Richard Strauss kam man auch an diesem Wochenende in Dresden nicht vorbei: neben den bekannten Tondichtungen gibt es aber in dessen reichhaltigem OEuvre auch einige Preziosen zu entdecken. Das Violinkonzert d-Moll, Opus 8 des gerade einmal 18jährigen Komponisten hat sich - im Gegensatz zur ebenfalls früh entstandenen Violinsonate - nicht im Repertoire gehalten. Man ist der holländischen Geigerin Isabelle van Keulen dankbar, dass sie sich immer wieder mit Mut und großer Aufmerksamkeit solchen "Perlen" am Rande des Repertoires widmet - schließlich kann man an der Musik sehr schön feststellen, wie der junge Richard Strauss mit den Partituren seiner Zeitgenossen vertraut war um allmählich seinen eigenen unverwechselbaren Stil zu entwickeln. van Keulen und König gingen mit großem Ernst an die Sache heran und die Reputation gelang - vielleicht nicht in den ersten Takten, in denen van Keulen noch etwas Nervosität zeigte. Sie lotete aber in der Folge das Konzert als jugendlich-spritziges Virtuosenstück optimal aus und legte sich auch mit Hingabe in die lyrischen Passagen. Dass gerade der 3. Satz bei van Keulen von spielerischer Leichtigkeit viel mehr gekennzeichnet war als von den Mühen der Bewältigung dieser geigerischen - man darf es durchaus so nennen - Frechheiten, sollte als höchst respektable Leistung gewürdigt werden.

Antonín Dvořáks Sinfonien werden gerne als Schlussstück programmiert, gelingt doch hier immer ein melodienseliger, musikantischer Ausklang. Der 5. Sinfonie F-Dur war bisher ein solches Repertoireglück nicht beschieden. Christoph König setzte sich vehement und mit intensiver Ausarbeitung der Partitur für das Stück ein, sodass sich schon im ersten Satz der silbrig-feine, optimistische Dvořák-Klang ausbreiten konnte. König arbeitete viel mit spontaner Motivation, dämpfte da und dort einmal zu forsche Bläser und forderte emsiges Mitgehen vor allem im Finale. Damit gab er nicht nur eine tolle Visitenkarte für seine Dirigierkunst ab, sondern stand auch mit seinem Namen für die Werke voll ein - solch eine Überzeugungskraft, die sich auch sofort auf die Musiker im Orchester übertrug, ist eine gute Sache und wurde vom Publikum mit starkem Applaus bedacht.
(9.3.2013)

mehrLicht

Musik Kultur Dresden

Aktuelle Beiträge

Sie haben ihr Ziel erreicht.
Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, sie haben...
mehrLicht - 20. Jul, 12:04
Ein Sommer in New York...
Was für eine Überraschung, dieser Film. Der Uni-Professor...
mehrLicht - 19. Jul, 21:53
Sturmlauf zum Schlussakkord
Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche Auch...
mehrLicht - 14. Jul, 18:54
Wenn der "innere Dvořák"...
Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert Mit...
mehrLicht - 14. Jul, 18:53
Ohne Tiefgang
Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des...
mehrLicht - 14. Jul, 18:51
Sich in Tönen zu (ent-)äußern
Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader"...
mehrLicht - 14. Jul, 18:50
Chopins Cellowelten
Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta Für...
mehrLicht - 14. Jul, 18:48
Fest der Klangfarben
Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum Verklungen...
mehrLicht - 14. Jul, 18:46

Lesen!

Hören!

van anderen

Sound waves sketchbook pVIII668
Kreidler - 8. Mai, 05:49
Sound waves sketchbook pIX75
Kreidler - 7. Mai, 05:48
Bericht von der 220. Sitzung des MDR-Rundfunkrat
Hallo und herzlich willkommen! Heute trifft sich der...
owy - 6. Mai, 10:02
Courses in Basel 21
Kreidler - 6. Mai, 05:45
Satz des Pythagoras, 672 n.Chr.
The Pythagorean theorem in the Arabic translation...
Kreidler - 5. Mai, 05:38
Steve Jobs erklärt den Malern das digitale Grafikmachen
Steve Jobs teaching Andy Warhol, Keith Haring and...
Kreidler - 4. Mai, 05:38

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

stuff

PfalzStorch Bornheim Pinguin-Cam Antarktis
Conil de la Frontera
Kram Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Status

Online seit 6711 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


Dresden
hörendenkenschreiben
nuits sans nuit
Rezensionen
Weblog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren