Rezensionen

Dienstag, 5. Juli 2016

Sturmlauf zum Schlussakkord

Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche

Auch wenn viele Dresdner Ensembles und Musiker nun in die wohlverdienten Ferien gehen, braucht man nicht auf Konzerte in der Stadt verzichten. Eine schöne Möglichkeit, sich ab und an die auch für das allgemeine Wohlergehen nötige Dosis Musik zu ermöglichen, stellt der Orgelsommer in der Kreuzkirche dar. Namhafte Organisten gastieren bis Anfang August jeweils sonnabends und stellen sich mit einem kurzen Programm vor.

Am vergangenen Sonnabend war es Albrecht Koch, Kantor und Organist am Dom zu Freiberg, der zu Einkehr und Inspiration einlud. Koch hatte ein stimmiges Programm mitgebracht, das Bach mit Reger und einem umfangreicheren Werk der neueren Orgelmusik verband. Bachs Präludien und Fugen sind allseits beliebt und hochgeschätzt, der Gottesdienstbesucher erkennt sie meist zum Ein- oder Ausgang. Beim Orgelsommer hatte man nun die Muße, sich einmal ganz auf die Musik zu konzentrieren und den feinen Figurationen von BWV 532 in D-Dur zu lauschen. Koch ging das lichte Dur-Stück mit spürbarer Lebensfreude im flotten Tempo und mit klassischer Prinzipal-Registrierung an. Die virtuose Ornamentik des Präludiums perlte da ebenso fein wie die an Buxtehude gemahnende Fuge, deren Achtungszeichen eine Pause im Hauptmotiv ist - was Bach später im Stück mit reichlich Jubilieren ausfüllt.

Der schwedische Komponist Erland Hildén (geb. 1963) ist wohl kaum einem Zuhörer vertraut - er ist in Göteborg an der Örgryte-Kirche tätig und schrieb viele Kompositionen für sein Instrument, darunter die "B-A-C-H-Messe" aus dem Jahr 2000, die Albrecht Koch für das Konzert ausgewählt hatte. Das Stück war eine spannende Entdeckung, nicht nur wegen der klaren Form der vier Messteile Kyrie, Gloria, Sanctus und Agnus Dei, die auf die Tonnamen von Bach bezogen waren, sondern auch wegen einer ungeheuren klanglichen Wirkung dieser minimalistischen Musik an der Jehmlich-Orgel. Koch wusste das Stück mit dem Instrument ideal zu verbinden und zeichnete die in fast allen Sätzen changierenden Patterns sehr differenziert aus - am eindrucksvollsten gelang in sehr warmer Registrierung das gigantische, doch von Koch völlig organisch angelegte Crescendo des "Sanctus"-Satzes, bevor das Stück in einem zeitlosen Pendeln ausschwang.

In beziehungsvollem Kontrast spielte Koch danach drei Stücke von Max Reger aus dessen Stücksammlung Opus 69. Mit der dem Komponisten eigenen Wucht ist das "Capriccio" schon fast ein Understatement - Koch sorgte sich aber auch hier um Details wie etwa Echowirkungen und machte auch in der folgenden eher etwas nebulös angelegten Romanze Regers Eigenarten plastisch hörbar. Obwohl diese Stücke wahrhaftig eher zu den kleineren Orgelwerken von Reger gehören, ist für gehörig spätromantischen Tastenrausch gesorgt: das der Sammlung zugehörige "Präludium und Fuge a-Moll" schwingt sich nach schreitender Fuge zu einem Sturmlauf in Richtung des Erlösung heischenden Schlussakkordes auf. Das zahlreich erschienene Publikum honorierte diesen abwechslungsreichen musikalischen Orgelnachmittag herzlich.

Wenn der "innere Dvořák" mahnt

Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert

Mit Werken von György Kurtág, Karol Szymanowski und Antonín Dvořák wies die Musik des 12. Sinfoniekonzerts der Sächsischen Staatskapelle deutlich nach Osteuropa, und doch handelte es sich bei den drei Stücken genauer betrachtet um genuin europäische Werke, die kaum über die Nationalitäten ihrer Schöpfer - Ungarn, Polen und Tschechien - allein darstellbar wären. Kosmopoliten sind die Komponisten in jeweils besonderer Weise - vielleicht trifft für Kurtág hier allerdings mehr die Umschreibung einer inneren Reise zu, die er mittels Klängen und Anklängen an Vergangenes oder Bekanntes oder Menschen und Freunde aus seinem Umfeld unternimmt.

Seine "Stele" Opus 33 für Orchester aus dem Jahr 1994 stand an dem Beginn des Sinfoniekonzertes in der Semperoper, das sich auf diese Weise chronologisch rückwärts durch die Musikgeschichte bewegte. Vielleicht wäre einmal der umgekehrte Weg folgerichtiger, erhellender gewesen, doch von der traditionellen Konzertdramaturgie ist schwer Abschied zu nehmen. Muss man dann leider wie am Sonntagvormittag auch in Kauf nehmen, dass das Publikum dem Kurtág-Werk deutlich ablehnend gegenüber stand? Unabhängig vom Geschmack und den offenbar schwer zu öffnenden Ohren stellt die karge Beifallsbekundung eine arge Unhöflichkeit gegenüber dem Orchester dar, das sich außerordentlich für das klanggewaltige Werk von Kurtág einsetzte.

Das dunkel gefärbte, in vielen Schichten sich mit dem Thema Zeit, Erinnerung und Schmerz auseinandersetzende Stück konnte den faszinieren, der sich neugierig auf die ungewohnten Klänge im groß und mit viel Schlagwerk und Tasteninstrumenten besetzten Orchester einließ. Der Gastdirigent Manfred Honeck kümmerte sich um einen ausbalancierten Klang und konnte sowohl das tumultuöse Verzweifeln im zweiten Satz als auch das seltsam Unwirkliche, Un-Zeitliche des dritten Satzes intensiv darstellen - allein, es erreichte nur wenige und dies scheint weniger eine Frage der Vermittlung zu sein, sondern zeugt von salonfähiger Ignoranz dem Neuen gegenüber, der man nur entgegentreten kann, indem man der Gegenwartsmusik, die weder schwarz-weiß ist noch ein Museum darstellt, weiterhin ein Podium bietet. Es sollte selbstverständlich sein, der Musik unserer nächsten Umgebung mit Aufgeschlossenheit gegenüberzutreten, sie gehört zu uns, selbst wenn sie uns fremdartig erscheinen mag.

Eigentlich hätte beim zweiten Stück vielen im Publikum ein Licht aufgehen müssen - denn mit dem 1. Violinkonzert von Karol Szymanowski sieht man sich einem durchaus avantgardistischen Werk des beginnenden 20. Jahrhunderts gegenüber - neue Musik von damals, sozusagen. Fin de Siècle und Impressionismus gehen hier eine sinnliche, oft rauschhafte Verbindung ein, das Violinkonzert wirkt wie eine große und großartige Rhapsodie voller Naturklänge und überraschender Klangmodulationen. Manfred Honeck, Music Direktor des Pittsburgh Symphony Orchestra setzte das mit dem Orchester ziemlich volltönend um, verließ sich dabei aber auf das Können von Christian Tetzlaff an der Solo-Violine.

Der hatte mit ebenso deutlich gezeichnetem Ton keinerlei Mühe, dem flirrenden Orchesterapparat ebenbürtig zu sein und kostete die immer wieder anschwellenden und sich in höchste Lagen des Instrumentes aufschwingenden Phrasen voll aus. Dass das Konzert in dieser intensiv emotionalen Interpretation einige Male einen überdramatischen Touch erhielt, war eher eine persönliche Färbung dieser Aufführung: das brillante Schwelgen von Tetzlaff blieb gerade noch im rechten Maß, der prall gefüllte orchestrale Farbeimer wurde komplett ausgegossen und die großen Pinselstriche verbanden sich dennoch sinnfällig, weil Orchester und Solist selbst im drängendsten Tutti Sensibilität walten ließen.

Die Stückfolge des Konzertes konnte auch als eine permanente Aufhellung begriffen werden: Wenn bei Szymanowkis Sonnenblitze durch die Wolken schießen, ist die Welt bei Dvořáks 8. Sinfonie endgültig befriedet und klar - mit Ausnahme des 2. Satzes, der zumindest zeitweise eine melancholische Ebene des Nachsinnens aufblättert. Manfred Honeck interpretierte die bekannte Sinfonie mit viel Flexibilität im Dirigat und durchweg mit großer Emotion, was sich in den Ecksätzen auch in einem rasantem Tempo ausdrückte. Das wirkt in diesem Werk zwar äußerst brillant, führte aber auch zu einigen Wacklern und ein atmendes Ausspielen etwa des Flötenmotivs im 4. Satz war so nicht mehr garantiert. So war man gleichsam hin- und hergerissen, einerseits fasziniert von der enormen Intensität, mit die Staatskapelle Honecks Intentionen antwortete, andererseits mahnte der "innere Dvořák" einige Male zu wünschenswerter Einkehr und freute sich dann doch, weil Honeck die Einleitung des 4. Satzes und insbesondere die Mittelsätze mit ruhig fließender Gestaltung bedachte und so die Spannung ihre nötige Balance erhielt.

Ohne Tiefgang

Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des MDR Musiksommers

Grundsätzlich ist es erfreulich, dass der MDR Musiksommer sich entschieden hat, das Eröffnungskonzert des 25. Festivaljahrgangs in der sächsischen Hauptstadt zu veranstalten. Denn bei insgesamt 47 Konzerten, die bis zum 28. August an 40 Spielstätten in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt stattfinden werden, hätte man die freie Wahl gehabt. Doch Gustav Mahlers groß besetzte und abendfüllende 2. Sinfonie c-Moll, die so genannte "Auferstehungssinfonie", passt eben nicht in jede Umgebung. Leider aber auch nicht in die Dresdner Kreuzkirche, die immer wieder für Kolossalsinfonik herhalten muss mit dem Ergebnis, dass man am Ende oft ein recht zwiespältiges, zuweilen unfertiges und mit den Umständen eher nicht entschuldbares Konzerterlebnis mit nach Hause nimmt.

Wer sich auf die Kreuzkirche einläßt, muss damit umgehen können, und vermutlich dürften die Radiohörer der Live-Übertragung beim MDR noch am ehesten zufrieden gewesen sein. Im Kirchenraum selbst war die Interpretation des MDR-Sinfonieorchesters unter Leitung seines estnischen Chefdirigenten Kristjan Järvi vielen Belangen kaum zufriedenstellend und das betraf sowohl akustische Mängel, die eine besondere Fürsorge benötigt hätten als auch interpretatorische, denn man hatte einige Schwierigkeiten, sich auf Järvis zumeist recht glatten Mahler-Stil einzustellen.

Dabei fing die Sinfonie vielversprechend an - Järvi musizierte den dramatisch herausfahrenden Beginn langsam, verlor aber nie den Fluß des Tempos. Genau dies schlug dann im Laufe des Satzes aber ins Gegenteil um: die beiden Höhepunkte wurden ohne Atmung fast überfahren, viel zu selbstverständlich wurde die Architektur des Satzes schlicht hingestellt - man hastete durch eine Art Museum mit längst bekannten Bilder. Nur hier und da blitzten Farben auf, wenn das Orchester beim unablässigen, dabei aber vieles auf der Strecke liegenlassenden Voranschreiten von Järvi die Gelegenheit bekam, doch einmal ein Solo auszumusizieren.

So war es schade um das kaum emotional berührende Austropfen im Decrescendo am Ende des 1. Satzes, ebenso um mehrfach von Järvi abgedämpfte Streicherpassagen, wo ausgerechnet die 1. Violinen in diesem Raum hätten viel mehr ausspielen müssen. Solche Momente häuften sich: im Ländler tanzte Järvi am Dirigentenpult und schien sich sichtlich über die nun unbeschwert ausgelassene Musik zu freuen, übersah aber, dass die ersten beiden Durchläufe des Hauptmotivs im Orchester kaum zusammen waren. Eine überzeichnete Lieblichkeit überwog hier mehr als im folgenden Wunderhorn-Satz, der wiederum zu wenig Ruhe verströmte, um die Bildkraft der Musik kontrastreich zu entfalten: die "Fischpredigt"-Motivik geriet in den behende schwingenden Ganzen zu einer schwankenden Anglerpartie.

Das "Urlicht" gestaltete Angelika Kirchschlager (Mezzosopran) zwar intensiv aus, mehrfach intonatorisch knapp verfehlte Töne allerdings trübten das Bild wieder. Im Finalsatz trafen sich Orchester und Dirigent dann doch in einer Spannungseinigkeit, die Besonderes ermöglichte und vor allem die schnelleren Passagen und Steigerungen gelangen hier hervorragend, weil sie endlich zwingend gerieten. Da war es dann nicht mehr störend, dass die erste Passage des Fernorchesters eher italienische Piazza-Atmosphäre verströmte.

Die Sopranistin Miah Persson hätte sich mit ihrer wunderbaren Stimme stärker einbringen können, übte sich aber derart in Zurückhaltung, dass ihr Strahlen nicht mehr über das Orchester drang. Als der MDR-Rundfunkchor (Einstudierung: Risto Joost) dann mit Klopstocks letzten Zeilen der "Auferstehung" einsetzte, war die Welt wieder in Ordnung. Wie Balsam legte sich der Chorklang in den Raum, aus völliger Ruhe angegangen und mit markiger Größe am Ende gestalteten die Sänger den Ausklang der Sinfonie - einen solchen Tiefgang hatte man in den Sätzen zuvor sehr vermisst, trotz einer auch bei der an diesem Tag herrschenden Hitze im engen Altarbühnenraum absolut nur hoch zu respektierenden Leistung des Orchesters.

Sich in Tönen zu (ent-)äußern

Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader" Sinfonie am Elbufer

Allenorten wird von der Schwierigkeit berichtet, Publikum für die klassische Musik zu gewinnen und es wird fleißig experimentiert. Dass der Zugang zu den Menschen keinesfalls mit Zugeständnissen oder einem Qualitäts- oder Unterhaltungsverlust (auch intensives Zuhören kann im besten Sinne Unterhaltung sein!) einhergehen kann, bewies die Sächsische Staatskapelle mit einem hoffentlich nicht einmaligen Experiment - als "Symphonie der Menschlichkeit" führte das Orchester am Donnerstagabend am Königsufer auf dem gerade errichteten Filmnächte-Gelände die 7. Sinfonie C-Dur von Dmitri Schostakowitsch auf.

Dessen Musik ist ernst, sie ist schonungslos emotional und sie spricht von einem Menschen, der gar nicht anders kann, als sich in Tönen zu (ent-)äußern. Die Entstehungsumstände und Geschichte dieser Sinfonie sind sehr bekannt, trotzdem komplex und vor allem in eindeutiger Interpretation schwer zu verbalisieren. Das wurde in der Anmoderation durch Axel Brüggemann mit dem Dirigenten des Abends, dem Österreicher Franz Welser-Möst, der mit dem Konzert auch sein Debüt bei der Sächsischen Staatskapelle gab, evident.

Eher noch als alle Deutungsversuche in Richtung vermeintlicher Hitler- und Stalinporträts gelingt die behutsame Annäherung an den Ausdrucksgehalt. Die ironisch gebrochene Fratze eines Krieges ist ebenso vorhanden wie musikalische Trauerarbeit und ein gesungener Friedensappell - wie er am ehesten vielleicht aus dem wunderbar gespielten Fagott-Solo (Thomas Eberhardt) am Ende des 1. Satzes herausscheint. Die Aufführung war keinesfalls eine VIP-Veranstaltung, sondern mit Karteneinheitspreisen von 5 Euro ein echtes Konzert für die Bürger der Stadt, für jedermann. Rund 4000 Menschen lauschten den Klängen von der Bühne, die erstaunlich gut in der tontechnischen Abmischung zum Hörer gelangten. Lediglich wenige von Welser-Möst und dem Orchester leise-spannungsvoll genommene Abschnitte erreichten nicht ganz die letzten Reihen, dafür wirkten die battuto-Schläge der Streicher im Finalsatz per Mikro derart plastisch, dass man Angst um die Instrumente bekam, gottseidank unbegründet.

Überhaupt vermittelte der österreichische Dirigent eine sehr klare Vorstellung des Stückes, arbeitete mit deutlichen Akzentuierungen und bettete auch die Mittelsätze im musikalischen Gesamtgefüge mit guter Führung ein. Welser-Möst ließ aber immer mal, so in den Streicherpassagen des Adagios, die Zügel vom Dirigentenpult aus locker, was die Kapellisten mit hervorragender Ausmusizierung dankten. Hingegegen gab er dem Marsch des 1. Satzes ebenso klare Kontur wie der Schlusssteigerung des Werke, mit dem wohl fahlsten C-Dur-Schlussakkord einer Sinfonie überhaupt, denn gemeinsam mit Schostakowitsch ist der Hörer in den vier Sätzen bereits durch Abgründe gegangen.

Hervorzuheben ist nicht nur die auch unter diesen Outdoor-Bedingungen großartige Orchesterleistung, auch das Publikum lauschte äußerst konzentriert dieser in den Zeitmaßen nicht unbedingt knapp angelegten Musik. Etliche Bratwürste blieben liegen, weil das Musikerlebnis packte. Und dass sich auf dem weiten Areal so etwas wie eine gemeinsame, gar intime Konzertatmosphäre breitmachte, gehört ebenso genannt wie die stehenden Ovationen und Bravo-Rufe, mit denen die Dresdner und sicher auch viele Besucher der Stadt am Ende die Staatskapelle feierten. Dass die Musik außerhalb der hehren Konzerthausmauern völlig im Mittelpunkt stand, ihre Wirkung entfalten durfte und dabei Auslöser vieler menschlicher Begegnungen und Erfahrungen war wie am Donnerstagabend am Elbufer, sollte uns ihren Wert klarmachen, stimmt hoffnungsvoll und bedarf unbedingt einer Fortsetzung.

Chopins Cellowelten

Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta

Für Sol Gabetta war es ein reichhaltiges musikalisches Wochenende in Dresden: Zwischen den beiden Sinfoniekonzerten am vergangenen Wochenende, bei denen die argentinisch-französische Cellistin, Artist in Residence der Saison bei der Dresdner Philharmonie, konzertierte, gab sie am Sonntagvormittag noch ein Kammerkonzert im Hygiene-Museum. Und letzteres war nicht einfach nur ein schnell hingezauberter Konzertvormittag. Gabetta beschäftigt sich schon seit mehreren Jahren mit der Cello-Musik von und um Frédéric Chopin. Mit ihrem Duopartner, dem Pianisten Bertrand Chamayou, ist so eine CD-Aufnahme entstanden und die beiden haben auch an den Wirkungsstätten des Komponisten und seines Freundes Auguste Franchomme konzertiert.

Zu Beginn gesellte sich noch die philharmonische Solo-Flötistin Mareike Thrun in Carl Maria von Webers Trio g-Moll hinzu und gab der an sich ungleichen Dreierkonstellation die spannende Bläserfarbe hinzu. Dank Webers recht konventioneller Architektur gaben sich die drei Musiker die trotz der Molltonart kaum schwerlastenden Motive behende weiter und diese Aufführung bezog ihren Charakter vor allem daraus, dass die Leichtfüßigkeit der Komposition im aufmerksamen Spiel Intensität gewann und dennoch solistische Farben wunderbar hervortreten durften.

Frédéric Chopins Cellosonate, obschon mit dem Klavier eine gängige Duobesetzung, wird merkwürdigerweise auch heute sehr selten gespielt - gibt es da etwa Vorbehalte vor dem normalerweise an und mit Tasten komponierenden Meister? Sol Gabetta trat mit Esprit und Können für das Werk ein - so leicht wie Weber erschließt es sich nicht und auch die Ausdruckswelt in der gleichen Grundtonart g-Moll ist schon fast ein anderer Planet. Immer wieder war in den vier Sätzen erstaunlich zu beobachten, dass hier Disparates nebeneinander bestehen durfte, wie etwa das völlig verträumte Largo neben der virtuos ausklingenden Tarantella.

Gabetta und Chamayou interpretierten dies in famoser, kundiger, fast blind vertrauender Partnerschaft und während Gabettas Phrasierung ein ums andere Mal begeisterte, gleich ob es eine Steigerung, Zurücknahme oder ein lyrisches Singen war, so konnte man diesen ausgefüllten Ausdrucksraum nur bedingt bei Chamayou wahrnehmen. Am ehesten noch gelang ihm dies bei dem langen Klaviervorspiel zum "Grand Duo Concertant", das Chopin und Franchomme gemeinsam entwarfen. In der Opernparaphrase nach Meyerbeers Oper "Robert le Diable" zählt das Melodienpasticcio und der Virtuosensport für den Salon. Gabetta und Chamayou warfen sich mit Freude in dieses offenherzige Stück, in dem tiefe Seelenwelten einem sinnlichen Musikantentum wichen. Den großen Jubel des Publikums beantworteten sie mit einem weiteren Chopin-Kleinod, einer Klavieretüde bearbeitet von Alexander Glasunow.

Montag, 20. Juni 2016

Fest der Klangfarben

Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum

Verklungen ist die 145. Spielzeit der Dresdner Philharmonie, gleichzeitig die fünfte des Chefdirigenten Michael Sanderling und die letzte komplette Interimsspielzeit auf Reisen durch die Säle der Stadt. Doch am Ende der Saison sollen nicht Zahlen stehen, sondern Musik. Den orchestralen und kammermusikalischen Abschluss feierte die Dresdner Philharmonie am vergangenen Wochenende, zudem fand auch traditionell das "Musikalische Picknick" auf Schloss Albrechtsberg statt.

Im Sinfoniekonzert im Albertinum konnte man am Sonnabend erneut den beiden Residenzkünstlern der Saison begegnen. Michael Sanderling leitete zunächst die Uraufführung des eigens für die Dresdner Philharmonie entstandenen neuen Werkes "Desheret"/Rote Erde von José María Sánchez-Verdú. Erneut konnte man eine Raummusik erleben, dessen akustisches Ergebnis mit fünf kleinen Instrumentalgruppen sich zwar auf "links hinten" und "vorne" reduzierte, aber dennoch mit einiger Fantasie beim Zuhören vervollständigt werden konnte. Bewundernswert war an dem Stück, wie Sánchez-Verdú die Klangmöglichkeiten des Orchesters konsequent erweiterte - Luftartikulationen spielten hier ebenso eine wichtige Rolle wie flirrende Ornamentik an der Klanguntergrenze.

So schob und zog sich das Stück langsam in eine orientartige, dennoch artifizielle Umgebung, die dann sehr abrupt endete. Bei allem sensiblen Klangsinn, den Sanderling mit den Philharmonikern entfachte, wies das Stück allerdings kaum über einen naturalistischen Ansatz einer sinfonischen Dichtung heraus. Man fand eine moderne Form von Borodins "Steppenskizze" vor, der fragile Oboen-Cantus Firmus verstärkte diesen karawanesken Eindruck. Eventuell hätte das Stück auch eine bessere Wirkung erhalten, wenn man die 1. Sinfonie von Gustav Mahler mit ihren Naturlauten unmittelbar angeschlossen hätte. Da aber stand noch ein Solo-Konzert dazwischen und für die Klänge von Camille Saint-Saëns musste man innerlich etwas umschalten. Das gelang aber dank Sol Gabetta, der herausragenden Solistin im 1. Cellokonzert a-Moll, in wenigen Augenblicken.

Mit unbändiger Energie und selbstbewusstem Zugriff auf dem Griffbrett formte sie den 1. Satz aus, um danach die schneller wechselnden Charaktere des Werkes mit viel Lyrik und tollem Atem für die Phrasierung auszugestalten, ihren temperamentvoll angegangenen Solopassagen folgte man mit Spannung, hingegen war ein großes Orchestertutti im dritten Satz im Sinne der Begleitfunktion allzu ordentlich sortiert, so dass es eher blass wirkte. Überraschung bei der Zugabe: Michael Sanderling und Sol Gabetta brillierten im Cello-Duo von Friedrich August Kummer und gaben so sogar ein sächsisches Virtuosen-Bonmot hinzu: der Cellist, Oboist und Komponist Kummer wurde von Carl Maria von Weber einst an das Dresdner Opernhaus berufen.

Nach der Pause gelang noch ein äußerst festlicher und intensiver Ausklang: Gustav Mahlers 1. Sinfonie fordert von allen Orchestergruppen viel Klangfarbenarbeit. Michael Sanderlings Interpretation war eher von irdischer Klarheit denn von kindlichem Staunen gekennzeichnet, das wirkte vor allem im 1. Satz überzeugend, weil so die große Form der Sinfonie stärker in den Vordergrund rückte. Manchmal hätte man sich aber in den Mittelsätzen doch noch mehr Freiheit in der Zeichnung gerade der Übergänge gewünscht, wo Sanderling mehr auf natürlichen, zuweilen leicht vorwärtsdrängenden Fluss setzte. Letzteres ging im zweiten Satz - bei einem innig musizierten, herausragendem Trio! - nicht immer gemeinsam vonstatten, dafür aber gelang der große 4. Satz hervorragend in der Gegenüberstellung von Inferno und jubelndem Zieleinlauf - die dramatischen Steigerungen ging Sanderling mit viel Zug im Tempo an und die Philharmoniker folgten mit großem Können und sattem Hörnerklang zum Beschlusse.
(20.06.16)

Dienstag, 14. Juni 2016

Aus dem Poesiealbum gefallen

Sergej Newski im Porträt bei "Komponisten zum Frühstück"

Ein gutes Sonntagsfrühstück sieht so aus: Brötchen, Ei, Butter, Marmelade, Komponist. Komponist? Exakt - man setze Publikum an eine vorbereitete Tafel und reiche neue Musik zum Kaffee. Wer sich das nicht vorstellen kann, sollte unbedingt ein Konzert der Reihe "Komponisten zum Frühstück" des ensemble courage besuchen - die vierte Runde fand am Sonntag im Festspielhaus Hellerau statt.

Auf der Empore mit den großen Fenstern gelang der Start in den Sonntag akustisch wie kulinarisch opulent und dass statt der Sonntagszeitung oder dem Gottesdienst aus dem Rundfunk neue Musik die "Beilage" bildet, ist eine höchst angenehme Art, sich neben dem Bekannten (Brötchen mit Käse) auch das Unbekannte (russische Poesiealben) zu erschließen. Diesmal war Sergej Newski zu Gast - der in Berlin lebende, 1972 geborene russische Komponist hat unter anderem in Dresden an der Musikhochschule bei Jörg Herchet studiert und hinterließ seitdem immer wieder musikalische Spuren in der Stadt.

Die Musiker des ensemble courage kennen seine Handschrift seit vielen Jahren und dementsprechend vertraut ging es im Frühstückskonzert zu. Vier kürzere Stücke wurden ausgewählt, nach denen man durchaus behaupten durfte, Newski nun zu "kennen", denn im Gespräch mit Moderator Wolfgang Lessing kamen auch besondere Interessen des Komponisten, gar rote Fäden in seinen Werken heraus. So hatten alle Stücke etwas für den Hörer Offenes zu bieten, mit dem man sich beschäftigen konnte - in "Lamento Traffic" war dies eine Vorlage von Henry Purcell, die in ihrem Ausdrucksgehalt und ihrer barocken Natur von Ornamentik und Improvisation fragmentiert hervortrat und daher wie ein Konzentrat wirkte.

Vordergrund und Hintergrund, Oberfläche und Tiefe bilden oft Säulen der Partituren von Newski. Ein In-sich-Hineinhören war ein autobiografischer Aspekt von "Rift", dem zweiten Stück, bei dem Violine, Bassklarinette und Klavier zwar wenig Gemeinsames im Sinne eines Trios ausgestalteten, aber sich gleichberechtigt und körperartig in der Zeit bewegten und dem Hörer die Zusammensetzung überließen. Wie vielgestaltig und auch überraschend Newski Ideen zu einem Musikstück zu fassen vermag, zeigten die "Altérations" für vier Instrumente - ein monotones Stück aus der Perspektive eines "buddhistischen Plattenbaus", das Newski als "sehr russisch" bezeichnete: es ändert sich nichts.

Solcher Hintersinn geriet in der Ausführung durch das durchweg kompetent agierende ensemble courage sehr überzeugend. Das wahrlich im Wortsinn nervige, aus Nerven bestehende Stück verleugnete aber auch nicht eine im Untergrund bohrende Stimme, wenn das Cello in dieser Umgebung weltfremd wirkende, zerbrechliche Terzen hinzufügt. Zum Finale des Frühstücks trat die Performerin und Sängerin Natalia Pschenitschnikova hinzu und gestaltete mit courage einen wahrhaft launigen Ausklang: "Rules of Love" heißt ein Zyklus, in welchem Newski Texte von Sergey Borissov verarbeitete: Mädchenlyrik, die aus Poesiealben gefallen scheint, wird hier mit etwas dickerem Pinsel volkstümlich oder -tümelnd, aber auch mit einem schönen Zug ins Absurde vorgestellt. Zwischen all dem "Er liebt mich"/"Er liebt mich nicht" fällt Newskis Insistieren auf Rhythmen und Gesangsmotiven auf, das den Liebeskram zuweilen an der Gurgel zu packen scheint - womöglich ist Liebe am Ende doch (noch) ein ernstes Thema? Darauf noch einen Kaffee!

-> ensemble courage
-> Sergej Newski

Südländisches Flair

Sommerkonzert von "medicanti" in der Kreuzkirche

Seit 30 Jahren verzaubert ein seit längerer Zeit schon in großer sinfonischer Besetzung antretendes Laienorchester die Zuhörer in der Stadt - und die Fangemeinde ist so gewachsen, dass die halbjährlichen Sinfoniekonzerte mühelos das Kirchenschiff in der Kreuzkirche füllen. So auch am vergangenen Sonntag, als "medicanti", das Orchester an der medizinischen Fakultät der TU Dresden dort ihr Sommerkonzert gaben, und das war auch programmatisch sehr sommerlich gestaltet und bildete so einen Kontrapunkt zu dem vor der Kirchentür eher nass-unfreundlichen Wochenendabschluss.

Mit Ouvertüren und Konzertstücken von Verdi, Puccini, Tschaikowsky und Rossini wies das Programm - mit russischem Gastspiel, aber kaum weniger mediterran anmutend - eindeutig nach Italien. So ein Strauß bunter Melodien darf indes nicht unterschätzt werden - in den Ouvertüren muss schnell zwischen den Charakteren gewechselt werden, damit die jeweilige Oper im Schnelldurchlauf plastisch vor den Ohren entsteht. Manches Solo ist dabei technisch so anspruchsvoll, dass es auch gerne einmal im Probespiel verlangt wird.

Kein Problem jedoch für die "medicanti": Dirigent Wolfgang Behrend hatte die Musiker sehr gut auf die Herausforderungen vorbereitet, so dass Giuseppe Verdis Ouvertüre zur Oper "Die Macht des Schicksals" nach den drei Bläsersignalen sofort ihre dramatisch-vorahnende Stimmung erhielt. Zu einem Pasticcio fügte Behrend vier Stücke von Giacomo Puccini zusammen, davon zwei Intermezzi aus den Opern "Manon Lescaut" und "Suor Angelica", letzteres war in der gemeinsam eingefangenen melancholischen Stimmung ein Höhepunkt des Konzerts, ersteres hätte noch einen Tic mehr Dramatik vertragen.

Selten zu hören sind die Puccinis reine Orchesterwerke "Preludio Sinfonico" und "Capriccio Sinfonico", die aber in dieser Zusammenstellung gut wirkten, das letztere war auch durchaus umfangreicher in den Aufgaben - ein später in "La Bohéme" verwendetes Fragment blitzte auffällig heraus. Sehr überzeugend war aber hier, wie harmonisch und aufmerksam alle Orchestergruppen die Stücke angingen: Behrends klare Fingerzeige vom Dirigentenpult waren eindeutig und die medicanti begnügten sich keineswegs mit der puren Bewältigung der Partituren, sondern drangen tief in die Gestaltung ein - es war eine Freude, dieser südländischen Lebendigkeit zu folgen.

Merkwürdigerweise war diese ausgerechnet bei Peter Tschaikowskys Rom-Studie "Capriccio Italien" kurzzeitig verflogen, denn hier waren die Phrasierungen plötzlich steif, das Stück wollte bei aller Ordentlichkeit des Musizierens nicht in Fluß geraten. Trotzdem fanden die Ohrwürmer dieses Werkes ihre begeisterten Fans und das Konzert klang mit der wunderbar empfunden und dann auch wieder spritzig dargebotenen "Wilhelm Tell"-Ouvertüre von Gioachino Rossini passend aus, wobei hier die Cellogruppe (Solo Tim Wagner) und die Soloflöte (Barbara Flach) besonders brillierten.

Unbedingt vormerken sollte man sich das nächste Konzert der medicanti am 29. Januar 2017 - mit Anton Bruckners 9. Sinfonie und der "Unvollendeten" von Franz Schubert hat man sich Großes vorgenommen.

http://medicanti.de/

Skandinavischer Akzent mit viel Emotion

Vilde Frang und Santtu-Matias Rouvali gastieren bei der Dresdner Philharmonie

Die Karriere junger, hoffnungsvoller Instrumentaltalente in der klassischen Musik ist heutzutage von vielen Faktoren abhängig - oft kommt es auf die richtigen Kontakte zur richtigen Zeit an. Der 29-jährigen, in Oslo, Berlin und München ausgebildeten norwegischen Geigerin Vilde Frang hat Anne-Sophie Mutter als Mentorin vermutlich vor allem vermittelt, dass man seinem eigenen Können und seinen Stärken vertrauen sollte. Nicht anders ist das aufregende Gastspiel zu erklären, das Vilde Frang am Sonnabend mit der Dresdner Philharmonie in der Frauenkirche gab.

Das populäre Violinkonzert von Erich Wolfgang Korngold ist nur bei erstem Hinschauen ein Selbstläufer - dem kompositorischen Wunderknaben flossen auch im amerikanischen Exil die Melodien nur so aus der Hand. Doch gerade die Charakterzeichnung dieses Werkes ist anspruchsvoll, zudem dem mit Finessen gespickten Solopart eine farbig schillernde Orchesterbegleitung beigegeben ist, die Dialoge wollen erst einmal zusammengesetzt sein. Vilde Frang ging das Konzert durchaus kompromisslos an: Emotionales, vom Körper natürlich getragenes Spiel stand ohne Frage bei ihr in allen drei Sätzen im Vordergrund. Das führte zu einer von Hochspannung getragenen, gut beherrschten Interpretation im ersten Satz und zu traumhaft schönen Momenten vor allem im zweiten Teil des zweiten Satzes.

Äußerst vorsichtig begleitete die Dresdner Philharmonie unter Leitung des Finnen Santtu-Matias Rouvali die Solistin - das war auch notwendig, denn Vilde Frang überraschte einige Male mit freier, flexibler Gangart und zog vor allem im dritten Satz das Tempo derart an, so dass nicht nur die Philharmoniker flott schalten mussten, sondern auch die Zuhörer wenig Atem zum Verweilen erhielten. Letztlich war aber die Konsequenz, mit der Frang ihren auch klanglich jederzeit beeindrucken Ritt durch das Konzert durchzog, absolut überzeugend und dafür gab es großen Beifall. Der steigerte sich am Ende des Konzertes noch einmal, denn der junge finnische Dirigent Rouvali sorgte noch für ein weiteres außergewöhnliches Musikerlebnis.

Die 1. Sinfonie e-Moll von Jean Sibelius steht manchmal etwas im Schatten der späteren, populäreren Sinfonien des Komponisten, doch Rouvali behandelte sie von den ersten Takten an als zu polierenden Diamanten und konnte dabei dem Können der Dresdner Philharmonie vertrauen, die seine ebenfalls körperbetonte, von viel Emotion getragenener Interpretation gut umsetzte.

Offenes Potenzial gab es manchmal in unterschiedlicher Auffassung der Pulsation der Musik, hier und da auch in der Genauigkeit, so etwa der Rhythmisierung des Hauptthemas nach dem wunderbar entspannten, einleitenden Klarinettensolo im 1. Satz. Ein permanent unterschwellig zu spürender Drang in der Musik konnte etwa in den Orgelpunkten der tiefen Instrumente auch zu unterschiedlicher Spannungsauffassung führen. Doch vielleicht offenbart auch gerade diese Tatsache die Lebendigkeit der Aufführung, die niemals zu ausgestellter Perfektion führte, sondern eher zu einer Betrachtung mit großem Anspruch und viel inniger Liebe, die Rouvali vom Dirigentenpult unzweifelhaft zu diesem Werk verströmte. Dementsprechend erlöst und gelöst reagierte der sympathische Finne auch nach den letzten beiden Pizzicati, mit denen sich Sibelius' Sinfonie in einen offenen Klangraum verabschiedet - die skandinavischen Klanggemälde im Frauenkirchenkonzert gelangen intensiv und mit Leidenschaft.

Blitzend und glänzend

Beethoven, Reger und Strauss im 11. Kapellkonzert

Der in Dänemark geborene Geiger und Dirigent Nikolaj Znaider ist den Zuhörern der Kapellkonzerte durch viele Auftritte vertraut - im letzten Jahr interpretierte er das 1. Violinkonzert von Dmitri Schostakowitsch, hat mit Sir Colin Davis das Elgar-Konzert aufgenommen, und schon 2008 spielte er mit dem Gustav-Mahler-Jugendorchester das Violinkonzert von Ludwig van Beethoven in der Semperoper. Im 11. Sinfoniekonzert am Sonnabendvormittag stand ihm in diesem Werk Chefdirigent Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle zur Seite.

Und diese Verbindung war fruchtbar in dem Sinne, dass die Intentionen von Orchester und Solist durchweg in die gleiche Richtung gingen, sich somit viel Harmonie herstellte und sich der sinfonische Charakter des Konzertes unmittelbar mitteilte. Schon in der Einleitung spekulierte Thielemann wenig auf Wundersames, sondern nahm zielgerichtet das erste Tutti in Angriff, und ebenso robust und volltönig tauchte Znaider im ersten Solo auf. Technisch jederzeit brillant und vor allem im ersten Satz mit selbstbewusst auftrumpfendem Ausdruck spielend tauchte beim Hören die Frage auf, ob diese vor Überdeutlichkeit sprudelnde Interpretation dem Konzert überhaupt gerecht wird.

Breitwandiger Orchesterklang und ein von Znaider saftig herausgespielter, dynamisch welliger Saitenklang auch in den kleinen Notenwerten im Solo sorgte für einen chromartigen Eindruck: es blitzte und glänzte überall, und das setzte sich auch in den Kadenzen und im Schönklang des 2. Satzes fort. Diese Art der kompetenten Veredelung des Werkes wirkte in der Summe schon fast wieder ungewöhnlich, widmete man sich doch hier überwiegend der hellen Qualität des D-Dur, dem strahlend Musikantischen. Und sicher ist es durchaus legitim, nicht in jeder Lesart das Konzert bis auf die Knochen auszuweiden, solange, wie hier geschehen, die emotionale Spannung der Musik zu tragen vermag.

Nach der Pause widmete sich die Staatskapelle erneut Max Reger, zu dessen 100. Todestag diesmal die 1914 entstandenen "Mozart-Variationen" erklangen. Man möchte das Werk eher "Mozart-Verstrickungen" nennen, denn alles, was noch klar und klassisch ist, ist lediglich das Ursprungsthema aus Mozarts Klaviersonate KV 331, der Rest ist in spätromantischer Dichte (und dennoch in nicht übertrieben großer Besetzung) harmonisch ganz schön aufgebläht und trotzdem reizvoll in der Instrumentierung und Motivverarbeitung.

Thielemann hatte mit der nah an Wagner liegenden, üppigen Mehrschichtigkeit der Varationen und der schnittartig wechselnden Charakterisierung keinerlei Probleme: sofort stellte sich ein transparenter und zu den Höhepunkten des Werkes nicht schiebender, sondern eher wogender Klang her, auch die etwas knöcherne Fuge bekam eine gewisse Samtigkeit verpasst, sodass die volltönende Reprise des Originalthemas am Ende aus natürlichem Schwung entstand.

Dass ausgerechnet Richard Strauss' Tondichtung "Till Eulenspiegel" den Abschluss des Konzertes bildete, könnte als bissiger Kommentar verstanden werden: "Guck, Max, so komponiert man!" - Wild, drängend, leichtfertig, drohend - so Strauss in seinen Partituranweisungen - soll die Schelmengeschichte umgesetzt werden. Thielemann gab seinem Till ordentlich Pfeffer, sich stets in der vertrauenden Gewissheit befindlich, dass die Kapellpferde niemals durchgehen würden, sondern in diesem Werk so erst recht zur Hochform auflaufen. Und so war es auch, mit fantastischen Soli in Horn und Es-Klarinette und einem gemeinsam zelebrierten Strauss-Klang, nach dem man - erneut - wieder süchtig werden kann.

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