Donnerstag, 3. April 2014

In Wunsch- und Angstsphären des Melos

Wolfgang Rihm im Konzert und im Gespräch an der Musikhochschule

Der diesjährige Capell-Compositeur Wolfgang Rihm weilte fast eine Woche in Dresden, um Aufführungen seiner Werke in der Semperoper und an der Hochschule für Musik beizuwohnen. Traditionell stellt sich der Capell-Compositeur im Rahmen von Veranstaltungen von KlangNetz Dresden und der Sächsischen Akademie der Künste auch in Workshops vor - Rihm arbeitete mit den Kompositionsstudenten im Unterricht, besuchte Proben und sprach am Freitag mit Peter Gülke und Jörn Peter Hiekel über Komposition und Musikdenken.

In dem zweistündigen, sehr gut besuchten Gespräch konnte man tiefe Einblicke in Rihms Kompositionswerkstatt gewinnen und gleichzeitig Referenzen zur musikalischen Tradition feststellen. Wenn Rihm sich selbst bei der Arbeit als "Protokollant einer Spannungsübertragung" sieht, verrät das schon viel über eine Einstellung, die zwar das Element und die Idee proklamiert, aber viel mehr Interesse am Verlauf zeigt. Kriterien entstehen da durch Vergleich, aufgebaute Feindbilder dienen zur Schaffung des eigenen Standpunktes; der Schaffensprozess selbst, so Rihm, gleicht einer "Hege" und ist im günstigsten Fall von Vertrauen und Respekt - und natürlich langer Erfahrung im Umgang mit der Materie Musik - gekennzeichnet. Die Leidenschaft des Musikschaffenden ist dem 62jährigen Rihm dabei an den Augen abzulesen: seine vielen Tätigkeiten und Engagements als Lehrer und Juror etwa bringen in heutzutage in die Position, ständig die Rückkehr an seinen Schreibtisch organisieren zu müssen.

Die Werkschau in Dresden wird Rihm jedoch sehr erfreut haben - am Sonnabend musizierten Studenten der Musikhochschule einen ganzen Kammermusikabend mit seinen Werken. Obwohl nur vier Stücke aus verschiedenen Schaffensperioden auf dem Programm standen, war die Auswahl doch so beziehungsreich, dass man einen sehr charakteristischen, geschlossenen Eindruck erhielt. Zudem überlagern sich in verschiedenen Werkzyklen Formen und Ideen, die Rihm einem übergeordneten work-in-progress gleich immer wieder aufgreift, übermalt, weiterentwickelt oder neuen Widerparts zur Diskussion stellt. Diese Erkenntnisse konnten aus überzeugenden Aufführungen heraus entstehen, da die Studenten bestens präpariert waren.

Man machte keine Zugeständnisse: das 12. Streichquartett aus dem Jahr 2002 etwa gehört zum technisch Schwersten, was Rihm überhaupt in dieser Gattung komponiert hat. Ein polyphones Dickicht tat sich da auf, und trotz permanentem Aktionismus und einer Art exaltierten Rhetorik in allen vier Instrumenten schafften die Musiker eine leicht gedämpfte, fast "gedackte" Atmosphäre herzustellen. Das war ebenso spannend nachzuvollziehen wie Elena Rubios Parforceritt in "Über die Linie VII", eine Reise in die "Wunsch- und Angstsphäre des Melos" (Rihm). Das zwanzigminütige Solostück ging die Geigerin mit einer adäquaten Besonnenheit an, die dem enormen Spannungsbogen des Stückes keinerlei physische Dramatik beigab - so schwang die Musik frei.

Das Trio "Chiffre IV" war als konzentriert dargebotener Auftakt ebenso geeignet wie das größer besetzte Ensemblestück "Chiffre II - Silence to be beaten" als vulkanischer Ausbruch zum Ende des Konzertes. Nicht nur der anwesende Komponist zeigte sich hochzufrieden - die Musiker dürften ebenso eine starke "Rihm-Erfahrung" aus dieser Woche mitnehmen wie die Zuhörer, die Gelegenheit bekamen, den "Kontinent Rihm" einmal hautnah und musikalisch intensiv zu erleben.
(31.3.14)

Zum Weiterdenken bestimmt

Wilfried Krätzschmar zum 70. Geburtstag

Er ist ein umtriebiger Geist, ein Kämpfer für die Kultur, ein Einmischer, ein jovialer und stets bereichernder Gesprächspartner. Man weiß nicht, wo man anfangen soll, wenn man Wilfried Krätzschmar würdigen und als Persönlichkeit, womöglich gar noch in einem Satz, beschreiben soll. Vielleicht ist es die ehrlichste Aussage, dass ich ihm gerne zuhöre - und das betrifft gleichermaßen Töne und Worte, in dessen weiten Feldern sich Krätzschmar nicht nur unnachahmlich gut auskennt, sondern derer er sich auch mit höchsten Anspruch an sich selbst und sein Gegenüber - dem Publikum, den Zuhörern, der Gesellschaft, bedient. Hochinteressant wird das Zuhören dann, wenn das starke und oft nicht näher zu umschreibende Gefühl entsteht, dass der Redende etwas zu sagen hat (nicht jeder, der redet, sagt etwas!), eben etwas äußert, was genau jetzt und heute an diese Stelle gehört, aber eben auch messerscharf formuliert ist, damit so etwas wie Auseinandersetzung mit dem Gesagten, Gehörten erst entstehen kann.

"Sagen, was man denkt" - das war nicht nur vor dem Hintergrund eines künstlerischen Lebensweges zu DDR-Zeiten eine hohe Kunst, sondern dürfte für Krätzschmar gleichsam Credo und Ausdruck von Lebendigkeit sein - nur so gelingt ja die eigene Einschätzung und die Einordnung in die gesellschaftliche Umgebung, lassen sich umgekehrt auch wieder andere Meinungen und Standpunkte aufnehmen. Bei Wilfried Krätzschmar ist allerdings der Zusatz unerlässlich, dass der geäußerte Gedanke sorgsam geschliffen sein sollte, bevor er die Heimstatt des Verfertigens verläßt - ein feiner Humor und die Einbeziehung des Unerwarteten, des markant gesetzten Seitenhiebs ist da zumeist inkludiert. Damit entsteht auch Konfrontation - die Krätzschmar aber nie um ihrer selbst willen gesucht hat, sondern um dahinterliegende neue Welten zu erschließen oder ein bereits vermeindlich "bestelltes Feld" um eine andere Perspektive zu erweitern.

In diesen Zusammenhang ist nicht nur sein kompositorisches Werk zu stellen, bei dem Krätzschmar viel mehr daran interessiert ist, auf spielerisch-sinnliche Art Fragen zu stellen oder Situationen zu porträtieren denn fertige Ergebnisse zu präsentieren. Das sehr genussvolle "Erörtern der Gegebenheiten", um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen, prägt auch Wilfried Krätzschmars unermüdliche Tätigkeit als Streiter für ein lebendiges und kreatives Kulturleben in Sachsen. Für die zeitgenössische Musik hat er wesentliche Aufbauarbeit im Komponistenverband und in weiteren Gremien geleistet. Auch die Dresdner Musikhochschule, der er von 1994 bis 2003 als Rektor vorstand, konnte er durch aufopferungsvolles Engagement zu dem heutigen modernen Ausbildungsinstitut weiterentwickeln und als Lehrer über fast vierzig Jahre eine ganze Komponistengeneration betreuen - Ekkehard Klemm, Christian Münch, Thomas Kupsch, Arnulf Herrmann, Benjamin Schweitzer und Michael Flade seien hier stellvertretend genannt.

Im Sächsischen Musikrat und in der Sächsischen Akademie der Künste bestanden und bestehen weitere Tätigkeitsfelder, wo Krätzschmar weniger als Bestimmer sondern vielmehr als Initiator, Weiterdenker oder Vernetzer hoch geschätzt ist. Wilfried Krätzschmar begeht am Sonntag seinen 70. Geburtstag - neben aufrichtigen Wünschen für Gesundheit und Energie sei ihm vor allem die beständige schöpferische Unruhe gewünscht, in schöner Unregelmäßigkeit in Stadt und Land seine Stimme zu erheben - in Tönen und Worten. Wir werden ihm aufmerksam zuhören, ihn - erst recht in seinem Humor - ernstnehmen. Auch das kann ein Geschenk sein, eines, das Wilfried Krätzschmar gebührt.
(22.3.14)

Traum LXXXI

Ich warte in einem Saal auf eine beginnende Probe und sitze an der Wand auf einem Tisch, die Beine hochgelegt. B. kommt herein, zieht mir den rechten Schuh aus und geht wieder. Ich fahre dann auf der Autobahn, telefoniere mit B. und weise ihn an zur Raststätte zu kommen um mir den Schuh wiederzugeben. An der Raststätte stinkt es entsetzlich nach Fett und Bratwürsten, daher fahre ich wieder und spreche mit B. - wir könnten uns auf der Hälfte der Strecke zwischen der Raststätte und zu Hause treffen. Der Ort heißt Herz.

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