Donnerstag, 10. April 2014

Oratorische Schwergewichte

Mozart, Voigtländer und Lachenmann im Hochschul-KlangNetz-Konzert

Am Sonntag fand im Konzertsaal der Hochschule das vom KlangNetz Dresden veranstaltete zweite Konzert der Reihe "Einstürzende Mauern" statt. Diesmal erweiterte sich der Besetzungsrahmen auf Werke der Chorsinfonik. Doch die Fortführung des an sich spannenden Gedankens, bezugnehmend auf den Mauerfall vor 25 Jahren die Musik dieser Zeit und ihre Voraussetzungen und Wirkungen zu beleuchten, kam bei diesem Konzert nicht gut zur Wirkung. Das lag vor allem daran, dass mit einer Dirigierprüfung, einer Stipendienverleihung - das Weber-Stipendium ging diesmal an die Pianisten Hyesu Lee und Eva Schaumkell sowie den Komponisten Nicolas Kuhn - und dem Semesterkonzert des Hochschulchores obligate Termine des Institutes mit dieser Reihe verquickt wurden.

Damit musste ein über zweieinhalb Stunden dauerndes Programm verdaut werden, dessen Dramaturgie das Motto der KlangNetz-Reihe nicht wirklich in den Vordergrund der Hörerlebnisse rückte. Andererseits ist man natürlich dankbar dafür, dass die Dresdner Musikhochschule die Musik der Gegenwart in den letzten Jahren sehr selbstverständlich in alle Elemente des Studienablaufes integriert. Im ersten Teil lauschte man aber zunächst der großen Missa in c-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart - ein Meisterwerk ohne Frage, aber die Interpretation mit dem sehr stark besetzten Chor (Einstudierung Olaf Katzer) war nicht durchweg überzeugend, da Johannes Dasch am Dirigentenpult die Musik zumeist recht geradlinig formte und trotz vieler schöner Momente - zu denen auch das Solistenquartett mit Romy Petrick, Anna Immonen, Martin Rieck und Martin Schicketanz beitrug - Kontraste und Motivausdeutung nicht intensiv genug wirkten.

Aufführungspraktische Fragen wurden da kaum berührt und der Chor wirkte oft schlicht zu massiv und bunt besetzt - die Schwierigkeiten des immer neu zu startenden Semesterprojektes "Hochschulchor" mögen einleuchtend sein, für den Zuhörer waren sie diesmal im Ergebnis nicht befriedigend. Die Messe sollte einen Widerpart zum zweiten Programmteil mit Lothar Voigtländers "MenschenZeit"-Oratorium bilden. Beide Werke erstrahlen aber in solch starker eigener Kraft, dass sie eigentlich gar nicht nebeneinander programmiert werden dürften - warum hat man sich nicht auf eines der Werke konzentriert?

Dazwischen lag ein mit Helmut Lachenmanns "Notturno" für kleines Orchester mit Cello Solo (Solist: Gilbert Bernado Roig) quasi ein Intermezzo, das trotz ansprechender Interpretation in seiner Ästhetik der "musique concrète instrumentale" etwas verloren für sich stand und es mit diesen "Schwergewichten" kaum aufnehmen konnte. Voigtländers 2007 von der Singakademie Dresden uraufgeführtes Oratorium darf man, wenn nicht als geistliches, so doch zumindest als herausragendes geistiges Werk betrachten, setzen sich doch Komponist und Autor (Eugène Guillevic) hier mit der Wahrnehmung, den Widersprüchen und Vergänglichkeiten der Zeit auseinander. Ein großes, sofort philosophische und humanistische Tiefen berührendes Thema also, für das Voigtländer eine direkte, packende musikalische Ansprache wählte.

In einer Art poetischen Unruhe werden da immer neue emotionale Stürme entfacht - trotzdem gelingt ein Festhalten im Zuhören, da der 1943 geborene Komponist in diesem Trubel die Großform fast als sicheren Ort der Zuflucht im Blick behält und somit verschiedene Sichtweisen durchhörbar bleiben. Ekkehard Klemm wahrte vom Pult aus die Übersicht - in einer manchmal doch die Lautstärkegrenzen des Saales sprengenden Darstellung konnte er sich auf die engagiert mitgehenden studentischen Ensembles ebenso verlassen wie auf ein souverän sprechendes, singendes und auch schreiendes Solistenquartett - neben Julia Böhme, Falk Hoffmann und Carl Thiemt überzeugte vor allem die Sopranistin Romy Petrick, die als Gast einzige auch noch die Doppelaufgabe mit der ebenso ansprechend ausgeführten Mozart-Solopartie auf sich nahm - diese Leistung war außergewöhnlich.

Mit Entdeckerlust und Können

1. Festkonzert zum 20jährigen Bestehen der "Sinfonietta Dresden"

20 Jahre Sinfonietta Dresden - ein "normales" Jubiläum? Sicher nicht, wenn man bedenkt, mit welchen Schwierigkeiten freie Ensembles auf dem Markt in Zeiten knapper Kassen zu kämpfen haben. Die Liebe zum Musizieren im Ensemble trieb die kleine Truppe um Olaf Georgi in den 90er Jahren an - der Enthusiasmus ist geblieben, manche entstandene Sorgenfalte wieder geglättet. Unzählige der oratorischen Aufführungen in Dresden wären ohne das Ensemble nicht möglich gewesen, dazu gestaltete man eigene Konzertreihen und kümmerte sich mit Elan vor allem um die zeitgenössische Musik aus Sachsen und Osteuropa, aber auch die Wiener Klassik blieb eine Konstante im Repertoire.

Insofern glich das erste von vier Festkonzerten, die Sinfonietta Dresden anlässlich des Jubiläums in diesem Jahr gibt, einer klingenden Rückschau, zudem war für dieses erste Programm der Dirigent Milko Kersten eingeladen, der die Arbeit des Ensembles lange Zeit geprägt hat. In der Dreikönigskirche fanden sich viele aufmerksame Zuhörer ein - das Festprogramm bot reichhaltige musikalische Abwechslung. Zu großen Festreden ließ man sich nicht hinreißen, stand doch die Musik im Mittelpunkt - das war bescheiden und sympathisch zugleich, aber eben auch Markenzeichen des Ensembles, deren Programme immer schon so sorgfältig gestaltet waren, dass die Musik selbst zu sprechen imstande ist.

Die erste Konzerthälfte war von Wolfgang Amadeus Mozart bestimmt, hier schon wurde die Entdeckerlust offenbar: Anstelle eines bekannten großen Werkes entschied sich Kersten für sechs "Deutsche Tänze" und zwei Konzertarien und trat danach den lebendigen Beweis an, dass auch vermeintlich mit flinker Feder geschriebene Gelegenheitswerke zu einigem Staunen verleiten können. Dass ein schnöder Achttakter eine Fundgrube zu vielerlei Spielerei und musikalischem Witz sein kann, zeigte Sinfonietta Dresden in den Tänzen vortrefflich. Kersten musste - ein augenzwinkernder Beweis für die Flexibilität kleiner freier Ensembles - im letzten Stück selbst im Schlagzeug aushelfen. Die Sopranistin Marie Friederike Schöder verlieh den beiden Konzertarien "Mia speranza adorata" und "Bella mia fiamma" gehörigen Biss, damit deutlichen Charakter und beeindruckte durch sichere und schön geführte Koloraturen - Orchester und Solistin hatten diese Kleinode sorgsam ausgearbeitet und glänzten sowohl in den leisen Tönen als auch in der sich bis zum letzten Ton steigernden Dramatik von "Bella mia fiamma".

Passend eingebettet zwischen die beiden Arien erschien Silke Fraikins "Grazioso 222" - ein von der Sinfonietta 2008 uraufgeführtes Werk der Dresdner Komponistin, das sich explizit mit der im Titel genannten Ausdruckshaltung mozartscher Musik befasst und in vielfachen Ausfransungen, Abbrüchen und Überlagerungen die bekannte Klangwelt wie in einem Prisma von der heutigen Zeit aus betrachtet. Wiederbegegnen konnte man nach der Pause auch der Musik des 2002 verstorbenen rumänischen Komponisten Tiberiu Olah, mit dem das Ensemble eine besondere Beziehung verbindet. Seine "Sinfonia Concertante" für Flöte, Klarinette und Streicher (Solisten Olaf Georgi und Georg Wettin) zeigt eine sehr eigene Klanglandschaft zwischen auskomponierten Flächen und sich immer wieder ornamentiert steigernden und abebbenden Wellen der beiden fast verschmelzenden Soloinstrumente.

Dass eine Sinfonie von Ludwig van Beethoven den hervorragenden Konzertabend beschloss, machte schon fast Hunger auf eine neue Konzertreihe - denn so wie Milko Kersten die 2. Sinfonie D-Dur interpretierte, wäre man gespannt auf Weiteres. Oft wird dieses Stück gar nicht erst auf das Programm gesetzt und ihm eine fadenscheinige Konventionalität bescheinigt. Wenn aber wie in dieser Lesart die Sforzati im 1. Satz so stechend, der zweite Satz so kantabel und flüssig, das Scherzo differenziert und das Finale schlicht mitreißend musikantisch ausgeführt werden, dann lösen sich diese Vorbehalte schnell in Luft auf. Der in diesem Konzert sichtlich stolz und mit Freude aufspielenden Sinfonietta gebührt Respekt und Glückwunsch für zwanzig Jahre lebendige Musikpflege in der Stadt, davon wird man sich in diesem Jahr bei den drei folgenden Festkonzerten und etlichen weiteren chorsinfonischen Terminen überzeugen können.
Alexander Keuk

weitere Festkonzerte: 20. September, 2. Oktober, 6. Dezember
(siehe Homepage)

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