Sonntag, 15. Juni 2014

Vollkommene Hingabe

Anja Harteros brilliert in den "Vier letzten Liedern" im Kapellkonzert

Die Sächsische Staatskapelle rüstet für das große Richard-Strauss-Jubiläum, das zum 150. Geburtstag am 11. Juni mit einem großen Gala-Konzert gewürdigt wird. Bereits am Sonntag dirigierte Chefdirigent Christian Thielemann das 11. Sinfoniekonzert mit Strauss-Werken. Der Beginn gehörte jedoch dem diesjährigen Capell-Compositeur Wolfgang Rihm. Während sich die vor einem Jahr ebenfalls im Kapellkonzert wiederaufgeführten "Ernsten Gesänge" von Hanns Eisler nicht explizit auf Johannes Brahms gleichnamiges Spätwerk bezogen, wird hier die Beschäftigung offenkundig: Rihm nimmt harmonische und melodische Fortschreitungen ins Visier und formt daraus ein merkwürdig vertrautes Stimmungsbild, das von melancholischem Nachsinnen bestimmt ist.

Dafür wurden vier Klarinetten exponiert dort platziert, wo sonst die ersten Violinen sitzen - der warmtönend-grüblerische "Spätwerkklang" von Brahms wird hier nie verleugnet. Christian Thielemann konnte mit dem 1996 entstandenen Stück viel anfangen, da es hier auf klangmalerische Nuancen ankam, die er der Kapelle hervorragend zu entlocken weiß. Auch in die folgenden "Vier letzten Lieder" von Richard Strauss war Wolfgang Rihm einbezogen - er orchestrierte das erst in den 80er Jahren im Nachlass der Sängerin Maria Jeritza wiedergefundene Strauss-Lied "Malven", das aber ausdrücklich nicht in den Zyklus gehört, wohl aber nun als "allerletztes Lied" des Meisters gehandelt wird.

Rein von der kompositorischen Faktur wirkte es, an zweiter Stelle zwischen die Hesse-Lieder "Frühling" und "September" gesetzt, allerdings wie ein Fremdkörper, daran änderte auch Rihms behutsame Instrumentation nichts. Absolut großartig ist allerdings die Interpretation der nun fünf Lieder durch die Sopranistin Anja Harteros zu nennen. Eine nur vollkommen zu nennende Hingabe und Einfühlsamkeit ging einher mit der in absoluter Ruhe und Besonnenheit geführten Stimme. So konnte Harteros mühelos sowohl visionäre Erwartung im "Frühling" als auch den gewisshaften Abschied im "Abendrot" entfalten und legte den Text in völlig natürlich scheinender Weise auf ihre strömenden Melodielinien. Hat man diese Lieder je schöner gehört? Christian Thielemann bettete Harteros selbstverständlich auf Orchester-Samt und führte die von der Sängerin immer intimer geformte Atmosphäre mit dem entrückten Orchesternachspiel zu einem nachdrücklichen Abschluss.

Nach der Pause wartete die Gipfelbesteigung: Ein Strauss-Geburtstag ohne die 1915 entstandene "Alpensinfonie" ist vor allem in Dresden undenkbar, steht die Widmung "Der Königlichen Kapelle in Dankbarkeit" doch gleich auf der zweiten Partiturseite. Trotz des realen topographischen Defizits in Sachsen bewiesen die Kapellmusiker reichlich bildhaftes Vorstellungsvermögen für Sonnenaufgang und Gipfelsturm samt tosendem Gewitter. Thielemann sorgte dabei für recht flüssigen Fortgang, viel Kantables und gute Präzision und stellte vor allem die Tiefenschärfe der "Fotos" ein: gleich der erste Sonnenaufgang wurde in lediglich mildem forte platziert und auch im größten Sturmgewirbel besann man sich der mittels vielerlei Noten zu erzeugenden feinen Landschaft - bis hin zur in b-Moll herniedersinkenden Nacht: ach, schön.

Trackback URL:
https://mehrlicht.twoday.net/stories/894829982/modTrackback

mehrLicht

Musik Kultur Dresden

Aktuelle Beiträge

Sie haben ihr Ziel erreicht.
Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, sie haben...
mehrLicht - 20. Jul, 12:04
Ein Sommer in New York...
Was für eine Überraschung, dieser Film. Der Uni-Professor...
mehrLicht - 19. Jul, 21:53
Sturmlauf zum Schlussakkord
Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche Auch...
mehrLicht - 14. Jul, 18:54
Wenn der "innere Dvořák"...
Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert Mit...
mehrLicht - 14. Jul, 18:53
Ohne Tiefgang
Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des...
mehrLicht - 14. Jul, 18:51
Sich in Tönen zu (ent-)äußern
Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader"...
mehrLicht - 14. Jul, 18:50
Chopins Cellowelten
Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta Für...
mehrLicht - 14. Jul, 18:48
Fest der Klangfarben
Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum Verklungen...
mehrLicht - 14. Jul, 18:46

Lesen!

Hören!

van anderen

Was rundes auf 2D ziehen
Mercator projection: a simple analogy pic.twitter.com/BoAQHKpicX —...
Kreidler - 21. Apr, 05:35
Passfarben
Was da wohl für eine Psychologie dahintersteckt. Colors...
Kreidler - 20. Apr, 05:34
Niedergang auf dem Buchrücken
The expressive design of the 1946 edition of Gibbon's...
Kreidler - 19. Apr, 05:34
Rhythmen aus alten Zeiten
Zürich HB Flap (at MuDA)2016(Sound on!) pic.twitter.com/wZWdRI6AaP —...
Kreidler - 18. Apr, 05:33
Origamitanz
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram...
Kreidler - 17. Apr, 05:04
Vom Glasstapel
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram...
Kreidler - 16. Apr, 05:04

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

stuff

PfalzStorch Bornheim Pinguin-Cam Antarktis
Conil de la Frontera
Kram Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Status

Online seit 6701 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


Dresden
hörendenkenschreiben
nuits sans nuit
Rezensionen
Weblog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren