Rezensionen

Montag, 18. Februar 2013

Außergewöhnliche Begegnung

Fazil Say und Gábor Boldoczki zu Gast im Philharmonie-Konzert

In der Reihe "Komponist und Interpret" stellte die Dresdner Philharmonie am vergangenen Wochenende den türkischen Pianisten und Komponisten Fazil Say vor - ein exzellenter Pianist, der vielbeschäftigt neben Auftritten am Klavier in den letzten Jahren verstärkt zu verschiedenen Residenzen als Komponist eingeladen wurde und mittlerweile über ein interessanten Werkkatalog in instrumentalen und vokalen Genres verfügt. Dabei hebt Say als "Künstler zum Anfassen" gern die Grenzen konventioneller Darbietungen auf, äußert sich als zeitkritischer Kommentator der Zeitläufte und läßt aktuelles Geschehen und heimatliches Kolorit in sein Werk und Wirken einfließen.

Das absolute "Müssen" der künstlerischen Aussage bei gleichzeitigem Kreativitätsüberfluss wird bei Say zum Programm - in jedem Fall ist ein Konzerterlebnis mit diesem Künstler außergewöhnlich, davon überzeugte sich auch das Auditorium im ausverkauften Schauspielhaus am Sonnabend. Neben Fazil Say war ein weiterer Ausnahmemusiker zu Gast: der ungarische Trompeter Gábor Boldoczki interpretierte zu Beginn Says Trompetenkonzert Op. 31, 2010 von ihm bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern uraufgeführt. Zugänglich und zugleich raffiniert komponiert präsentierte sich dieses Werk, in dem Say bei nicht übergroßer Besetzung das Orchester farbig und vielseitig behandelt. In drei Sätzen werden die Ausdrucksqualitäten der Trompete ausgelotet, wobei an wenigen Stellen die Konventionalität der Harmonik und Motivik fragwürdig erscheint. Überraschende Klangfarben oder die im zweiten Satz durchgeführte parallele Rhythmisierung von "5 gegen 6" machen das Konzert aber kurzweilig. Boldoczkis völlig souveräne Interpretation mit Sinn für Cantabile und gleichermaßen rhythmischer Verve ließ aufhorchen - für die Philharmoniker unter umsichtiger Leitung von Chefdirigent Michael Sanderling war diese Art Musik sicher neu, man spürte aber Entdeckergeist und arbeitete die Schönheiten der Musik sehr gut heraus.

Als Interpret am Klavier gesellte sich dann Fazil Say im folgenden Stück mit auf die Bühne - Dmitri Schostakowitschs Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester war im Aufeinanderprallen unterschiedlichster Ausdruckswelten sicher eine gute Wahl. Doch Say und Boldoczki wollten temperamentsmäßig nicht recht zueinander passen. Wo Boldoczki fast zuviel Glanz und Noblesse verbreitete, fand Say an diesem Abend gar nicht zum Stück - der erste Satz war von holpernder, ungestümer Agogik gezeichnet, so dass die Partitur die Transparenz vermissen ließ, die die Kontraste erst zur Spannung führen kann. Auch im Orchester waren manche Reaktionen und Schattierungen nicht homogen auf den Punkt gebracht. Say steigerte zwar zum Finale hin seine Sicherheit in der Gestaltung, aber befriedigen konnte diese Interpretation, der vor allem eine ruhige Basis und Überlegenheit in der motivischen Darstellung fehlte, nicht.

Als sinfonisches Werk nach der Pause hatte Sanderling ein Stück ausgewählt, das in interessanter Korrespondanz zu den "Neutönern" der ersten Hälfte des Konzertes stand. Wolfgang Amadeus Mozarts Sinfonie g-Moll KV 550, die mittlere der drei großen letzten Sinfonien, ist wie kaum eine andere in Mozarts OEuvre vom intensiven Ringen um den Ausdruck, von Abbrüchen und Neuanfängen und letztlich einer nur genial zu nennenden Lösung in den Proportionen der vier Sätze gekennzeichnet. Sanderling zeigte mit der Dresdner Philharmonie eine hervorragende Interpretation, hob genau diese markanten Passagen vor allem in den Ecksätzen hervor, zeigte die feinen Kontraste im Menuetto auf und ließ den zweiten Satz in der klanglichen Themenausformung quer durch das ganze Orchester zum Juwel formen. Dafür gab es starken, berechtigten Applaus.

(ersch. 11.2.13)

Dokument genialer Größe

Christian Thielemann dirigiert Gedenkkonzert der Sächsischen Staatskapelle

Dem Dresdner Gedenktag am 13. Februar kann man in verschiedener Weise beiwohnen - ganz im Stillen zum Glockengeläut, zu Andachten, Kundgebungen und Demonstrationen. Neben der Stille kann eine adäquate musikalische Darbietung zu derartigen Anlässen emotional intensiv berühren. Wo angesichts der Unfassbarkeit von Geschehnisse Worte versagen oder wo Leiden eines Ventils bedarf, hilft und tröstet Musik uns seit Jahrhunderten, leitet die Gedanken und kann zurück ins Leben führen.

So sind in Dresden Requiem-Vertonungen bedeutender Komponisten traditionell Gegenstand der Konzerte zum 13. Februar. Die Sächsische Staatskapelle Dresden wählte in diesem Jahr das Requiem d-Moll KV 626 von Wolfgang Amadeus Mozart aus - ein zeitloses Dokument genialer Größe, wenngleich der genaue Blick auf die Noten und Entstehungsgeschichte bis heute noch einiges an Diskussion bietet – Mozarts Requiem ist unvollendet und die hier praktizierte Süßmayr-Fassung ist verbreitet, aber auch in letzter Zeit zumindest um einige Varianten bereichert worden. Chefdirigent Christian Thielemann liegt ein "neuer Mozart" denkbar fern; aufführungspraktische Fragen oder Fassungsalternativen geraten nicht ins Blickfeld des Dirigenten, und für musikwissenschaftliche Diskurse ist das Podium an diesem Tag nicht bestimmt.

Doch fragt man sich nach dem Konzert, ob Thielemanns hier offenliegender konservativer Interpretationsansatz ein freies, heutiges Hören und damit eine Öffnung für die vielfältigen Emotionen im Werk ermöglicht hat – eine innerliche Bewegung, eine intensive Annäherung oder Identifikation mit der Musik war bei diesem Konzert schwierig zu erreichen. Es mag konzeptionell begründet sein, das Orchester nicht dynamisch zu reduzieren, wenn der Chor singt - die ersten drei Sätze wirkten auf diese Weise wie eine massive Wand, die auf den Zuhörer eindringt. Besonders angenehm erschien dieses von stets breit ausspielenden Streichern geprägte, kaum entspannte und historisierende Klangbild jedoch nicht – Thielemann verschiebt Mozart in eine Ausdruckswelt des 19. Jahrhunderts, wo er schlicht nicht hingehört. Viele Nuancen des Werkes gingen verloren, eine Themenausgestaltung mit Textausdeutung war zu wenig zu bemerken.

Christian Thielemann setzte in dem Werk viel mehr auf eine großbögige Satzspannung mit streng geführten, durchaus passenden Tempi in den Fugati. Erst ab dem Recordare griff Thielemann auch spontan stärker in das Geschehen ein und leitete die Streicher zu ausdrucksvollem Piano an. Spannungsvoll geriet das Insistieren im Lacrimosa, die erneute Übersteigerung der Dynamik bis zum fortissimo im Sanctus machte aber die Atmosphäre wieder zunichte. Der von Pablo Assante hervorragend einstudierte Chor der Staatsoper folgte Thielemanns Intentionen stets mit höchst professioneller Aufgabenerfüllung, hatte aber zu wenig Gelegenheit seine Potenziale zu zeigen - warum wurde etwa das Kyrie lediglich skandiert anstelle mit Zielpunkten und Emphase ausgefüllt?

Trotz vieler Fragen gab es in dieser Aufführung auch Genussmomente wie das vom Chor sehr empfunden vorgetragene Hostias , auch das aufmerksam und klangschön agierende Bläserensemble überzeugte sehr. Das homogene, mit dem Werk höchst vertraute Solistenquartett (Genia Kühmeier, Christa Mayer, Daniel Behle, Alastair Miles) brachte sich mit schlanker Stimmgebung ein und vermochte gut die Ruhepunkte zwischen den großen Chören zu bestimmen. Im in der Süßmayr-Fassung auf den Beginn verweisenden Lux Aeterna formte Thielemann eine Steigerung hin zur sehr gehaltenen Schlusskadenz, bevor das Auditorium der Musik noch einige Sekunden innerlich nachhören konnte und sich dann zu einer Gedenkminute erhob.

Das behutsame Beschreiben der Arten

Kammermusik von Benjamin Schweitzer auf einer wergo-Porträt-CD

schweitzer-cd

Beim renommierten Label Wergo, das sich der Musik der Gegenwart widmet, ist im Herbst 2012 eine neue Porträt-CD erschienen, diesmal kann man Werke des Komponisten Benjamin Schweitzer (*1973) entdecken. "courage" - das Dresdner Ensemble für zeitgenössische Musik interpretiert darauf insgesamt sechs Ensemble- und Kammermusikwerke, die zwischen 2005 und 2008 entstanden sind. Schweitzer ist dem Ensemble, das er selbst 1997 während seiner Studienzeit in Dresden gegründet hat, sehr verbunden - zahlreiche Werke entstanden direkt für das Ensemble oder deren Solisten.

Insofern muss man von einer glücklichen und auch kompetenten Verknüpfung sprechen, denn die Sprache des Komponisten ist den Musikern höchst vertraut, dies strahlen die Interpretationen unter dem Dirigat von Titus Engel bereits beim ersten Anhören aus. In Kenntnis von Benjamin Schweitzers Werkkatalog erscheint interessant, dass brennpunktartig aus einer bestimmten Schaffensphase heraus Werke ausgewählt wurden, die - so verrät der von Stefan Drees geschriebene Programmhefttext - einen Wendepunkt markieren, der sich einer Suche nach neuen Ausdrucksformen verdankt. Wer mit zeitgenössischer Musik nicht vertraut ist, mag Schwierigkeiten mit der wissenschaftlich fundierten Betrachtung der Stücke im Booklet haben, doch das Hörerlebnis zeichnet genau die "Erfahrungsräume" nach, die Schweitzer in seinen Kompositionen (er)findet.

Dass dies gut gelingen kann, dafür sorgt die extreme Konzentration, die Schweitzer den Stücken angedeiht. Auf diese Herangehensweise muss man sich auch beim Hören einlassen, denn im Vorbeigehen lassen sich die Stücke keinesfalls erschließen. Überflüssige Noten, Überraschungen und schroffe Gegensätze finden sich selten, stattdessen erhält jedes Stück seinen eigenen Klangraum, dessen Regularien eng oder weit gefasst werden können: im Abtasten der Möglichkeiten, im Ausreizen der selbst verordneten Grenzen entsteht die Spannung dieser Musik. Verschmerzbar ist das Fehlen des Textes zu den die CD umrahmenden "Dafne-Fragmenten" mit Sopran (Olivia Stahn), wenn man die instrumentale Einbettung der Vokalstimme verstanden hat - die ganz eigene Qualität des Abgesangs, des Abschiedes steht hier ohnehin im Vordergrund. Faszinierend ist auch, wie sich in "achteinhalb" für Ensemble ohne Schlagzeug ein recht rauher Ensembleklang nach und nach immer mehr erweitert und zu stets ausdrucksstarken Linien und Entwicklungen auffächert.

"Anfänge/Netze" lädt den Zuhörer zu einer Standortbestimmung ein und vermeidet Verbindlichkeit, während "dull roots & spring rain" versucht unter maximaler Reduktion eine einzige, in sich aber variantenreiche Klangebene zu entfalten. Was hier in verschiedenen Instrumentalbesetzungen (spannend auch das Quartett "entschlackt" in der ungewöhnlichen Anordnung von Oboe, Trompete, Cello und Klavier) in großer Vielfalt der Instrumentalfarben gezeigt wird, erinnert fast an biologische Vorgänge: Schweitzer ist ein Schmetterlingsforscher unter den Komponisten, der das behutsame Beschreiben der Arten beherrscht und am Ende in den Erfahrungsräumen nach "Schönheit" sucht, die sich eben nicht in der bequemen Konvention niederschlagen muss, sondern in fein ausgehörtem Ensembleklang, im Zusammenspiel von Ursache und Wirkung. Eine CD mit spannender, auch in einem sehr durchhörbaren Klangbild aufgenommenen Kammermusik, deren konzentriertes Hören - ein Kopfhörer erscheint für die Erkennung vieler Zwischentöne sinnvoll - in jedem Fall den musikalischen Horizont erweitert.
Alexander Keuk

* Benjamin Schweitzer: Kammermusik, courage - Dresdner Ensemble für zeitgenössische Musik, Leitung: Titus Engel (wergo)

Linktipp: Homepage Benjamin Schweitzer

Der Seele am nächsten

Alfred Brendel und Peter Gülke im Gespräch über Franz Schubert

Er spielt nicht mehr. Das hinzunehmen haben wir eine Weile gebraucht, dass Alfred Brendel, einer der größten Pianisten der Gegenwart, sein Instrument in der Öffentlichkeit nicht mehr anrührt. Sein Lebenswerk ist uns durch Erinnerungen an große Konzertabende und eine überreiche Diskographie präsent - den Komponisten der Wiener Klassik hat er Denkmäler gesetzt, aber keine, die unverrückbar und unantastbar sind. Die Beschäftigung mit der Musik reicht bei großen Künstlern weit über die Einverleibung der Noten hinaus, und so dürfen wir uns glücklich schätzen, dass Brendel uns als brillanter Essayist, Poet und Gesprächspartner an seinem Erfahrungs- und Wissensschatz weiterhin teilhaben läßt.

Eines seiner Bücher trägt den pragmatischen Titel "Nachdenken über Musik" - das wird schon fast zum ironischen Understatement, wenn man weiss, wie tief Brendel musikalisch wie verbal - oft auch mit hintersinnigem Humor - in die Materie einzudringen vermag. Alfred Brendel war am Dienstagabend zu Gast bei der Sächsischen Akademie der Künste im Blockhaus - im Dialog mit Peter Gülke war der Abend der Persönlichkeit von Franz Schubert gewidmet. Es wäre ein Leichtes gewesen, allein die Verdienste beider Herren um dessen Musik, ihrer Aufführung, Editierung und Analyse herauszustellen - denn Gülke ist als Dirigent und Musikwissenschaftler sowohl interpretatorisch als auch als Autor und Herausgeber ebenfalls ein profunder Schubert-Kenner.

Doch das Gespräch bezog seinen Reiz vor allem aus dem sich entfaltenden Faden der spannenden Rezeptionsgeschichte von Schuberts Werk, die beide in lockerer Weise anhand ausgewählter Kompositionen, der Biografie und der unmittelbaren Musikgeschichte um und nach Schubert beleuchteten. Mit dem "großen Beethoven" im Nacken, der ja nur ein paar Straßen weiter in Wien wohnte, sind manche Feinheiten und kompositorische Entscheidungen, aber auch Merkwürdigkeiten im Werk Schuberts sicher begründbar, doch auf die "strapaziöse Nachbarschaft" eingegrenzt werden darauf darf die Persönlichkeit Schuberts keinesfalls. Brendel und Gülke wiesen deutlich auf die Problematik einer Vermengung von Biografie und Werk hin und zeichneten ein Bild des Komponisten, bei dem respektvoll eben nicht die letzten Antworten gegeben werden sollten - die schwierige Deutung etwa von Schuberts Akzent-Notation stand hier stellvertretend für das "Nachdenken", einen wissenschaftlichen Umgang mit dem Werk, der aber eben eine bestmögliche Annäherung darstellt und den Diskurs zuläßt.

Brendel bescheinigte Schubert einen "unglaublichen Instinkt" und widersprach dem Vorwurf "unpianistischer" Kompositionen - offenkundig und komplex sind da auch die Bezüge zum kammermusikalischen und sinfonischen Werk. Von Unruhe, Schaffensdrang und Schaffensgeschwindigkeit, Krankheit und dem persönlichen Umfeld des Komponisten war schlaglichtartig die Rede und insbesondere die letzten Werke wurden als Kosmos eigener Qualität charakterisiert. Obwohl nach Schuberts Tod 1828 des Komponisten Meisterschaft im Lied immer unbestritten war, setzte eine wirkliche Renaissance der Klavierwerke Schuberts erst nach dem zweiten Weltkrieg ein - maßgeblich auch unter Brendels Beteiligung, was hiermit nachgetragen sei.

Sehr treffend waren beider Äußerungen zum Liedschaffen Schuberts: das "mitredende" Klavier war damals eine außerordentliche Kühnheit, doch noch bis ins 20. Jahrhundert hinein war der "Begleiter" eine eigene, eigenartige Profession. Lernen durfte man außerdem, dass dennoch der weit geöffnete Klavierdeckel nicht der Weisheit letzter Schluss im Liedspiel ist, und möglicherweise anwesenden Gesangsstudenten schrieb Brendel ins Lehrbuch, dass Diktion und Konsonanten auch heutzutage durchaus Würdigung vertragen. Brendel und Gülke zogen den Hut vor dem großen Komponisten, ohne aber in Ehrfurcht zu verblassen. Am Ende kam eine freundliche Naivität zu Tage, die dem durchaus akademischen Gespräch eine wunderbare Rundung verlieh: Schubert sei doch schlicht der Seele am nächsten - "man könne nicht mehr sagen, nur weiter staunen".

Drei Länder - drei musikalische Welten

"Erste Anhörung" an der Musikhochschule

Eine äußerst sinnvolle und in den vergangenen fünf Jahren erfolgreich erprobte Kooperation zwischen der Dresdner Musikhochschule und der Dresdner Philharmonie wurde am Montagabend im Konzertsaal der Hochschule fortgesetzt: die "Erste Anhörung", durchgeführt vom "KlangNetz Dresden", das seit November 2012 als gemeinnütziger Verein die vierjährige Projektphase des "Netzwerk Neue Musik" in Dresden in die Zukunft überführt. Die Erste Anhörung ist nur eines von vielen Vorhaben, die auch künftig fortgesetzt werden sollen.

Hier handelt es sich um die workshopartige Erprobung neuer Orchesterwerke von Kompositionsstudenten. Einmal im Jahr erhalten diese so die Möglichkeit coram publicam ihre Stücke von einem Profi-Orchester vorstellen zu lassen. Dass eine solche Veranstaltung Grenzen hat, ist vorstellbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass nur ein Tag Probe und Workshop machbar und möglich ist. Trotzdem lernen alle davon: Musiker und Dirigent lassen sich auf Neues ein und versuchen bestmöglich eine Partitur in Klänge zu verwandeln, die Komponisten - ohnehin selten mit Orchesteraufträgen gesegnet, können ihre Ideen "am Objekt" realisieren. Schließlich lernt das interessierte Publikum eine Handvoll neuer, junger Handschriften kennen. Am Montagabend repräsentierten drei Studenten aus den Klassen von Mark Andre und Manos Tsangaris auch die Internationalität der Hochschule: aus Japan, Griechenland und den Vereinigten Staaten stammen die Autoren der Stücke.

Moderator Jörn Peter Hiekel stellte im Gespräch mit den Studenten die Werke kurz vor - allerdings geriet genau dieser Part diesmal unbefriedigend, denn die drei Komponisten wollten oder konnten kaum Stellung nehmen zu ihren Stücken - vermutlich ist man zu sehr in der Materie, als dass man einen plastischen Überblick zu formulieren in der Lage ist, genau dies wäre aber für einen unvorbereiteten Hörer interessant gewesen. Trotzdem konnte man sich beim Zuhören den Stücken ebenso vorsichtig und aufmerksam nähern, wie dies auch die Philharmoniker auf der Bühne taten.

Unter Leitung des jungen Dirigenten Alexander Merzyn - der 2013 Chefdirigent Michael Sanderling in Dresden assistieren wird - erklang zu Beginn "Band" für Orchester von Aoi Kita, ein multimediales Projekt, in das auch die Künstlerin Carla Richter involviert war. Der Titel war hier Programm: Bänder und Wellen durchzogen das flächig angelegte Stück, das einige Male durch ständiges An- und Abschwellen des Apparates fast eine Schwerelosigkeit erzeugte. Joseph Lake (USA) erforschte mit "Signals of half-occulted senses" das Innenleben von Klängen. Hier entstanden viele reizvolle, sich ineinander webende Klangarchitekturen, die immer am Rande des Verklingens angesiedelt waren. Problematisch wirkte die Statik des Stückes auf dem Zeitstrahl, so dass eine Zweidimensionalität entstand, die ein wenig auf der Stelle trat.

Waren hier schon zwei völlig unterschiedliche Welten berührt, so fügte Eleftherios Veniadis mit "Gogo und Didi" nach Becketts "Warten auf Godot" eine dritte hinzu: eine Theatermusik entfaltete sich vor Auge und Ohr, bei dem die Weillsche Strenge der Orchesterbehandlung und Form sowie die etwas platte rhythmische Umsetzung von Sprache in Musik leider das ganze Stück ins Holpern brachte. Veniadis zwang Beckett in ein Korsett, das viel zu eng geschnürt war und zu stark an expressionistische Versuche in genau diesem Genre (Funkoper, abstrakte Theatermusiken) des beginnenden 20. Jahrhunderts erinnerte. Die Problematik offenbarte sich also gar nicht so sehr in den vermutlich erwarteten Spielschwierigkeiten, sondern im Umgang mit Aussage, Form und Zeit - letztlich der Formulierung der ästhetischen Position der Komponisten, wobei Aoi Kita vermutlich das am besten funktionierende Konzept des Abends gelungen ist. Die Lebendigkeit der Veranstaltung sei ebenfalls hervorgehoben: alle Protagonisten waren sehr engagiert bei der Sache, um den inspirierten Künstlern von Morgen eine professionelle Stimme zu geben - das ist ehrenwert.

(ersch. DNN 30.1.13)

Montag, 28. Januar 2013

Feuer frei für den "Titan"

Brahms und Mahler im Konzert der "medicanti"

Liegt da "Titanisches" in der kalten Luft des neuen Jahres? Oder soll mit den Vogellauten zu Beginn der 1. Sinfonie von Gustav Mahler ein Hauch von Frühling herbeigesehnt werden? Diese Fragen kommen derzeit auf, weil das großbesetzte Epos des Spätromantikers in Dresden gleich drei Mal innerhalb von zwei Monaten zu erleben ist. Just ist es noch von der Staatskapelle im Ohr, die Philharmonie wird sich im Februar in die Partitur vertiefen und am Sonntag stand das Werk auf dem Programm des Konzertes des Orchesters "medicanti" - dem Orchester der medizinischen Fakultät der TU Dresden.

Mahler von einem Laienorchester? Aber ja doch! Der Zweifel entpuppt sich schnell als flüchtige Seifenblase, wenn man Geschichte und Anspruch dieses Ensembles betrachtet. Seit 26 Jahren sind die "medicanti" in der Dresdner Musikszene aktiv, und sie haben vor allem in den letzten Jahren unter Leitung von Wolfgang Behrend einen großen Qualitätssprung gemacht. Auch von der Besetzung her ist man in der Lage, spätromantisches Repertoire zu verwirklichen. Herz, Können und Engagement aller Mitglieder gibt es inklusive, und man darf nicht vergessen, dass für ein solches Programm gut ein halbes Jahr hart geprobt wird.

Die Lorbeeren durften die "medicanti" in der Kreuzkirche ernten, und zwar von einem restlos begeisterten Publikum, das - keinesfalls Mahler-überdrüssig - in Scharen erschienen war, so dass sogar die Emporen geöffnet wurden. Mahler zur Seite gestellt war passenderweise das Violinkonzert D-Dur von Johannes Brahms. Interpretiert wurde es von der jungen Dresdner Solistin Anna Matz, die selbst vor ihrem jetzigen Geigenstudium in Weimar mehrere Jahre im Orchester mitspielte. Schön war ihr jederzeit im Kirchenraum vernehmbarer großer, sauberer Ton und ihr selbstbewusster Zugriff - das Orchester hätte in der Begleitung gar nicht so viel Vorsicht walten lassen müssen.

Man merkte jederzeit, wieviel Detailarbeit im Solopart steckte, doch ging durch den Ansatz eines überbreiten Ausspielens jeder Phrase im 1. Satz ein wenig die kontrastreiche Spannung des Themenwechselspiels verloren. Sehr viel überzeugender waren die anderen beiden Sätze ausgestaltet - Matz fand hier zu einem lockerem, lyrischen Spiel und kostete schließlich die Raffinessen des Finales gut aus.

Was dann nach der Pause auf die Zuhörer einströmte, kann in der Summe nur als beeindruckend bezeichnet werden. Behrend hatte das große Ensemble für Gustav Mahler optimal vorbereitet und betreute die Klangmassen sorgfältig und motivierend. Man geriet ein ums andere Mal ins Staunen: glasklare Ferntrompeten zu Beginn, harmonisch heikle Wechsel in makelloser, von Behrend auch sinnvoll ausmusizierter Ausführung, dann immer wieder plötzliche Eruptionen oder markante Akzentuierungen im Blech oder im Schlagzeug - die Liste der feinen Klangmomente ist lang. Nach der stets sicheren Fahrt durch "schwere Wasser" mit groteskem Scherzo und intensivem Trauermarsch hieß es "Feuer frei" für das dramatisch anhebende Finale.

Und auch hier bewahrten medicanti Contenance und überzeugten in allen Stimmgruppen. Als schließlich auch noch der gefährliche Soloeinstieg der Bratschen überaus klangvoll die schmetternde Reprise vorbereitete, atmete man durch, lauschte dem sich erhebenden Hörner-Septett und war am Ende baff: dass mir noch jemand erzählt, für Laienorchester käme Mahlers Sinfonik keinesfalls in Frage, verneine ich mit dem Hinweis auf dieses tolle Musikerlebnis zukünftig gerne.

Spontan und ausgewogen

Werke von Johannes Brahms im 5. Kammerabend der Staatskapelle.

Die laufende Konzertsaison der Sächsischen Staatskapelle bietet für Liebhaber der Musik von Johannes Brahms viele Höhepunkte. In den Orchesterkonzerten sind dies die Sinfonien und Solokonzerte, doch der Brahms-Reigen setzt sich auch in den Kammerabenden fort. Und das ist lobenswert und folgerichtig, denn gewichtige Kammermusikwerke gingen den sinfonischen Werken voraus, bilden gleichsam Herz und Schlüssel zum späteren Orchesterkosmos des Komponisten. Ungewöhnlich groß war das Publikumsinteresse für diesen 4. Kammermusikabend.

Das lag sicher nicht nur an der Popularität der Brahms-Werke, sondern auch an einem besonderen Gast des Abends. Myung-Whun Chung, neuer erster Gastdirigent der Kapelle und soeben mit einem Messiaen-Mahler-Programm im 5. Sinfoniekonzert gefeiert, hatte sich gerne bereiterklärt, den Klavierpart im kompletten Konzert zu übernehmen. Chung ist einer der wenigen Dirigenten, die regelmäßig am Klavier konzertieren. Extravagante Ausflüge sind die Sache Chungs nicht, diese Mitwirkung ist schlicht ein bescheidener, mit Kompetenz und spendabler Musikalität ausgeführter Freundschaftsbeweis.

Nicht unerwähnt bleiben darf ein der Jahreszeit geschuldeter gesundheitlicher Unbill, der auch ein Orchester nicht verschont. So stand das Programm des Kammerabends erst kurzfristig fest, sprang Andreas Kuhlmann an der Bratsche im so benannten "Arabella Quartett" ein, über das man leider ansonsten uninformiert blieb. Sollte man einer Neugründung eines - mit Peter Bruns am Cello quasi erweiterten staatskapellischen Ensembles (mit Matthias Wollong und Jörg Faßmann, Violine) beigewohnt haben, so war der Einstand gelungen.

Mit dem Trio H-Dur Op. 8 und dem Quintett f-Moll Op. 34 standen zwei Meisterwerke von Johannes Brahms auf dem Programm, die sich selbst genügten und keines Füllmaterials bedurften. Im H-Dur-Trio merkte man im Eingangssatz noch deutlich ein vorsichtiges Abtasten, hielt sich auch Chung am Klavier noch mit selbstbewusster Präsenz zurück. Doch einmal gestartet, verleitete die mehr und mehr spürbare Harmonie untereinander das Ensemble zu einer guten Interpretation, die auf viel Zuhören und maßvollem, differenzierten Spiel beruhte. Einem vor allem von Chung äußerst lässig und natürlich dargebotenen Scherzo folgte das empfindsam ausmusizierte Adagio; fulminant klang dieses stürmische Werk des 20jährigen Brahms aus.

Das nach der Pause musizierten Klavierquintett f-Moll war dieser Leistung ebenbürtig, wenngleich dieses Werk in gewisser Weise in der Klanggestalt erwachsener, seriöser daherkommt. Gut abgestuft waren die verschiedenen Kombinationen im gegenseitigen Zuwurf der Themen in den fünf Instrumenten, besonders das Finale war in der Entwicklung vom ruhigen Beginn bis zum herausbrechenden Furioso gut gezeichnet. Sicherlich lag aus verschiedenen Gründen in diesem Konzert der Schwerpunkt nicht auf einer lange gereiften und völlig durchdachten Interpretation, sondern auf einer spontan entwickelten, dennoch im wissenden Miteinander sich ausgewogenen präsentierenden Kammermusik. Dieses Konzept, vereint mit dem engagiert demonstrierten Können aller Beteiligten, füllte die Musik von Brahms jederzeit mit Leben und Verständnis.

Freitag, 11. Januar 2013

Irdisch, kraftvoll und entrückt.

Myung Whun-Chung und die Sächsische Staatskapelle mit Messiaen und Mahler

"Willkommen, Maestro Chung", so begrüßte die Sächsische Staatskapelle im Programmheft des 5. Sinfoniekonzert der Saison den koreanischen Dirigenten Myung-Whun Chung. Chung ist seit Beginn dieser Saison neuer erster Gastdirigent des Orchesters, eine Titulierung, die erstmals vergeben wurde. Dabei ist der "Neue" ein alter Bekannter, und die Ernennung beruht denn auch auf der in über zehn Jahren gewachsenen Freundschaft zwischen dem Orchester und dem 59jährigen Koreaner. Mehrfach leitete Chung die Staatskapelle auf Tourneen, vielen ist auch Chungs Messiaen-Ehrung zum Jubiläumsjahr 2008 mit der Aufführung der gigantischen "Turangalila-Sinfonie" in Erinnerung. Diesem Komponisten ist Chung besonders verbunden, erarbeitete mehrere Werke mit ihm persönlich und ist Widmungsträger von Messiaens "Concert a quatre".

Im 5. Sinfoniekonzert stellte Chung Messiaens "L'Ascension - Die Himmelfahrt" der 1. Sinfonie von Gustav Mahler gegenüber - Mahlers Sinfonien, so kündigte die Staatskapelle an, werden in Chungs Gastspielen künftig eine große Rolle spielen, denn es soll ein kompletter Sinfonien-Zyklus entstehen. Interessant war die Gegenüberstellung der beiden Komponisten mit Werken, die beide etwa im gleichen Lebensalter verfassten. Doch einen Vergleich sollte man mit der Feststellung bewenden lassen, dass die Persönlichkeiten trotz jugendlichem Selbstbewusstsein und Mut zur Erneuerung tradierter Formen zu unterschiedlich sind. Wo Mahler rauschhaft und manchmal durchaus widersprüchlich seine Außenwelt in einem persönlichen Drama reflektiert, wendet sich Messiaen über seinen starken Glauben sogleich nach innen.

Das zeigte bereits der Eingangssatz der "Vier sinfonischen Meditationen", den Demut und Bitte als charakteristischer Ausdruck beherrschen. Chung, der beide Stücke auswendig dirigierte, ließ hier Raum für ruhige Entfaltung der nicht leicht auszuhörenden Bläserakkorde, nahm die Meditation wörtlich und dehnte die narrative Kraft des Stückes auch auf den 2. Satz aus. Temperamentvoll und zuversichtlich geriet das an dritter Stelle stehende "Allelua", bevor das gebetsartige Finale ganz den Streichern vorbehalten blieb und diese mit toller dynamischer Ausbalancierung in immer höheren Sphären wirklich eine Himmelfahrt vollzogen.

Ebenso eindrucksvoll, wenngleich ganz andere Ausdrucksqualitäten hervorbringend, gelang der sinfonische Erstling von Gustav Mahler - übrigens ein Stück, das vielen Zuhörern sicher durch Georges Prêtres Interpretation an gleicher Stelle ziemlich genau vor einem Jahr präsent ist. In Myung-Whun Chungs Deutung zeigte sich über alle Sätze hinweg eine Seriösität, fast ein Respekt im Zugang zur Partitur, was aber sehr plausibel erschien, da Chung so die Natürlichkeit der Darstellung bewahrte. Naturlaute, Trauermärsche, Liedzitate und Schicksalhaftes erhielten ein kraftvoll-irdisches Temperament. Im 1. Satz bewahrte sich Chung den straffen Zug bis zum Satzende auf und konnte so mit weicher Klanggebung die Themen gestalten.

Das ausgestellte Selbstbewusstsein des 2. Satzes formte Chung nicht vertänzelnd-derb, sondern mit erdigem Zupacken, was dem Trio einen besonderen Kontrast verlieh. Das Finale modellierte Chung trotz des auskomponierten Höllensturms mit guter Kontrolle der Klangebenen und bewies noch einmal Besonnenheit in den leisen Passagen der Themen-Rückschau. Mit dieser überzeugenden Interpretation konnte Chung viel Begeisterung im Publikum entfachen - willkommen, Maestro Chung!

Sonntag, 9. Dezember 2012

Planet Orgel

Der Komponist Wolfgang Mitterer spielte in der Dreikönigskirche

Fester Bestandteil in den Ausbildungsveranstaltungen an der Hochschule für Musik Dresden ist seit Jahren die Begegnung mit renommierten zeitgenössischen Komponisten, die zu Workshops sowie Proben und Konzerten eigener Werke mit Studenten an die Hochschule eingeladen werden. In diesem Wintersemester ist der österreichische Komponist Wolfgang Mitterer (*1958) zu Gast in Dresden, der neben Gesprächskonzerten und Workshops auch der Hochschul-Produktion seiner Oper "Das tapfere Schneiderlein" (Premiere am 9.12., 16 Uhr im Kleinen Haus) beiwohnt und sich am Donnerstagabend in der Dreikönigskirche als Interpret und Improvisator vorstellte.

Dabei verband er zwei seiner zentralen künstlerischen Wirkungsebenen, nämlich die Orgel und die Elektronische Musik. Dass an diesem Nikolaustag die Kirche nicht gerade prall gefüllt war, war vorauszusehen, doch dankten die Zuhörer Mitterer für ein außergewöhnliches Musikerlebnis derart, dass dieser sogar noch eine Zugabe gab. Obwohl man sehr komplexe und originäre Klänge hörte, ist die Idee eigentlich frappierend einfach: die Orgel ist zwar die Königin der Instrumente, aber trotz ihrer Vielfalt im Klang und in den Spielmöglichkeiten ist sie endlich, und zwar an der Stelle, wo die Phantasie schon innerlich Klänge erfindet, die rein mechanisch gar nicht mehr möglich wären: der Organist hat eben nur zwei Hände und Füße, die Pfeifen lassen sich "live" schon gar nicht verbiegen und was wäre, wenn man dem tiefen 16-Fuß noch eine Wolke aus tieffrequenten Basstönen hinzuordnet, da wo kein Pedal mehr hin findet?

All diese Gedankenspiele sind auf erstaunliche Weise durch Elektronik (heute) lösbar. Wo Ligeti und Kagel mit ihren Orgelwerken noch an Grenzen stießen, manchmal sogar ein Kurzschluss dem wilden Treiben der Neutöner ein jähes Ende setzte, benutzt Wolfgang Mitterer Sampels der gleichzeitig gespielten Orgel, die einen enormen Klangraum eröffnen, der aber niemals zu weit vom Originalklang abweicht. Mitterers knapp einstündige "Mixture" für Orgel und Electronics bezog seinen Reiz daher auch durch den bruchlosen Übergang zwischen der Orgel und dem Sample-Kosmos, der quasi nicht ein neues Instrument, sondern lediglich ein erheblich im Frequenzspektrum und damit auch in der Klangfarbe erweitertes schafft. Mit dem Fehlen der optischen Komponente des Anblicks von Lautsprechern und Synthesizer war die Illusion perfekt. Mitterer war zudem in der Lage, Elektronik und Registrierung feinfühlig anzupassen, sodass mehrminütige, großbögig angelegte Entwicklungen entstehen und vergehen konnten. Nach dem Wegfliegen der Töne folgte das Wegfliegen der Gedanken, man konnte sich dieser Klanglandschaft ungehindert hingeben und die Musik fast wie eine Droge empfinden, so unmittelbar und unausweichlich war der Eindruck, in dem auch leise Klangflächen und melodische Erfindungen natürlich integriert schienen.

Interessant war ebenfalls, wie das Ohr sich nach und nach an die Farben und Entwicklungen gewöhnt, rhythmische Pulsationen wahrnimmt und zwischen den Ebenen mühelos wechselt, als würde man eine Bach'sche vierstimmige Fuge verfolgen. Mitterer schuf damit einen ganz eigenen Planeten aus Orgelklängen, mit Gebirgen, Tälern und Abgründen, Brausen und Wind, Stille und Nachhall. Dass ein adventliches Augenzwinkern an diesem Datum durchaus auch in Mitterers Phantasiekiste vorhanden ist, bewies die schöne, nach fast techno-artigem Beginn sauber tonal auskadenzierte Zugabe.


* Wolfgang Mitterer: Das tapfere Schneiderlein, Oper
Premiere 9.12., 16 Uhr im Kleinen Haus, Koproduktion der HfM, des Staatsschauspiels Dresden und der HfBK Dresden

Virtuelles und Phantastisches

Neue Ausgabe der "Briefmarkenopern" an der Musikhochschule

Seit zwei Jahren gibt es an der Musikhochschule schon das spezielle Format der "Briefmarkenopern" - ein Projekt der Kompositionsklasse von Manos Tsangaris. Hier werden bewusst Miniaturen zumeist szenischer und meist genreübergreifender Art präsentiert. Der zeitgenössische Komponist ist heute ohnehin eher seltener im klassischen Sinne ein "Tonsetzer", im Multimediazeitalter und im freien Spiel mit Gattungen und mit oder gegen Konventionen werden die Instrumente gleich mit erfunden, spielt der Raum eine Rolle, integrieren sich Literatur, Theater, Elektronik und Licht.

Die Grenzen setzende Form der Miniatur schließlich macht besondere Konzentration möglich - nicht nur der Interpreten, die innerhalb eines festen Zeitraums die jeweilige Spannungssituation der Werke fassen müssen, sondern auch für den Zuhörer, der unvorbereitet auf die verschiedensten Ansichten und Zustände trifft. Dass daraus dann auch eine unsortierte, überquillende Briefmarkenschachtel werden kann, tut dem Vergnügen keinen Abbruch - jedem bleibt es überlassen sich seine Perlen zu suchen.

Die Stücke der Kompositionsstudenten hatten diesmal mehr einen Hauch von "Briefmarkensinfonik" - behutsam und teilweise minimal wurde Raum und Szene eingebettet, etwa in "Macbeths Soliloquy" von Deokvin Lee nur mit einem Scheinwerfer oder in Bakchos von Eleftherios Veniadis als kreisförmig und gleichzeitig bewusst starr bewegte Musik. Als Gastinterpreten begrüßten die Dresdner ein Ensemble des Studiengangs "Theatre Musical" aus Bern, zu einem dort in der nächsten Woche stattfindenden Festival zum Thema Theater und Musik werden die "Briefmarkenopern" damit erstmals quasi den Postweg antreten.

Obwohl der Konzertabend fast durchweg schon in seinem bunten Angebot der Phantasie sehr viel Spaß machte, waren nicht alle Stücke bewusst auf Komik ausgelegt, entwickelte sich eher feine Ironie, wie in Tobias Schicks "Inkonsequenza"-Stücken für virtuelle Bassflöte und virtuelle Oboe. Schicks Stücke preisen die Ökonomie: wenn der Instrument künftig sein Instrument vergessen hat oder aus Finanzgründen verkaufen muss, mimt er es schlicht selbst. Sehr gespannt darf man daher wohl auf Schicks erstes virtuelles Orchesterwerk sein. Konsequent in der Gratwanderung des Ausdrucks verhielt sich "rumps" von Neele Hülcker mit wechselnden Musik-Attacken der Spieler an einem Tisch; die barschen Schnitte ließen das Spiel zwanghaft erscheinen, trotzdem erwuchs selbst aus dieser Enge ein poetisches Element. Still oder nachdenklich gerieten Stücke von Lorenz Grau und Carlos Gerardo Hernandez Canales - diese Stücke waren die einzigen des Abends, deren Verständnis sich nicht absichtsvoll sofort mitteilte.

Im Gegensatz dazu war "Tebel II" von Nicolas Kuhn ein ebenso schönes Theater-Mobile wie Katharina Vogts "Literarisches Quartett", hier die Elemente des Lesens neu sortierend. Im großen Finale setzte Deokvin Lee den Hochschul-Konzertsaal unter Wasser: "music for water und glasses" war eine ausgewachsene "Postkarte" unter den Briefmarkenopern - 8 Spieler bemühten sich um die facettenreichen Klänge aus Wasserbottichen und Gläserspielen. Hier wurde dann aber auch deutlich, dass nicht immer Idee und Umsetzung zueinander passen, denn der formal streng und üppig ausgearbeiteten Studie stand die Natur im Weg - und die plätschert eben seltenst im Viervierteltakt.

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