Rezensionen

Dienstag, 21. Mai 2013

Mit dem Charme der Seriösität

Konzert für "Sir Colin" der Sächsischen Staatskapelle Dresden

Er war "der Sir". In dieser freundlichen, freundschaftlichen Formulierung der Dresdner Musiker steckt Augenzwinkern und Verbundenheit, aber auch viel Wahrheit. Unmöglich scheint es, die Lebensleistung des britischen Dirigenten Sir Colin Davis in wenigen Worten zu erfassen, doch fest verankert sind viele tiefgehende musikalische Erlebnisse mit dem "Sir". In den vergangenen über dreißig Jahren, in denen er der Sächsischen Staatskapelle - seit 1990 als Ehrendirigent - eng verbunden war, stand Davis oft und gerne am Pult des Orchesters, im Graben und auf der Bühne ebenso wie im Tonstudio und auf Tourneen.

Es war dem Orchester und der Semperoper, deren Ehrenmitglied Davis ebenfalls war, daher ein selbstverständliches, wichtiges Anliegen, Davis mit einem Konzert zu verabschieden. Am Himmelfahrtstag versammelten sich viele Musikfreunde, Weggefährten und auch ehemalige Staatskapellisten, um Davis zum Gedächtnis Worten und Musik zu lauschen.

Der 1983 geborene Robin Ticciati, der von Davis lange Zeit als Lehrer und Mentor begleitet wurde, leitete die Sächsische Staatskapelle in einem Programm, das bewusst kein Requiem enthielt, sondern das Publikum noch einmal nahe zu der von Davis geliebten Musik brachte. Viele Aufführungen von Kompositionen von Elgar, Berlioz und Mozart dirigierte Davis in Dresden, aber auch Beethoven, Schubert und Sibelius interpretierte er wiederholt. Orchesterdirektor Jan Nast benannte in seiner Begrüßung den "Charme der Seriösität", den Davis ausstrahlte, und der in der langen Beziehung zur Staatskapelle von Beginn an den musikalischen Funken überspringen ließ. Solocellist Friedwart Christian Dittmann ließ die gemeinsamen Ereignisse Revue passieren und zeichnete das Bild eines stets wachen Geistes, der in den Proben nur wenige Worte benötigte und viel auf natürlichen Fluß der Musik und Zuhören im Ensemble setzte, aber in einer Zeit voller Umbrüche gerade vor und nach der Wende auch wichtige Impulse für die Entwicklung des Orchesters gab.

Der musikalische Funke, die enorme Spannung, die Davis vom ersten Ton an aufzubauen vermochte, war der Saatboden für eine musikalische Urgewalt, die der ehemalige Operndirektor Rolf Wollrad in seinen Gedenkworten benannte. Eine "Lichtgestalt", die sowohl die Leichtigkeit des Mozart-Spiels förderte als auch ein neues Spektrum an Repertoire in die Kapellkonzerte brachte - nicht zuletzt auch in die Aufführungsabende des Kammermusikvereins der Kapelle. Der Kontakt ging natürlich oft weit darüber hinaus, als musikalischer Berater war er ebenso geschätzt wie als Förderer des Nachwuchses am Landesgymnasium für Musik oder in der Musikhochschule.

In Erinnung bleibt eine große Künstlergestalt, die - so schlicht es klingen mag - Glück und Freude mit der Musik verbreitete, nicht mehr und nicht weniger. Insofern war auch Robin Ticciatis fließender Ansatz für die Streicherserenade von Elgar, der "Szene auf dem Lande" aus der "Symphonie Fantastique" von Berlioz der Musik dienlich. Das Finale aus Mozarts letzter Oper "La Clemenza di Tito" wurde berückend schön von einem Sextett um Tenor Daniel Behle (Tito) und dem Sächsischen Staatsopernchor musiziert. Der Lebensbejahung und Milde am Ende dieses Werkes hätte Davis hier nach der letzten Note ein sanftes Lächeln hinzugefügt - sein bescheidener Dank an die Musik, die stets im Mittelpunkt seines Wirkens stand.

Donnerstag, 9. Mai 2013

Überraschende "Vollendung"

Chorus 116 musiziert Mozart und Pärt im Palais

Da staunt man: Rappelvoll war das Palais im Großen Garten am Sonnabend, als der "Chorus 116" zu einem großen Konzert rief. Zwar ist der ehemalige Kreuzschulchor nach der Wiedergründung 2006 noch recht jung, doch der Enthusiasmus des nunmehr auf etwa 70 Sänger angewachsenen Ensembles, das nach dem Tod seines Leiters Christian Hauschild 2010 von Milko Kersten übernommen wurde, ist ungebrochen und spiegelt sich in chorsinfonischen Konzerten wider, bei denen die Freude am gemeinsamen Musikmachen im Vordergrund steht.

Der Anspruch ist dabei hoch: die Entscheidung für die Aufführung der c-Moll-Messe von Wolfgang Amadeus Mozart geht einher mit besonderen Anforderungen an Solisten und Chor. So kurz und überdies unvollendet sich die Messe darstellt, so rätselhaft und an gewissen Stellen revolutionär gibt sie sich musikalisch. Kersten wählte daher eine sinnfällige Deutung des Werkes aus heutiger Sicht und stellte der Messe ein Präludium (Mozarts frühes Divertimento F-Dur) und eine unkonventionelle, aber musikalisch überraschend passende "Vollendung" mit Werken von Arvo Pärt zur Seite.

Das Philharmonische Kammerorchester war Partner des Chorus 116 und sorgte zunächst für die Eleganz des Mozartschen Klanges, wobei ein packenderer Zugriff im Presto möglich gewesen wäre; allerdings hatten die tieferen Register im Saal auch etwas mit der Intonation zu kämpfen. Die Messe selbst gelang zum großen Erfolg für den Chorus 116 - vielfältige Aufgaben der genauen Themeninterpretation etwa im Kyrie bis zur harmonisch transparent geführten 8-Stimmigkeit im Quoniam erledigte der Chor unter dem mitreißenden Dirigat von Milko Kersten nicht nur aufmerksam, sondern auch mit stetem Willem zur emotionalen Darstellung, die in den Mess-Sätzen unabdingbar ist.

Schön kamen daher die Tempo-Kontraste heraus, frisch wirkte das Gloria, sehr gut kam der Chor auch mit der schwierigen syllabischen Textur des Credo zurecht. Kersten setzte auf eine historisch informierte Darstellung, ohne Chor und Orchester zu überfordern. Somit blieb etwa in der das Gloria abschließenden Fuge die federnde Leichtigkeit der Musik erhalten. Dass manch harmonische Klippe im Chor nicht ganz auf den Punkt gebracht war und die Frauenstimmen im Raum zu sehr dominierten, war verschmerzbar angesichts der großen Gesamtleistung. Das Solistenquartett mit Marie Friederike Schöder, Ewa Zeuner, Peter Diebschlag und Matthias Weichert war weitgehend gut aufgelegt, wenngleich manchmal die natürliche Wärme der Musik zugunsten zu offensichtlicher Bemühung etwas zurücktrat.

Nach dem zuversichtlichen "Hosanna" im munteren Tempo war der Bruch frappierend: Ein von Arvo Pärt in Klaviertrio-Besetzung zerrbildähnliches Mozart-Gebilde wirkte wie ein ernster Schatten, der das Nachhören ermöglichte, bevor das "Agnus Dei" aus Pärts "Berliner Messe" das Konzert beendete. Die Nähe zu Mozart offenbarte sich im klar ausgestellten Tonsatz ohne jegliche überflüssige Ornamentik - diese lapidare, von zarter Schönheit geprägte Klangwelt konnte der Chorus 116 erneut sehr gut darstellen und formte bei den Zuhörern so ein eindrückliches Konzerterlebnis.

Starker Applaus für viel Gefühl

Portrait Peteris Vasks im "Dresdner Abend" der Philharmonie im Hygienemuseum

Die "Dresdner Abende" der Philharmonie im Hygienemuseum machen das Publikum nicht nur mit der Musik heimischer Tonkünstler von gestern und heute bekannt. Auch Werke, die den Musikern besonders am Herzen liegen, erreichen dieses Podium. Dass Konzertmeister Wolfgang Hentrich, der dramaturgisch die Dresdner Abende mitgestaltet, dem lettischen Komponisten Peteris Vasks besonders verbunden ist, wissen die Dresdner spätestens seit seiner Interpretation des Violinkonzertes "Fernes Licht" 2010. Nun widmete Hentrich dem Komponisten einen ganzen Abend - die Werkauswahl des Porträts war vom Saal des Hygienemuseums und den Ensemblemöglichkeiten bestimmt. Doch gerade für Kammerensembles hat Vasks viele Werke verfasst; Spannung versprach ferner die Einbeziehung eines gemischten Chores in zwei Stücken.

Ganz voll war der Saal nicht, doch viele Zuhörer interessierten sich für die Musik von Peteris Vasks, dessen Musik Hentrich zu Beginn als zugänglich charakterisierte: Vasks ist auch nur dann als zeitgenössischer Komponist zu werten, wenn man damit ausschließlich die zeitliche Komponente heutigen Entstehens der Werke meint - neu ist an diesen Werken gar nichts. Darin lag auch die Hauptschwierigkeit in der Erfassung dieses Konzertabends. Wenn Hentrich und Vasks benennen, dass in dieser Musik Gefühl, Natur, Mensch und Liebe die Hauptrolle spielen, so ist doch schwer vermittelbar, dass permanent ausgerollte Moll-Skalen mit stark begrenztem, oft ziellos wiederholten Ton- und Formvorrat dieses enorme Themenspektrum aus heutiger, künstlerischer Sicht abdecken sollen. Vasks macht es sich sehr einfach, bekennt sich dazu und das ist möglicherweise - das zeigte auch die Begeisterung im Publikum - für viele schon als Musikerlebnis ausreichend.

Absurd wird es hingegen, wenn Vasks seinen estnischen Kollegen Arvo Pärt in "Viatore" für Streichorchester wortwörtlich zitiert und damit die Austauschbarkeit der Skalenschnipsel offenbar wird - so reduziert sich alle Musik auf einen, letztlich von unserem temperierten System und unseren Gefälligkeiten bestimmten, Gefühlskanon, der so oder anders schon hunderte Male unsere Musikgeschichte durchwehte und den Stempel der Oberflächlichkeit erst recht nicht los wird, wenn der Komponist selbst behauptet, der Intellekt trete erst später hinzu. Dann aber ist weiterhin unverständlich, dass die Formen der Stücke vielfach in uralten Rondo- oder ABA-Formen feststecken. Im "Cantabile" für Streichorchester funktioniert das noch als fein verwobene Miniatur.

"Plainscapes" für Chor, Violine (Wolfgang Hentrich) und Cello (Ulf Prelle) kann als Pastellzeichnung einer weit ausladenden Landschaft begriffen werden - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dass sich mehrfach um seine eigene Achse drehende Stück bindet am Ende naturalistisch Vogelstimmen im Chor ein, während die beiden Streicher über den Vokalisen illustrative Ornamentik entfalten. Nur einmal blitzt intensive Klangrede und Kreativität auf: in "Bass Trip" für Kontrabass Solo ist es Benedikt Hübners Verdienst, die virtuose Tour de Force für das große Instrument in ein tolles Hörerlebnis verwandelt zu haben. Warum es in der "Musica Appassionata" für Streichorchester nach einem interessanten energetischen Aufschwingen am Ende des bereits bekannten melancholischen Epilogs bedarf oder das "Dona Nobis Pacem" (erneut überzeugte hier der Philharmonische Chor unter Leitung von Gunter Berger mit schöner Linienführung und dem Werk angepasster dynamischer Gestaltung) uns wiederum die Verschränkungen einer einzigen Molltonleiter offenlegt.

Diese Antworten bleiben dem Hörer verborgen, der sich eben nicht nur auf das Gefühl verläßt, mehr von der Musik verlangt, als Intervalle auf ihren Gefühlsgehalt zu reduzieren. Sehr überzeugend war hingegen mitzuerleben, mit welcher Intensität und Aufmerksamkeit sich das Philharmonische Kammerorchester all diesen Werken hingab, so dass sich am Ende der anwesende Komponist höchst zufrieden für die Aufführungen bedankte und auch vom Publikum mit starkem Applaus bedacht wurde.

Freitag, 26. April 2013

Wogen und Fließen

Wagner, Franke und Tschaikowsky im Philharmonie-Konzert

Zwischen Richard Wagner und der Dresdner Philharmonie mag man im ersten Moment keine großen Schnittmengen erkennen, wurde das Orchester doch erst 1870 gegründet, als Wagner schon "über alle Berge" war. Doch das Gewerbevereinshaus an der Herzogin Garten war für kurze Zeit auch Wagners Domizil, und die Programme des Orchesters bezeugen die Wagner-Pflege von Beginn an. Heute weht der Geist des Meisters nicht mehr so intensiv durch die Dresdner Konzertsäle wie zu seinen Lebzeiten, doch das Wagner-Jahr 2013 nimmt sich auch die Dresdner Philharmonie gerne vor - mehrere Konzerte sind noch bis zum Sommer dem Wirken Wagners in Dresden gewidmet.

Da erste Entwürfe zum "Ring des Nibelungen" auf die Dresdner Zeit datieren, erschien zum Auftakt das Vorspiel zum "Rheingold" sinnfällig. Was da so naturalistisch in Es-Dur ganze vier Minuten lang von der Bühne strömt, ist eine kleine Revolution der Musikgeschichte: wir sehen den Impressionismus vorgebildet, die klassische Opernouvertüre ad acta gelegt, zudem die Tetralogie des Rings im Urzustand vorgebildet. Chefdirigent Michael Sanderling begnügte sich nicht mit der bloßen Darstellung (der - dem Schauspielhaus sei es verziehen - der feinste akustische Zauber noch fehlte) dieses Stückes, sondern stellte der ruhigen und empfundenen Interpretation des Rheingold-Vorspiels eine zeitgenössische Komposition zur Seite:

2010 schrieb der in Leipzig lebende Komponist Bernd Franke (*1959) "The way down is the way up (II)", ein Stück, dass explizit das Rheingold-Vorspiel als Inspirationsansatz benutzt. Sanderling ließ das Stück auch attacca auf Wagner folgen, um somit die Verbindung, aber auch die "neue Welt" zu verdeutlichen. Frankes Werk will weder eine Huldigung oder Nachzeichnung, noch einen radikalen Kontrast oder ein In-Frage-Stellen formulieren. Stattdessen beschäftigt er sich mit großem Klanggespür mit Fragen des Fließens und der Bewegung, mit Stocken und In-Gang-Kommen auf dem Grund einer doch durchgehend ruhig wirkenden harmonischen Basis. In vier Sätzen entfaltet sich so ein überaus farbiges Klanggemälde, in dem allen flächigen Passagen und Schichtungen genügend Aufmerksamkeit gewidmet wird. So bekommt man viele Details wie leicht orientalisch anmutenden Melismen, unterschwellig brodelnde Bewegungen oder die starken Violin-Soli im 4. Satz gut mit. Frankes Proportionen erzeugen eine eigentümliche Schönheit, die Sanderling mit dem Orchester gut hervorbrachte - bei aller Schwierigkeit einiger eruptiver Passagen lag die Stärke der Interpretation vor allem im Atmosphärischen, Leisen. Leider konnte das überwiegende Publikum am Sonntagvormittag kaum etwas mit diesen Klängen anfangen - schade, dass das übrigens auch durch sehr angenehm eingesetzte Lichtstimmungen unterstützte Engagement für das Neue kaum Begeisterung erzeugte.

Dass nach diesem intelligenten Beginn Peter Tschaikowskys 4. Sinfonie in der nicht durchweg ertragbaren musikalischen Selbsttherapie des Komponisten eine leichte Schräglage erzeugte, konnte Sanderling durch eine ungemein sorgfältige Interpretation kompensieren. Schön, dass nicht gleich die Dramamunition im 1. Satz verpulvert wurde und das Orchester von Sanderling immer wieder zu ruhigem Ausspielen angeleitet wurde. Statt Gewalt erzeugte die Philharmonie so Intensität und Leichtigkeit und veredelte die Mittelsätze mit schöner Phrasierung. Nach dem sehr pointiert angelegten Scherzo fasste Sanderling im 4. Satz die Wogen des Werkes mit griffiger Lesart zusammen - von einer Sensation, die Tschaikowsky nach eigenen Worten wohl mit dem Werk in Dresden 1889 erregte, dürfte heute jedoch nicht mehr die Rede sein.

Intelligente Kurzweil

Dresdner Philharmonie im Albertinum

In Nietzsches Zarathustra will der Protagonist die Tugend "am Ohr zupfen und mit ihr Kurzweil treiben". Obgleich man das Alter des Begriffes bereits beim Aussprechen feststellt, umschreibt er doch etwas, das wir alle kennen: eine kurze Weile von Amüsement, Zerstreuung, Unterhaltung. Die "kurze Weile" indes stellt Komponisten immer vor große Herausforderungen. Wie fängt man den Moment ein, den Geistesblitz, den intelligenten Witz? Leider verkehren die Klassikradios den Kurzweil-Begriff mittlerweile ins Absurde qua des Postulats, nur alles unter drei Minuten Dauer sei für den Verbraucher noch verdaulich.

Trotzdem lohnt die Beschäftigung mit dem Thema und so durfte man im 9. Konzert der Dresdner Philharmonie im Albertinum mit Werken Bekanntschaft machen, die in aller Kürze flott auf den Punkt kamen und sich dennoch reizvoll gaben. Paul Hindemith - ohnehin ein Meister des erfinderischen Details - war zu Beginn mit einer "Morgenmusik" aus dem Zyklus "Plöner Musiktag" vertreten. Ein Bläserquartett musizierte die barocken Vorbildern angelehnte Komposition ansprechend von der Empore aus. So erhielt das Konzert zunächst eine festliche Einleitung, die Hindemith aber selbst gleich mit dem nächsten "Knaller" aushebelte. Frech und rasant kommt nämlich der "Ragtime" für großes Orchester daher, eine brillant instrumentierte Groteske, bei denen man gerade im Albertinum an die Ausdruckswelten des Expressionismus (Jazzcombos waren ein beliebtes Bildthema) erinnert wurde. Mit Feuereifer und Spielwitz waren die Dresdner Philharmoniker unter Leitung von Chefdirigent Michael Sanderling bei der Sache.

Das setzte sich auch im folgenden Stück von Kurt Schwertsik fort, einem österreichischen Komponisten der Gegenwart. Seine "Schrumpf-Symphonie" setzte das Thema Kurzweil auf intelligente Weise fort, enthält doch das fünfminütige Stück alle Merkmale einer klassischen Sinfonie und wirft einen verstörenden Blick auf die Vergänglichkeit von Eindrücken. Oder wollte uns Schwertsik doch nur veralbern? Der Komponist ließ das in seinen eigenen Worten offen, das Publikum goutierte anständig. Nach diesen "kurzen Weilen" war noch ordentlich Platz in der ersten Konzerthälfte, die nun mit der traditionellen Abfolge Konzert - Sinfonie fortgesetzt wurde. Schade, dass man damit die schöne Dramaturgie etwas durchbrach.

Doch das Staunen blieb - denn ein Konzert für Bassposaune und Orchester ist eine Rarität. Stefan Schulz, Bassposaunist der Berliner Philharmoniker, hatte denn auch selbst für eine Bearbeitung von Søren Hyldgaard Tenorposaunenkonzert "Concerto borealis" gesorgt und spielte mit der Dresdner Philharmonie die Erstaufführung dieses Werkes. Trotz Schulz souveräner Interpretation der Noten des 1962 geborenen dänischen Komponisten war dies jedoch kein befriedigendes Erlebnis. Hyldgaards im Filmmusikbereich angesiedelte Partitur reduzierte die Klangqualitäten und Spielmöglichkeiten der Posaune ausgerechnet auf ein fortdauernd zelebriertes lyrisches Piano-Spiel mit einer melodischen, völlig austauschbaren Erfindungsgabe, die hart an Winnetou-Illustrationsmusik und Schlagerkomposition vorbeischrammte. Schulz sorgte jederzeit für die Entfaltung romantischer Klanggebung, Sanderling besorgte den orchestralen Rahmen, zu einem Erlebnis mit Tiefgang kam es jedoch nicht.

Im zweiten Teil des Konzertes stand dann ein sinfonisches Werk auf dem Programm, das man ohne Zweifel auch auf die Thematik "Kurzweil" hätte zurückführen können, allerdings nun in dem Sinne, dass kompositorische Ökonomie den Hörer schnell zum Wesentlichen führen kann und dabei die Explositivität des Unerwarteten gut zum Tragen kommt. Haydns letzte Sinfonie, in der Zählung Nummer 104, bekannt als "Londoner Sinfonie" ist darin ein Meisterwerk und Sanderling arbeitete genau die Momente des Unerwarteten in allen Sätzen perfekt heraus, ohne den speziellen Spirit des Stückes anzutasten, der sich von der Naivität des exponierten Themas in der Einleitung des 1. Satzes bis zur unerschütterbaren Spiellust des Finales steigert. Das Orchester folgte Sanderling mit schöner Klangkultur und markigen Akzenten; besonders schön gelang das Andante mit der Sprache nachempfunder, natürlich ausgebreiteter Melodik. Dem galanten Menuetto folgte ein rechter Galopp im 4. Satz, der dieses kurzweilige Konzert lebhaft ausklingen ließ.

Mittwoch, 10. April 2013

Brahms in "High Definition"

Lisa Batiashvili und Christian Thielemann im 10. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle

Die musikalische Bande zwischen der Sächsischen Staatskapelle und ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann ist längst geknüpft - bei den Osterfestspielen in Salzburg, wo die Staatskapelle nun in der ersten Saison als Residenzorchester auftrat und sich höchste Meriten erwarb, konnte sie in den Parsifal-Aufführungen und den Orchesterkonzerten intensiviert werden. Gute Voraussetzungen also für die Rückkehr in gewohnte Sphären, wenngleich das 10. Sinfoniekonzert im Semperbau nur ein kurzes Luftholen in der Heimat bedeutete: mit dem Brahms-Programm dieses Konzertes sowie der 8. Sinfonie von Anton Bruckner begibt sich die Staatskapelle auf eine USA-Tournee, der ein Konzert in der Bonner Beethovenhalle vorausgeht.

Keineswegs durfte man aber die gänzlich bekannten Brahms-Stücke als leichte Kost unterschätzen, zumal Thielemann die sinfonischen Werke des Komponisten in dieser Saison als Dreh- und Angelpunkt seiner Konzerte und CD-Aufnahmen bestimmt hat. Mit der 4. Sinfonie e-Moll Opus 98 komplettierte Thielemann die Aufführungen aller Sinfonien, das Violinkonzert wurde bereits im letzten Jahr für die CD produziert. Beide Werke zeigen den Komponisten in meisterlicher Reife, die beiden zeitlich dazwischen stehenden Ouvertüren ergänzen dieses Bild sinnfällig.

Thielemann entzog der "Akademischen Festouvertüre" Opus 80 daher auch allen Pomp und konzentrierte sich auf sorgsame Ausarbeitung der Klangfarben ohne den Fluss des Stückes zu verlieren. Nobler Glanz verbreitete sich, doch die kaum mitreißende Patina des Werkes ließ sich kaum verhindern - ein tieferes Musikerlebnis gönnt uns Brahms mit den Studentenliederzitaten eben nicht.

Ganz anders gibt sich das Violinkonzert D-Dur: sinfonisch, virtuos, genial komponiert und mit dem damaligen Interpreten Joseph Joachim erarbeitet. Die Capell-Virtuosin Lisa Batiashvili, die bereits im Februar mit einem Recital das Dresdner Publikum begeisterte, entschied sich für die wenig bekannte Kadenz von Ferruccio Busoni und teilte damit dem Publikum unzweifelhaft auch eine Haltung mit - nämlich die Legitimation einer Lebendigkeit des Werkes über die Zeiten, die eben auch neue Sichtweisen auf ein Stück einschließt. Nicht nur die Kadenz war von brodelnder Spannung getragen: von Beginn an - die von Thielemann frisch und deutlich angegangene Einleitung blieb dem Orchester vorbehalten - nahm Batiashvili das Heft in die Hand und bescherte dem Dresdner Publikum eine packende Darstellung dieses Konzertes, die über alle drei Sätze trug, und in ihrer in jedem Takt hochmusikalischen Herangehensweise, die Impulsivität, Können und Wissen vereinte überzeugte.

Batiashvili schuf eine eindeutige, von gutem Selbstbewusstsein und herber Klangfarbe bestimmte Charakteristik für alle Themen. Scheinbar belanglose Begleitfiguren erhielten ihre korrekte Bedeutung durch Emphase der Harmonik oder Setzen energetischer Zielpunkte - der 3. Satz erhielt seine bekannte Spielfreude, ohne jemals flüchtig oder oberflächlich zu wirken - eine starke Leistung der aus Georgien stammenden Geigerin. Brahms leuchtete so in "high definition", wobei das Orchester durchweg aufmerksam diesen Weg nachvollzog - lediglich dem Bläsersatz zu Beginn des 2. Satzes fehlte noch ein Quentchen Souveränität.

Im sinfonischen "Opus Summum" des Komponisten war es erfreulich, erneut wahrzunehmen, mit welchem offenkundigen gegenseitigen Verständnis Thielemann und das Orchester die Balance zwischen Detailgenauigkeit und Satzfluss herstellen. So erhielt der erste Satz mit weichen Auftakten im Thema und transparenter Durchführung einen enormen Drang zum Satzschluss hin, um den Mittelsätzen den richtigen Platz im Gesamtgefüge zuzuweisen. Die abschließende Passacaglia wiederum zeugte mit zahlreichen wunderbaren Passagen in den einzelnen Orchestergruppen noch einmal von der reifen Größe des Komponisten, der zum Beschlusse seines sinfonischen Werkes den Übervater Bach gebührlich zu Wort kommen läßt.

Auf die Aufnahmen des sinfonischen Zyklus darf man durchaus gespannt sein, man sollte dabei aber nicht die Einzigartigkeit eines jeden Konzertes vergessen - die Lebendigkeit eines vollkommen ausgekosteten Momentes ist bei Werken von Johannes Brahms ein Schatz, der bei Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle in guten Händen aufgehoben ist.

(8.4.2013)

Gerüstet für die Zukunft

KlangNetz Dresden macht sich stark für die Musik der Gegenwart

Vier Jahre lang, von 2008 bis 2011 war das KlangNetz Dresden eines von fünfzehn Förderprojekten des "Netzwerk Neue Musik", einer Einrichtung der Kulturstiftung des Bundes. In Dresden - neben Berlin übrigens der einzige ostdeutsche Standort eines Netzwerk-Projektes - konnte so in der engen Zusammenarbeit verschiedener kultureller Institutionen der Stadt eine lebendige und vor allem nun gut vernetzte Neue-Musik-Szene etabliert werden. Als Netz-Zentrum und dauerhafter Partner fungierte die Hochschule für Musik - der Musikwissenschaftler Prof. Jörn Peter Hiekel, an der Hochschule Leiter des Institutes für Neue Musik, war federführend bei der Initiierung des Projektes und betreut das KlangNetz Dresden nun auch auf seinem Weg in die Selbständigkeit.

Mit der finanziellen Vier-Jahres-Förderung wurde, so Hiekel, nicht nur unter einen Schirm gestellt, was ohnehin stattgefunden hätte. Von KlangNetz Dresden aus wurden neue Initiativen begründet, die - dem Sinne des Netzwerkes entsprechend - Vermittlung, Kooperation und Öffentlichkeitsresonanz in den Focus stellten. Neben der schlichten Darstellung und Aufführung von Gegenwartsmusik konnten so neue Formate erprobt werden, die schnell auch vom Konzertpublikum angenommen wurden: das "KlangNetz-Ensemble" vereint Musiker der Dresdner Philharmonie und Studenten der Hochschule, die Konzertreihe "Short Concert" an der Musikhochschule bietet in knappem zeitlichen Rahmen eine intensive, originelle Betrachtung zu einem klar umrissenen musikalischen Thema. Der Dresdner Kammerchor wiederum initiierte als Partner des KlangNetz Dresden bereits zweimal eine "Internationale Chorwerkstatt", deren Teilnehmer aktuelle Vokalliteratur in Vorträgen, Proben und Workshops kennenlernen können.

Auch die "hehre" Kultur der Stadt beteiligte sich willig an der Netzwerkarbeit: der jeweilige "Capell Compositeur" (Mundry, Lang, Saunders, Staud) der Sächsischen Staatskapelle war nicht nur auf dem Papier tituliert, sondern war leibhaftig in Porträts, Podiumsgesprächen und in den Kapellkonzerten erlebbar. Und mit der Dresdner Philharmonie wurde eine “Erste Anhörung” genannte Workshop-Reihe mit Studenten-Kompositionen etabliert. Das bundesweite Projekt des Netzwerk Neue Musik ist nun beendet, doch statt einer versiegenden Gießkanne ist für die meisten Teilnehmer das Bild der wachsenden Kinderschuhe hoffentlich realistischer - von vornherein waren alle 15 Projekte auf Zukunftsfähigkeit angelegt.

Wer also in diesen vier Jahren gelernt hat, zeitgenössische Musik auf einem zeitgemäßen Level der Organisation und mit einem gerüttelt Maß an kreativen Ideen darzubieten, hat gute Chancen, dass die Neue Musik nicht nur ihren Stellenwert behält, sondern Neugier und Verantwortung beflügelt. In Dresden scheint dies nicht nur durch den Enthusiasmus, mit dem die Teilnehmer aktuell zu Werke gehen, sehr realistisch. Hiekel sieht das KlangNetz nicht nur als kontinuierlichen Spiegel der Gegenwart mit der auch weit über die Musik hinaus gehenden Frage des "Wo stehen wir eigentlich?", sondern beförderte gemeinsam mit den Partnern eine neue Strukturierung.

Im November 2012 wurde die Fortsetzung der begonnenen Projekte durch die Gründung eines gemmeinützigen Vereins gleichen Namens besiegelt. Die Runde der Teilnehmer im bestehenden KlangNetz liest sich wie ein whoiswho der Dresdner Musikkultur: Musikhochschule, Dresdner Philharmonie, Europäisches Zentrum der Künste Hellerau, AuditivVokal, Sinfonietta Dresden, Dresdner Kammerchor, elole-Klaviertrio und die Kammerensembles "Courage" und "el Perro Andaluz". Mit Prof. Matthias Drude ist der Vorsitzende des Sächsischen Komponistenverbandes "im Boot", Veranstalter wie die Blaue Fabrik und das Leonhardi-Museum bekunden ihr Engagement und werden der Musik ebenso wie die Hochschule für Musik einen passenden Klangrahmen verschaffen.

Mit der Anerkennung des Vereins als An-Institut der Hochschule für Musik ist nicht nur der administrative Knotenpunkt in der Hochschule verortet, sondern in kontinuierlicher Zusammenarbeit die intensive Förderung des musikalischen Nachwuchses angestrebt. Die Auflistung zeigt, welche Synergien künftig zwischen Musikschaffenden, Interpreten und Rezipienten möglich sind.

An Ideen für die nähere und weitere Zukunft mangelt es beim KlangNetz keinesfalls: Jörn Peter Hiekel freut sich bereits auf ein großes Projekt im Herbst in Zusammenarbeit mit dem Institut Francais, und langfristig will man eine eigene KlangNetz-Konzertreihe aufbauen, um der aktuellen Musik einen festen, wiederkehrenden Hörplatz zu ermöglichen. Schon am 27. März kann man wieder in das KlangNetz hineinhorchen: ein weiteres "Short Concert" widmet sich dann der Beziehung zwischen den Schriftstellern Marina Zwetajewa und Rainer Maria Rilke, bei der sogar Dresdens Weißer Hirsch eine Rolle spielt...

(23.3.2013)

Mittwoch, 20. März 2013

Dreimal Amerika

Matinee des Hochschulsinfonieorchesters in der Semperoper mit Gershwin, Britten und Dvorak

Traditionell veranstaltet die Hochschule für Musik mindestens eines ihrer Orchesterkonzerte der Saison in der Semperoper - die sonntägliche Matinee erhält auf diese Weise einen festlichen Rahmen, der überdies gut geeignet ist, um die jährliche Verleihung des Carl-Maria-von-Weber-Stipendiums an besonders begabte Studenten des Institutes vorzunehmen. 2013 erhalten Ho Jeong Lee (Klavier) und Steffen Roth (Schlagzeug) das von der Stiftung Kunst und Kultur der Ostsächsischen Sparkasse finanzierte Stipendium - neben der knappen Laudatio und biografischen Bemerkungen im Programmheft erfährt man über die beiden jungen Künstler wenig; so bleibt die Hoffnung, dass man den beiden in musikalischer Umgebung bald erneut begegnet.

Zwei anderen Solisten blieb es vorbehalten, dem Publikum im ersten Teil des Konzertes ihr Können darzubieten. Dabei bewies die Pianistin Hesu Lee (Klasse Prof. Pruggmayer-Philipp) bei der Wahl ihres Stückes kein glückliches Händchen, denn zu George Gershwins kurzem und allseits bekannten Reißer "Rhapsody in Blue" fand sie keinen überzeugenden Zugang. Diese Rhapsodie benötigt Freiheit, Frechheit und ein entsprechendes Temperament des Solisten. Lee hingegen ordnete Gershwin in das spätromantische Klavierrepertoire ein und zeigte zwar eine makellos exakte Ausführung, die aber hier ebensowenig gefragt ist wie die ungünstig zerdehnten Fermaten und die albumblattähnliche Ausführung von Blues-Melodik. In dieser Atmosphäre wagte das Hochschulorchester unter Leitung von Rektor Ekkehard Klemm auch nicht den letzten Kick, obwohl das einleitende schöne Klarinettensolo und manch rhythmische Verve gefielen.

Amerikanisch war das ganze Sinfoniekonzert geprägt: wenngleich der englische Komponist Benjamin Britten, dessen 100. Geburtstag dieses Jahr begangen wird, sich nur zwischen 1939 und 1942 in den USA aufhielt, schrieb er dort ein gewichtiges, dennoch selten zu hörendes Werk: sein Violinkonzert Opus 15 hat sich im Konzertrepertoire nie wirklich durchgesetzt. Die aus Tschechien stammenden Solistin Lenka Matejakova (Klasse Prof. Jörg Faßmann) leistete Überzeugungsarbeit für Britten und begeisterte das Publikum mit einer völlig souveränen und intensiven Interpretation. Wo der Tonsatz Brittens Gefahr läuft, zu trocken zu klingen, fand Matejakova zu großen Bögen und viel innerer Dramatik, die vor allem den Ausklang des 3. Satzes bestimmte. Nur zu bestaunen war auch ihr Mut, die großen G-Saiten-Passagen mit vollem Einsatz anzugehen und eine harte, aber niemals unflexible Tongebung in den schlagzeugartigen Passagen im 2. Satz zu wählen. Klemm fand in der Begleitung schnell zum typischen Britten-Klang in der Mischung aus sauber ausgehörter Harmonik und raffiniert angelegter Rhythmik.

Nach der Pause erklang das wohl berühmteste Werk eines Europäers in der "neuen Welt" - Antonin Dvoraks 9. Sinfonie war für das studentische Orchester ein volltönend-dankbares Werk, in welchem Klemm auf viel Lebendigkeit und das natürliche Ausspielen ruhiger Passagen setzte. Manch Wackler war da durchaus verschmerzbar, denn hier fand das Hochschulorchester insgesamt zu gutem, in der Dynamik wie in der thematischen Ausgestaltung sehr ansprechendem Spiel.

Samstag, 16. März 2013

Kein musikalisches Vergnügen

Staatsoperette Dresden gastierte mit einem Weill-Konzert in der Musikhochschule

An den Theatern wird vor Premieren oft ein Aberglauben zitiert, der besagt, wenn eine Generalprobe schiefgehe, werde die Premiere sehr gut. Eine Studie darüber steht aus, und in der Realität gibt es natürlich alle denkbaren Konstellationen. Sollte eine Generalprobe jedoch öffentlich stattfinden, so wäre die Deklaration als solche wünschenswert, um keine Erwartungen zu enttäuschen.

Zum Gastspiel der Staatsoperette Dresden im Konzertsaal der Dresdner Musikhochschule wurde "Ein besonderes Konzert" annonciert, das einen Tag später als Abschlusskonzert des Kurt-Weill-Festes in Dessau gegeben wurde. Doch im Laufe des Konzertes wurde man den Eindruck nicht los, dass Dresden nur als flotte Durchgangsstation für Dessau benutzt wurde und die Leistung keinesfalls konzertreif war. Zudem kamen dramaturgische Probleme hinzu, die man leicht hätte vermeiden können: die ohnehin opulente Stückauswahl wurde um weitschweifige Moderationen - mit sämtlichen Geburtsdaten der Komponisten! - ergänzt, so dass allein der erste Teil des Konzertes eineinhalb Stunden dauerte.

Gänzlich desavouiert musste sich das Dresdner Publikum nach der Pause vorkommen, als der scheidende Chefdirigent Ernst Theis einen Suitensatz von Kurt Weill mit den Worten "Das können wir so nicht stehen lassen" wiederholen ließ und zweimal mit dem Orchester ansetzte, um einen durch diesen Vorfall kaum verbesserten neuen Durchlauf zu präsentieren. Dabei traf die Musiker wohl die geringste Schuld, denn diese mussten sich für dieses Konzert offenbar sehr kurzfristig durch einen ganzen Berg von wahrlich nicht bekannten Noten gearbeitet haben. Schade war es eigentlich um das schöne Konzept des Abends, der Kurt Weill im Lichte seiner Wurzeln und musikalisch-geografischen Verbindungen zeigte.

Durchaus erhellend war die Verbindung Weillscher Erfolge der 20er-Jahre mit amerikanischen Broadway-Musiken von George Gershwin und Leonard Bernstein, mit dessen "Jefferson Sunday Luncheon March" das Konzert auch seine quicklebendige Einleitung erhielt. Doch Gershwins Einakter "Blue Monday" hätte auch im Ausschnitt präsentiert werden können und die der Stilistik von Igor Strawinsky nahestehenden Orchestervariationen von Marc Blitzstein, einem Förderer und Bewunderer von Weill, wirkten deplatziert, weil das schwer zugängliche Stück von Theis und dem Orchester auf einem kärglichen Stand der Erarbeitung und des Verständnisses befindlich war. Immer wieder war auch zu spüren, dass vor allem die Bläser kaum mit der Akustik des Saales zurechtkamen, Theis unternahm aber keinerlei Anstrengungen, um schneidend scharfe Trompeten zu sensiblem Spiel anzuleiten. Abstimmungsprobleme mit dem Orchester gab es selbst in den Berliner Theaterliedern - ein ums andere Mal holperten Tempi, wurde eben begleitet, "wie es gerade kam".

Mit so einer Grundeinstellung hatten es die zahlreichen Solisten schwer, ihre Kunst über die Rampe zu bringen, völlig überzeugend gelang dies nur Olivia Delauré mit einer mitreißenden Interpretation der "Saga of Jenny" aus "Lady in the Dark" von Kurt Weill, an der auch der insgesamt sehr ansprechend musizierende Chor der Staatsoperette seinen Anteil hatte. Nach zweieinhalb Stunden wurden auch noch Radiomusiken der 30er-Jahre mit einem rekonstruierten Werk von Paul Hindemith in das Programm einbezogen, das war eindeutig zuviel des Guten. Wenn sich die Staatsoperette neben ihrem ehrenvollen und arbeitsintensiven Theateralltag solchen im Grunde sehr spannenden Sonderprojekten widmet, wäre doch mehr Sorgfalt in der Vorbereitung wünschenswert - eine angestrengte Probenatmosphäre für ein auswärtiges Gastspiel bereitet jedenfalls keinem Zuhörer wirkliches musikalisches Vergnügen.

Freitag, 1. März 2013

Unter dem Brennglas

Rezital der Capell-Virtuosin Lisa Batiashvili

Um die Zukunft der klassischen Musik muss uns nicht bange sein - gerade bei den Instrumentalvirtuosen strebt eine jüngere Generation derzeit nach dem Olymp. Beständig werden jedoch kaum die Künstler sein, die über das beste Marketing verfügen, sondern stetig in ihren Interpretationen aufhorchen lassen. Die Georgierin Lisa Batiashvili (geboren 1979) ist einer der dieser hoffnungsvoll aufstrebenden Sterne - die Sächsische Staatskapelle konnte sich schon mehrfach von ihrem Spiel begeistern lassen und ernannte die Geigerin in dieser Saison zur Capell-Virtuosin.

Ein erstes Dokument dieser Zusammenarbeit war die CD-Veröffentlichung des Violinkonzerts von Johannes Brahms mit der Kapelle unter Leitung von Chefdirigent Christian Thielemann. Am Montagabend stellte sich die Künstlerin im ausverkauften Konzertsaal der Musikhochschule bei einem Violin-Rezital vor. Schubert, Liszt, Telemann, Beethoven - mit den Werken dieser Komponisten hätte man ein klassisches, möglicherweise "normales" Konzert erwartet.

Doch die Werkauswahl und die Interpretationen verwandelten diesen Kammermusikabend zu einem außergewöhnlichen Ereignis, in welchem Wiener Klassik und romantische Seele mal reizvolle Verknüpfungen eingingen, mal scharfe Kontraste bildeten. Lisa Batiashvili, das war von den ersten Tönen der Sonate A-Dur von Franz Schubert an klar, muss die Temperamente der Werke nicht erst herauskitzeln, sich nicht lange einfühlen. Batiashvili ist mit dem Aufschlagen der Noten bereits eingetaucht und verläßt diese erst mit Aufbranden des Applauses wieder. Was manchmal wie ein Kokon wirkt, wie die Geigerin in völliger Ruhe den musikalischen Linien nachgeht, erscheint im Nachklang höchst überzeugend. So arbeitete sie auf völlig natürliche Weise mit dem flexiblen Klang ihrer ex-Joachim-Stradivari sowohl die Liedwelten der A-Dur-Sonate als auch deren kantige Faustschläge im Scherzo heraus.

Schubert erscheint auf diese Weise nah, realistisch und gleichzeitig erbarmungslos - bei Batiashvili erreicht ein forte eine unbarmherzige Kraft, so dass in Schuberts "Rondo brillant" vor der Pause trotz des harmonischen Dickichts von atemloser Spannung getragen war. Kongenialer Partner dieses Spiels war der britische Pianist Paul Lewis - selbst ein hochgeschätzter Experte der Klaviersololiteratur zwischen Klassik und Romantik. Federleicht trug er Batiashvili durch das Programm, ein stetiges Geben und Nehmen intensivierte das Hörerlebnis. Lewis steuerte zwei späte Klavierstücke von Liszt ("Unstern" und "Schlaflos! Frage und Antwort") bei, deren ebenfalls ausgestellte Ruhe in der Interpretation den Eindruck verstärkten: Romantik durch ein Brennglas betrachtet, hier sogar verstörend und erschreckend schnörkellos.

Nach der Pause bewies Batiashvili mit einer kurzen Telemann-Fantasie, dass sie auch für Barockes einen klar perlenden, unwiderstehlichen Tonfall besitzt, bevor Beethovens letzte Violinsonate G-Dur Opus 96 das Programm beschloss - und erneut war Zurücklehnen hier strengstens verboten, zog Batiashvili das Publikum mit astreiner Intonation und einer unglaublich sanglichen Bogenführung im Adagio in ihren Bann. Auch das Scherzo war hier statt in lässiger Entspannung in einer gestochenen Schärfe verfolgbar, das Finale geriet noch einmal zum mustergültigen Diskurs über die verschiedenen in der Sonate aufgestellten Temperamente. Mit zwei Zugaben verabschiedete sich die Virtuosin am Ende und hinterließ ein begeistertes Auditorium, das hier Kammermusik par excellence erleben durfte.

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