Montag, 18. Februar 2013

Außergewöhnliche Begegnung

Fazil Say und Gábor Boldoczki zu Gast im Philharmonie-Konzert

In der Reihe "Komponist und Interpret" stellte die Dresdner Philharmonie am vergangenen Wochenende den türkischen Pianisten und Komponisten Fazil Say vor - ein exzellenter Pianist, der vielbeschäftigt neben Auftritten am Klavier in den letzten Jahren verstärkt zu verschiedenen Residenzen als Komponist eingeladen wurde und mittlerweile über ein interessanten Werkkatalog in instrumentalen und vokalen Genres verfügt. Dabei hebt Say als "Künstler zum Anfassen" gern die Grenzen konventioneller Darbietungen auf, äußert sich als zeitkritischer Kommentator der Zeitläufte und läßt aktuelles Geschehen und heimatliches Kolorit in sein Werk und Wirken einfließen.

Das absolute "Müssen" der künstlerischen Aussage bei gleichzeitigem Kreativitätsüberfluss wird bei Say zum Programm - in jedem Fall ist ein Konzerterlebnis mit diesem Künstler außergewöhnlich, davon überzeugte sich auch das Auditorium im ausverkauften Schauspielhaus am Sonnabend. Neben Fazil Say war ein weiterer Ausnahmemusiker zu Gast: der ungarische Trompeter Gábor Boldoczki interpretierte zu Beginn Says Trompetenkonzert Op. 31, 2010 von ihm bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern uraufgeführt. Zugänglich und zugleich raffiniert komponiert präsentierte sich dieses Werk, in dem Say bei nicht übergroßer Besetzung das Orchester farbig und vielseitig behandelt. In drei Sätzen werden die Ausdrucksqualitäten der Trompete ausgelotet, wobei an wenigen Stellen die Konventionalität der Harmonik und Motivik fragwürdig erscheint. Überraschende Klangfarben oder die im zweiten Satz durchgeführte parallele Rhythmisierung von "5 gegen 6" machen das Konzert aber kurzweilig. Boldoczkis völlig souveräne Interpretation mit Sinn für Cantabile und gleichermaßen rhythmischer Verve ließ aufhorchen - für die Philharmoniker unter umsichtiger Leitung von Chefdirigent Michael Sanderling war diese Art Musik sicher neu, man spürte aber Entdeckergeist und arbeitete die Schönheiten der Musik sehr gut heraus.

Als Interpret am Klavier gesellte sich dann Fazil Say im folgenden Stück mit auf die Bühne - Dmitri Schostakowitschs Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester war im Aufeinanderprallen unterschiedlichster Ausdruckswelten sicher eine gute Wahl. Doch Say und Boldoczki wollten temperamentsmäßig nicht recht zueinander passen. Wo Boldoczki fast zuviel Glanz und Noblesse verbreitete, fand Say an diesem Abend gar nicht zum Stück - der erste Satz war von holpernder, ungestümer Agogik gezeichnet, so dass die Partitur die Transparenz vermissen ließ, die die Kontraste erst zur Spannung führen kann. Auch im Orchester waren manche Reaktionen und Schattierungen nicht homogen auf den Punkt gebracht. Say steigerte zwar zum Finale hin seine Sicherheit in der Gestaltung, aber befriedigen konnte diese Interpretation, der vor allem eine ruhige Basis und Überlegenheit in der motivischen Darstellung fehlte, nicht.

Als sinfonisches Werk nach der Pause hatte Sanderling ein Stück ausgewählt, das in interessanter Korrespondanz zu den "Neutönern" der ersten Hälfte des Konzertes stand. Wolfgang Amadeus Mozarts Sinfonie g-Moll KV 550, die mittlere der drei großen letzten Sinfonien, ist wie kaum eine andere in Mozarts OEuvre vom intensiven Ringen um den Ausdruck, von Abbrüchen und Neuanfängen und letztlich einer nur genial zu nennenden Lösung in den Proportionen der vier Sätze gekennzeichnet. Sanderling zeigte mit der Dresdner Philharmonie eine hervorragende Interpretation, hob genau diese markanten Passagen vor allem in den Ecksätzen hervor, zeigte die feinen Kontraste im Menuetto auf und ließ den zweiten Satz in der klanglichen Themenausformung quer durch das ganze Orchester zum Juwel formen. Dafür gab es starken, berechtigten Applaus.

(ersch. 11.2.13)

Dokument genialer Größe

Christian Thielemann dirigiert Gedenkkonzert der Sächsischen Staatskapelle

Dem Dresdner Gedenktag am 13. Februar kann man in verschiedener Weise beiwohnen - ganz im Stillen zum Glockengeläut, zu Andachten, Kundgebungen und Demonstrationen. Neben der Stille kann eine adäquate musikalische Darbietung zu derartigen Anlässen emotional intensiv berühren. Wo angesichts der Unfassbarkeit von Geschehnisse Worte versagen oder wo Leiden eines Ventils bedarf, hilft und tröstet Musik uns seit Jahrhunderten, leitet die Gedanken und kann zurück ins Leben führen.

So sind in Dresden Requiem-Vertonungen bedeutender Komponisten traditionell Gegenstand der Konzerte zum 13. Februar. Die Sächsische Staatskapelle Dresden wählte in diesem Jahr das Requiem d-Moll KV 626 von Wolfgang Amadeus Mozart aus - ein zeitloses Dokument genialer Größe, wenngleich der genaue Blick auf die Noten und Entstehungsgeschichte bis heute noch einiges an Diskussion bietet – Mozarts Requiem ist unvollendet und die hier praktizierte Süßmayr-Fassung ist verbreitet, aber auch in letzter Zeit zumindest um einige Varianten bereichert worden. Chefdirigent Christian Thielemann liegt ein "neuer Mozart" denkbar fern; aufführungspraktische Fragen oder Fassungsalternativen geraten nicht ins Blickfeld des Dirigenten, und für musikwissenschaftliche Diskurse ist das Podium an diesem Tag nicht bestimmt.

Doch fragt man sich nach dem Konzert, ob Thielemanns hier offenliegender konservativer Interpretationsansatz ein freies, heutiges Hören und damit eine Öffnung für die vielfältigen Emotionen im Werk ermöglicht hat – eine innerliche Bewegung, eine intensive Annäherung oder Identifikation mit der Musik war bei diesem Konzert schwierig zu erreichen. Es mag konzeptionell begründet sein, das Orchester nicht dynamisch zu reduzieren, wenn der Chor singt - die ersten drei Sätze wirkten auf diese Weise wie eine massive Wand, die auf den Zuhörer eindringt. Besonders angenehm erschien dieses von stets breit ausspielenden Streichern geprägte, kaum entspannte und historisierende Klangbild jedoch nicht – Thielemann verschiebt Mozart in eine Ausdruckswelt des 19. Jahrhunderts, wo er schlicht nicht hingehört. Viele Nuancen des Werkes gingen verloren, eine Themenausgestaltung mit Textausdeutung war zu wenig zu bemerken.

Christian Thielemann setzte in dem Werk viel mehr auf eine großbögige Satzspannung mit streng geführten, durchaus passenden Tempi in den Fugati. Erst ab dem Recordare griff Thielemann auch spontan stärker in das Geschehen ein und leitete die Streicher zu ausdrucksvollem Piano an. Spannungsvoll geriet das Insistieren im Lacrimosa, die erneute Übersteigerung der Dynamik bis zum fortissimo im Sanctus machte aber die Atmosphäre wieder zunichte. Der von Pablo Assante hervorragend einstudierte Chor der Staatsoper folgte Thielemanns Intentionen stets mit höchst professioneller Aufgabenerfüllung, hatte aber zu wenig Gelegenheit seine Potenziale zu zeigen - warum wurde etwa das Kyrie lediglich skandiert anstelle mit Zielpunkten und Emphase ausgefüllt?

Trotz vieler Fragen gab es in dieser Aufführung auch Genussmomente wie das vom Chor sehr empfunden vorgetragene Hostias , auch das aufmerksam und klangschön agierende Bläserensemble überzeugte sehr. Das homogene, mit dem Werk höchst vertraute Solistenquartett (Genia Kühmeier, Christa Mayer, Daniel Behle, Alastair Miles) brachte sich mit schlanker Stimmgebung ein und vermochte gut die Ruhepunkte zwischen den großen Chören zu bestimmen. Im in der Süßmayr-Fassung auf den Beginn verweisenden Lux Aeterna formte Thielemann eine Steigerung hin zur sehr gehaltenen Schlusskadenz, bevor das Auditorium der Musik noch einige Sekunden innerlich nachhören konnte und sich dann zu einer Gedenkminute erhob.

Das behutsame Beschreiben der Arten

Kammermusik von Benjamin Schweitzer auf einer wergo-Porträt-CD

schweitzer-cd

Beim renommierten Label Wergo, das sich der Musik der Gegenwart widmet, ist im Herbst 2012 eine neue Porträt-CD erschienen, diesmal kann man Werke des Komponisten Benjamin Schweitzer (*1973) entdecken. "courage" - das Dresdner Ensemble für zeitgenössische Musik interpretiert darauf insgesamt sechs Ensemble- und Kammermusikwerke, die zwischen 2005 und 2008 entstanden sind. Schweitzer ist dem Ensemble, das er selbst 1997 während seiner Studienzeit in Dresden gegründet hat, sehr verbunden - zahlreiche Werke entstanden direkt für das Ensemble oder deren Solisten.

Insofern muss man von einer glücklichen und auch kompetenten Verknüpfung sprechen, denn die Sprache des Komponisten ist den Musikern höchst vertraut, dies strahlen die Interpretationen unter dem Dirigat von Titus Engel bereits beim ersten Anhören aus. In Kenntnis von Benjamin Schweitzers Werkkatalog erscheint interessant, dass brennpunktartig aus einer bestimmten Schaffensphase heraus Werke ausgewählt wurden, die - so verrät der von Stefan Drees geschriebene Programmhefttext - einen Wendepunkt markieren, der sich einer Suche nach neuen Ausdrucksformen verdankt. Wer mit zeitgenössischer Musik nicht vertraut ist, mag Schwierigkeiten mit der wissenschaftlich fundierten Betrachtung der Stücke im Booklet haben, doch das Hörerlebnis zeichnet genau die "Erfahrungsräume" nach, die Schweitzer in seinen Kompositionen (er)findet.

Dass dies gut gelingen kann, dafür sorgt die extreme Konzentration, die Schweitzer den Stücken angedeiht. Auf diese Herangehensweise muss man sich auch beim Hören einlassen, denn im Vorbeigehen lassen sich die Stücke keinesfalls erschließen. Überflüssige Noten, Überraschungen und schroffe Gegensätze finden sich selten, stattdessen erhält jedes Stück seinen eigenen Klangraum, dessen Regularien eng oder weit gefasst werden können: im Abtasten der Möglichkeiten, im Ausreizen der selbst verordneten Grenzen entsteht die Spannung dieser Musik. Verschmerzbar ist das Fehlen des Textes zu den die CD umrahmenden "Dafne-Fragmenten" mit Sopran (Olivia Stahn), wenn man die instrumentale Einbettung der Vokalstimme verstanden hat - die ganz eigene Qualität des Abgesangs, des Abschiedes steht hier ohnehin im Vordergrund. Faszinierend ist auch, wie sich in "achteinhalb" für Ensemble ohne Schlagzeug ein recht rauher Ensembleklang nach und nach immer mehr erweitert und zu stets ausdrucksstarken Linien und Entwicklungen auffächert.

"Anfänge/Netze" lädt den Zuhörer zu einer Standortbestimmung ein und vermeidet Verbindlichkeit, während "dull roots & spring rain" versucht unter maximaler Reduktion eine einzige, in sich aber variantenreiche Klangebene zu entfalten. Was hier in verschiedenen Instrumentalbesetzungen (spannend auch das Quartett "entschlackt" in der ungewöhnlichen Anordnung von Oboe, Trompete, Cello und Klavier) in großer Vielfalt der Instrumentalfarben gezeigt wird, erinnert fast an biologische Vorgänge: Schweitzer ist ein Schmetterlingsforscher unter den Komponisten, der das behutsame Beschreiben der Arten beherrscht und am Ende in den Erfahrungsräumen nach "Schönheit" sucht, die sich eben nicht in der bequemen Konvention niederschlagen muss, sondern in fein ausgehörtem Ensembleklang, im Zusammenspiel von Ursache und Wirkung. Eine CD mit spannender, auch in einem sehr durchhörbaren Klangbild aufgenommenen Kammermusik, deren konzentriertes Hören - ein Kopfhörer erscheint für die Erkennung vieler Zwischentöne sinnvoll - in jedem Fall den musikalischen Horizont erweitert.
Alexander Keuk

* Benjamin Schweitzer: Kammermusik, courage - Dresdner Ensemble für zeitgenössische Musik, Leitung: Titus Engel (wergo)

Linktipp: Homepage Benjamin Schweitzer

Der Seele am nächsten

Alfred Brendel und Peter Gülke im Gespräch über Franz Schubert

Er spielt nicht mehr. Das hinzunehmen haben wir eine Weile gebraucht, dass Alfred Brendel, einer der größten Pianisten der Gegenwart, sein Instrument in der Öffentlichkeit nicht mehr anrührt. Sein Lebenswerk ist uns durch Erinnerungen an große Konzertabende und eine überreiche Diskographie präsent - den Komponisten der Wiener Klassik hat er Denkmäler gesetzt, aber keine, die unverrückbar und unantastbar sind. Die Beschäftigung mit der Musik reicht bei großen Künstlern weit über die Einverleibung der Noten hinaus, und so dürfen wir uns glücklich schätzen, dass Brendel uns als brillanter Essayist, Poet und Gesprächspartner an seinem Erfahrungs- und Wissensschatz weiterhin teilhaben läßt.

Eines seiner Bücher trägt den pragmatischen Titel "Nachdenken über Musik" - das wird schon fast zum ironischen Understatement, wenn man weiss, wie tief Brendel musikalisch wie verbal - oft auch mit hintersinnigem Humor - in die Materie einzudringen vermag. Alfred Brendel war am Dienstagabend zu Gast bei der Sächsischen Akademie der Künste im Blockhaus - im Dialog mit Peter Gülke war der Abend der Persönlichkeit von Franz Schubert gewidmet. Es wäre ein Leichtes gewesen, allein die Verdienste beider Herren um dessen Musik, ihrer Aufführung, Editierung und Analyse herauszustellen - denn Gülke ist als Dirigent und Musikwissenschaftler sowohl interpretatorisch als auch als Autor und Herausgeber ebenfalls ein profunder Schubert-Kenner.

Doch das Gespräch bezog seinen Reiz vor allem aus dem sich entfaltenden Faden der spannenden Rezeptionsgeschichte von Schuberts Werk, die beide in lockerer Weise anhand ausgewählter Kompositionen, der Biografie und der unmittelbaren Musikgeschichte um und nach Schubert beleuchteten. Mit dem "großen Beethoven" im Nacken, der ja nur ein paar Straßen weiter in Wien wohnte, sind manche Feinheiten und kompositorische Entscheidungen, aber auch Merkwürdigkeiten im Werk Schuberts sicher begründbar, doch auf die "strapaziöse Nachbarschaft" eingegrenzt werden darauf darf die Persönlichkeit Schuberts keinesfalls. Brendel und Gülke wiesen deutlich auf die Problematik einer Vermengung von Biografie und Werk hin und zeichneten ein Bild des Komponisten, bei dem respektvoll eben nicht die letzten Antworten gegeben werden sollten - die schwierige Deutung etwa von Schuberts Akzent-Notation stand hier stellvertretend für das "Nachdenken", einen wissenschaftlichen Umgang mit dem Werk, der aber eben eine bestmögliche Annäherung darstellt und den Diskurs zuläßt.

Brendel bescheinigte Schubert einen "unglaublichen Instinkt" und widersprach dem Vorwurf "unpianistischer" Kompositionen - offenkundig und komplex sind da auch die Bezüge zum kammermusikalischen und sinfonischen Werk. Von Unruhe, Schaffensdrang und Schaffensgeschwindigkeit, Krankheit und dem persönlichen Umfeld des Komponisten war schlaglichtartig die Rede und insbesondere die letzten Werke wurden als Kosmos eigener Qualität charakterisiert. Obwohl nach Schuberts Tod 1828 des Komponisten Meisterschaft im Lied immer unbestritten war, setzte eine wirkliche Renaissance der Klavierwerke Schuberts erst nach dem zweiten Weltkrieg ein - maßgeblich auch unter Brendels Beteiligung, was hiermit nachgetragen sei.

Sehr treffend waren beider Äußerungen zum Liedschaffen Schuberts: das "mitredende" Klavier war damals eine außerordentliche Kühnheit, doch noch bis ins 20. Jahrhundert hinein war der "Begleiter" eine eigene, eigenartige Profession. Lernen durfte man außerdem, dass dennoch der weit geöffnete Klavierdeckel nicht der Weisheit letzter Schluss im Liedspiel ist, und möglicherweise anwesenden Gesangsstudenten schrieb Brendel ins Lehrbuch, dass Diktion und Konsonanten auch heutzutage durchaus Würdigung vertragen. Brendel und Gülke zogen den Hut vor dem großen Komponisten, ohne aber in Ehrfurcht zu verblassen. Am Ende kam eine freundliche Naivität zu Tage, die dem durchaus akademischen Gespräch eine wunderbare Rundung verlieh: Schubert sei doch schlicht der Seele am nächsten - "man könne nicht mehr sagen, nur weiter staunen".

Drei Länder - drei musikalische Welten

"Erste Anhörung" an der Musikhochschule

Eine äußerst sinnvolle und in den vergangenen fünf Jahren erfolgreich erprobte Kooperation zwischen der Dresdner Musikhochschule und der Dresdner Philharmonie wurde am Montagabend im Konzertsaal der Hochschule fortgesetzt: die "Erste Anhörung", durchgeführt vom "KlangNetz Dresden", das seit November 2012 als gemeinnütziger Verein die vierjährige Projektphase des "Netzwerk Neue Musik" in Dresden in die Zukunft überführt. Die Erste Anhörung ist nur eines von vielen Vorhaben, die auch künftig fortgesetzt werden sollen.

Hier handelt es sich um die workshopartige Erprobung neuer Orchesterwerke von Kompositionsstudenten. Einmal im Jahr erhalten diese so die Möglichkeit coram publicam ihre Stücke von einem Profi-Orchester vorstellen zu lassen. Dass eine solche Veranstaltung Grenzen hat, ist vorstellbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass nur ein Tag Probe und Workshop machbar und möglich ist. Trotzdem lernen alle davon: Musiker und Dirigent lassen sich auf Neues ein und versuchen bestmöglich eine Partitur in Klänge zu verwandeln, die Komponisten - ohnehin selten mit Orchesteraufträgen gesegnet, können ihre Ideen "am Objekt" realisieren. Schließlich lernt das interessierte Publikum eine Handvoll neuer, junger Handschriften kennen. Am Montagabend repräsentierten drei Studenten aus den Klassen von Mark Andre und Manos Tsangaris auch die Internationalität der Hochschule: aus Japan, Griechenland und den Vereinigten Staaten stammen die Autoren der Stücke.

Moderator Jörn Peter Hiekel stellte im Gespräch mit den Studenten die Werke kurz vor - allerdings geriet genau dieser Part diesmal unbefriedigend, denn die drei Komponisten wollten oder konnten kaum Stellung nehmen zu ihren Stücken - vermutlich ist man zu sehr in der Materie, als dass man einen plastischen Überblick zu formulieren in der Lage ist, genau dies wäre aber für einen unvorbereiteten Hörer interessant gewesen. Trotzdem konnte man sich beim Zuhören den Stücken ebenso vorsichtig und aufmerksam nähern, wie dies auch die Philharmoniker auf der Bühne taten.

Unter Leitung des jungen Dirigenten Alexander Merzyn - der 2013 Chefdirigent Michael Sanderling in Dresden assistieren wird - erklang zu Beginn "Band" für Orchester von Aoi Kita, ein multimediales Projekt, in das auch die Künstlerin Carla Richter involviert war. Der Titel war hier Programm: Bänder und Wellen durchzogen das flächig angelegte Stück, das einige Male durch ständiges An- und Abschwellen des Apparates fast eine Schwerelosigkeit erzeugte. Joseph Lake (USA) erforschte mit "Signals of half-occulted senses" das Innenleben von Klängen. Hier entstanden viele reizvolle, sich ineinander webende Klangarchitekturen, die immer am Rande des Verklingens angesiedelt waren. Problematisch wirkte die Statik des Stückes auf dem Zeitstrahl, so dass eine Zweidimensionalität entstand, die ein wenig auf der Stelle trat.

Waren hier schon zwei völlig unterschiedliche Welten berührt, so fügte Eleftherios Veniadis mit "Gogo und Didi" nach Becketts "Warten auf Godot" eine dritte hinzu: eine Theatermusik entfaltete sich vor Auge und Ohr, bei dem die Weillsche Strenge der Orchesterbehandlung und Form sowie die etwas platte rhythmische Umsetzung von Sprache in Musik leider das ganze Stück ins Holpern brachte. Veniadis zwang Beckett in ein Korsett, das viel zu eng geschnürt war und zu stark an expressionistische Versuche in genau diesem Genre (Funkoper, abstrakte Theatermusiken) des beginnenden 20. Jahrhunderts erinnerte. Die Problematik offenbarte sich also gar nicht so sehr in den vermutlich erwarteten Spielschwierigkeiten, sondern im Umgang mit Aussage, Form und Zeit - letztlich der Formulierung der ästhetischen Position der Komponisten, wobei Aoi Kita vermutlich das am besten funktionierende Konzept des Abends gelungen ist. Die Lebendigkeit der Veranstaltung sei ebenfalls hervorgehoben: alle Protagonisten waren sehr engagiert bei der Sache, um den inspirierten Künstlern von Morgen eine professionelle Stimme zu geben - das ist ehrenwert.

(ersch. DNN 30.1.13)

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