Rezensionen
Sächsische Staatskapelle in der Frauenkirche unter Vladimir Jurowski
Am Vorabend des Totensonntags gastierte die Sächsische Staatskapelle mit einem für diesen Tag angemessenen Programm in der Frauenkirche. Dass das Konzert aber gleichzeitig ein Gedenkkonzert für zwei herausragende und mit dem Orchester verbundene Musikerpersönlichkeiten werden sollte, war nicht geplant. Gerade dieser letzte Sonntag des Kirchenjahres ist aber dazu bestimmt, zurückzublicken, sich Menschen zu erinnern, die Bedeutendes hinterlassen haben, damit weiterleben obwohl sie nicht mehr unter uns sind. Schmerzlich war der plötzliche Tod des großen Komponisten Hans Werner Henze am 27. Oktober in Dresden - da war bereits das "Requiem", das Henze 1992 in Gedenken an Michael Vyner schrieb, für das Frauenkirchen-Konzert projektiert.
Es wurde sein eigenes Requiem, eingebettet in eine Instrumentation der "Kunst der Fuge" von Johann Sebastian Bach, die der Dirigent Rudolf Barschai kurz vor seinem Tod 2010 vollendete - postum wurde ihm 2010 der Schostakowitsch Preis Gohrisch zuerkannt, das Gastspiel beim Festival in Gohrisch kam nicht mehr zustande. Das Konzert der in großer Kammerorchesterbesetzung musizierenden Staatskapelle war äußerst bewegend und auch in der Musizierhaltung entsprechend von Respekt und Fürsorge für die Partituren geprägt. Dass ausgerechnet solch ein anspruchsvolles Programm als Partnerkonzert mit dem Gustav-Mahler-Jugendorchester, deren Mitglieder in allen Instrumentengruppen am Konzert mitwirkten, durchgeführt wurde, ist schon deshalb lobenswert, weil die jungen Musiker aus diesem gemeinsamen Konzert sicher viel mehr mitnehmen werden als die bloße Repertoire-Erfahrung. Vladimir Jurowski, Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra, war weniger Dirigent, als vielmehr behutsamer Sachwalter der Bach'schen Instrumentation und sorgte für allem für eine zur Transparenz führende dynamische Ausbalancierung der Stücke.
Was Bach uns da in höchster Meisterschaft unvollendet hinterlassen hat, durchlief bereits viele Versuche der Realisierung. Scheitern mochte vor allem der, der sich von Bachs Noten gar zu weit entfernte, zuviel Geschmack und Tand hinzufügte. Diese Gefahr besteht bei Barschais Umsetzung niemals - er wählte ein Streichorchester mit einem auf die Contrapuncti abgestimmten solistisch agierenden Ensemble aus Violine, Viola d'amore, Cello, Gambe und einigen Blasinstrumenten und besann sich auf die originale Stimmführung. Das Orchester bemühte sich um ein klares Klangbild, doch selbst vor dem Altarraum war die faszinierende Polyphonie im steten Widerstreit mit der Akustik des Raumes befindlich, so dass vor allem die abschließende Quadrupelfuge nicht mehr sauber zu verfolgen war, gleichwohl sich alle Musiker um Prägnanz und einen klanglichen Kompromiss zwischen heutigem Kapellklang und historisch informierter Spielweise bemühten.
Hans Werner Henzes "Requiem" bezog seine enorme expressive Kraft vor allem aus der Nachbarschaft mit der kühlen Klarheit der "Kunst der Fuge". Hier die Kontemplation des Denkens, dort die herausbrechenden Schreie und Stimmen des Individuums: Håkan Hardenbergers famos interpretiertes Trompetensolo ist nichts anderes als eine Humanitas in Notenschrift. Eines Textes bedarf es in diesem Requiem nicht, auch die Satzüberschriften aus dem Messtext wirken mehr wie Signale oder Haltungen, die sich formulieren. Hardenberger war 1993 schon Solist der Uraufführung des kompletten Requiems in der Kölner Philharmonie - vor drei Wochen wurde das Werk dort ebenfalls als Gedenkkonzert für Henze musiziert. "Rex Tremendae" und "Lacrimosa" des Requiems wirkten noch als von Brüchen und Gegensätzen geprägte Auseinandersetzung mit dem Unbill der Welt, das "Sanctus" schließlich formuliert Tröstung, Transzendenz und mit den Echo-Trompeten von den Emporen fast so etwas wie eine Himmelfahrt.
Dem Nachklang des letzten Satzes lauschte das Publikum lange, bevor starker Applaus aufbrandete - für eine intensive Interpretation dieses im OEuvre des Komponisten sehr aufschlussreichen, wichtigen Werkes, aber vor allem in Gedenken an Henze selbst. Håkan Hardenberger legte seinen Blumenstrauß sogleich auf die Noten des "Requiems", Bach/Barschai folgte erneut und damit erfuhr dieses Konzert einen als völlig natürlich empfindbaren Bogen hin zu dem unerschöpflichen, wertvollen Reichtum der Musik, die davon künden kann, woher wir kommen und wohin wir gehen.
Trompeterin Alison Balsom gastierte in der Frauenkirche
Als "Paganina" der Trompete wird sie bezeichnet - auch wenn man verstehen kann, was damit gemeint sein soll, wäre für die Britin Alison Balsom vermutlich der königliche Begriff der "Queen" angebrachter, es scheint auch geografisch einleuchtender und verbindet sich zudem mit ihrem neuesten CD-Album. Doch mit solchen Titulierungen erfasst man ohnehin nur äußerlich das eigentliche Musikerlebnis. In der Frauenkirche war am vergangenen Sonnabend die Startrompeterin gemeinsam mit dem "kammerorchesterbasel" im Konzert zu erleben.
Das Programm mochte sich nicht recht entscheiden zwischen Wiener Klassik und "British Light Classics", darin lag auch eine gewisse Schwierigkeit in der Abfolge. Für die Rezeption zumindest von James McMillans Trompetenkonzert und Edward Elgars Streicherserenade müßte man den Begriff der "Leichtfälligkeit" oder gar Überbekömmlichkeit noch erfinden. Dass MacMillans Concertino "Seraph" (Engel) erst im letzten Jahr uraufgeführt wurde, mochte man bei all den süffigen Kantilenen und postromantischen Streicherflächen gar nicht glauben. Alison Balsom erledigte dennoch pflichtgemäß ihre solistischen Aufgaben im Gewusel der Stilkopien - dass ein bedeutungsloser Triller das Konzert abschloss, wirkte nicht einmal als Effekt sondern bloß als Karikatur einer Komposition, deren strikte Ästhetik der Gefälligkeit jeglichen Ausdruck erschlug.
Der Kürze dieses Werkes ist zu verdanken, dass Balsom noch genügend "Luft" für ein zweites Solokonzert hatte. Das bekannte Trompetenkonzert Es-Dur von Joseph Haydn ist ein Geniestreich vor allem in der Effektivität der Mittel, was auch dazu geführt hat, dass das Thema des dritten Satzes heute von allen Dächern gepfiffen wird. Balsom zeigte hier erneut ihren schönen, perfekten, manchmal jedoch zu geradeaus geführten Ton. Sowohl MacMillan als auch Haydn gerieten vielleicht eine Spur zu akademisch, um wirklich mitreißend zu wirken. Trotz der exzellenten Begleitung des Kammerorchesters dominierte Balsoms Trompete im Raum derart, dass man vor allem im Tutti-Satz des Haydn-Konzertes nur noch ein Rauschen wahrnahm - ein rein akustisches Problem, das aber auch nicht zu ignorieren war. Man musste bis zur Zugabe warten, um mehr faszinierende Klangfarben von Alison Balsom zu erhaschen: die in schwindelnder Höhe samtweich angesetzte Bearbeitung des Flötenstücks "Syrinx" von Claude Debussy zeigte die Künstlerin in völliger Verschmelzung mit ihrem Instrument.
Zu Beginn stahl das kleine, in der Frauenkirche schon bestens arrivierte kammerorchesterbasel fast der Solistin die Schau: die als Ouvertüre musizierte "Oxforder" Sinfonie Nr. 92 G-Dur von Joseph Haydn geriet mustergültig und ausdrucksstark. Mit kompetenter Aufführungspraxis (Naturhörner und -trompeten) und mit feinem Sinn für die Ecken und Kanten dieses vor Synkopen und Vorhalten strotzenden Werkes überzeugte die Interpretation, die - wie das gesamte Konzert - von der Konzertmeisterin Yuki Kasai geleitet wurde. Das war eine famose Leistung des Zusammenspiels, welche in den weiteren Werken nicht mehr ganz die Einzigartigkeit des Beginns erreichte.
Alexander Keuk
CD-Tipp:
Alison Balsom: "Kings and Queens", Musik von Henry Purcell und Georg Friedrich Händel / EMI
Beethoven und Weber in der "Blauen Stunde" der Dresdner Philharmonie
Gerade zurückgekehrt von ihrer erfolgreichen Tournee durch Großbritannien verwöhnte die Dresdner Philharmonie ihr heimisches Publikum erneut mit einer "Blauen Stunde" im Hygiene-Museum, die sich, dass zeigt der überaus gute Publikumszuspruch, schon jetzt als Erfolgsgeschichte erweist. Neben der angenehmen Sonntagsatmosphäre ist auch die historische Verbindung naheliegend - der Steinsaal diente den Philharmonikern vor der Eröffnung des Kulturpalastes bereits als Spielstätte. Auch das Konzept, eine Stunde Musik ohne Pause anzubieten, geht auf, wenn man eine ansprechende Dramaturgie anbietet - diesmal war es der Einblick in die Musikgeschichte zwischen der Blütezeit der Wiener Klassik und der deutschen Frühromantik - zeitlich gibt es da nahezu keine Grenzziehung, stilistisch jedoch war das Aufeinandertreffen zwischen Ludwig van Beethoven und Carl Maria von Weber erhellend.
Stellt der eine seine sinfonischen Raffinements ganz in den Dienst des Intellekts, der Erbauung durch Reibung und Erweiterung des bisher formulierten sucht, so setzt bei Weber schon das unprätenzöse unterhaltende Element ein, das sich vor allem in der Kammer- und Salonmusik des 19. Jahrhunderts fortsetzt: der Komponist tritt zurück zugunsten des Virtuosen. Sebastian Manz war der Solist in Webers Klarinettenquintett B-Dur, das in einer Fassung mit Streichorchester erklang. Nicht immer ganz abgerundet wirkte der erste Satz, doch Manz fand dann immer mehr zu einer spritzigen, ausgefeilten Spielkultur und ließ die Klarinette singen und tanzen, die Philharmoniker begleiteten aufmerksam, wenngleich die Instrumentation nicht die Feinsinnigkeit des Originals besitzt. Der Rausch der Geschwindigkeit im Finalsatz hätte da gar nicht mehr als Leistungsbeweis herhalten müssen - Manz bekam großen Applaus und bedankte sich mit einer jazzigen Strawinsky-Pièce.
Um Weber herum hatte Chefdirigent Michael Sanderling späte, reife Werke von Beethoven platziert, die - vor allem in der vorwärts stürmenden, aber leider kaum bekannten Ouvertüre "Zur Namensfeier" schon den Duktus der 9. Sinfonie antizipierten. Sanderling selbst schien an diesem Sonntag offenbar von der "Blauen Stunde" weniger das entspannende denn das erregende Farbelement zeigen zu wollen - sehr temperamentvoll und energisch leitete er die Ouvertüre, die so einen großen Spannungsbogen erhielt und mit volltönender Dynamik zelebriert wurde. In der zum Abschluss dargebotenen 8. Sinfonie F-Dur war mehr Raum für Details, Übergänge und eben die raffinierten Nebenstimmen der Werkanlage gegeben. Sanderling kostete die Partitur mit flotter, aber nicht hektischer Tempogebung aus und setzte mit dem jederzeit homogen und stilistisch sicher und punktgenau aufspielenden Orchester einen schönen Schlusspunkt.
Opernausschnitte von Kunad, Matthus und Hanell an den Landesbühnen
Wenn man in unseren Breiten von zeitgenössischer Musik spricht, ist zumeist die aktuelle, gegenwärtig entstehende Musik gemeint. Zwanzig Jahre nach der Wende wird uns bewusst, dass die Pflege der Musik, die zu DDR-Zeiten entstanden ist, heute kaum noch eine Bedeutung hat. Wenige ostdeutsche Komponisten konnten mit ihren Werken den Weg ins Repertoire der Bühnen und Orchester finden. Befragt man heute Komponisten der Generation, die zu Zeiten der DDR häufiger gespielt wurden, so ist eine eindeutige Bewertung nicht zu erreichen - zwar gab es früher mehr Aufträge, Kultur zeigte sich aber immer eingebunden in einen politischen Auftrag, in dem der Kunst in vielfacher Ebene Zügel angelegt waren und Querdenker subtiler formulieren oder gar das unproduktive Schweigen vorziehen mussten.
In diesem Zusammenhang erscheint das Engagement der Landesbühnen Sachsen, in Kooperation mit der Dresdner Musikhochschule eine Reihe namens "Musikzonen - Zonenmusik" zu etablieren, allein schon verdienstvoll im Sinne der Dokumentation und Auseinandersetzung. Diese kann nur geführt werden, wenn man die Werke lebendig erhält und auch von Versuchen und Experimenten berichtet. Der erste Abend enthielt Ausschnitte aus drei Opern, die in verschiedener Weise mit den Landesbühnen Sachsen verbunden sind.
Der im Konzert mitwirkende Tenor Guido Hackhausen war an der Dramaturgie maßgeblich beteiligt und verfasst derzeit eine Dissertation über das ostdeutsche Musiktheater zwischen 1949 und 1989. 1965 wurde an den Landesbühnen "Bill Brook" von Rainer Kunad uraufgeführt, ein Einakter nach einem Text von Wolfgang Borchert, der in vielfältiger Weise die Emotionen im Nachkriegsdeutschland reflektiert. Der Ausschnitt mit dem an einem wüsten Ort herumirrenden Feldwebel (Henrik Marthold) zeigte exemplarisch diese Expressivität, aber auch eine strenge, auf wesentliche Gesten reduzierte Kompositionsweise, in der die drei zu fragwürdigem Leben erwachten Gestalten (Iris Stefanie Maier, Stephanie Krune und Henriette Gödde) kurze, fast irrationale Klagelieder singen. Im von Jan Michael Horstmann moderierten Konzert kam es dann zu einer Wiederbegegnung mit Siegfried Matthus komischer Oper "Noch einen Löffel Gift, Liebling" - buffonesk arbeitete sich die Elbland Philharmonie Sachsen unter Leitung von Hans-Peter Preu durch diese augenzwinkernde Partitur, in der "very british" ein Pilzgericht zur doppelten Vergiftung führen soll.
Den Höhepunkt dieses Abends bildeten die auch musikalisch sehr überzeugend dargebotenen Ausschnitte aus Robert Hanells 1976 in Radebeul uraufgeführten Komödie "Reise mit Jou Jou". Das Orchester und ein großes Sängerensemble brachen eine Lanze für dieses musikalische Feuerwerk. Mit Dietmar Fiedler als Graf wirkte im Ensemble der sich gegenseitig bekriegenden Reisegesellschaft sogar ein Protagonist der Uraufführung mit. Dass in der DDR Unterhaltung auch auf höchstem Niveau stattfand und heute keineswegs als muffiger Zeit-Spiegel wirkt, zeigt diese von nur zauberhaft zu nennender Musik umgebene Geschichte. Hanell zieht - auch im Orchesterintermezzo - alle Register kompositorischen Könnens; die Kutsche, die "nicht vom Fleck kommt", bleibt als Sinnbild bestehen.
Bach und Bruckner mit Herbert Blomstedt in der Frauenkirche
Dresden, Leipzig, Kopenhagen, San Francisco. Diese Orte stellen nur eine kleine Auswahl der bisherigen Schaffensmittelpunkte des Dirigenten Herbert Blomstedt dar. Zu seinem 85. Geburtstag machte sich Blomstedt selbst wohl das bescheidenste Geschenk, seinem großen Publikum in aller Welt aber das größte: er arbeitet und dirigiert, will "seinen" Orchestern und den Zuhörern Musik schenken, die er besonders gerne aufführt - in diesem Jahr sind dies das "Deutsche Requiem" von Brahms, Beethovens "Missa Solemnis" und Sinfonik von Beethoven und Bruckner. In Dresden, wo Blomstedt zehn Jahre die Geschicke der Sächsischen Staatskapelle leitete, ist er stets hochwillkommen - auch wenn diesmal "seine" Dresdner nicht zur Verfügung standen.
Für das Gastspiel in der Frauenkirche reiste er mit den Bamberger Symphonikern an, deren Ehrendirigent er ist, und mit denen er Anfang November eine Tournee nach Japan unternimmt, von wo die Staatskapelle dann gerade zurückkehrt.
Dass rund um den Globus Blomstedts Interpretationen gefeiert werden, ist nicht eine späte Ehrerbietung, sondern die Würdigung eines Lebenswerkes, die sich vor allem - das sah man beim Gastspiel in der Frauenkirche deutlich, in der nie versiegenden Freude am Musikmachen und in der Erfüllung in der Arbeit an den Partituren niederschlägt. Solches Musikmachen verschafft Respekt und führt den Zuhörer tief in die Werke ein.
Im Dresdner Konzert stellte Blomstedt der 4. Sinfonie Es-Dur von Anton Bruckner ausgerechnet eine Kantate von Johann Sebastian Bach zur Seite. Obwohl das eigentlich eine völlig verständliche Kombination ist, hört man diese Gegenüberstellung im Konzert selten und dementsprechend erhellend war das Musikerlebnis. Bei allen Unterschieden der Epochen und Persönlichkeiten zeigen sich beide vereint beim "lieben Gott" und in der Meisterschaft des Kontrapunktes. Ein Meisterwerk ist Bachs Kantate "Jauchzet Gott in allen Landen" zweifellos, die Virtuosität des Werkes, das ohne Chor auskommt, weist auf das italienische Vorbild hin. Ruth Ziesak (Sopran) war für dieses Stück ideal besetzt und kostete die in allen Registern geforderten Koloraturen genüsslich aus - Blomstedts kleinbesetztes Ensemble begleitete zuverlässig und klangschön, jederzeit dem Wort untergeordnet.
Kaum jemand im Publikum mochte zur Pause aufstehen - zu gespannt war man auf die große Bruckner-Sinfonie, die dann zu einer musikalischen Sternstunde geriet. Blomstedts unprätentiöses Dirigat, das sofort Vertrauen schafft und zu Homogenität und Spannung aufruft, brachte eine lichte, traumhaft geschlossene Interpretation hervor. Schon der einleitende Hornruf beschwor eine selbstbewusste, überhaupt nicht mystifizierende Klangwelt, die durch Blomstedts stets federnd-leichtes Metrum und dem hervorragenden Können der Orchestergruppen Leben erhielt.
Sorgsam ausgehört war die Balance im Orchester, Steigerungen erhielten von Blomstedt in organischer Weise Zeit und Atem. Von irisierender Schönheit waren die Kantilenen der Bratschen im Andante; selten hörte man auch, dass schlichte Tonwiederholungen oder Oktavsprünge so spannungsvoll gestaltet werden können - das besorgte eine exzellente Holzbläsergruppe, während das Blech warm intonierend selbst im Tutti des 4. Satzes zwar strömende Wucht, aber nie Gewalt verbreitete. So glanzvoll, positiv und stimmig hört man diese Sinfonie selten in einem Konzert und die Standing Ovations des Publikums für Herbert Blomstedt und das auf allerhöchstem Niveau musizierende Orchester waren nicht nur berechtigt, sie kamen auch - Geburtstagswünsche inklusive - von Herzen.
(22.10.12)
Constanza Macras Roma-Stück "Open for Everything" in Hellerau
Das Tanztheater kehrt nach dem Abschluss der "Tonlagen" ins Festspielhaus Hellerau zurück. Constanza Macras' Company "Dorky Park" gastiert regelmäßig mit neuen Produktionen in Hellerau - zuletzt mit "Berlin Elsewhere" bei der Tanzplattform im Februar. Ihr neues Werk "Open for Everything", erstmals bei den Wiener Festwochen in diesem Jahr vorgestellt, beschäftigt sich mit der Kultur der Roma, einem Volk, das uns als ethnische Minderheit zwar bekannt erscheint, doch die bruchstückhafte Überlieferung von Geschichte, Demografie und verfälschender, manchmal sogar romantisierender Darstellung macht es schwer, Klischee von Wirklichkeit zu unterscheiden. Insofern ist Macras Ansatz, das Tanztheater nicht über die Roma, sondern gemeinsam mit Roma zu entwickeln und aufzuführen, richtig, weil so statt einer Deutung die Dokumentation im Vordergrund steht.
Der Titel "Open for Everything" wirkt da fast wie eine Distanzierung - Macras will weder Polittheater noch Sozialtheater schaffen. Das opulente Bilderspektakel, vom begeisterten Publikum in Hellerau verfolgt, regte aber zu reichlich Auseinandersetzung an. Spannend ist in Macras Werken immer die Initialzündung zur Reflektion, die nicht über Belehrung und Ausbreitung intellektueller Materialien geschieht, sondern zuerst über die Sinne. Tanz und Theater, Musik, Bühne und Choreographie werden dabei revueartig vermischt. "Open for Everything" formt einen schönen Bogen im Wechsel zwischen Soli und großen Ensembles und erreicht eine packende Bildersprache, wenn es um Identität oder Selbstfindung geht.
Auf ein operettenhaftes Finale verzichtet Macras, stattdessen weist der stille Schluss nach innen, in die Gedanken- und Traumwelt. Fünf Musiker aus Tschechien und der Slowakei heizen zuvor Tänzern und Publikum ordentlich ein. Gleich ob es melancholische Lieder sind, "Carmen" oder Pop-Musik - alles wird mit gehörig Herzblut gespielt und nach eineinhalb Stunden weiß man, dass es ebenso wenig eindeutige Roma-Musik gibt wie auch die Legende vom "fahrenden Zigeuner" kaum mehr haltbar ist - das ausgebeulte Auto auf der Bühne dient dennoch als skurriler Lebens- und Tanzraum, die Europakarte ist ständig im Kofferraum parat. Es präsentiert sich ein musikalisches, rhythmusbetontes Volk, das seine eigenen Traditionen und Werte hat - Macras weist mit subtilen Szenen darauf hin: ein Taschendieb, eine Madonnenfigur im Hintergrund oder ein Bericht über eine Beerdigung werden eingeflochten. Kurze autobiografische Erzählungen der mitwirkenden Roma zeigen, dass immer der Mensch und sein Schicksal auf eine respektvolle Weise im Mittelpunkt steht.
Die Schnittpunkte zur westlichen, modernen Welt sind gleichzeitig hart wie überraschend fließend - Dorky Park bringt durch seine eigenen Tänzer Internationalität in das Stück, mal ist das Aufeinandertreffen skurril ("Du siehst indisch aus, bist Du Inderin?"), dann wieder zeigen hemmungslos sinnenfrohe Ensembleszenen, dass Emotionen in allen Ecken der Welt gemeinsam gefühlt und getanzt werden dürfen. Mit "Open for Everything" ensteht eine Nische auf der Bühne, ein Theater-Raum, in dem alles darf, nichts muss, aber wir nach der Aufführung einmal mehr wissen, was uns als Mensch ausmacht und auch von anderen Menschen unterscheidet - wenn diese Leidenschaften so authentisch und temperamentvoll über die Rampe kommen, kann man nur von einem gelungenen Abend sprechen.
(19.10.12)
Henze und Brahms im 3. Kapell-Konzert mit Christian Thielemann
Lange warten muss man in der neuen Kapell-Saison nicht, um den neuen Chefdirigenten Christian Thielemann am Pult des Orchesters zu erleben, schon das 3. Sinfoniekonzert stand wiederum unter seiner Leitung und mit dem "Rosenkavalier" gibt er bald sein Operndebüt. Das Konzert zeigte zwei Schwerpunkte der diesjährigen Saison. Der Capell-Compositeur Hans Werner Henze wird mit Aufführungen auf der Opernbühne wie auch in Kapell-Konzerten geehrt; Johannes Brahms' sinfonische Werke ziehen ein Band durch die Sinfoniekonzerte.
Zu Beginn dirigierte Thielemann "Sebastian im Traum", ein im Untertitel "Salzburger Nachtmusik" benanntes Orchesterstück mit Bezug auf einen Gedichtzyklus von Georg Trakl. Mit etwa 15 Minuten Dauer und einem starken Bezug zur spätromantischen Tradition mag man das 2004 entstandene Werk als verspäteten Beitrag zur sinfonischen Dichtung auffassen, Henzes eigene Worte bekräftigen diesen Eindruck. Das Stück lebt von Hell-Dunkel-Kontrasten und einer eigentümlich auf der Stelle tretenden, teilweise belastenden Stimmung. Trotz Thielemanns engagiertem Eintreten für das Werk und einer durchaus farbigen Interpretation fiel das Stück beim Publikum am Sonntagvormittag durch - als pures Anhängsel zu gleich zwei gewichtigen Brahms-Sinfonien war kaum Begeisterung für Zeitgenössisches zu holen, fehlte vielleicht auch das Verständnis für die disparate, oft stockende Anlage des Werkes.
Im Nachvollzug der Interpretation der darauf folgenden 3. Sinfonie F-Dur war aber durchaus eine schlüssige Verbindung zu sehen, denn auch hier zeigt sich ein Komponist mit oft zögerlich, ja vorsichtig entwickelten Gedanken, die viel mehr einen Prozess oder eine Entwicklung zeigen denn ein Auftrumpfen klassischen Selbstbewusstseins. Thielemann zeigte ein reifes, überzeugendes Konzept, indem er die F-Dur-Umgebung eindeutig pastoral und lyrisch deutete. Dazu gehörte eine breit angelegte Exposition des 1. Satzes mit scharfen Kontrasten in der Durchführung, eine zauberhaft schlichte Demonstration liedhafter Schönheit im 2. Satz und die Ablehnung jeglicher Scherzo-Derbheit im 3. Satz.
Die Kapelle folgte seinen Intentionen mit absoluter Konzentration und war empfänglich für extrem fein angelegte Dynamik- und Temporeduzierungen, so dass sich etwa das Hornsolo im 3. Satz exquisit auf einem Piano-Teppich entfalten konnte. Brahms' sinfonischer Erstling in c-Moll erzählte nach der Pause eine andere Geschichte, nämlich die von Bezügen zu Schumann und Beethoven, vom Ringen um die sinfonische Form und von leidenschaftlichem Ideendrang. Die Interpretation war von Thielemann so sorgfältig angelegt worden, dass nach dem selbstbewussten Kopfsatz und den sehr kammermusikalisch aufgefassten Mittelsätzen die Dur-Wandlung im Finale sowohl schlüssig als auch mit den Reserven aufgesparter Kraft explosionsartig geschah.
Thielemanns Brahms zeigte sich keinesfalls als ein simpler Griff in die Repertoirekiste. "Brahms geht immer" erweist sich dann als falsch, wenn ein Dirigent in die Tiefen der Partitur eindringt und verborgene Linien, harmonische Überraschungen und unerwartete Übergänge immer im Sinne des Ganzen und ohne Detailübertreibung musiziert, damit ein Bild des Komponisten formt, das weitaus komplexer ist, als es uns die Popularität seiner Werke vorspielen mag. Genau das ist Christian Thielemann mit seiner an diesem Sonntagvormittag famos aufspielenden Staatskapelle sehr gelungen, und das macht durchaus gespannt auf den weiteren Fortgang des Brahms-Zyklus mit Thielemann.
(15.10.12)
1. Konzert der Dresdner Philharmonie im Schauspielhaus
Fünf Schritte braucht Chefdirigent Michael Sanderling, dann steht er am Pult der Dresdner Philharmonie im Schauspielhaus. Die Plötzlichkeit des Erscheinens war im Kulturpalast nicht vorhanden, da konnte man von der Bühnentür bis zum Pult fast noch einmal die erste Partiturseite innerlich durchgehen. Auch akustisch ist das Schauspielhaus natürlich ein anderer Ort - man wähnt sich optisch zwar näher am Geschehen, ist aber nicht wirklich befriedigt durch den leicht dumpfen, resonanzarmen Klang von der Bühne.
Für die Musiker kommt es hier auf Genauigkeit und Homogenität an, um einen möglichst tragfähigen Klang zu erzeugen. Mit einem spätromantischen Programm wartete das Orchester im 1. Konzert der Schauspielhaus-Reihe auf. Sergej Prokofjew ordnete fünf Sätze aus dem Ballett "Aschenbrödel"/"Cinderella" Opus 87 zu einer kleinen Suite, bei der aber durch die Handlungsabbrüche der Eindruck der Miniatur überwog, dies aber lösten die Philharmoniker mit gutem Sinn für die jeweilige Szene, mit strömendem Klang wurde der bekannte Walzer zelebriert, der "Streit" gelang mit markiertem Zugriff überzeugend.
In der Mitte des Konzertes wurde erneut ein Streiflicht auf Armenien geworfen; das Land stand in den bisherigen Konzerten thematisch schon mehrfach im Mittelpunkt. Diesmal widmete man sich dem Violinkonzert von Aram Chatschaturjan, der zwar in Georgien geboren wurde und den Großteil seines Lebens in Moskau verbracht hat, aber sich der armenischen Kultur stark verbunden fühlte. So ist auch die Folkloristik seines Violinkonzertes keine Effektenhascherei, sondern Bekenntnis des Komponisten zu seiner Tradition und Herkunft. Mit dem Solisten Mikhail Simonyan (der das Konzert auch unlängst für die CD einspielte) war ein Botschafter der armenischen Musik gefunden, der einen ganz spezifischen Klang und Zugang für das Werk fand.
Dieser immer vom Gesang und von einer leicht melancholischen Stimmung ausgehende Ansatz sprang als Funke auch schnell auf die Philharmoniker über, die Sanderling mit Temperament und Sensibilität für die großen melodischen Linien im Andante führte. Simbotyan zeigte eine packende Kadenz im 1. Satz und eine tolle Linienführung, die das Kolorit nie verleugnete - Simonyan bedankte sich für den Applaus, wie neulich schon beim Museumskonzert, mit dem "Armenischen Gebet" von Komitas. Dass "Folklore" ein weitläufiger und im Einzelfall zu untersuchender Begriff ist, zeigte auch das bekannte Schlusswerk des Konzertes: In Dvořáks 9. Sinfonie findet man viel Gefallen an der amerikanischen Kultur, aber eben auch den böhmischen Musikanten.
Sanderling gab Raum für beides, fand schöne Tempi und ließ vieles ausmusizieren. Erst das Finale bekam einen unerbittlichen, aber positiv leidenschaftlichen Zug bis hin zum letzten sauber intonierten Akkord. Kein spektakulärer, aber musikalisch intensiver und angemessener Auftakt für die Philharmoniker "unterwegs" im Schauspielhaus.
CD-Tipp: "Two Souls" Aram Chhatschaturjan, Samuel Barber, Violinkonzerte
Mikhail Simonyan / London Symphony Orchestra / Kristjan Järvi (DGG 2012)
(15.10.12)
Kontrabassklarinette mal Fünf bei den Tonlagen in Hellerau
Es wird sicher Menschen geben, die noch nie im Leben eine Kontrabassklarinette gehört haben, vielleicht auch gar nicht wissen, dass dieses Instrument existiert. Sie sind zu bedauern, dass sie den Weg ins Festspielhaus Hellerau zum Tonlagen-Festival am Freitagabend nicht gefunden haben, denn der Abend mit fünf (!) Kontrabassklarinetten war ebenso verrückt wie faszinierend. Doch so exotisch das Instrument ist, so überraschend groß war der Publikumsandrang. Und man darf gratulieren, dass in diesem Fall das so wichtige akustische Ambiente berücksichtigt und der große Saal als Spielort ausgewählt wurde. Zudem standen große Kissen für den Hörgenuss aus einer entspannten Haltung heraus zur Verfügung.
Wie aber kam es zu dem Konzert? Die Kontrabassklarinette selbst ist ja noch ein recht junges Instrument, findet sich vor allem in zeitgenössischen Ensemble- und Solowerken, aber auch in Blasorchestern und im Jazz ist sie anzutreffen. Der besonders große Tonumfang, die enormen klanglichen Möglichkeiten in raunender Tiefe, aber eben auch der sehr spezifische Höhenklang des Instrumentes sowie deren Überlagerungen mit mehreren Instrumenten reizten den Solisten Theo Nabicht, hervorragende Kollegen (in der Kontrabassklarinettenszene ist man ohnehin gut vernetzt, um plötzliche Einsätze des - eben seltenen - Instrumentes zu koordinieren) für ein Konzert zu fünft zu gewinnen. Mit 85 Minuten "Bass-Surround" wurde das Publikum beglückt.
Dass man trotz der - psychisch zumindest Beruhigung versprechenden - Tieffrequenzlastigkeit keinerlei Langeweile verspürte, lag an einem sehr intelligenten Programm, das Solo und Quintett ebenso miteinander verband wie Freies und Festgelegtes, Aufwühlendes und Sphärisches. Spaß machte das Programm also eher durch seine Klangsinnlichkeit denn durch komödiantischen Bass-Wumms, den man aus vorweihnachtlichen Meetings der Bläserklasse noch in eigener Erinnerung hat. Durch die pausenlose Verklammerung von Stücken u. a. von Marc Andre, Giacinto Scelsi und Gerard Grisey traten die Komponisten auch hinter ihre Musik zurück - die Instrumente führten den Dialog. So entstanden fernab von den intendierten Geschichten der Komponisten Bilder vor dem "geistigen Auge" - eine hoch geführte Solopassage wäre mit der Assoziation "kleine Vögel in Notlagen" noch am besten zu beschreiben, während Marc Sabats "Rameau"-Komposition in langsam-stetiger Überlagerung von drei Kontrabassklarinetten wirklich an eine gemächliche Bewegung von Walen im Ozean erinnerte.
Andere Stücke wiederum klangen wie Tiere, die noch erfunden werden müssen - eben einzigartig. Das Duo "Antiphon" von Georg Friedrich Haas erzeugte so viele Interferenzen, Resonanz- und Obertöne, dass man mindestens ein drittes Instrument im Raum vermutete, was aber nicht der Fall war. Griseys Solostück "Anubis-Nout" nähert sich dem Jazz an, auch einige Improvisationen überschritten diese Grenze mühelos; unbelastet von jahrhundertealter Geschichte ist die Kontrabassklarinette (man glaubt es bei der Größe kaum) vor allem flexibel in den Genres und Spielarten.
Begeistert war das Publikum am Ende des Konzertes nicht nur wegen der Begegnung mit einem nun gar nicht mehr so unbekannten Instrument, sondern auch wegen der unglaublichen Virtuosität von Theo Nabicht, Richard Haynes, Bohdan Hilash, Manfred Spitaler und Hans Koch, die sich am Ende in Louis Andriessens minimalistischem "Workers Union" zu atemberaubend rasanten rhythmischen Ketten zusammenfanden, getreu dem Motto: Wer atmet, verliert.
(13.10.12)
Erster "Dresdner Abend" der Philharmonie im Hygienemuseum
Wenn ein Konzertprogramm "ambitioniert" erscheint, ist das in gewissen Kreisen schon fast ein negativ besetzter Begriff. "Schwere Kost" wird da solcher Musik nachgesagt, die das Zurücklehnen nicht befördert und dem Intellekt Herausforderung bietet. Das aber ist ein reines Rezeptionsproblem und man sollte nicht die Komponisten dafür verantwortlich machen. Zwar waren zum ersten "Dresdner Abend" der Dresdner Philharmonie im Hygienemuseum die Reihen nur locker gefüllt, die überaus begeisterten Reaktionen zeigten jedoch, dass die Konzeption dieser neuen Reihe, die schon in verschiedenen Konzertformen der Vergangenheit Vorgänger hatte, Erfolg verspricht.
Konzertmeister Wolfgang Hentrich ist maßgeblich an der Dramaturgie beteiligt und setzt die gute Tradition fort, wonach ein Konzertmeister nicht nur den "Tonangeber" spielt, sondern auch kreative Impulse für die Konzerte liefert und sich der Geschichte und Dokumentation des Orchesters widmet. Für den ersten Dresdner Abend dieser Saison hatte sich Hentrich mit dem Philharmonischen Kammerorchester das Jahr 1930 und vor allem den Komponisten Othmar Schoeck vorgenommen. Dessen Oper "Penthesilea" (jüngst von der Staatsoper wiederaufgeführt) und weitere Werke wurden damals in Dresden uraufgeführt - Dirigent Fritz Busch war ein wichtiger Förderer des Schweizer Komponisten, dessen Werke heute selten gespielt werden und der allenfalls durch sein enormes Liedschaffen ein Begriff ist.
Undine Röhner-Stolle (Oboe) und Isabel Kern (Englischhorn) waren zunächst die Solisten in Schoecks Serenade Opus 27, einem kurzen, eingängigen Werk, das als Intermezzo für dessen Oper "Don Ranudo" diente. Gut aufgelegt trafen die Philharmoniker sogleich den entspannt-romantischen Ton dieses Werkes. Die weitere Musikfolge hätte durchaus einem Konzert der 30er-Jahre entsprechen können, "junge Wilde" folgten da auf Werke von spätromantisch verpflichteten Zeitgenossen. Nicht selten tobte das Publikum - besonders bei Werken von Anton Webern, Vertreter der Zweiten Wiener Schule um Arnold Schönberg. Dabei faszinieren heute dessen "Fünf Sätze für Streichorchester" durch die behutsame Konzentration auf Tonlängen und Lagen, die einen zerbrechlich wirkenden Ausdruck hervorrufen. Im Hygienemuseum war dieses Werk akustisch nicht besonders gut aufgehoben, aber die Erkundungen am Rand der Hörschwelle verrieten, dass die Philharmoniker die Komposition in Ausdruck und Dynamik sehr ernst nahmen.
Passend zu diesen Stücken gab es einen Beitrag von Paul Hindemith, dessen Konzertmusik für Solobratsche und größeres Kammerorchester Opus 48 aus unverständlichen Gründen völlig aus dem Konzertsaal verschwunden ist. Es ist ein musikantisch mitreißendes Werk, dessen Solopart (der Bratscher Hindemith grüßt mit Raffinement) halsbrecherisch virtuos gesetzt ist. Die Solobratschistin der Philharmonie Christina Biwank erstürmte diesen Notengipfel mit Können und Übersicht, brachte Eleganz in den quer durch die Tonarten schaukelnden zweiten Satz und konnte mit den sensibel begleitenden Bläsern auch die rhythmisch anspruchsvollen schnellen Sätzen sehr gut ausformen - dafür gab es einen Riesenapplaus vom Publikum.
Mit der "Suite für Streichorchester" Opus 59 von Othmar Schoeck ging es im zweiten Teil des Konzertes weiter - der Gattungsbegriff irritiert hier, wenn man an eine unterhaltende Reihungsform denkt. Markiert und schwer kam der Kopfsatz daher, bis zum Finale in etwas lichterer Dur-Umgebung kämpft sich der Tonsatz durch ein Dickicht aus Fugati und Vorhalten. Wolfgang Hentrich und seinem Ensemble gelang auch hier eine von großer Spannung getragene Interpretation. Eine schöne Abrundung erfuhr das Programm am Ende durch die Wiederholung der Serenade Opus 27 - mit dem Schoeck-Porträt gelang ein hochinteressanter, fast authentischer Einblick in die Konzertpraxis in Dresden um 1930.
(11.10.12)