Sonntag, 9. Dezember 2012

Planet Orgel

Der Komponist Wolfgang Mitterer spielte in der Dreikönigskirche

Fester Bestandteil in den Ausbildungsveranstaltungen an der Hochschule für Musik Dresden ist seit Jahren die Begegnung mit renommierten zeitgenössischen Komponisten, die zu Workshops sowie Proben und Konzerten eigener Werke mit Studenten an die Hochschule eingeladen werden. In diesem Wintersemester ist der österreichische Komponist Wolfgang Mitterer (*1958) zu Gast in Dresden, der neben Gesprächskonzerten und Workshops auch der Hochschul-Produktion seiner Oper "Das tapfere Schneiderlein" (Premiere am 9.12., 16 Uhr im Kleinen Haus) beiwohnt und sich am Donnerstagabend in der Dreikönigskirche als Interpret und Improvisator vorstellte.

Dabei verband er zwei seiner zentralen künstlerischen Wirkungsebenen, nämlich die Orgel und die Elektronische Musik. Dass an diesem Nikolaustag die Kirche nicht gerade prall gefüllt war, war vorauszusehen, doch dankten die Zuhörer Mitterer für ein außergewöhnliches Musikerlebnis derart, dass dieser sogar noch eine Zugabe gab. Obwohl man sehr komplexe und originäre Klänge hörte, ist die Idee eigentlich frappierend einfach: die Orgel ist zwar die Königin der Instrumente, aber trotz ihrer Vielfalt im Klang und in den Spielmöglichkeiten ist sie endlich, und zwar an der Stelle, wo die Phantasie schon innerlich Klänge erfindet, die rein mechanisch gar nicht mehr möglich wären: der Organist hat eben nur zwei Hände und Füße, die Pfeifen lassen sich "live" schon gar nicht verbiegen und was wäre, wenn man dem tiefen 16-Fuß noch eine Wolke aus tieffrequenten Basstönen hinzuordnet, da wo kein Pedal mehr hin findet?

All diese Gedankenspiele sind auf erstaunliche Weise durch Elektronik (heute) lösbar. Wo Ligeti und Kagel mit ihren Orgelwerken noch an Grenzen stießen, manchmal sogar ein Kurzschluss dem wilden Treiben der Neutöner ein jähes Ende setzte, benutzt Wolfgang Mitterer Sampels der gleichzeitig gespielten Orgel, die einen enormen Klangraum eröffnen, der aber niemals zu weit vom Originalklang abweicht. Mitterers knapp einstündige "Mixture" für Orgel und Electronics bezog seinen Reiz daher auch durch den bruchlosen Übergang zwischen der Orgel und dem Sample-Kosmos, der quasi nicht ein neues Instrument, sondern lediglich ein erheblich im Frequenzspektrum und damit auch in der Klangfarbe erweitertes schafft. Mit dem Fehlen der optischen Komponente des Anblicks von Lautsprechern und Synthesizer war die Illusion perfekt. Mitterer war zudem in der Lage, Elektronik und Registrierung feinfühlig anzupassen, sodass mehrminütige, großbögig angelegte Entwicklungen entstehen und vergehen konnten. Nach dem Wegfliegen der Töne folgte das Wegfliegen der Gedanken, man konnte sich dieser Klanglandschaft ungehindert hingeben und die Musik fast wie eine Droge empfinden, so unmittelbar und unausweichlich war der Eindruck, in dem auch leise Klangflächen und melodische Erfindungen natürlich integriert schienen.

Interessant war ebenfalls, wie das Ohr sich nach und nach an die Farben und Entwicklungen gewöhnt, rhythmische Pulsationen wahrnimmt und zwischen den Ebenen mühelos wechselt, als würde man eine Bach'sche vierstimmige Fuge verfolgen. Mitterer schuf damit einen ganz eigenen Planeten aus Orgelklängen, mit Gebirgen, Tälern und Abgründen, Brausen und Wind, Stille und Nachhall. Dass ein adventliches Augenzwinkern an diesem Datum durchaus auch in Mitterers Phantasiekiste vorhanden ist, bewies die schöne, nach fast techno-artigem Beginn sauber tonal auskadenzierte Zugabe.


* Wolfgang Mitterer: Das tapfere Schneiderlein, Oper
Premiere 9.12., 16 Uhr im Kleinen Haus, Koproduktion der HfM, des Staatsschauspiels Dresden und der HfBK Dresden

Virtuelles und Phantastisches

Neue Ausgabe der "Briefmarkenopern" an der Musikhochschule

Seit zwei Jahren gibt es an der Musikhochschule schon das spezielle Format der "Briefmarkenopern" - ein Projekt der Kompositionsklasse von Manos Tsangaris. Hier werden bewusst Miniaturen zumeist szenischer und meist genreübergreifender Art präsentiert. Der zeitgenössische Komponist ist heute ohnehin eher seltener im klassischen Sinne ein "Tonsetzer", im Multimediazeitalter und im freien Spiel mit Gattungen und mit oder gegen Konventionen werden die Instrumente gleich mit erfunden, spielt der Raum eine Rolle, integrieren sich Literatur, Theater, Elektronik und Licht.

Die Grenzen setzende Form der Miniatur schließlich macht besondere Konzentration möglich - nicht nur der Interpreten, die innerhalb eines festen Zeitraums die jeweilige Spannungssituation der Werke fassen müssen, sondern auch für den Zuhörer, der unvorbereitet auf die verschiedensten Ansichten und Zustände trifft. Dass daraus dann auch eine unsortierte, überquillende Briefmarkenschachtel werden kann, tut dem Vergnügen keinen Abbruch - jedem bleibt es überlassen sich seine Perlen zu suchen.

Die Stücke der Kompositionsstudenten hatten diesmal mehr einen Hauch von "Briefmarkensinfonik" - behutsam und teilweise minimal wurde Raum und Szene eingebettet, etwa in "Macbeths Soliloquy" von Deokvin Lee nur mit einem Scheinwerfer oder in Bakchos von Eleftherios Veniadis als kreisförmig und gleichzeitig bewusst starr bewegte Musik. Als Gastinterpreten begrüßten die Dresdner ein Ensemble des Studiengangs "Theatre Musical" aus Bern, zu einem dort in der nächsten Woche stattfindenden Festival zum Thema Theater und Musik werden die "Briefmarkenopern" damit erstmals quasi den Postweg antreten.

Obwohl der Konzertabend fast durchweg schon in seinem bunten Angebot der Phantasie sehr viel Spaß machte, waren nicht alle Stücke bewusst auf Komik ausgelegt, entwickelte sich eher feine Ironie, wie in Tobias Schicks "Inkonsequenza"-Stücken für virtuelle Bassflöte und virtuelle Oboe. Schicks Stücke preisen die Ökonomie: wenn der Instrument künftig sein Instrument vergessen hat oder aus Finanzgründen verkaufen muss, mimt er es schlicht selbst. Sehr gespannt darf man daher wohl auf Schicks erstes virtuelles Orchesterwerk sein. Konsequent in der Gratwanderung des Ausdrucks verhielt sich "rumps" von Neele Hülcker mit wechselnden Musik-Attacken der Spieler an einem Tisch; die barschen Schnitte ließen das Spiel zwanghaft erscheinen, trotzdem erwuchs selbst aus dieser Enge ein poetisches Element. Still oder nachdenklich gerieten Stücke von Lorenz Grau und Carlos Gerardo Hernandez Canales - diese Stücke waren die einzigen des Abends, deren Verständnis sich nicht absichtsvoll sofort mitteilte.

Im Gegensatz dazu war "Tebel II" von Nicolas Kuhn ein ebenso schönes Theater-Mobile wie Katharina Vogts "Literarisches Quartett", hier die Elemente des Lesens neu sortierend. Im großen Finale setzte Deokvin Lee den Hochschul-Konzertsaal unter Wasser: "music for water und glasses" war eine ausgewachsene "Postkarte" unter den Briefmarkenopern - 8 Spieler bemühten sich um die facettenreichen Klänge aus Wasserbottichen und Gläserspielen. Hier wurde dann aber auch deutlich, dass nicht immer Idee und Umsetzung zueinander passen, denn der formal streng und üppig ausgearbeiteten Studie stand die Natur im Weg - und die plätschert eben seltenst im Viervierteltakt.

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