Rezensionen
Moritzburg Festival gastiert mit Wagner und Schubert in der Frauenkirche
Am Sonnabend war der Kirchraum der Frauenkirche so etwas wie eine Oase. Draußen tobte der bunte Lärm des Stadtfestes, doch der Sandstein hielt akustische Störungen weitgehend fern. Das gerade stattfindende Moritzburg Festival vor den Toren der Stadt hat es sich zur Tradition gemacht, neben dem Orchesterkonzert in der VW-Manufaktur auch in der Frauenkirche zu gastieren. Vor dem Altarraum platziert, stellten sich die Musiker der lohnenswerten Aufgabe, den großen Kirchenraum mit wenigen Instrumenten zum Klingen zu bringen. Gleichzeitig gelang eine erneute Wagner-Ehrung - dass der Meister allerdings trotz vieler kammermusikalischer Kleinode in seinen Opern allerdings dem Genre wenig zugeneigt war, zeigt sogar das "Siegfried-Idyll", das die Moritzburger mitbrachten. Als Geburtstagsgeschenk für Cosima von vornherein als Sinfonische Dichtung konzipiert, waren es nur Platzgründe in der Tribschener Villa in der Schweiz, die eine Kammerbesetzung des Werkes hervorbrachten.
Für die Aufführung vereinigten sich Instrumentalprofis wie Daniel Ottensamer, Benjamin Schmid, Mirijam Contzen, Benjamin Rivinius, Christian Poltéra und Helmut Branny mit jungen Musikern der Moritzburg Festival Akademie. Feinsinnig und fließend war die Interpretation, deren Sensibilität und abgestufte Dynamik das Werk niemals sinfonisch aufplusterte, sondern es fast in die Nähe viel später entstandener Werke wie Schönbergs "Verklärter Nacht" rückte.
Nur ein weiteres Werk stand auf dem Programm, das gewaltige und höchst empfindsame Streichquintett C-Dur von Franz Schubert, das mit einer Stunde Spieldauer Interpreten wie Zuhörer zu intensiver Auseinandersetzung fordert und manchen Zuhörer, der das Stück nach dem riesenhaften ersten Satz schon zu Ende wähnte, zu voreiligem Applaus verleitete. Mirijam Contzen besaß als Konzertmeisterin die gute Gabe, den großen Atem des Stückes in allen vier Sätzen durch unablässigen Spielfluss und tolle Phrasierung auszuformen. Es fiel auf, dass die ersten beiden Sätze die Extreme vermieden. Die Resignation des Adagios erscheint eben nicht endgültig, wenn man das Finale schon in die Betrachtung einbezieht. Schmid, Rivinius, Poltéra und Jan Vogler folgten da aufmerksam Contzens Intentionen und steuerten ihrerseits ansprechende Äußerungen bei.
Vermutlich war es dem Raum geschuldet, dass das außen platzierte Cello vor allem im Adagio ein wenig zu präsent war. Das Scherzo wurde zu einer unruhig pochenden Angelegenheit, bei der das Trio bereits auf einer weltentrückten Ebene verweilte. Im Rondo-Finale kehrt bei Schubert - mit Untertönen - das Licht zurück; die rasante Stretta war nahezu zur Reinigung der Ohren bestimmt und beschloss diesen intimen und sehr intensiven Kammermusikabend feurig.
"Lange Nacht der Kammermusik" beim Moritzburg Festival
Die rund 50 Teilnehmer der Moritzburg Festival Akademie richten traditionsgemäß den Beginn des Festivals aus, sie haben dabei ein ordentliches Pensum zu bewältigen und proben für Orchesterkonzerte und Kammermusikauftritte. Die "Lange Nacht der Kammermusik" ist einer dieser Programmpunkte und entwickelt sich langsam zum Kultkonzert. Vollbesetzt war die evangelische Kirche in Moritzburg am Mittwochabend, viele Zuhörer waren gespannt auf die jungen Talente aus aller Welt und einen Reigen kammermusikalischer Perlen. Man darf dabei nicht vergessen, dass die zwischen 18 und 28 Jahre alten Musiker sich gerade erst kennengelernt haben und auch die Stücke frisch auf's Notenpult kamen.
Im Gespräch mit den Musikern nach dem Konzert betonte Festivalchef Jan Vogler dann auch, dass man Stücke, Fähigkeiten und Besetzungen sehr kurzfristig gut einschätzen und einteilen muss. Das Publikum konnte sich davon überzeugen, dass dies in diesem Jahr wiederum gelungen war. 11 Stücke von acht Komponisten von Mozart bis Rozsa standen auf dem Programm. Ein wenig bedauern konnte man in diesem Jahr, dass es insgesamt etwas streicherlastig zuging - die "Petite Symphonie" für neun Bläser von Charles Gounod und die Fantasiestücke Opus 73 für Klarinette und Klavier von Robert Schumann waren die einzigen Werke, die in der Besetzung ein wenig Abwechslung boten.
Doch hier wie auch in den Streicherwerken durfte man sich durchweg an großer Kunst erfreuen. Fast alle Ensembles begnügten sich keineswegs damit, den Notenberg zu stemmen, sondern feilten noch in der Aufführung an intensiver Interpretation und stimmungsvollem Zusammenspiel. Das wurde gleich zu Beginn bei Haydns "Quintenquartett" aus Opus 76 deutlich - einem Werk, das so gar nicht in die freundlichen Konventionen passen will. Interessant war hier der Umstand, dass das ganze Werk erklang, aber in der Mitte die beiden Geigenspieler ausgetauscht wurden. Das kleine Experiment zeigte frappierend, wie schnell sich ein Klang und das Atmen eines Ensembles verändern kann.
Ein Mozart-Quartett, eine Sonate von Rossini mit Kontrabass und ein langsamer Satz aus Dvořáks Streichquintett gefielen ebenso wie Mozarts Duo-Satz für Violine und Viola. Mit zwei Sätzen aus dem Klavierquintett Opus 57 von Dmitri Schostakowitsch hatten sich fünf junge Musiker eine große Aufgabe gestellt; das Werk, das den dreieinhalbstündigen Abend beschloss, zeigte dann doch die Grenze von dem auf, was man in einer Sommerakademie auf die Beine stellen kann. Vom Förderverein des Festivals gestiftet, wurde am Ende wie jedes Jahr ein Akademiepreis verliehen, den das Publikum bestimmte. Man weiß aus vergangenen Jahrgängen, dass ein Werk von Schostakowitsch in der Publikumsgunst schwerlich zu überholen ist. Doch Voglers zu Beginn gegebener augenzwinkernder Hinweis, man solle sich von der Werkwirkung nicht zu sehr leiten lassen, bewahrheitete sich. Denn die mit Abstand mitreißendste Interpretation des Abends gestalteten Michael Duffett (Südafrika) und Joshua Peters (USA) mit der Sonate für 2 Violinen Op. 15a von Miklós Rózsa, dafür gab es verdient den 1. Preis (Schostakowitsch und Gounod landeten auf den Plätzen), bevor donnernder Applaus für alle rund dreißig jungen Musiker den langen, aber spannenden Abend beendete.
Håkan Hardenberger gastierte in der Frauenkirche
Der schwedische Trompeter Håkan Hardenberger scheint sich in Dresden wohl zu fühlen - bereits zum dritten Mal gastierte er im Frauenkirchen-Konzert und war ebenso schon Gast der Staatskapelle und der Philharmonie. Die Bravo-Rufe am Ende des Konzertes am Sonnabend lassen vermuten, dass sich in Dresden längst eine Fangemeinde gebildet hat. Die Zustimmung des Publikums, zollte sie der höchsten Kunst Respekt, die Hardenberger seit 30 Jahren auf seinem Instrument zeigt. Zudem freute man sich über ein abwechslungsreiches Programm, das einen Bogen von Johann Sebastian Bach zur Moderne schlug. Der Brite Jonathan Scott war Hardenbergers Partner an der Orgel - die Stücke waren so ausgewählt, dass man das ganze Ausdrucksspektrum beider Instrumente bewundern konnte.
Der barocke Teil des Konzertes gelang allerdings nicht so souverän wie der folgende mit Werken des 20. Jahrhunderts. Gleich zu Beginn bewältigte Hardenberger einen exorbitanten Solopart in der Bearbeitung des Cembalokonzertes A-Dur BWV 1055 - welches ohnehin schon eine Parodie eines Oboe d'Amore-Konzertes des Meisters ist. Ob Bach in einem Originalwerk Mut zu einem solchen Trompetenpart gehabt hätte? Die Interpretation fiel nicht ganz befriedigend aus, vor allem irritierte die etwas atemlose Vorwärtsbewegung der Ecksätze durch Scott an der Orgel. Das folgende Solowerk, Präludium und Fuge a-Moll BWV 543, wirkte ebenso hektisch und wies einige agogische Mängel auf. Die Aufregung, die Scott Bach zuteil werden ließ, konnte kein transparentes, auf metrischem Puls basierendes Spiel ermöglichen.
Mit einem kurzen, zur Beruhigung beitragenden Choralvorspiel leiteten Hardenberger und Scott in zeitgenössische Gefilde über. In Werken der französischen Komponisten Henri Sauguet ("Non morietur in aeternum") und Thierry Escaich ("Tanz-Fantasie") zeigte Hardenberger ein sehr ausdifferenziertes Spiel. Sanft ausgeführte Motive wirkten wie ein stilles Singen; man glaubt sofort, wenn Hardenberger einmal bemerkte, seine Trompete sei "wie ein Körperteil". Nur zu bewundern ist seine völlig selbstverständlich und leicht anmutende Virtuosität quer durch alle Lagen. Ein und derselbe Ton kann bei ihm von schneidend heller Strahlkraft bis hin zu sanftester Ansprache zigfache Nuancen aufweisen. Die aus tiefsten Lagen sich nach und nach entwickelnden Arabesken in Escaichs Komposition waren immer federleicht, vom Boden seltsam abgehoben.
Am Ende des Konzertes stand ein großes zyklisches Werk, das mit hohem Anspruch beide Instrumente in einen permanenten, spannenden Dialog führt. "Okna" ("Fenster") des tschechischen Komponisten Petr Eben nähert sich in Tönen vier von Marc Chagall gestalteten Synagogenfenstern. Fast greifbar wurde hier das Spiel mit Licht und Schatten und die geistlichen Szenarien der Fenster erschienen lebendig. Jonathan Scott und Håkan Hardenberger waren in dieser Musik ideale Partner und inspirierten sich gegenseitig. Bei der Zugabe schließlich durfte man sich nur noch im Klang baden: Astor Piazzolla, herausragend und innig gespielt.
Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar gastierte in der Frauenkirche
Unzählige Jugendsinfonieorchester gibt es in Deutschland, viele können schon mit einer großen Tradition aufwarten. Die meisten sind an Musikschulen und Konservatorien beheimatet, Landesjugendorchester versammeln schließlich die Besten ihres Jahrgangs in ihren Jahresprojekten und schließen oft die Lücke zwischen Musikschule und Hochschulausbildung. Die akademische Ausrichtung ist sehr wertvoll, wesentlicher ist aber der Aspekt, dass man es im Orchester immer mit einer Gemeinschaft junger musizierender Menschen zu tun hat. Stammen diese dann noch aus verschiedenen Kulturkreisen, so erstreckt sich das Miteinander oft weit über die Musik hinaus.
Das "Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar" führte auf Initiativen der beiden Hochschulen in Weimar und Jerusalem 2011 sein erstes Projekt durch - die Fußstapfen von Daniel Barenboims "West Eastern Diwan Orchestra" sind da erkennbar. Neben der Erarbeitung eines gemeinsam zur Aufführung gebrachten Konzertprogramms zählt auch das Kennenlernen des jeweils anderen Landes und seiner Menschen. Für das diesjährige Projekt stand der Dirigent Michael Sanderling - Chefdirigent der Dresdner Philharmonie - zur Verfügung, der beim Konzert in der Frauenkirche am Freitagabend quasi ein "Gastspiel zu Hause" gab.
Das Programm vereinte Musik dreier Komponisten mit jüdischem Hintergrund - die kurze "Passacaglia" Opus 4 von Berthold Goldschmidt war eine reizvolle Wiederentdeckung. Goldschmidt war ein Schüler von Franz Schreker und emigrierte 1935 nach England - erst im hohen Alter erfuhr er eine Renaissance seiner Musik. Das Stück ist im spätromantischen harmonisch erweiterten Stil sehr akademisch gehalten. Sanderling hatte keine Mühe, die große Besetzung zu zwei kraftvollen Steigerungen zu animieren.
Ähnlich ökonomisch ist das Violinkonzert e-Moll von Felix Mendelssohn Bartholdy komponiert, wenngleich in einer ganz anderen musikalischen Epoche. So kommt es hier darauf an, die unterschiedlichen Motive und ihre Entwicklungen im Solo wie im Orchester genau herauszustellen. Die sicher erstmals in der Frauenkirche spielenden Musiker versuchten, einen schlanken, tragenden Klang herzustellen. Sanderling hätte das Orchester dämpfte sehr oft die Musiker ab - vieles war dann im Endergebnis nicht präsent genug. Die junge südkoreanische Geigerin Sunny Tae präsentierte sich mit mutigem Zugriff im Kopfsatz und Willen zu lyrischem Ausdruck im Mittelsatz. Die Reife, etwa den 3. Satz nicht als technische Presto-Etüde misszuverstehen, fehlt ihr allerdings noch - nicht immer hatte sie zudem Glück mit der Intonation.
Zuvor gab es eine kleine Auswahl der "Wunderhorn"-Lieder von Gustav Mahler zu hören. Doch in dem gerade einmal 60minütigen Konzert waren die vier Lieder zu kurz, um wirklich tief in den Kosmos der Mahler-Liedwelt eintauchen zu können. Der junge Bariton Florian Götz (am Theater Erfurt engagiert) stand völlig souverän über den Liedern und konnte viel Ausdruck hineinlegen, er wahrte auch stets den intimen Liedcharakter der Werke. Am trefflichsten gelang ihm die "Revelge", in der er das "Trallali" des Soldaten fast dem Wahnsinn zuordnete. Dafür bekam er großen Applaus, wie überhaupt am Ende das Publikum gerne noch eine Zugabe gehabt hätte. Doch sicherlich dürften die Jugendlichen mit dem Dresdner Konzert den Abschluss der ersten Projektphase gefeiert haben - im Oktober geht es dann gemeinsam auf Konzertreise nach Israel.
Cembalokonzert von Wolfgang Kostujak in der Hoflößnitz
Angesichts von Außentemperaturen von 35 Grad am Sonntagnachmittag erwies sich der Ausflug in die Hoflößnitz - mit dem am Südhang gelegenen, kaum kühler temperierten Berghaus - als eine nicht alltäglich zu erlebende, extreme Erfahrung. Eine mutige, treue Schar von Besuchern fand sich dennoch im Saal zum Konzert ein und Hoffnungen, man würde sogleich musikalisches Hitzefrei bekommen, zerschlugen sich umgehend. Cembalist Wolfgang Kostujak übernahm die Moderation seines Konzertes und stimmte frohen Mutes auf einen Parforceritt durch barocke Literatur ein.
Thematisch überschrieben war das Konzert mit "Ars chromatica" - ein weites Feld im 17. und 18. Jahrhundert, das aber durch Kostujaks pfiffige Werkauswahl zu einer höchst spannenden Reise durch feingeistige wie abenteuerliche barocke Welten geriet. Bildlich gedeutet erfuhren die herabrinnenden Schweißperlen aller Anwesenden des Abends eine passende Symbiose im musikalischen Thema - Hitzewallungen kommen von Claudip Monteverdi bis Alban Berg selten im diatonischen Gewande daher. Kostujak warnte denn auch vor einer zu erwartenden Rodelpartie seiner erwärmten Finger auf den Cembalotasten. Die Warnung erwies sich als unbegründet, denn in den folgenden neunzig Minuten erlebten die Zuhörer höchst inspirierte Musikalität, und jeder Ausrutscher wäre sowieso verzeihlich gewesen.
Vor allem ist hervorzuheben, wie Kostujak allen Stücken des Konzertes ihre eigene unverwechselbare Charakteristik in der Interpretation zuwies und dabei auch das Instrument in allen Spieltechniken weit ausreizte. Die sorgsam ausgearbeitete Fantasia von Jan Pieterszoon Sweelinck etwa spielte er mit maßvoller Klarheit, während Michelangelo Rossis "Toccata Settima" (Kostujak bat das Publikum, "sich anzuschnallen") von einem ungestüm hervorbrechenden musikalischen Irrwitz bestimmt ist, dessen Chromatik einen haltlosen Strudel, fast Schwindel erzeugt. Kostujak wählte dementsprechend rasante Tempi, strukturierte aber immer die großen Abschnitte so, dass man sich in markanten Themeneinsätzen oder plötzlichem harmonischen Schwenk wieder perfekt im Hören einfinden konnte.
Darin lag die Qualität dieses Konzertes, das natürlich - über Frescobaldi und Froberger, welcher unter Einbeziehung der Chromatik schon programmatische Geschichten zu erfinden wusste, die man eigentlich erst der späteren Opera Buffa zutraut - in Johann Sebastian Bachs Meisterwerken mündete. Dessen frühes "Capriccio über die Abreise des geliebten Bruders" und die berühmte chromatische Fantasie und Fuge d-Moll spielte Kostujak mit unermüdlichem Gestaltungswillen und klarer Zielsetzung in allen Stimmen. Und was da als Herausforderung zu Beginn des Konzertes noch jedermann schweißtreibend erschien, war am Ende doch reichlich erfrischend und erhellend zugleich.
Haydn und Schostakowitsch mit Andris Nelsons im 12. Kapell-Sinfoniekonzert
Manchmal muss man sich nach Konzerten eine Weile alleine hinsetzen und erst einmal tief Luft holen, um das Gehörte zu begreifen. Vielleicht auch, um zurückzukehren in die Welt der Gegenwart, nachdem man soeben durch musikalisch durch Himmel und Hölle getragen wurde. Damit ist keinesfalls die Qualität des Dargebotenen gemeint, eher stehen die Begriffe für die größtmöglichen Kontraste und Extreme, die in der Musik möglich sind. Geschieht beides nahezu taktweise nacheinander, befindet man sich entweder bei Joseph Haydn oder Dmitri Schostakowitsch, was die ungewöhnliche Kopplung der Komponisten im 12. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden erklärt, zudem beherrschten beide Komponisten das musikalische Augenzwinkern auf ihre eigene Art und Weise.
Dass Haydns Sinfonien durchaus dramatische Qualitäten aufweisen können, machte die Interpretation des Letten Andris Nelsons klar - der erst 34jährige designierte Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra debütierte in diesem Konzert bei der Staatskapelle, jüngst gastierte er bereits bei den Musikfestspielen mit dem "War Requiem" von Benjamin Britten. Bereits in den ersten Takten von Haydns 90. Sinfonie C-Dur stand fest, dass Dirigent und Komponist hier eine Verbindung eingingen, die bis zum feuersprühenden Finale schlicht Spaß machte. Nelsons ist ein Körperdirigent, er zeigt überdeutlich, was ihm in diesem und jenen Takt auf der Seele liegt - ein Widerspruch ist bei seiner fordernden Gestik ausgeschlossen. Und so blätterte man in diesem Haydn-Bilderbuch, staunte und frohlockte ob der bunten Farben, die die Staatskapelle in die ökonomische Motivik des Meisters hineinlegte. Nelsons ließ Raum für die schönen Flöten- und Streichersoli; der Kehraus mit einem typisch Haydnschen "Generalpausenwitz" gelang brillant.
Gut 150 Jahre nach der Entstehung dieser Haydn-Sinfonie befindet sich der Komponist Dmitri Schostakowitsch im Fadenkreuz unsäglicher Restriktionen der sowjetischen Kulturpolitik - seine 5. Sinfonie d-Moll Opus 47 ist Antwort und Weigerung zugleich: missverstanden von den Oberen, tief in die Seele brennend, wenn man den Noten auf den Grund geht. Dieses Verständnis transportierte Nelsons durch alle vier Sätze auf kongeniale Weise. Er vereinigte extremste Emotion und klare Führung, so dass es für keinen Musiker ein "Zurück" gab, sei es im leisesten Flimmern des Largos, von Nelsons als ein einziges Trümmerfeld der Einsamkeit gedeutet, oder in den unwirklich marschartigen Passagen etwa der Durchführung des 1. Satzes, die Nelsons mit unglaublichen Stichen versah. Genau diese Vorgeschichte brauchte es aber, damit er das Ende dieses Satzes in eine Sphäre heben konnte, in der weltentrückt nur noch die leisen Töne regieren durften.
Fratzenhaft und mahleresk ließ Nelsons das Allegretto ausmusizieren, im Finale legte er die Emphase weniger auf den hohlen Dur-Sturm des Schlusses denn auf das fein ausgehörte kammermusikalischen Vortasten dieses Satzes. Damit kippten die Proportionen und das Ergebnis war frappierend und einleuchtend: Nelsons wandte sich dem Individuum zu, das viel mehr zählt als die polternde Masse. Sichtlich bewegt von der Musik nahm Nelsons am Ende die starken Ovationen des Publikums entgegen - und wird hoffentlich bald wieder im Semperbau begrüßt werden können.
Wagner mit der Dresdner Philharmonie, René Pape und Juanjo Mena
Das Beste hebt man sich für den Schluss auf. Diese goldene Regel einer Spannungsdramaturgie befolgte die Dresdner Philharmonie allerdings nicht immer in dieser Saison, denn es gab schon einige Konzerte, deren musikalische Qualität so gut war, dass man klar von einem Höhepunkt sprechen durfte. Einen letzten Gipfelsturm vor der Sommerpause unternahmen die Philharmoniker am Sonnabend im Albertinum. Star des Abends war der Bassist René Pape, dessen voller Terminkalender nur wenig Platz für Konzerte in seiner Heimatstadt Dresden erlaubt. Um so schöner, dass die Dresdner ihn nun im philharmonischen Konzert mit Szenen aus Wagner-Opern erleben konnten.
Zugleich würdigte das Orchester erneut das Komponistenjubiläum und man leuchtete in den Kosmos Wagner hinein, ohne dem Potpourri oder dem "Best Of"-Gedanken zu verfallen. Der Spanier Juanjo Mena, seit 2011 Chefdirigent des BBC Philharmonic Orchestra, hatte drei orchestrale Werke aus den Opern ausgesucht. Im Vorspiel zu "Tristan und Isolde" überzeugte zwar seine Einleitung, dann verlor Mena aber im oft verlangsamten Tempo die Spannung, überhastete aber überraschend den Höhepunkt des Vorspiels. Dem folgte allerdings eine warmherzige Interpretation des "Liebestodes", wo Mena zu einem guten Fluss der Musik fand. Die Philharmoniker, gerade zurückgekehrt von ihrer Japan-Tournee, durften zum Saisonabschluss in großer Besetzung antreten - sie überzeugten mit durchweg aufmerksamem und in den Gruppen schön ausbalanciertem Spiel.
Auftrumpfend positiv geriet das kurze "Lohengrin"-Vorspiel zum 3. Akt, aber des Orchesters Glanzstück in diesem Konzert war "Siegfrieds Rheinfahrt" aus der "Götterdämmerung". Hier lockte Mena jede Menge feinsinniger Klänge hervor und reihte die Motive wie an einer Perlenschnur aneinander - den Bläsern der Philharmonie blieb es vorbehalten, einen silbrig schimmernden Schluss auszugestalten. René Pape stellte zwei großen Szenen im Konzert vor, zunächst den Monolog des König Marke aus "Tristan und Isolde". Wie Pape vom ersten bis zum letzten Takt diesen Charakter ausfüllte, erst mit Erschütterung, dann Verratsahnung, schließlich das "Warum?" ohne Antwort auf den Lippen, das war ein großes Musikerlebnis. Auch beim "Abschied und Feuerzauber" des Wotan aus der "Walküre" zog Pape die Zuhörer in seinen Bann, formulierte die selbstbewusste Endgültigkeit der Trennung ebenso stark wie die Ahnung des Kommenden.
Jedes Wort ist bei ihm ausgekostet, seiner Stimme kann man sich im fiebrig-leisen piano ebenso wenig entziehen wie bei den großen Statements dieser Szene, die der Sänger voll auskostete. Die Philharmoniker folgten Pape "auf's Wort", gestalteten schöne Soli aus und schufen damit musikalisch die Atmosphäre eines großen Opernabends - eine Illusion, der man bei dieser qualitätvollen Darbietung gerne erliegt: die musikalischen Welten, die Pape und die Philharmoniker an diesem Abend eröffneten, benötigen nur auf den zweiten Blick Säle und Dekor.
Erzgebirgische Philharmonie Aue mit Weber, Strawinsky, Ibert und Beethoven in der Musikhochschule
Bei den Musikfestspielen und in der Frauenkirche kann man Gastspiele von Orchestern aus aller Welt erleben. Dass aber ein sächsisches Sinfonieorchester, das nicht in Dresden beheimatet ist, jedes Jahr eines seiner philharmonischen Konzerte in der Landeshauptstadt spielt, dürfte nicht jedem bekannt sein. Der sinfonische Gruß aus dem Erzgebirge hat einen besonderen Grund: schon seit einigen Jahren besteht eine Kooperation der Erzgebirgischen Philharmonie Aue mit der Dresdner Musikhochschule. Dirigenten und Instrumentalisten erhalten so die wertvolle Möglichkeit, in Proben und im öffentlichen Konzert mit dem Orchester zu arbeiten.
So erhalten die Studenten lebenswichtige Praxis und Erfahrung, können aber auch ihre eigenen Vorstellungen der Interpretation realisieren. Vier junge Dirigenten und zwei Solisten realisierten im Saal der Musikhochschule einen anspruchsvollen Konzertabend - keineswegs handelte es sich bei den Stücken um leicht zu studierende Werke. Auch das Orchester durfte glänzen, war aber auch mit verschiedenen Stilistiken gefordert. Zu Beginn erhielt Oboist Guido Titze, seit 1985 Philharmoniker, Mitbegründer des Dresdner Barockorchesters und der Hochschule lange als Lehrbeauftragter verbunden, von Rektor Ekkehard Klemm eine Honorarprofessur verliehen.
Den festlichen Rahmen dazu besorgte Karl-Friedrich Winter gleich im Anschluss mit der freundlich ausgestalteten Ouvertüre zur Oper "Euryanthe" von Carl Maria von Weber. In ganz andere musikalische Welten gelangte man mit dem "Concerto in D" von Igor Strawinsky. Dessen einziges Violinkonzert hat barocke Vorbilder, atmet aber gleichzeitig eine Mischung aus Neoklassizismus und scharfer Harmonik, die noch auf die Volkstümlichkeit von "Petruschka" zurückweist.
Mit Mirai Abe am Dirigentenpult und Elina Rubio Pentcheva an der Violine trafen zwei sehr unterschiedliche Temperamente aufeinander - Pentcheva faszinierte mit ordentlichem Zugriff auf das Stück und arbeitete vor allem die rhythmische Kraft der Motive gut heraus. Abe arbeitete mit dem Orchester eher besonnen, was meistens gut funktionierte. Lediglich der "Schulterblick" funktionierte nicht immer, man hätte eine bessere Platzierung der Solistin finden können. Nach der Pause durfte man den französischen Komponisten Jacques Ibert wiederentdecken - sein Flötenkonzert zählt noch zu seinen bekanntesten Werken. Warum das so ist, das zeigten André Brant (Dirigent) und Mayuko Sujako (Flöte) mit einer sehr schönen Interpretation, die den virtuosen Solopart mit einer galanten, einfühlsam ausgearbeiteten Orchesterbegleitung versah. Jederzeit präsent war Sujakos Flötenklang, an manchen Stellen hätte sie sogar etwas weniger geben können, denn die Erzgebirgische Philharmonie war aufmerksam bei der Sache.
Zum Abschluss widmete sich Karl Bernewitz der 8. Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Hier musiziere das Orchester freudig und mit deutlicher Kontur, die Bernewitz von vorne auch mit viel Energie in allen Sätzen vermittelte. Damit ging ein abwechslungsreicher musikalischer Abend auf hohem Niveau zu Ende - alle jungen Musiker und erhielten für dieses wichtige Projekt und ihre sehr ansprechenden Leistung großen Applaus.
Mozart-Abend mit Kristian Bezuidenhout und dem Freiburger Barockorchester in der Frauenkirche
Dass eine Werbeanzeige im Programmheft des Frauenkirchenkonzertes vom Sonnabend den Slogan "Musik für die Augen" verwendete, bekam angesichts des Dargebotenen einen leicht absurden Geschmack. Denn mit dem Hören hatte man in diesem Konzert so seine Schwierigkeiten. Offenkundig verhieß das Programm - ein reiner Mozart-Abend mit dem Freiburger Barockorchester und dem Pianisten Kristian Bezuidenhout - ein feines Musikerlebnis. Man muss wissen, dass der in Südafrika geborene, in Australien und den USA ausgebildete Bezuidenhout - im letzten Jahr begeisterte er bereits im Recital zu den Musikfestspielen - ein Spezialist des Hammerklavieres ist.
Diese historisch informierte Art des Mozart-Spiels hätte jedoch zwingend in einen anderen Raum gehört. Nur locker gefüllt war das Rund der Frauenkirche, man applaudierte dennoch fleißig und trotz deutlichem Hinweis im Programmheft nach jedem noch so kurzen Satz. Vielleicht wurde damit auch das stetige Bemühen des Orchesters goutiert, Bezuidenhout einen akustischen Boden zu bereiten, wo er möglicherweise doch noch das Ohr des Zuhörers erreichen würde. Es war ehrenwert, aber umsonst. Im Tutti sah man des Pianisten Arme über die Tasten fliegen, das Instrument hat aber keinerlei Resonanzmöglichkeit in einem Kuppelraum.
Ein verkrüppelter Mozart blieb übrig, bei dem man kammermusikalische Dialoge und Solokadenzen als Perlen suchen musste. Dabei hatte sich Bezuidenhout zwei Klavierkonzerte ausgewählt, die keineswegs zu den Selbstläufern unter den Mozart-Konzerten gehören: Das Konzert G-Dur KV 453 ist sehr zurückhaltend und konventionell gearbeitet, während das spätere Konzert Es-Dur KV 482, mit Klarinetten und Pauken besetzt, eine andere, sehr viel kunstvollere Luft zu atmen scheint. Was man in den solistischen Passagen (aber auch dort nur mit sehr viel Aufmerksamkeit) verfolgen konnte, war Bezuidenhouts Kompetenz an diesem Instrument - der Pianist verfügt vor allem über die Fähigkeit, genaue Ausarbeitung nicht zum Manierismus zu überhöhen.
Wenn sich Bezuidenhout Freiheiten in der Themengestaltung nimmt, wird dies durch ein überaus spritziges, lebendiges Spiel in den perlenden Passagen der Konzerte wieder ausgeglichen. Munter und von gegenseitiger Inspiration befruchtet war der Dialog mit dem Freiburger Barockorchester, das im ganzen Konzert keines Dirigenten bedurfte - Anna Katharina Schreiber übernahm diesen Part vom Konzertmeisterpult. Bezuidenhout musste damit "Augen im Rücken" beweisen, aber das ganze Ensemble musizierte so wach und mitatmend, dass die Vertrauensbasis eben eine gute Interpretation - vom akustischen Unbill abgesehen - schaffen konnte.
Gerahmt wurden die beiden Konzetre von frühen Werken des Meisters: die knappe Ouvertüre "Betulia liberata" überzeugte ebenso wie die Salzburger Sinfonie g-Moll, KV 183 und zeigte vor allem den jungen, stürmischen, stilistisch sich zwischen Italien und Mannheim orientierenden Komponisten. Schöne Bläsersätze, ein knackiger Hörnerklang und vor allem ein den Charakteristika der Sätze sehr angemessenes, fein abgestuftes Streicherspiel war da zu verfolgen - davon wollten die Zuhörer in der Frauenkirche mehr hören und bekamen auch eine Zugabe. Sollte man noch einmal ein Hammerklavier in die Frauenkirche platzieren, so sollte man die Zuhörer gleich mit in den Altarraum setzen - nur so wäre man dieser feinen Art, Mozart zu interpretieren, wirklich nahegekommen.
(1.7.2013)
Lieder zur Vihuela in der Hoflößnitz
Ab und an braucht es die kleinen, feinen Konzerte, die uns bewusst machen, dass wir uns mit unserer heutigen Musikrezeption doch allzusehr in vertrauten Gegenden aufhalten. Vor allem das 19. Jahrhundert ist in unserer heutigen Praxis präsent, die Werke der Meister werden gehegt und gepflegt. Das mag auch noch für das Barockzeitalter zutreffen, aber die Musik der Renaissance und früherer Zeiten belegt fast eine ähnliche Spezialposition wie die der Gegenwartsmusik. Es bedarf besonders ausgebildeter Musiker, der Aufführungsraum spielt eine nicht geringe Rolle und auch beim Hören erscheint das "Alte" plötzlich seltsam neuartig.
In der Hoflößnitz ist solche Musik denkbar gut aufgehoben - die Kammermusikreihe bemüht sich seit 20 Jahren um Konzerte mit ebensolchen Darbietungen im intimen Rahmen des Saales im Lust- und Berghaus. In Kooperation mit dem Musikfestival "Montalbane" gastierte am Sonntag die Sopranistin Maria Cristina Kiehr mit dem Vihuelisten Ariel Abramovich mit einem Programm kastilischer Musik des 16. Jahrhunderts. Die Musik der Vihuela, einem lautenähnlichen Vorläufer der Gitarre, war hochentwickelt und angesehen.
Die meisten Stücke des Konzertes stammten aus Manuskripten von Liederbüchern, wie sie von den Vihuela-Spielern in der Blütezeit des Instrumentes (um 1530-1580) gesammelt wurden - Villancícos, Romanzen und Cancíons, teilweise homophon, teilweise mehrstimmig (Stimme mit Begleitung) angelegt. Die Lieder sind ein einzigartiges Themenkompendium der damaligen Zeit - geistliche Musik ist ebenso vertreten wie schmerzvolles Liebesleid, Pastoralen und Burlesken. Maria Cristina Kiehr und Ariel Abramovich zeigten sich höchst vertraut mit diesem Repertoire, sie atmeten gemeinsam und gestalteten die zumeist einfachen Melodielinien mit Sinn für Ruhe und Tonentfaltung. Optimal konnte sich die warme Sopranstimme von Kiehr im Raum entfalten, auch die eher leisen Vihuelaklänge kamen dank Abramovichs Können gut zur Geltung.
Der vollbesetzte Saal schuf zwar die passende Atmosphäre, zwang aber auch zum häufigen Nachstimmen der Vihuela. Dass ein Großteil der Lieder einen abgrundtraurigen Inhalt hatte, machte das Konzert nicht weniger reizvoll ("Ach wäre ich ein einfacher Schäfer geblieben, als mich in Dich zu verlieben."). Schwierig erschien allerdings, dass in der Gesamtheit doch kaum eines der Stücke im Gedächtnis blieb (vom als Zugabe gegebenen "Las mis penas, madre" abgesehen). Obgleich Komponisten wie Luis de Milán zu den ersten gehörten, die überhaupt Tempovorschläge zu ihren Liedern angaben, ist bei dieser Musik natürlich viel Freiheit in der Interpretation möglich.
Kiehr bettete viele Lieder in einen so sanften, von langsamer Diktion bestimmten Schönklang, dass man der Dramatik des Textes oft nicht mehr bewusst wurde. Dass der Ursprung vieler Lieder im Tanz liegt, brachten einige Solostücke für die Vihuela zu Tage, aber auch Abramovich zeigte einen eher unprätentiösen Zugang. Etwas mehr Kontrast in der musikalischen Abfolge hätte dem Konzert gutgetan, so blieb ein doch sehr beruhigter, aber durchaus spannender Eindruck von der kastilischen Musik des 15. Jahrhunderts erhalten.