Donnerstag, 11. Juli 2013

Bilderbuch und Seelensturm

Haydn und Schostakowitsch mit Andris Nelsons im 12. Kapell-Sinfoniekonzert

Manchmal muss man sich nach Konzerten eine Weile alleine hinsetzen und erst einmal tief Luft holen, um das Gehörte zu begreifen. Vielleicht auch, um zurückzukehren in die Welt der Gegenwart, nachdem man soeben durch musikalisch durch Himmel und Hölle getragen wurde. Damit ist keinesfalls die Qualität des Dargebotenen gemeint, eher stehen die Begriffe für die größtmöglichen Kontraste und Extreme, die in der Musik möglich sind. Geschieht beides nahezu taktweise nacheinander, befindet man sich entweder bei Joseph Haydn oder Dmitri Schostakowitsch, was die ungewöhnliche Kopplung der Komponisten im 12. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden erklärt, zudem beherrschten beide Komponisten das musikalische Augenzwinkern auf ihre eigene Art und Weise.

Dass Haydns Sinfonien durchaus dramatische Qualitäten aufweisen können, machte die Interpretation des Letten Andris Nelsons klar - der erst 34jährige designierte Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra debütierte in diesem Konzert bei der Staatskapelle, jüngst gastierte er bereits bei den Musikfestspielen mit dem "War Requiem" von Benjamin Britten. Bereits in den ersten Takten von Haydns 90. Sinfonie C-Dur stand fest, dass Dirigent und Komponist hier eine Verbindung eingingen, die bis zum feuersprühenden Finale schlicht Spaß machte. Nelsons ist ein Körperdirigent, er zeigt überdeutlich, was ihm in diesem und jenen Takt auf der Seele liegt - ein Widerspruch ist bei seiner fordernden Gestik ausgeschlossen. Und so blätterte man in diesem Haydn-Bilderbuch, staunte und frohlockte ob der bunten Farben, die die Staatskapelle in die ökonomische Motivik des Meisters hineinlegte. Nelsons ließ Raum für die schönen Flöten- und Streichersoli; der Kehraus mit einem typisch Haydnschen "Generalpausenwitz" gelang brillant.

Gut 150 Jahre nach der Entstehung dieser Haydn-Sinfonie befindet sich der Komponist Dmitri Schostakowitsch im Fadenkreuz unsäglicher Restriktionen der sowjetischen Kulturpolitik - seine 5. Sinfonie d-Moll Opus 47 ist Antwort und Weigerung zugleich: missverstanden von den Oberen, tief in die Seele brennend, wenn man den Noten auf den Grund geht. Dieses Verständnis transportierte Nelsons durch alle vier Sätze auf kongeniale Weise. Er vereinigte extremste Emotion und klare Führung, so dass es für keinen Musiker ein "Zurück" gab, sei es im leisesten Flimmern des Largos, von Nelsons als ein einziges Trümmerfeld der Einsamkeit gedeutet, oder in den unwirklich marschartigen Passagen etwa der Durchführung des 1. Satzes, die Nelsons mit unglaublichen Stichen versah. Genau diese Vorgeschichte brauchte es aber, damit er das Ende dieses Satzes in eine Sphäre heben konnte, in der weltentrückt nur noch die leisen Töne regieren durften.

Fratzenhaft und mahleresk ließ Nelsons das Allegretto ausmusizieren, im Finale legte er die Emphase weniger auf den hohlen Dur-Sturm des Schlusses denn auf das fein ausgehörte kammermusikalischen Vortasten dieses Satzes. Damit kippten die Proportionen und das Ergebnis war frappierend und einleuchtend: Nelsons wandte sich dem Individuum zu, das viel mehr zählt als die polternde Masse. Sichtlich bewegt von der Musik nahm Nelsons am Ende die starken Ovationen des Publikums entgegen - und wird hoffentlich bald wieder im Semperbau begrüßt werden können.

Voll ausgekostet

Wagner mit der Dresdner Philharmonie, René Pape und Juanjo Mena

Das Beste hebt man sich für den Schluss auf. Diese goldene Regel einer Spannungsdramaturgie befolgte die Dresdner Philharmonie allerdings nicht immer in dieser Saison, denn es gab schon einige Konzerte, deren musikalische Qualität so gut war, dass man klar von einem Höhepunkt sprechen durfte. Einen letzten Gipfelsturm vor der Sommerpause unternahmen die Philharmoniker am Sonnabend im Albertinum. Star des Abends war der Bassist René Pape, dessen voller Terminkalender nur wenig Platz für Konzerte in seiner Heimatstadt Dresden erlaubt. Um so schöner, dass die Dresdner ihn nun im philharmonischen Konzert mit Szenen aus Wagner-Opern erleben konnten.

Zugleich würdigte das Orchester erneut das Komponistenjubiläum und man leuchtete in den Kosmos Wagner hinein, ohne dem Potpourri oder dem "Best Of"-Gedanken zu verfallen. Der Spanier Juanjo Mena, seit 2011 Chefdirigent des BBC Philharmonic Orchestra, hatte drei orchestrale Werke aus den Opern ausgesucht. Im Vorspiel zu "Tristan und Isolde" überzeugte zwar seine Einleitung, dann verlor Mena aber im oft verlangsamten Tempo die Spannung, überhastete aber überraschend den Höhepunkt des Vorspiels. Dem folgte allerdings eine warmherzige Interpretation des "Liebestodes", wo Mena zu einem guten Fluss der Musik fand. Die Philharmoniker, gerade zurückgekehrt von ihrer Japan-Tournee, durften zum Saisonabschluss in großer Besetzung antreten - sie überzeugten mit durchweg aufmerksamem und in den Gruppen schön ausbalanciertem Spiel.

Auftrumpfend positiv geriet das kurze "Lohengrin"-Vorspiel zum 3. Akt, aber des Orchesters Glanzstück in diesem Konzert war "Siegfrieds Rheinfahrt" aus der "Götterdämmerung". Hier lockte Mena jede Menge feinsinniger Klänge hervor und reihte die Motive wie an einer Perlenschnur aneinander - den Bläsern der Philharmonie blieb es vorbehalten, einen silbrig schimmernden Schluss auszugestalten. René Pape stellte zwei großen Szenen im Konzert vor, zunächst den Monolog des König Marke aus "Tristan und Isolde". Wie Pape vom ersten bis zum letzten Takt diesen Charakter ausfüllte, erst mit Erschütterung, dann Verratsahnung, schließlich das "Warum?" ohne Antwort auf den Lippen, das war ein großes Musikerlebnis. Auch beim "Abschied und Feuerzauber" des Wotan aus der "Walküre" zog Pape die Zuhörer in seinen Bann, formulierte die selbstbewusste Endgültigkeit der Trennung ebenso stark wie die Ahnung des Kommenden.

Jedes Wort ist bei ihm ausgekostet, seiner Stimme kann man sich im fiebrig-leisen piano ebenso wenig entziehen wie bei den großen Statements dieser Szene, die der Sänger voll auskostete. Die Philharmoniker folgten Pape "auf's Wort", gestalteten schöne Soli aus und schufen damit musikalisch die Atmosphäre eines großen Opernabends - eine Illusion, der man bei dieser qualitätvollen Darbietung gerne erliegt: die musikalischen Welten, die Pape und die Philharmoniker an diesem Abend eröffneten, benötigen nur auf den zweiten Blick Säle und Dekor.

Anspruchsvolles Sinfoniekonzert mit Studenten

Erzgebirgische Philharmonie Aue mit Weber, Strawinsky, Ibert und Beethoven in der Musikhochschule

Bei den Musikfestspielen und in der Frauenkirche kann man Gastspiele von Orchestern aus aller Welt erleben. Dass aber ein sächsisches Sinfonieorchester, das nicht in Dresden beheimatet ist, jedes Jahr eines seiner philharmonischen Konzerte in der Landeshauptstadt spielt, dürfte nicht jedem bekannt sein. Der sinfonische Gruß aus dem Erzgebirge hat einen besonderen Grund: schon seit einigen Jahren besteht eine Kooperation der Erzgebirgischen Philharmonie Aue mit der Dresdner Musikhochschule. Dirigenten und Instrumentalisten erhalten so die wertvolle Möglichkeit, in Proben und im öffentlichen Konzert mit dem Orchester zu arbeiten.

So erhalten die Studenten lebenswichtige Praxis und Erfahrung, können aber auch ihre eigenen Vorstellungen der Interpretation realisieren. Vier junge Dirigenten und zwei Solisten realisierten im Saal der Musikhochschule einen anspruchsvollen Konzertabend - keineswegs handelte es sich bei den Stücken um leicht zu studierende Werke. Auch das Orchester durfte glänzen, war aber auch mit verschiedenen Stilistiken gefordert. Zu Beginn erhielt Oboist Guido Titze, seit 1985 Philharmoniker, Mitbegründer des Dresdner Barockorchesters und der Hochschule lange als Lehrbeauftragter verbunden, von Rektor Ekkehard Klemm eine Honorarprofessur verliehen.

Den festlichen Rahmen dazu besorgte Karl-Friedrich Winter gleich im Anschluss mit der freundlich ausgestalteten Ouvertüre zur Oper "Euryanthe" von Carl Maria von Weber. In ganz andere musikalische Welten gelangte man mit dem "Concerto in D" von Igor Strawinsky. Dessen einziges Violinkonzert hat barocke Vorbilder, atmet aber gleichzeitig eine Mischung aus Neoklassizismus und scharfer Harmonik, die noch auf die Volkstümlichkeit von "Petruschka" zurückweist.

Mit Mirai Abe am Dirigentenpult und Elina Rubio Pentcheva an der Violine trafen zwei sehr unterschiedliche Temperamente aufeinander - Pentcheva faszinierte mit ordentlichem Zugriff auf das Stück und arbeitete vor allem die rhythmische Kraft der Motive gut heraus. Abe arbeitete mit dem Orchester eher besonnen, was meistens gut funktionierte. Lediglich der "Schulterblick" funktionierte nicht immer, man hätte eine bessere Platzierung der Solistin finden können. Nach der Pause durfte man den französischen Komponisten Jacques Ibert wiederentdecken - sein Flötenkonzert zählt noch zu seinen bekanntesten Werken. Warum das so ist, das zeigten André Brant (Dirigent) und Mayuko Sujako (Flöte) mit einer sehr schönen Interpretation, die den virtuosen Solopart mit einer galanten, einfühlsam ausgearbeiteten Orchesterbegleitung versah. Jederzeit präsent war Sujakos Flötenklang, an manchen Stellen hätte sie sogar etwas weniger geben können, denn die Erzgebirgische Philharmonie war aufmerksam bei der Sache.

Zum Abschluss widmete sich Karl Bernewitz der 8. Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Hier musiziere das Orchester freudig und mit deutlicher Kontur, die Bernewitz von vorne auch mit viel Energie in allen Sätzen vermittelte. Damit ging ein abwechslungsreicher musikalischer Abend auf hohem Niveau zu Ende - alle jungen Musiker und erhielten für dieses wichtige Projekt und ihre sehr ansprechenden Leistung großen Applaus.

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Darin werden auch meine Sheet Music Arbeiten besprochen. https://www.de utschlandfunkkultur.de/mus s-musik-klingen-dlf-kultur -af311058-100.html?fbclid= IwZXh0bgNhZW0CMTAAAR1gukU1 amxtLwWbiPxNhxdVCM977eywjf 8TH7ENGamlB60GL7TpK5pqCrY_ aem_Aas_oUIX6V1yGiBFpKKDxE mEaNZUWV82XFXWTczRhCYe_9nX Y2S0GX8UHQUD8R8WBLNAmCNmT3 PeF0ekBqS14Yqu Vorstellung skraft...
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