Rezensionen

Sonntag, 28. Februar 2016

Teuflisch gut.

Paganini mit Violine und Gitarre bei den Meisterkonzerten Albrechtsberg

Es ist sicherlich eine Betrachtung wert, wenn man feststellt, dass bestimmte Instrumente eher selten den Weg auf das klassische Konzertpodium finden. Dann aber ist meistens um so erstaunter, was Komponisten und Virtuosen dieser Instrumente für außergewöhnliche Klangwelten zu erzeugen imstande waren und sind.

Für die Gitarre gilt dies in besonderer Weise, schwankt doch ihre Präsenz im Konzertsaal je nach musikalischer Epoche, aber auch in den verschiedenen Kulturkreisen wurde sie mit unterschiedlicher Vorliebe behandelt: in Spanien etwa ist sie in der Kunstmusik nicht wegzudenken, im deutschen Kulturraum gilt sie eher noch als das jedem zugängliche Volksinstrument. Gitarre spielen kann jeder? Das wird sich vielleicht auch der eine oder andere Konzerthörer beim Meisterkonzert im Schloss Albrechtsberg kurz vor dem Beginn gedacht haben, aber spätestens bei den ersten sorgsam erzeugten Tönen des Finnen Ismo Eskelinen war klar, dass hier ein Meister auf dem Podium sitzt.

Denn mit einer großen Auswahl von Werken des Teufelsgeigers - und, wie man am Mittwoch auch lernen konnte, auch Teufelsgitarristen - Niccoló Paganini war eine weitgehend unbekannte Literatur präsentiert, die auch nach dem fünften Stück noch nicht langweilig wurde, weil die zuweilen ausufernd-rhapsodische Komponierweise Paganinis für gehörig Abwechslung sorgte. Da hatte die Duopartnerin Mira Wang an der Violine mal ganz in der bekannten Weise die hochvirtuose Führungsstimme zu übernehmen, in der "Romanze" aus der Grand Sonata hingegen war es umgekehrt: Getupftes von der Violine untermalte einen von sehnsuchtsvoll tönender Ornamentik nahezu überquellenden Gitarrenpart.

Eskelinen ging diese vornehmlich leisen, sensiblen Töne seines Instrumentes mit viel Besonnenheit an und so konnte man sich auf feinste Klangnuancen konzentrieren, auf den Atem der Musik, den beide im Duo in faszinierender Weise immer wieder neu entwickelten. So kam auch gut heraus, dass Paganinis Stücke manchmal arg zwischen den Stühlen stehen: hier und da findet man noch Alberti-Bässe der Wiener Klassik, doch vor allem die langsamen Sätze seiner Sonaten weisen weit in die Romantik und haben singenden Charakter. Solistisch trat das Duo ebenfalls hervor: Eugène Ysayes fünfte Solosonate mit dem wunderbaren "L'Aurore" als erstem Satz ließ in Mira Wangs kompetenter, klangsatter Interpretation alle Farben eines Tagesanbruchs aufleuchten.

Ismo Eskelinen zeigte im Solospiel mit zwei Bearbeitungen von Manuel de Falla und Isaac Albéniz spanisches Temperament, das aber in seinen Händen so liebevoll und gleichzeitig mit stolzer Haltung geformt war, dass man die Grazie und Noblesse des Flamencos darin wiederentdecken durfte - wahrlich ein meisterliches, die Sinne anregendes Konzert.
(18.2.2016)

Musikalische Stimmungen zum Gedenken

Konzert zum 13. Februar der Dresdner Philharmonie in der Kreuzkirche

Zum Dresdner Gedenktag am 13. Februar steht ernste Musik auf den Programmen der Orchester, und bei Vokalkonzerten lauscht man zumeist einem Requiem oder einer Messvertonung. Michael Sanderling, Chefdirigent der Dresdner Philharmonie, hat in den letzten beiden Jahren mit Aufführungen der 8. und 11. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch diese Tradition zwar nicht aufgebrochen, aber sinnfällig um einige Bezüge erweitert - die direkte Nachvollziehbarkeit von Ereignis und Gedenken wurde eingebettet in ein großräumig angelegtes, humanistisches Feld.

Gedanken zum Gedenken - so könnte man auch die durchaus anspruchsvolle Dramaturgie des diesjährigen Konzertprogrammes umschreiben, denn auf den ersten Blick fällt nicht auf, was die Komponisten Samuel Barber, Peteris Vasks oder Herbert Howells mit dem Dresdner Gedenktag verbindet. Offenkundig schien diesmal eine eher lose Verbindung, die auf dem Erzeugen musikalischer Stimmungen beruhte, im Vordergrund zu stehen. Samuel Barbers berühmtes "Adagio" erzeugt nüchtern betrachtet allein durch seine harmonische Anlage die melancholisch-traurige Emotion. Leider ist dieses Werk schon in seiner Rezeption bekannt dafür, für alle möglichen Gelegenheiten ernster Natur herzuhalten ohne selbst über den Gefühlsfaktor hinaus wirkende, tiefergehende musikalische Aspekte bereitzuhalten.

Von der Orgelempore der Kreuzkirche hinabtönend hatte der Philharmonische Chor unter Leitung von Gunter Berger den Pathos im Zaum und bemühte sich um eine klangschöne Interpretation der Chorfassung des Adagios im recht zügigen Tempo, womit einige Schwierigkeiten des Stückes galant umschifft wurden. Das Hauptwerk des rund eine Stunde währenden Konzertes war das 1939 entstandene Violinkonzert von Benjamin Britten, das selten auf den Podien erklingt, wohl weil es von Solisten einigermaßen gefürchtet ist. Mit einer so souveränen Solistin wie Sophia Jaffé jedoch gelang noch weitaus mehr als die pure Bewältigung des hochvirtuosen und gleichzeitig hochemotionalen Soloparts: sie animierte die Philharmoniker und Michael Sanderling zu rhythmisch pointiertem Spiel und bot eine jederzeit zielgerichtete, atmende Phrasierung an, hier folgte man als Zuhörer gerne der spannungsgeladenen Interpretation.

Ähnlich wie Brittens 3-jährigen USA-Aufenthalt 1939-1942 nicht wirklich als Exil bezeichnen mag, reduzierte sich die Auseinandersetzung mit Herbert Howells Orgelrhapsodie Nr. 3, auf die Information, er habe das Stück "in einer Nacht während des Ersten Weltkrieges in York geschrieben". Aus der spätromantisch empfundenen Musik sprach kaum existenziell Erfahrbares, das übersichtlich-differenzierte Spiel von Kreuzorganist Holger Gehring gefiel dennoch. Schließlich fand sich der Philharmonische Chor im Altarraum bei den Philharmonikern ein, um abschließend Peteris Vasks "Dona Nobis Pacem" (1997) zu musizieren.

Es ist wie Barbers Adagio ein in diatonischen Welten reisendes Werk von innigem Gefühl, das (ausschließlich) mit Melos arbeitet, aber in dieser Reduktion der Mittel kaum eine Wirkung erreicht, die man nicht anders schon sehr viel intensiver erlebt hätte - der Hinweis auf Schostakowitschs langsame Sätze sei hier erneut erlaubt. Gunter Berger hatte aber erneut mit einer fließenden, die Homogenität fördernden Lesart großen Anteil daran, dass man gerne zuhören mochte und die Friedensbitte des Werkes letztlich zu einem wichtigen, zeitlosen Dokument wurde, mit dem jeder im Raum persönliche Gedanken, Erinnerungen und Wünsche verband.
(15.2.2016)

Lohnender Aufwand

Arthur Honeggers "Jeanne d'Arc au bucher" halbszenisch bei der Philharmonie im Albertinum

Es gilt als eines der wichtigsten Oratorien des 20. Jahrhunderts und sicher als ein Schlüsselwerk im Schaffen des Schweizer Komponisten Arthur Honegger (1892-1955), der ansonsten eher durch seine Sinfonien und vor allem das Orchesterstück "Pacific 231" bekannt wurde: das Oratorium "Jeanne d'Arc au bucher", uraufgeführt 1938 in Basel, behandelt die Geschichte der auch als Jungfrau von Orléans bekannten Nationalheldin Frankreichs, die 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Die halbszenische Aufführung der Dresdner Philharmonie im Albertinum geriet zu einem Höhepunkt der laufenden Konzertsaison, und dies nicht nur wegen des enormen Aufwandes und der Anforderungen, die Honegger an seine Ausführenden stellt.

Ein sehr großes Orchester, mit Klavieren, Ondes Martenot und reichhaltigem Schlagzeug besetzt, malt mit vielfältigen Klangfarben die Geschichte aus, Chöre, Sänger und Sprecher widmen sich in elf Szenen einer Rückschau der bereits an den Pfahl geketteten Jeanne d'Arc. Ihr Lebensweg und ihre persönlichen Erinnerungen werden mit Ereignissen verknüpft, die zu ihrer Verurteilung führten. In Honeggers Musik findet dies - in kongenialer Verbindung mit dem Libretto von Paul Claudel - einen kontrastreichen, dramaturgisch überzeugend angelegten Niederschlag. Impressionistisches wechselt da mit opernhaften Szenen, Liedformen oder dem prozessualem Königsmarsch beim Empfang des Königs in Reims - trotzdem bleibt die Musik Honeggers stark der Tradition verpflichtet.

In Zusammenarbeit mit der Hochschule für Bildende Künste Dresden realisierte die Dresdner Philharmonie eine halbszenische Aufführung, in der die frontale Konzertsituation wenig aufgebrochen wurde, man aber spätestens ab dem Tierprozess der dritten Szene auch mit den Augen stets dabei war. Dabei hätte allein die Qualität der sängerischen und schauspielerischen Darbietung an diesem Abend schon eine konzertante Version gerechtfertigt.

Allen voran brillierte die Schauspielerin Johanna Wokalek als Jeanne d'Arc; ihre einfühlsame Darstellung vereinte das einfache Mädchen vom Lande mit der kettensprengenden Märtyrin. Ebenso herausragend und mit großer Ruhe gestaltete Franz Grundheber, der für Thomas Quasthoff eingesprungen war, seine Sprechrolle als Bruder Dominik.

Auch alle weiteren Solisten bewältigten ihre Partien mit Bravour, wobei die Szenen des Tiergerichts und des Bauernvolks (vorzüglich agierend: Tom Quaas, Imke Büchel und Herbert Lippert) ihre schon von Honegger in der Musik angelegte Überzeichnung erhielten - dem folgte die Regie von Reto Nickler zumeist behutsam und Moritz Haack (HfBK) hatte für die Protagonisten passende, phantasievolle Kostüme entworfen. Eine große Spannung entstand im Hinblick auf die ernsteren Szenen des Werkes mit Jeannes Trösterinnen Katharina und Margarethe (Guanquan Yu, Sopran und Janina Baechle, Alt). Bertrand de Billy, Erster Gastdirigent der Dresdner Philharmonie, hielt als Spiritus Rector der Aufführung mit zumeist straff geführten Tempi alle Fäden gut in der Hand und konnte so den Spannungsbogen bis in die dramatische Verbrennungsszene am Schluss halten. Genau diese aber erfuhr merkwürdigerweise eine szenische Zurückhaltung, wohl um die Aufmerksamkeit wieder auf die Musik zu lenken. Unbedingt herauszuheben ist die Leistung des Rundfunkchor Berlins (Einstudierung Michael Alber), der seine umfangreiche, tragende Rolle im gesamten Oratorium mit höchster Differenzierung zwischen leisestem Flüstern und vollstem Forte-Ausbruch ausgestaltete - dem stand der Philharmonische Kinderchor (Einstudierung Gunter Berger) mit souveränem, klarem Klang in nichts nach.

Eingedenk der Tradition konzertanter Opernaufführungen der Philharmonie in früheren Zeiten ist dies ein neuer Weg, der in Abhängigkeit von Raum, Werk und Umsetzbarkeit unbedingt weiter beschritten werden sollte, wenngleich hier die akustische wie visuelle Darstellung im Albertinum klar ihre Grenzen hatte und auch die akustische Verstärkung nicht immer befriedigen konnte - spätestens ab der zehnten Reihe unterschieden sich die Eindrücke nach dem Konzert doch stark. Unbestritten bleibt jedoch die Tatsache, einem herausragendem Werk des 20. Jahrhunderts in einer fulminanten musikalischen Interpretation beigewohnt zu haben.

Sonntag, 31. Januar 2016

Genuss der Sonderklasse

Leonidas Kavakos und Robin Ticciati gastieren im 5. Sinfoniekonzert der Staatskapelle

Der Begriff des "Fin de Siècle" ist in der Kunstwelt allgemein bekannt - in der Anwendung auf die Musik der vorletzten Jahrhundertwende ist er zwar auch gebräuchlich, aber man sollte vorsichtig damit sein, über Analysen oder Intentionen von Werken dieser Zeit eine Folie zu legen, die die Gefahr der Indifferenz birgt. Interessant wird es allerdings, wenn die Indifferenz, die dem Begriff schon wegen des Zwischenraums einer Zeitenwende innewohnt, selbst zum Gegenstand der Betrachtung wird.

Insofern hatte das Programm, dass der junge britische Dirigent Robin Ticciati - seit seinem Debüt bei einem Aufführungsabend 2006 ein gern gesehener Gast bei der Sächsischen Staatskapelle - am vergangenen Wochenende zum 5. Sinfoniekonzert zusammenstellte, einen ganz eigenen Reiz. Gustav Mahlers "Blumine"-Satz war ursprünglich zu dessen 1. Sinfonie zugehörig und weist noch frühere Wurzeln auf, doch Mahler strich den Satz wieder aus der Sinfonie, erst 1966 wurden die Noten wiederentdeckt. Ticciati verlieh dem kurzen Stück Atmosphäre und die Berechtigung, in diesem Kontext zwischen Werken des Aufbruchs und solchen mit Nachwehen der Klassik und Romantik zu bestehen.

Auch Jean Sibelius ließ sich im Konzert neu entdecken - dies vor allem, weil mit dem griechischen Geiger Leonidas Kavakos ein absoluter Kenner und Könner des berühmten Violinkonzertes d-Moll, Opus 47 zu erleben war: Kavakos spielte 1991 als erster Sibelius' später aufgegebene Originalfassung des Konzertes ein. Seine Interpretation war von hoher Spannung getragen und man konnte sich für seine wunderbare Klanggebung und das sorgfältige Timing nur begeistern - da war selbst ein einzelner Ton wie das schattenhafte Verklingen des 2. Satzes ein Genuss der Sonderklasse. Kavakos legte die Schönheit dieses Konzertes offen, ohne in eine romantisierende Haltung zu verfallen und fand auf seiner Geige nuancenreiche, kupferfarbene Töne, die man diesem Instrument gar nicht zugetraut hätte. Aus innerer Überlegenheit und Ruhe heraus formte Kavakos das Konzert mit starker eigener Zeichnung und Übersicht für einen großen Atem über alle drei Sätze hinweg - daraus sprach äußerste Wertschätzung für die Musik.

Dieser Willen zum Kolorit übertrug sich auch auf die Kapellmusiker, die in den größeren Tuttipassagen von Mal zu Mal mutiger in der Klangfarbe agierten und Kavakos' Impulse wunderbar aufnahmen. Wie einmalig und auch im besten Sinne schockierend Musik nicht nur die Zuhörer, sondern auch den Interpreten selbst treffen kann, wurde bei der Bach-Zugabe deutlich, nach der Kavakos sich erst einmal selbst von den gerade verklingenden Noten erholen musste - von der Bühne lassen wollte ihn das Publikum danach kaum noch.

Im zweiten Teil des Konzertes ging es weiter mit Musik an der Zeitenwende: Maurice Ravels 1911 entstandene "Valses nobles et sentimentales" sind eine eigenartig luftige Zwischenraummusik mit Franz Schubert im Rücken und der walzerseligen Vorkriegszeit im Auge. Robin Ticciati arbeitete die Eleganz dieser Musik hervorragend heraus und sorgte vor allem mit freundlicher Ermunterung für den richtigen Swing im Dreiertakt. Gleiches galt für Claude Debussys Orchesterskizzen "La Mer" (1905), wenngleich hier die von Ticciati stets spürbare Sorgfalt der Darstellung etwas im Widerspruch zur beschriebenen ungezügelten Naturkraft stand: so säuberlich aufgereiht und gleichzeitig mit weichem, feinem Glanz versehen hat man Debussys Wellenspiele selten gehört.
(25.1.2016)

Samstag, 23. Januar 2016

Fünf musikalische Bilder

Orgel und Schlagzeug beim "Orgel-Winter" in der Diakonissenhauskirche

Die Diakonissenhauskirche in der Dresdner Neustadt bietet über das ganze Jahr hinweg vielfältige musikalische Veranstaltungen an. Im Januar, zur Zeit des Jahrestags der Orgelweihe, offeriert Kantor Jan Katzschke einen "Orgel-Winter" und rückt damit die 1973 geweihte, wohlklingende Schuke-Orgel ins Blickfeld. Zum Eröffnungskonzert am vergangenen Freitag konnten die Zuhörer die recht seltene Instrumentenkombination Orgel und Schlagzeug erleben, dazu fanden sich Steffen Walther, Organist der Kreuzkirche Chemnitz und Christian Langer, Schlagzeuger der Sächsischen Staatskapelle Dresden, im Duo zusammen.

Das aus fünf Teilen bestehende Programm hatte keine Zäsuren, so dass man die Kontraste zwischen Improvisation und ausnotierten Kompositionen, alter und neuer Musik intensiv wahrnehmen konnte. Neben zwei Werken für die Orgel allein sowie zwei rahmenden Duo-Improvisationen stand "Karakurenai" ("fremdes Purpur"), ein Werk des US-Amerikaners Andy Akiho im Mittelpunkt des Konzertes und sorgte mit immer wieder leicht veränderten Patterns auf der Steel Drum für einen exotischen Akzent - leider fiel es in der kunstvollen Umgebung der Nachbarwerke trotz der versierten Ausführung von Christian Langer schwer, sich auf diese wie am Reißbrett entworfene Klangtapete einzulassen.

Interessanterweise hatten Langer und Walther kein Originalwerk für die Duobesetzung ausgewählt, stattdessen sorgten die zwei Improvisationen dafür, dass man in Ruhe mit der spannenden Besetzung vertraut wurde: Klangflächen, sorgsam gesetzte Impulse und im gegenseitigen Zuhören organisch aufgebaute Steigerungen zeugten von Sensibilität für die Verschmelzung der beiden Instrumente, wobei Walther nur selten das Pleno der Orgel nutzen musste - die spannenden Momente lagen in leisen, suchenden Strukturen, wozu in der Orgel auch Solostimmen und Mixturen eingesetzt wurden. Schwierig erscheint es, einen Gesamteindruck des Konzertes widerzugeben, denn mit den beiden Orgelsolowerken taten sich weitere Welten auf: wer Johann Sebastian Bachs monumental-grandiose "Präludium und Fuge" e-Moll BWV 548 in einem Programm platziert, weiß um die Alleinstellung dieses großartig wirkenden und nachwirkenden Werkes.

Walther spielte es mit ordentlichem Zug im Tempo und schuf eine selbstbewusste, vor Kraft strotzende Interpretation, die aber dem Werk gemäß war. Dass Sigfrid Karg-Elerts stellenweise recht putzig komponierter "Valse mignonne" demgegenüber eher als leicht mundender Nachtisch im Ohr ankam, war verständlich. Zum Ende gab es im Duo nach einer großangelegten Steigerung in der Abschlussimprovisation versöhnliche Töne mit Marimba und Orgel - das Konzert stellte so fünf stark kontrastierende musikalische Bilder vor, auf die einzulassen sich aber in der Summe wertvoll erschien.
(17.1.2016)

Mozart-Menü mit Tischfeuerwerk

Sonderkonzert zu Rudolf Buchbinders 70. Geburtstag bei der Staatskapelle Dresden

Mit dem Feiern kann man nie früh genug anfangen. Vermutlich ist es den eng gestrickten Konzertkalendern geschuldet, dass der 70. Geburtstag von Rudolf Buchbinder kurzerhand vom Dezember auf den Januar vorverlegt wurde. Das Dresdner Publikum nahm das Geschenk eines Kapell-Sonderkonzertes mit dem Wiener Pianisten gerne an, erfreut sich Buchbinder doch hier einer großen Fangemeinde und musiziert seit Jahren in freundschaftlicher Partnerschaft mit der Sächsischen Staatskapelle. Für das Geburtstagsständchen - der Diminutiv wirkt angesichts des Programms seltsam unangebracht - braucht man indes keinen Pianisten anheuern, Buchbinder selbst beschenkte sich und seine Zuhörer mit Werken von Mozart und Weber und vollführte dies mit sichtlicher Freude, aber auch mit dem von ihm bekannten und vom Publikum geschätzten Anspruch.

So traf er bei den beiden ausgewählten Klavierkonzerten von Wolfgang Amadeus Mozart sehr überzeugend die Charakteristik der Werke - zunächst das in wunderbarer Weise auf ornamentlose, wesentliche Aussagen konzentrierte späte B-Dur-Konzert, KV 595. Vom Klavier aus leitete Buchbinder das gesamte Konzertprogramm und schonte mit drei Konzertwerken auch seine eigene Kraft nicht. Zu Beginn des B-Dur-Konzertes war in der Orchestereinleitung allerdings noch manches verquer, die Musiker befanden sich in puncto Homogenität und Intonation noch in einer Art Findungskommission. Hier wirkte der Vertrauensmotor, den Buchbinder mit sehr sparsamen Bewegungen vom Klavier aus beim Orchester in Gang setzte, noch etwas morgendlich unterkühlt. Doch ist das "concertare" eben ein wachsender Prozess gegenseitiger Inspiration, und mit den ersten Klaviereinsätzen breitete sich ein wunderbar entspanntes, schließlich ein auch vor allem im C-Dur-Konzert KV 467 beseelt zu nennendes Musizieren aus. Interessant waren einige interpretatorische Feinheiten: Wo sich andere Orchester und Solisten bei Mozart gern in Tempo oder Agogik in Sphären der Extreme begeben, besann sich Buchbinder auf Natürlichkeit, vielleicht gar auf eine ehrliche Naivität.

Das war eine sanfte und gleichzeitig kompetente Unterhaltung mit Mozart, die nur an seltenen Stellen die Gefahr des Lapidaren in sich barg - dieser Grat ist aber bei jedem Zuhörer anders ausgeprägt, und Buchbinder zwingt erst recht zum Hinhören, wenn er Mozarts raffiniertes Komponieren nicht auf dem Silbertablett präsentiert, sondern organisch in den Kontext des gesamten Werkes einbettet. Und wenn Mozart dann so genialisch auftrumpft, wie im über das Werk hinaus berühmten Andante des C-Dur-Konzertes, bleibt den Musikern nur, sich diesem Schwelgen hinzugeben. Wenn Mozart das sechs-Satz-Menü der Geburtstagsmatinee darstellte, so war das dazwischen platzierte Konzertstück f-Moll von Carl Maria von Weber das Tischfeuerwerk. Buchbinder versah Webers üppig verzierten, romantischen Klaviersatz mit ordentlichem Vorwärtsgang, arbeitete deutlich harmonische und rhythmische Finessen aus und leitete die Orchestermusiker zu differenziertem Folgen an.

Einhelliger, berechtigter Jubel breitete sich im Opernrund aus, nicht nur das gelungene Konzert, sondern vor allem den Künstler Rudolf Buchbinder und sein lebenslanges und weltweit ausstrahlendes pianistisches Wirken. Davon können sich auch Zuhörer in den Musikzentren Wien, München, Baden-Baden oder Berlin in den nächsten Tagen überzeugen, wenn die Staatskapelle mit Buchbinder auf Tournee geht.
(11.1.2016)

Donnerstag, 21. Januar 2016

Das brandneue Testament

Mein erster Kinobesuch in diesem Jahr galt einem neuen Film aus Belgien, der soeben in den Programmkinos angelaufen ist. Jaco van Dormael erzählt die schöne Geschichte von Ea, die mit ihrer Familie in Brüssel lebt. Ihr Vater ist nicht irgendwer, sondern - Gott. Dass wir uns kein Bild von Gott machen sollen, hat nach diesem Film einen Sinn erhalten - denn Gott ist Choleriker, läuft zu Hause im versifften Bademantel herum, guckt Sportsendungen und kommandiert an seiner Familie herum. Wenn er arbeitet, dann in einem kafkaesken Raum voller Schubladen an einem alten PC. Dort initiiert er Naturkatastrophen, aber feilt auch am 2526. Gebot. Seine Tochter bricht aus diesem Horror aus - und zwar durch die Waschmaschine, dem einzigen Ausgang aus der Wohnung. Zuvor hat sie allen Menschen auf der Welt noch den Todeszeitpunkt mitgeteilt, was ungeahnte Auswirkungen hat. Sie schart sechs Apostel um sich, deren je eigene Geschichten von van Dormael liebevoll erzählt werden. Da gibt es den Scharfschützen, die frustrierte Ehefrau - (Catherine Deneuve, die sich fortan in einen Gorilla verliebt), den Obdachlosen oder Willy, der lieber ein Mädchen sein will. Was in der Beschreibung eher nach Klamauk klingt, ist filmisch sehr schön umgesetzt und der Film wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Komödie und poetisch inszeniertem Drama - immer wieder hält man inne, um dann wieder in die nächste Überraschung gestürzt zu werden. Leider ist "Das brandneue Testament" mit einem etwas holprigen Schluss versehen, aber der wird hier nicht verraten und mag vielleicht sogar gefallen. Auf jeden Fall ein sehenswerter Film!!



CAST: Pili Groyne, Benoît Poelvoorde, Yolande Moreau, Catherine Deneuve, François Damiens, Laura Verlinden

* Filmseite "Das brandneue Testament"

* Rezension bei filmgazette

Dienstag, 5. Januar 2016

Medley zum Jahresausklang

Silvesterkonzert der Staatskapelle Dresden mit Lang Lang und Christian Thielemann

Ernst, Gediegenheit und Anspruch: was man der klassischen Musik oft nachsagt, ist zumindest an einem Tag des Jahres widerlegbar. In den allenorten stattfindenden Silvesterkonzerten werden, wenn nicht gerade dem Ritus der Aufführung der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven gehuldigt wird, bunte Programme aufgelegt, die der leichten Muse innerhalb der Klassik huldigen oder auch einen Grenzgang wagen, in jedem Fall aber bestens unterhalten. Dieser Maxime geht auch Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle seit Beginn seiner Amtszeit in Dresden nach - die vom ZDF regelmäßig ausgestrahlten Silvesterkonzerte sind Chefsache.

In diesem Jahr machte Thielemann chronologisch etwa dort weiter, wo er vor zwei Jahren endete: nach den Roaring Twenties waren nun die amerikanischen Fifties dran, die natürlich ohne die Vorarbeit von George Gershwin nicht denkbar sind. Im von Kamerakränen und Scheinwerfern dominierten Ambiente gab es in der Semperoper aber zu Beginn erst einmal einen klassischen Ausflug nach Norwegen: der weltweit gefeierte chinesische Pianist Lang Lang spielte Edvard Griegs 1868 entstandenes Klavierkonzert a-Moll. Einen anderen Grund, als den Starsolisten, der später noch einen zweiten Auftritt mit George Gershwins "Rhapsody in Blue" erhielt, angemessen in Szene zu setzen, gab es wohl nicht für diesen Programmpunkt und es ist auch besser, diese Darbietung schnell zu vergessen.

Wie Intensität ohne exzentrische Übertreibung ein musikalisches Hochgefühl erzeugen kann, machte die Staatskapelle in der Einleitung zum zweiten Satz fabelhaft vor. Lang Lang fand diese Grenze allerdings nicht, wichtiger als das Klavierspiel schien alles Drumherum zu sein. Seine körperlichen Gebärden kindlichen Entdeckens eines Harmoniewechsels, der natürlich im großen Ritardando zelebriert sein muss, wirkten kurios, und in der Aneinanderreihung von maßloser Akzentsetzung, Unterteilung von Takten in zwei verschiedene Tempi und Untermauerung der Großartigkeit der Musik mit Fußtritten im Forte verzerrte sich das im komponierten Satz übrigens auch nicht beherrschte Konzert zur Karikatur. War hier die Dosis des Ausdrucks mit permanentem Überdruck versehen, vermisste man diesen ausgerechnet in Gershwins "Rhapsody in Blue". Zwar packte Lang Lang hier nun eine gewisse Lässigkeit aus, doch die Virtuosität wirkte ausgestellt und bediente vorrangig die Ebenen von Geschwindigkeit und Pathos, wodurch das beim Zuhörer mitwippende Bein ein ums andere Mal in unerklärlichen Schleuderkurs geriet.

Merkte man schon in der Orchesterbegleitung der "Rhapsody (selbstverständlich mit fulminantem Klarinetten-Solo zu Beginn!), dass die Staatskapelle an diesem Abend ausnehmend gut aufgelegt war, so geriet der weitere Fortgang des Konzertes, insbesondere in den Bernstein-Stücken aus "On the Town" und "Wonderful Town" zu einem tollen orchestralen Klangrausch. Zwar merkte man im Detail die Zerrissenheit manches Musikers, als Mitglied eines Spitzenorchesters die broadwaytypischen "dreckigen" Harmonien und Rhythmen voll auszukosten, doch Thielemann gelang diese Gratwanderung und vertraute dem Können seiner Musiker. Die israelische Mezzosopranistin Rinat Shaham und der US-amerikanische Bariton Lucas Meachem - letzterer wird den Dresdnern 2016 in der Premiere von "Don Giovanni" wiederbegegnen - vergoldeten schließlich bekannte Songs wie "As Time Goes By" oder "Lady be Good" mit sängerischem Feingefühl; hier stand nicht opernhafte Selbstinszenierung, sondern musikalischer Esprit im Vordergrund, so dass man als Zuhörer nur noch schwelgen durfte.

Ein bewegender Moment entstand, als Meachem in Cole Porters "I love Paris" ein kleines Tuch mit der französischen Flagge an sein Herz drückte - es brandete spontaner Applaus auf, und bei aller üblichen und zulässigen Ausgelassenheit am Jahresende fand diese Geste der Freundschaft und des Gedenkens ebenso auch wie das im Programmheft auf einer Sonderseite abgedruckte Bekenntnis des Orchesters zu den in der Schillerschen "Ode an die Freude" ausgedrückten Idealen des Humanismus und der Mitmenschlichkeit einen angemessenen Platz.
(2.1.2016)

Freitag, 1. Januar 2016

Schneefrei und kontrastreich

Weihnachten in aller Welt mit den MDR-Chören in der Frauenkirche

Jeder von uns kennt die altbekannten Weihnachtslieder und singt sie zu Hause oder in der Kirche, und in diesen Tagen kann man die Vielfalt der musikalischen Weihnacht in vielen Konzerten hören. Weihnachten wird in jedem Land anders gefeiert und auch anders besungen, der Ausdruck reicht von inniger, still geformter Gläubigkeit bis hin zu fröhlichen Festgesängen, von barocker Kunst bis hin zu folkloristischem, manchmal gar kitschigem Arrangement. Wer im Advent aufmerksam das Radioprogramm verfolgt hat, konnte bei MDR figaro ganz persönliche Geschichten und Lieder der Mitglieder des MDR-Rundfunkchores hören, der sich aus Sängerinnen und Sängern vieler Nationen und kultureller Identitäten zusammensetzt.

Im Weihnachtskonzert in der Frauenkirche stellte der Chor am Sonnabend einen Teil dieses klingenden Adventskalenders vor - Volksweisen aus aller Welt wechselten sich mit umfangreicheren Motetten aus dem 19. und 20. Jahrhundert ab. Programmatisch hatte man das Konzert zwar unter den Titel "Friede auf Erden" gestellt, und natürlich bildete das Weihnachtsfest den roten Faden, aber die insgesamt siebzehn Stücke glichen eher einer flotten Schlittenfahrt um den Erdball, man musste sich seine Pralinen darin selbst suchen.

Gefühlsselige Sätze wie Biebls "Ave Maria" oder Lauridsens "O magnum mysterium" verloren hier den Contest gegenüber dem herrlichen Carol "There is no rose of swych virtue". Den ersten Teil bestritt der von Ulrich Kaiser geleitete MDR Kinderchor - die außerordentliche Qualität dieses Ensembles besteht in selbstverständlicher Intonationsreinheit, Klarheit in der Sprache und differenzierter Gestaltung. Gern folgte man den traditionellen Weisen und manches Lied erklang in moderneren Arrangements wie etwa das zugegebene "Stille Nacht" mit einer schon etwas kurios anmutenden Orgelbegleitung in der dritten Strophe. Was bei allem herausragenden Können des Kinderchores leider fehlte, war eine emotionale, warmherzige Atmosphäre. Da war die Perfektion insgesamt zu deutlich einhergetragen, und das Fallenlassen in die Schönheit der Melodien fiel gerade deshalb schwer. Eher nüchtern durchorganisiert wirkten schlichte Lieder wie "Maria durch ein Dornwald ging", während etwa Josef Rheinbergers anspruchsvolle Sätze aus der "Weihnachtsmesse" in ihrer Farbigkeit mehr überzeugten.

Auch der zweite Teil des Konzertes lebte von Kontrasten - hier das traditionelle französische Lied "Les anges dans nos campagnes", dort Arnold Schönbergs spätromantisch aufwallendes Chorwerk "Friede auf Erden". Philipp Ahmann, Chordirektor des NDR Chores, lockte mit flexiblem, auf Klangfülle wie auch Differenzierung setzendem Dirigat die Stärken des Chores hervor und die geisterhaft leisen Passagen des Schönbergwerkes beeindruckten da ebenso wie das später im Frauenkirchenrund gesungene "Es ist ein Ros entsprungen" in der Bearbeitung von Jan Sandström oder die mit viel Sinn für die schwierige Harmonik locker und transparent gesungenen Weihnachtsmotetten von Francis Poulenc. Mit "El Cant dels Aucells" (Der Gesang der Vögel), das durch Pau Casals berühmt gewordene katalonische Weihnachtslied, gestaltete der MDR-Rundfunkchor mit Alba Vilar (Solosopran) einen überaus berührenden Abschluss des Konzertes, von der Sehnsucht und dem Heimkommen am Weihnachtsfest kündend. Fehlt nur noch der von Gustav Holst in "In the bleak midwinter" besungene Schnee, der fiel "mitten im kalten Winter, vor langer Zeit."


* CD-Tipp: Strålande Jul - Strahlende Weihnacht - Weihnachtslieder aus Deutschland und aller Welt, MDR-Rundfunkchor, Philipp Ahmann (Label genuin)

(21.12.15)

Sonntag, 20. Dezember 2015

In den Lücken der Verzweiflung

Premiere von Friedrich Goldmanns Opernphantasie "R. Hot bzw. Die Hitze" in Semper 2

Nach fünf Jahren Ehe wird die so genannte "Holzhochzeit" gefeiert. Da wird nicht nur auf Holz geklopft, das Holz ist auch das Symbol für Bestand und Festigkeit. Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren wurde an der Semperoper die kleine, feine Bühne Semper 2 eröffnet, um vor allem Kammer- und Barockoper, aber auch Nachwuchstalenten und Experimentellem ein Podium zu bieten, und damit eben genau die vielschichtigen, intimen Musiktheaterformen zu ergänzen, die im großen Haus ungeeignet wären, aber doch zwingend zu einem führenden Opernhaus dazugehören.

Die erste Semper 2-Premiere der Saison 2015/2016 war am vergangenen Freitag die 1971-74 und drei Jahre später an der Berliner Staatsoper uraufgeführte entstandene Oper "R. Hot bzw. die Hitze", das einzige Werk dieser Gattung des 2009 verstorbenen Komponisten Friedrich Goldmann, dessen Werke auch in Konzerten der Musikhochschule jüngst vorgestellt wurden. Bei der Wiederentdeckung oder -erweckung von in der DDR entstandenen Musiktheaterwerken ist die erste zu stellende Frage für Regisseur wie Publikum: was bedeutet uns ein solches Werk heute? Warum bringen wir es auf die Bühne? Vor allem im Mut zum Ausstellen des Widerspruchs, zum Kante-Zeigen und in der Feststellung, dass das Ziel eines gelungenen Opernabends seltenst durch ein perfektes Drama erreicht wird (was wäre dies überhaupt?), lag die Stärke der Entscheidung für dieses Goldmann-Werk. Denn sowohl Goldmann als auch der die Vorlage liefernde Jakob Michael Reinhold Lenz nennen ihr Kunstwerk "Phantasie" und legitimieren damit einen freien, in Gedanken strömenden Vorgang und Umgang mit Themen, der in einem Nummernballett unglaubwürdig erscheinen würde. Dazu passt Goldmanns Musik "in über einhundert Posen".

Tatsächlich sind es 112 Szenen, die hier mal in fließendem Übergang, mal mit scharfem Schnitt aneinandergereiht sind, und die trotzdem ein Ganzes ergeben, vor allem auch, weil Regisseur Manfred Weiß dem unaufhörlich sich steigernden Zug des Stückes folgt, das regelrecht in ein Finale hineinkippt, dessen Charakter zwischen Hölle und Satire schwankt - eine uns in heutigen Tagen seltsam bekannte Emotionsachterbahn. Lenz' Drama, dem Goldmanns Librettist Thomas Körner 1974 eng folgte, konzentriert sich stark auf die Person des jungen Robert Hot, seinem Schicksal und vor allem seiner Vaterbeziehung. Die Konzentration wird von Goldmann in die Partitur aufgenommen: nur ein Bläserquintett samt Kontrabass und E-Orgel sitzt da, aber wie unendlich farbig Goldmann die sieben Musiker, die auch Maultrommeln und zahlreiche Percussion bedienen, be- und ausnutzt, das ist absolut hörenswert. Regisseur Manfred Weiß tat gut daran, die Charakterlinien des Robert Hot zwischen Fremd- und Eigenbestimmung verfolgbar zu machen, indem recht spartanisch agiert wird im Semper 2-Kubus. Ein schwankender - nichts ist in diesem Stück von Sicherheit - Quader dient als Palast oder Gefängnis, Bühne und Kostüme (Timo Dentler, Okarina Peter) lenken nicht ab, sondern vermitteln einen klaren Bewegungs- und Haltungsraum. Videos von unangenehm vor dem Auge rotierenden Plattenbaufassaden oder sich bewegenden Vorhängen deuten ebenfalls auf die permanent vorhandene latente Unruhe im Stück hin.

Robert Hot gewinnt die Sympathien der Zuschauer, schon allein durch die von Lenz subtil gestaltete Befreiungsaktion vom Vater. Was der ansonsten an der Kölner Oper wirkende Tenor Martin Koch, den man als Gast erstmals in Dresden erlebte, aus seiner ohnehin stimmlich halsbrecherischen Hauptrolle als Robert Hot auch darstellerisch herausholt, ist nur phänomenal zu nennen - ist er doch in den 90 Minuten auch permanent präsent auf der Bühne. Peter Lobert gibt stimmlich wie körperlich den überzeugenden Übervater, Tom Martinsen den hemdsärmeligen Mitläufer Lord Hamilton und die Britin Menna Cazel (Junges Ensemble der Semperoper) glänzt mit idealisiertem Mädchen-Pink, aber auch mit bezirzender Stimmkunst - weiterhin wirken in kleineren Rollen Allen Boxer und Michael Kranebitter mit. Die kleine Abordnung der Sächsischen Staatskapelle samt Akademisten ist unter Max Rennes umsichtiger Leitung hochmotiviert und bringt Goldmanns Kamikaze-Arabesken noch im richtigen Taktmaß unter. Wenn überhaupt ein Wunsch offenbleibt bei dieser ver-rückten Oper, die ihre stärksten Momente in den von Regisseur Weiß wie auch von Goldmann in den Fokus gerückten Lücken der Verzweiflung hat, dann der, dass die Dosis der Abstraktion, der Überwältigung noch hier und da stärker ausfallen dürfte, um dem Stück auch seine schwachen Momente zu nehmen.

Der etwas angestaubt-bemühte Rocksong-Einspieler etwa hätte noch mindestens einen Esslöffel Wahn mehr ausgehalten. Überraschend blieb am Ende des Abends wieder einmal die Erkenntnis, dass bei allem politischen Stichen, die Goldmann auch in diesem Stück mit aller damals gebotenen Vorsicht setzt, Robert Hots von Lenz vorgesehene Selbstrichtung am Ende durch einen hoffnungsvollen Neuanfang des Paares ersetzt wird. In Hanns Eislers "Ernsten Gesängen" heißen die letzten Zeilen des Sängers "Was auch ohne ihn blüht, preist er, künftigen Glückes gewiß." - Friedrich Goldmann nimmt mit Robert Hot das Schicksal am Ende selbst in die Hand: "Behaltet Euren Himmel für Euch!"
Alexander Keuk

Weitere Aufführungen: 12./14./17./20./21.1.

(14.12.2015)

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