Rezensionen

Samstag, 30. April 2016

Kein Nachwürzen notwendig

Alison Balsom und die Dresdner Philharmonie in der Frauenkirche

Mit Kompositionen aus Barock, Wiener Klassik und dem 20. Jahrhundert in der Notentasche machten sich die Dresdner Philharmoniker am Sonnabend auf zum Gastspiel in der Frauenkirche. Trotz der verschiedenen präsentierten Epochen gelang ein eingängiger, nicht sonderlich kontrastreicher Konzertabend unter dem Titel "Trompete und Orchester", bei dem die Britin Alison Balsom gleich zwei Mal solistisch zu erleben war.

Sie gilt weltweit als eine der führenden Trompeterinnen in der Klassik-Szene und begeistert mit ihrem wunderbaren Ton ebenso wie mit einem breiten Repertoire. Für ihr Gastspiel in der Frauenkirche wählte Balsom den Trompetenklassiker schlechthin, das Konzert Es-Dur von Joseph Haydn - dieses allerdings war auch bei einem Auftritt 2012 am selben Ort schon im Programm. Im Raum der Frauenkirche entfaltet sich ein Trompetenton recht mühelos, und so konnte Balsom hier viel Augenmerk auf die Ausgestaltung der Töne verwenden. Virtuoses gelang ihr ebenso selbstverständlich und schwerelos wirkend wie der strömende Klang des Instrumentes im langsamen Mittelsatz.

Diese absolute Souveränität erzeugte aber doch einige Male den Eindruck eines fertigen Essens, an dem es schlicht nichts mehr nachzuwürzen gibt. Der Aperitif zu Beginn des Konzertes war eine Trompeten-Adaption eines Violinkonzerts von Giuseppe Tartini. Diese Musik hingegen war in der problemlosen Einlösung aller Erwartungen, die man vom Meister der Musikschule in Padua - damals ein Violin-Mittelpunkt der Welt - haben konnte, recht flau. Die reine Virtuosenmusik ist zwar auf der Trompete einigermaßen trickreich zu bewältigen, aber in der kurzatmig-konventionellen Anlage wird auch keinerlei Anspruch für den Zuhörer verlangt.

Der "gefällige Charakter" wurde Tartini schon damals von Johann Adam Hiller bescheinigt, und große Unterhaltung gelang im Barock eben durch Kunstfertigkeit und im Falle von Tartini - "Teufelei", nur dass der Diabolus hier kaum einmal vor der Vorhang treten wollte. Den Teufel muss auch Igor Strawinsky geritten haben, folgt man Theodor W. Adornos Äußerungen zu "verbrauchten Klängen" und "vertrottelten Figuren" - letzteres wohl auf sein 1920 entstandenes Ballett "Pulcinella" bezogen. Wie zauberhaft Strawinskys Adaption der Pergolesi-Musik aber allem Theoretisieren widersprechen mag, zeigten die Philharmoniker, die in den Trompetenkonzerten übrigens die Solistin wunderbar tragend begleitet hatten, in der Mitte des Konzertes mit ihrer plastischen, von vielen Solisten im Orchester angeführten Interpretation der "Pulcinella"-Suite.

Erstaunlich war, wie filigran die Tanzsätze in der kleinen Besetzung im Kirchenraum wirkten - Michael Sanderling hatte seine Musiker auf eine gute Balance eingeschworen und die dynamische Abgrenzung der jeweiligen Solisten von wunderbar trocken vorgetragenen perkussiv-rhythmischen Effekten und harmonischem Begleitmaterial gelang hervorragend, so dass die Melodieträger der einzelnen Nummern glänzen durften.

Nach nur einer knappen Stunde war das kompakte und gefällige Konzert in der Frauenkirche beendet, und Alison Balsom bedankte sich für den Applaus mit "Syrinx" von Claude Debussy, 1913 im Original für die Querflöte entstanden. Erst hier landete man - viel zu kurz - in einer von Emotion stärker durchdrungenen Welt, in der auch die menschliche Imperfektion sympathisch aufblitzen durfte.
(25.4.)

Gemeinsam empfunden

Collenbusch-Quartett im Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie

Das Streichquartett galt und gilt für Komponisten immer als besondere Herausforderung - nicht nur, weil man im Schatten der Musikgeschichte mit unerreichbaren Größen auf diesem Gebiet konfrontiert ist. Der spezielle Ensembleklang der vier Streichinstrumente inspiriert und läßt viele verschiedene Klangwelten zu. Drei Beispiele höchst unterschiedlicher, aber in der Einzelbetrachtung großartiger Werke dieses Genres stellte das Collenbusch-Quartett im Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie am Mittwochabend auf Schloss Albrechtsberg vor.

In Ludwig van Beethovens reichem Quartettschaffen wirkt das Quartett c-Moll, Opus 18 Nr. 4 wie ein Brückenwerk zwischen den Zeiten. Der kraftvolle Eingangssatz bietet eine derartige Emphase, dass die nachfolgenden Sätze leichter ausfallen müssen, und so kommt es auch: ein "Scherzoso" grüßt deutlich Joseph Haydn, ein Menuett träumt sich in Mozart-Welten. Im Finale zeigen unverkennbare Wendungen, dass das letzte Wort für Beethoven noch nicht gesprochen ist. Das 2012 gegründete, nach dem Dresdner Kunstliebhaber und Mäzen Friedrich Adolph Collenbusch (1841-1921) benannte Quartett mit Cordula Fest und Christiane Liskowsky (Violine), Christina Biwank (Viola) und Ulf Prelle (Violoncello) überraschte hier schon mit einem zumeist schlanken und lyrisch geführten Gesamtklang, bei welchem nicht das Individuum auftrumpfte, sondern einmal eingeschlagene Wege des Ausdrucks sich natürlich von einem Instrument zum anderen fortsetzten.

Gespannt war man dann auf das Quartett "Black Angels" des US-Amerikaners George Crumb (*1929) aus dem Jahr 1970, das in Reflektion auf den Vietnam-Krieg entstanden ist und Vergangenes und Gegenwart ebenso schonungslos beleuchtet wie Abgründe der Menschheit. Unstrittig ist, dass die unchiffrierten, nackten Klänge und mit Zusatzinstrumenten erzeugten Geräusche des elektrisch verstärkten Quartetts die Hörer sofort erreichen. Dem steht eine gewisse Kleinteiligkeit der Komposition entgegen, die den klanglichen Schrecken manches Mal doch zur Episode erniedrigen, trotzdem weitet sich der Bilderbogen von Kapitel zu Kapitel, und der dritte Teil wartet dann mit einer Art Erlösung auf, wobei sich das Gefühl der Fragilität bis zum Ende selbst beim Erreichen von Dur-Klängen auf einem Gläserspiel nicht wirklich auflöst.

Das Collenbusch-Quartett widmete sich dem Werk von Crumb mit hoher Aufmerksamkeit gerade für die gebrochenen, im Zerbrechen befindlichen oder an deren Grenze schrammenden Klänge, so dass man eher einer Faszination des Klangsinns erlag, weniger der Wucht des klagenden Ausdrucks. Quasi als Bestätigung dieses Höreindrucks schloss das Collenbusch-Quartett das abwechslungsreiche Konzert mit dem 1903 entstandenen Streichquartett von Maurice Ravel ab - hier kam es noch stärker auf ein gemeinsam empfundenes Klangbild an, das nun mit dem Gefühl des "Danach" von Beethoven und Crumb gehörig an Tiefe gewann. Die leichte Melancholie und der wogende Klang eines Mezzopiano lag wie ein Schimmer über den ersten drei Sätzen. Diese pastellene Farbe übertünchte auch manche im Werk liegende himmlische Länge, und schließlich wartete da auch noch ein Finale, das den Zuhörer mit seiner kraftvollen Brillanz - und vom Quartett dennoch mit leichter Finesse interpretiert - positiv gestimmt in den Abend entließ.
(24.4.)

Im Wechselbad der Emotionen

Uraufführung von Torsten Raschs Violinkonzert "Tropoi"

Auch wenn in Jahresfrist der neue Konzertsaal im Kulturpalast das Reisen der Dresdner Philharmonie in der Stadt beenden wird, sind die Musiker hier in der Kreuzkirche seit Jahrzehnten konstanter Partner des Kreuzchors in Oratorienaufführungen und gestalten in der Kreuzkirche eigene Konzerte aus. Das Konzert am Sonntag war nicht nur deswegen eine wichtige Bereicherung der Festwoche zum 800-jährigen Jubiläum von Kreuzchor, Kreuzschule und Kreuzkirche.

Auf dem Programm stand zudem eine Uraufführung eines ehemaligen Kruzianers: Torsten Rasch (*1965) sang bis 1983 im Kreuzchor und studierte dann an der Musikhochschule Dresden. Seine musikalischen Spuren hinterläßt er nach einem bis 2005 währenden Japan-Aufenthalt in den letzten Jahren auch dank wertschätzender Auftraggeber mehr und mehr wieder in Sachsen - erst im letzten Jahr dirigierte Milko Kersten in Chemnitz sein großes Oratorium "A Foreign Field". Der Erste Konzertmeister der Dresdner Philharmonie, Wolfgang Hentrich, wünschte sich schon lange ein Violinkonzert von Torsten Rasch, und das wurde nun Wirklichkeit. Es bedeutete für Hentrich ein gehöriges Stück - willkommene - Arbeit, denn das am Sonntag uraufgeführte Werk "Tropoi" hat es in sich.

Schon während der ersten mit großer Intensität ausgeführten Takte des Solisten wurde aber klar, dass das neue Stück in versierten, guten Händen gelandet ist - Hentrichs starkes und stetiges Engagement für neue oder am Rand des Repertoires stehende Konzerte ist bekannt. Leider erfuhr das Publikum im Programmheft nahezu nichts über das neue Werk, so wurde man also Ohrenzeuge der Musik selbst - und da hat Torsten Rasch eine so unverwechselbare klare und dennoch komplexe, dichte Musiksprache, dass es der Worte gar nicht benötigt. Aus höchsten Höhen steigt das Konzert herab in eine für dieses Werk explizit und einzigartig geschaffene Klangwelt, in der sich verschiedene Zustände und Entwicklungen organisch verflechten - worüber Wolfgang Hentrich mit dem Soloinstrument nahezu permanent kommentierend, initiierend oder reflektierend agiert, Energie hinzufügt oder herausnimmt. S

o befindet man sich als Zuhörer in diesen vier Sätzen auf einer in vielen Farben schillernden Reise, erlebt emotionale Wechselbäder, wenn Rasch etwa mit vollkommener Instrumentierung irrwitzig melancholische Farben im 3. Satz hervorzaubert. Diesen Satz hatte Hentrich zuvor mit einem wunderbar gesanglichen, doch eben ganz erfundenden oder fast besser: gefundenen Solo eingeleitet. Die Anklänge an die Tradition in diesem Werk stören nicht, sie bereichern, lenken die Gedanken auf Vergangenes, deuten es neu und das auf einer Sekunde leise auspendelnde Ende erscheint ebenso als rhetorische Figur: es geht weiter, Musik hat eigentlich niemals ein Ende.

Für die sich absolut dem Werk hingebende, spannungsvoll atmende Interpretation von Wolfgang Hentrich gab es ebenso starken, verdienten Applaus wie für den Komponisten selbst - und natürlich für den jungen britischen Dirigenten Leo McFall, dessen Debut bei der Dresdner Philharmonie mit einer so in allen Belangen konzentriert umgesetzten Weltpremiere ein Achtungszeichen ist. Vielleicht hatte man sich wegen dieses großen neuen Werkes im Mittelpunkt des Konzerts für ein augenscheinlich "leichteres" Rahmenprogramm entschieden.

Franz Schuberts Ouvertüre zur Oper "Die Zauberharfe" ist ein sinfonisches Überbleibsel eines ansonsten vergessenen Werkes, hat aber durchaus Raffinement. McFall bemühte sich hier sehr um Deutlichkeit im schwierigen Kirchraum, trotzdem war die Homogenität der Philharmoniker hier einige Male gefährdet. Die Abstimmung fehlte leider auch ein wenig im 1. Satz der abschließend dargebotenen Sinfonie Nr. 98 B-Dur von Joseph Haydn. Doch McFall gab der Leichtigkeit mehr und mehr Raum zur Entfaltung, und so gab es in dieser 1792 entstandenen "Londoner Sinfonie" dann viele fein ausmusizierte Bläserpassagen, ein insgesamt schlankes Klangbild und ein schmissig hingelegtes, munteres Finale zu bewundern.
(19.4.)

Dienstag, 12. April 2016

Ein starkes Statement

Deutsche Erstaufführung der "Mesopotamia Symphony" von Fazıl Say mit der Dresdner Philharmonie

Dass ein Konzert mit der klassischen Folge Ouvertüre-Konzert-Sinfonie eine Vielzahl an unterschiedlichen Emotionen aufwirft und man am Ende bewegt vor dem Ergebnis steht, ist ein seltenes, unbedingt zu begrüßendes Erlebnis. Dabei muss nicht einmal eine völlige Identifikataon mit Werk oder Interpret erfolgen, denn schon eine auch kontrovers führbare Auseinandersetzung mit der Musik darf als Erfolg von intensiv musizierten Aufführungen gewertet werden. Intensität war beim Albertinum-Konzert der Dresdner Philharmonie am vergangenen Wochenende der Schlüssel, der Türöffner zu musikalischen Welten, die schroff aufeinanderprallten und dennoch zur Inspiration einluden.

Da war der schöne Beethoven-Klang des Orchesters in der "Egmont"-Ouvertüre, bei dem man gleich aufhorchte - Michael Sanderling hat die schlanke, flexible Spielkultur für Beethoven in der letzten Zeit derart geschliffen, dass auf dieser Basis hochinteressante Interpretationen möglich werden. Hier war bemerkenswert, dass Sanderling in der kurzen Ouvertüre bei allem Energiestrom Raum für die melodische Entfaltung gab - das war eigentlich in der Summe zu schön, um wahr zu sein.

Vom f-Moll der Ouvertüre ging es in die fast noch düsterere Atmosphäre des c-Moll im 3. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven. Von hier an gab der türkische Pianist und Komponist Fazıl Say den Ton an und schuf eine vom ersten bis zum letzten Ton hochemotionale, für manchen Hörer vielleicht auch ungewohnte Interpretation, die Beethoven beim Wort nahm - nicht im Sinne einer demonstrierten Perfektion, sondern in unbedingtem, persönlichem Ausdruck, der in der Aufführung gemeinsam mit dem Orchester entwickelt wird, sich Bahn bricht. Say war auch in den Pausen präsent, vergrub sich regelrecht vor den Tasten und fand für jeden der drei Sätze eine spezielle, klar ausgeführte Charakteristik.

Selten hat man den 2. Satz mit einer derartigen Einsamkeit umwoben gehört, und auch die schon kompositorisch ringende Unentschiedenheit der Ecksätze wurde durch Says rhythmisch achtsame Phrasierung und durch eine mit Beethoven rustikal ins Gespräch kommende eigene Kadenz bedeutungsvoll. Mit seinem eigenen Klavierstück "Black Earth" als Zugabe kostete Fazıl Say erneut Emotionen von Verlust und Einsamkeit (das Stück ist inspiriert von einem bekannten türkischen Song des Dichters Asik Veysel) aus und verwandelte den Steinway-Flügel mit Abdämpfung der Saiten in ein exotisch anmutendes Instrument.

Von solchen Klangmalereien gab es nach der Pause in Fazıl Says "Mesopotamia Symphony", die als deutsche Erstaufführung erklang, reichlich. Das 2012 in Istanbul uraufgeführte, für eine sehr große Orchesterbesetzung instrumentierte Werk hat nicht nur epische Ausmaße (und leider auch im Albertinum als grenzwertig empfundene Phonstärken), es ist ein Bekenntniswerk besonderer Art, formuliert doch der Ausnahmekünstler Fazıl Say hier in einer fasslichen, dennoch sehr eigenen Musiksprache Gedanken zu seiner Heimat in Musik, die hier nicht in Worte rückübersetzt werden müssen.

In seiner Musik findet Fazıl Say nicht nur Unterschlupf, sondern auch eine universell verstehbare Sprache, die Licht und Schatten der Welt künstlerisch betrachtet, und auch von Wut und Schmerz kündet. Diese Auseinandersetzung führt Say hier in zehn Sätzen ohne Visier, mit plastischen klanglichen Mitteln, die am ehesten an die cineastische Gewalt der Sinfonik von Dmitri Schostakowitsch erinnern. Die stärksten Momente hatte die "Mesopotamian Symphony" in kammermusikalischen Passagen mit versierten Solisten am Schlagzeug (Aykut Köselerli), Bassblockflöte (Cagaty Akyol), Bassflöte (Bülent Evcil) und am Theremin (Carolina Eyck) - vor allem letzteres hört man selten in einem Orchesterkonzert und der Fertigkeit der von Carolina Eyck war es zu verdanken, dass sich das elektronische Instrument sehr überzeugend mit den anderen Flöten-Instrumenten zu einem großen Gesang verband.

Es stimmt nachdenklich, wenn einem auffällt, dass der im Altertum geprägte Begriff Mesopotamien im Sinne einer Kulturlandschaft im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris heute das einzige scheint, was in sich die Hoffnung des Gemeinsamen, des Friedlichen in sich birgt. Davon künden auch die Lieder, die Fazıl Say in seiner Sinfonie zitiert - es ist ein Kulturschatz, den Say dem Vergessen entreisst und gleichzeitig wird im Singen selbst eine Trauer gegenwärtig. Für dieses starke sinfonische Statement, für das sich das Dresdner Philharmonie mit Chefdirigent Michael Sanderling eindrücklich einsetzte, erhielt Fazıl Say am Ende stehende Ovationen des Publikums.
(11.04.16)

Freitag, 8. April 2016

Spielkultur der Spitzenklasse

Bundesjugendorchester gastierte mit de Falla, Schumann und Strauss in Dresden

"Konrad", sprach die Frau Mama, "ich geh' aus und du bleibst da!" - so heißt es in einer Geschichte im "Struwwelpeter". Im Fall des gleichnamigen Maskottchens des Bundesjugendorchesters ist es genau umgekehrt - Konrad befindet sich mit dem Orchester auf großer Fahrt - und hat seinen Platz vor dem Dirigentenpodest, das Publikum kritisch beäugend und im Rücken Dirigent Sebastian Weigle und ein 100-köpfiges Orchester aus Jugendlichen. Das Bundesjugendorchester, 1969 gegründet und in der Obhut des Deutschen Musikrates befindlich, versammelt die besten Nachwuchsmusiker in Deutschland - glücklich können sich die Städte schätzen, die das Orchester bei seinen Tourneen besucht.

Am Montag gastierte es im Rahmen seiner Frühjahrstour im Konzertsaal der Musikhochschule Dresden und krönte damit ein musikalisches Wochenende mit Konzerten der Jungen Bläserphilharmonie Sachsen und des Landesjugendorchesters Sachsen. Was man dem Bundesjugendorchester gar nicht anmerkte, war irgendeine Form von Tourstress (Konzerte in Baden-Baden, Köln und Zwickau sowie eine CD-Aufnahme waren bereits absolviert) oder Aufregung - im Gegenteil: man blickte in fröhliche Gesichter und Dirigent Sebastian Weigle startete das Konzert beschwingt mit den beiden "Dreispitz"-Suiten von Manuel de Falla. Dass bei der höchsten Perfektion der Instrumentalisten und den nur fulminant zu nennenden Interpretationen mit Weigles vollem Einsatz für die Musik die Suite noch einmal angesetzt werden musste, war ein schon fast sympathischer Zug - der erste Einsatz ging ins Leere, der zweite war um so prägnanter.

Und dann breitete sich das spanische Kolorit so natürlich aus, als seien die Musiker gerade eben nicht aus Zwickau, sondern aus Manuel de Fallas sonnengetränkter Villa in Granada angereist. Schon hier verursachten die von Weigle auf den Punkt gebrachten Rhythmen, die von allen Musikern ausgekosteten Bläserlinien und das mit Tempo-Zug vorangetriebene folkloristische Klanggemälde reichlich Gänsehaut. Man ging begeistert mit und erfreute sich an der ungemein hohen Spielkultur des Orchesters, wo keiner für sich selbst spielt, sondern alle aufmerksam Anteil nehmen am Spiel der anderen.

Das setzte sich bei Robert Schumanns Konzertstück für vier Hörner und Orchester fort, getragen von einem Spitzenquartett an den Waldhörnern: die vier Hornisten der Berliner Philharmoniker - übrigens das Partnerorchester des Bundesjugendorchesters - Stefan Dohr, Stefan de Leval Jezierski, Andrej Zust und Sarah Willis waren nicht nur kundige Sachwalter der Komposition, mit der Robert Schumann 1849 der Neuentwicklung des Ventilhorns in höchst virtuoser Weise huldigte. Von den Schwierigkeiten des Werkes bekam man in dieser Aufführung rein gar nichts mit: Weigle fiel mit den ersten frohlockenden Akkorden mit der Tür ins Haus, und das Soloquartett zeigte seine Klasse mit überschäumender Spiellust, so dass man bedauerte, dass Schumann sein Konzertstück gar so kompakt verfasst hatte. Die Tempoangabe des dritten Teils "Sehr lebhaft" namen die Musiker wörtlich: so flott und gleichzeitig volltönend in allen Registern hat man das Stück wohl noch nicht erlebt. Der brausende Applaus wollte kein Ende nehmen, die Zugabe war unausweichlich.

War man schon in der Pause von diesen musikalischen Höhenflügen positiv geplättet, so setzen Weigle und das Bundesjugendorchester im zweiten Teil noch eins drauf. Richard Strauss' Tondichtung "Don Quixote" kommt lediglich in der Geschichte selbst und in Strauss' Überschriften putzig und charmant daher. Das stellt sich in der Partitur allerdings als immense Herausforderung für alle Orchestergruppen dar: abrupt zu vollziehende Charakterwechsel und offen liegende solistische Einwürfe machen das Stück zu einem abwechslungsreichen, durchaus im Cervantes-Sinne "gefährlichen" Abenteuer.

Kein Problem allerdings, wenn man Ludwig Quandt (Berliner Philharmoniker) als Quixote-Cellisten und Teresa Schwamm (Armida Quartett) im Trio mit Euphonium und Bassklarinette als Sancho Pansa in den Hauptrollen zur Verfügung hat. Schafherde und Windmühlen, Liebeszauber und versöhnlicher Ausklang waren hier so intensiv und selbstbewusst von allen ausmusiziert, dass es eine helle Freude war. Mit der Zugabe von Erich Wolfgang Korngolds "Duell" aus der Filmmusik zu "Der Prinz und der Bettelknabe" setzten Weigle und die jungen Musiker einen rasanten Schlusspunkt unter ein großartiges Konzert, und auch Maskottchen Konrad war's zufrieden.
(6.4.2016)

Ein Konzert der Kulturen

Trilaterales Konzertprojekt mit dem Landesjugendorchester Sachsen und dem Europera Youth Orchestra

Zwei große Konzertprojekte veranstaltet das Landesjugendorchester Sachsen jedes Jahr, eines im Frühjahr und eines im Herbst. Es ist ja immer wieder erstaunlich, wie der Nachwuchs innerhalb einer kurzen Probenphase in immer neuen Besetzungen zu einem konzertfähigen, Ensemble zusammenwächst. Das diesjährige Frühjahrsprojekt war als trilaterales Projekt in Kooperation mit dem Europera Youth Orchestra konzipiert, letzteres ist seit einigen Jahren im Dreiländereck Tschechien-Polen-Deutschland beheimatet.

So bestand etwa ein Drittel des Orchesters aus Jugendlichen aus Polen und Tschechien, und während der gemeinsamen Probenphase auf Schloss Colditz gab es sicher viele Möglichkeiten des Austausches, Unterschiede und Gemeinsamkeiten auch in der musikalischen Ausbildung feststellend. Dem Konzert in Dresden am Sonnabend folgten am Sonntag und Montag weitere Auftritte in Jelenia Góra und Liberec. Seit 2015 wird das EYO von Frédéric Tschumi geleitet - ein junger Schweizer Dirigent, der auch beim jetzigen Gemeinschaftsprojekt am Pult stand. Das Motto "Konzert der Kulturen" hätte man schon allein auf die Herkunft der Orchestermitglieder beziehen können, aber mit dem ausgewählten Programm wurde der Kulturbegriff endgültig weltläufig: Hollywood, der Broadway und der in Amerika als Dirigent und Komponist 1891 warmherzig empfangene Antonín Dvořák kamen zu Ehren - damit entstand ein sehr populäres und sicher den Jugendlichen entgegenkommendes Konzertprogramm.

Dramaturgisch wollte das nicht so recht ineinandergreifen, denn die am Computer konzipierten, auf Wirkung bedachten Filmmusiken zu "How to train your dragon" (James Powell) und "Fluch der Karibik" (Klaus Badelt) bewegen sich in einer ganz anderen Ästhetik als die Dvořák-Sinfonie. Dafür waren die jungen Musiker aber sensibilisiert und vor allem auch gut vorbereitet. Zu Beginn war noch etwas Nervosität angesichts des ausverkauften Konzertsaales in der Dresdner Musikhochschule spürbar, doch Tschumi und das große Orchester verbreiteten bald den typischen Hollywood-Klang, der wohl auch deshalb leichtfiel, weil die vorhersehbare, rustikale Machart wenig Herausforderungen bietet - vielleicht nimmt man sich künftig einmal Filmmusiken von Bernard Herrmann, Wojciech Kilar oder Alfred Schnittke vor, um auch innerhalb des Genres durchaus Aufregenderes zu zeigen.

Solistin in George Gershwins "Rhapsody in Blue" war die 24-jährige polnische Pianistin Agnieszka Skorupa, die ihren Weg durch die Rhapsodie mit Bedacht und einem sehr klassischem Zugang wählte - ein wenig mehr Extrovertiertheit hätte dem auch formal schwer zu bändigenden Stück aber auch gutgetan. Solche Passagen blieben meist dem Orchester vorbehalten, das hier vor allem mit packendem Blech-Einsatz glänzte. Nach viel Orchesterwirbel im ersten Teil bedankte sich Agnieszka Skorupa für den großen Beifall mit einer meditativen Zugabe: Arvo Pärts "Für Alina" war der Ruhepunkt vor der Pause - nach welcher man in klassischere Gefilde umschaltete.

Zwar ist Dvořáks 9. Sinfonie "Aus der neuen Welt" ein zur Genüge bekanntes, auch dankbares Stück für ein Jugendorchester - vielleicht war aber bei diesem Projekt das Zusammenschweißen des Ensembles noch nicht ganz auf den Punkt geglückt. Die Interpretation glich beim Hören einer kleinen Achterbahnfahrt: hier das vollkommen glückselig machende Englisch-Horn-Solo im 2. Satz oder auch mutige Holzbläserpassagen, selbst die in der hohen Lage geführte Dramatik in den 1. Violinen im 1. Satz gelang sehr gut. Dann aber gab es an anderer Stelle leicht verunglückte Einsätze und schwierige Intonation - gerade das klassische Repertoire kennt man eigentlich von LJO-Projekten in besserer Gesamtqualität. Dass Frédéric Tschumi an einigen Stellen des Übergangs sichtbar nicht mehr leisten konnte, als möglichst das Gesamtgefüge zusammenzuhalten, ist eigentlich ein Schritt zu wenig. Nur an einigen Stellen im zweiten Satz begann die Musik von innen heraus zu glänzen, merkte man, dass sich die Musiker mit einem gemeinsamen Gedanken wirklich verbanden - von solchen Momenten hätte man sich noch mehr gewünscht.

Bruckner zum Innehalten

Dresdner Philharmonie zu Ostern

Kulturgenuss zu Ostern - von diesem Angebot machte das Publikum der Dresdner Philharmonie an den Osterfeiertagen regen Gebrauch: das Albertinum war zu den beiden Konzerten komplett ausverkauft. Ostergeschenke gab es reichlich, wenngleich nur zwei Werke auf dem Programm standen: das 2. Violinkonzert g-Moll Op. 63 von Sergej Prokofieff und die 4. Sinfonie von Anton Bruckner. Mit dem israelischen Geiger Vadim Gluzman konnte ein bewährter solistischer Partner der Philharmonie gewonnen werden, und der kennt sich bestens mit Sergej Prokofieff und der Konzertliteratur insbesondere des 20. Jahrhunderts aus.

So war seine Interpretation des 2. Violinkonzerts auch eine einzige Freude: Gluzman hat einen strahlenden Ton und verbindet das motivische Material des Stücks mit rhythmischer Verve, die stets natürlich wirkt, im dritten Satz auch den derb-tänzerischen Charakter betont. Die klassischen Wurzeln dieses Konzerts, die Prokofieffs Satz nie verleugnet, waren in dieser Lesart sehr schön spürbar, den Rest erledigt Gluzmans Spielwitz und Sinn für gut getimte Phrasengestaltung. Chefdirigent Michael Sanderling bewies sich mit dem Orchester als klanglich sensibler Partner, wobei man sich im ersten Satz noch etwas gegenseitig abtastete. Hier spielte mehr prozesshafte Entwicklung eine Rolle, war noch nicht alles auf den Punkt gebracht. Das fulminante Finale des Konzerts forderte großen Beifall heraus, Gluzman bedankte sich mit Johann Sebastian Bach - frei von Pathos und klar wie ein Glas Wasser.

Anton Bruckners 4. Sinfonie ist die wohl populärste seiner neun Sinfonien - ausgerechnet diese Sinfonie wurde vom zweifelnden Komponisten allerdings gleich mehrfach überarbeitet. Gerade im kontrastreichen Finale sind die verschiedenen Lösungen, die die motivische Entwicklung anbot, auch in der Fassung der "letzten Hand" noch spürbar, im Gegensatz dazu sind der 1. Satz und das Scherzo von sicherer Form- und Klanggebung. Michael Sanderling lotete diese Sphären von selbstbewusster, auch vorwärtsgerichteter Spannung mit dem Orchester gut aus. Wertvolle Unterstützung erhielt er durch Jörg Brückner am 1. Horn. Der ehemalige Philharmoniker (heute 1. Hornist bei den Münchner Philharmonikern) erhielt einen großen Sonderbeifall für die solistisch wie im Quartett herausragende Leistung.

Von seiner innigen Motivausformung im 1. Satz ging auch der Gesamtcharakter der Sinfonie aus, der mit dem Adjektiv "romantisch" eigentlich nur unzulänglich erfasst ist. Sanderlings Lesart dieser Sinfonie war - besonders im 2. Satz und im Finale - äußerst detailgenau, manchmal auch etwas zu detailverliebt, was Nebenstimmen und harmonische Entwicklungen anging. Weniger auffällig war die Pulsierung des Werkes berücksichtigt, gerade im Finale erlaubte sich Sanderling im Grundtempo Freiheiten, die zwar überraschend mit Gaspedal und Bremse spielten, aber in dieser Lesart wurde stark der einzelne Moment in den Vordergrund gerückt. Trotzdem, und das war das Interessante dieser Aufführung, entstanden so Augenblicke, in denen man innehalten konnte, das Bekannte plötzlich ein sensibles, auch zerbrechliches Klanggewand erhielt - die Größe der Musik entstand vor den Ohren neu.

Donnerstag, 17. März 2016

Rückblick und Vorfreude

Philharmonie-Intendantin Frauke Roth zieht Bilanz

Seit Januar 2015 ist Frauke Roth als Intendantin der Dresdner Philharmonie im Amt - gestern lud sie zu einem Pressegespräch in die Räume des Orchesters am Waldschlößchen, um die Bilanz des ersten Jahres zu ziehen. Und diese fällt sehr positiv aus. In der Vorstellung der Kennzahlen des Orchesters entwickeln sich im Vergleich zum Vorjahr vor allem die Abonnentenzahlen gut. Derzeit halten über 7000 Abonnenten der Dresdner Philharmonie die Treue - Tendenz steigend. Das, so Frauke Roth, sei etwas Besonderes in einer schwierigen Interimszeit ohne feste Spielstätte. Die verschiedenen Konzertstätten und Formate der Philharmonie seien gut angenommen und auch in der Interimszeit neu entwickelte Angebote wie etwa die Apéro-Konzerte im Hygiene-Museum erfreuen sich des Zuspruchs.

Die Auslastung der Plätze liegt derzeit bei 83%, auch dies ist eine Steigerung zum Vorjahr. Fernab aller Zahlen und Bilanzen, die natürlich auch hoffnungsvoll für die weitere Planung und für eine sichere Verwurzelung der Philharmonie in der Stadt sprechen, war im Gespräch vor allem die Aufbruchsstimmung spürbar, die sich mit der Eröffnung des neuen Konzertsaales im umgebauten Kulturpalast verbindet. Der Termin steht und wurde von Oberbürgermeister Dirk Hilbert vergangene Woche auf der ITB Touristikmesse in Berlin verkündet: am 28. April 2017 findet die schwierige Interimszeit der in der eigenen Stadt konzertierend reisenden Philharmonie ihr Ende. Somit blicken alle nach vorn und die Vorfreude ist schon insofern berechtigt, da bekanntermaßen in anderen Städten große Bauvorhaben im Kulturbereich mit wenig Glück im konsequenten Fortschritt gesegnet sind.

Orchestervorstand Peter Conrad betonte, dass die Stimmung im Orchester sehr gut sei - man blicke jeder Neuigkeit zum neuen Saal und vor allem den anstehenden Akustikproben mit Spannung entgegen. Gerade erst war die Philharmonie bei ihrer Tournee mit den Konzertsälen in Berlin, Köln und München konfrontiert, die Rückkehr in die Interimsspielstätten in Dresden sei, so Frauke Roth, bei aller guter Partnerschaft zu Schauspielhaus und Albertinum, natürlich ernüchternd. Dennoch habe das Orchester in diesen engen Grenzen und mit manchen Kompromissen nicht nur eine konstant stabile Leistung für sein Publikum gezeigt, sondern auch seine Vielfalt und Eigenheit bewahrt. Mit dem Rückenwind eines positiven ersten Amtsjahres startet Frauke Roth mit dem Orchester nun im Sommer in die letzte Spielzeit auf fremden Bühnen - ab dem Frühjahr 2017 hat die Dresdner Philharmonie wieder ihren Platz inmitten der Stadt, dies sei auch ein wichtiges Signal. Die offene, international geprägte und weithin geschätzte Arbeit des Ensembles in den Bereichen Kultur und Bildung werde dann wieder von innen heraus zu den Menschen gebracht. Die Vorstellung der Konzertsaison 2016/2017, in die auch der Eröffnungstermin im April 2017 fällt, wird am 17. Mai stattfinden.

Montag, 7. März 2016

Neue Welten, andere Welten.

Rachmaninow und Dvořák im Albertinum-Konzert der Dresdner Philharmonie

Quasi auf der Durchreise konnte man die Dresdner Philharmonie am vergangenen Wochenende im Lichthof im Albertinum erleben - das Orchester befindet sich gerade auf einer kleinen Tour durch Deutschland und hatte bereits Konzerte in den Philharmonien in Berlin und Köln absolviert. Nach dem Gastspiel zu Hause packten die Philharmoniker erneut die Koffer und gastierten am Sonntagabend noch im Gasteig in München. Auf diese Weise bekamen die Konzerte sicher eine andere Atmosphäre als ein übliches, im Probenzentrum am Waldschlößchen vorbereitetes Konzert, und eher ernüchternd-gewohnt dürften die akustischen Begrenzungen des Albertinums nach den Konzerten in Köln und Berlin ausgefallen sein.

Dafür aber war aber der Saal in Dresden zweimal komplett ausverkauft. Das dürfte zum einen am Programm gelegen haben, das ausschließlich spätromantische Klassiker enthielt, zum anderen am Solisten des Abends, Nobuyuki Tsujii. Der 27-jährige japanische Pianist, von Geburt an blind, gewann vor sieben Jahren den hochangesehenen Van Cliburn-Wettbewerb und ist seitdem auf den Bühnen der Welt zu Hause. Mit der Philharmonie erarbeitete er das 3. Klavierkonzert d-Moll von Sergej Rachmaninow, das für viele junge Pianisten einen Markstein in der Karriere bildet. Absolut anzuerkennen ist, welch enorme Leistung die Leidenschaft für die Musik bei Tsujii entfacht.

Als Zuhörer wurde man sofort wach, weil die Sinne sich viel stärker dahin konzentrierten, wo sie ohnehin bei Musik hingehören - zum Hören selbst. Tsujii arbeitet damit ausschließlich und hatte keine Probleme, dem Orchester zu folgen, auch seine Technik ist beeindruckend. Interpretatorisch scheint dieser Rachmaninow aber aus einer anderen Welt zu stammen. Nobuyuki Tsujii hatte für die Themenvorstellung noch eine schöne Gestaltung übrig, näherte sich der komplexen Partitur aber meist mit einer nüchternen, zuweilen mechanisch wirkenden Haltung. Über eine gewisse Art von Organisation wies seine Interpretation selten hinaus, die differenzierenden Möglichkeiten gerade des Anschlags waren insbesondere in größeren Steigerungsbögen begrenzt. Die Ruhe und Konzentration, mit der Tsujii hier die Phrasen ein ums andere Mal anging, spricht jedoch für eine Innigkeit und Verbundenheit mit der Musik, der man sich mit Respekt nähern sollte und die hoffentlich nicht ausschließlich von Agenten im Hintergrund bestimmt wird. Chefdirigent Michael Sanderling folgte mit den Philharmonikern behutsam, die hier spürbare Konzentrationsleistung verhinderte jedoch manches Freispielen, das erst im dritten Satz besser wurde.

Gerahmt wurde das Klavierkonzert von zwei Werken von Antonín Dvořák. Die offenherzig-fröhliche Konzertouvertüre "Karneval" ließ Sanderling zu Beginn des Konzertes mit viel Esprit musizieren, die etwas loser gefassten Zügel vom Dirigentenpult sorgten für eine schöne Atmosphäre. Ein Spiel voller Sorgfalt bis in kleinste Details hatte sich Sanderling für die 9. Sinfonie e-Moll "Aus der neuen Welt" aufgehoben und hier gelang sogar der Spagat, Perfektion und frei schwingende Musikalität in den oft gar nicht genau zu bezeichnenden Einklang zu bringen, bei dem ungeahnt im Miteinander große Momente entstehen. Natürlich ist das Englisch-Horn Solo, exzellent vorgetragen von Volker Hanemann als Gast an diesem Pult, hier zu erwähnen, aber von immenser innerer Spannung war auch der Streichersatz des 2. Satzes getragen. Ebenso erfreute man sich am durchweg atmenden und wunderbar ausphrasierendem Zusammenspiel der Holzbläser, und auch die warm tönenden Einsätze des Blechs im piano schienen nahezu vergoldet. Vielleicht hat Tsujii mit seinem Spiel ja eine besondere Sensibilität auch für die Sinfonie hervorgekitzelt - eine solch runde, in den Tempi von Sanderling feinnervig-flüssig angegangene Interpretation dieser so bekannten Sinfonie ließ packende Hörerlebnisse entstehen, somit wahrlich "neue Welten".

Ehrung für Sofia Gubaidulina

Sächsische Staatskapelle stellt Konzertsaison 2016/2017 vor

Einen Tag nach der Saisonvorstellung der Semperoper stellte auch die Staatskapelle Dresden ihr Jahresprogramm für 2016/2017 vor. In der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen kündigte Chefdirigent Christian Thielemann die Fortsetzung seines Bruckner-Zyklus an - die neue Spielzeit wird am 2. September mit dessen 3. Sinfonie d-Moll eröffnet. Ihm zur Seite musiziert der neue Capell-Virtuos, der junge russische Pianist Daniil Trifonov, der laut Thielemann "derartig begabt sei, dass man Angst vor ihm bekommt" - von seiner Spielkunst kann sich das Dresdner Publikum in mehreren Konzerten und einem Rezital überzeugen, Werke von Mozart, Ravel und Schumann stehen dabei im Mittelpunkt. Thielemann dirigiert weiterhin ein Konzert mit Werken von Tschaikowsky und Liszt, hat Schönbergs großes Orchesterwerk "Pelleas und Melisande" ins Programm genommen und leitet in der Semperoper ebenso das Silvesterkonzert am 30. Dezember 2016 sowie einen Festakt zu den Dresdner Einheitsfeiern am 3. Oktober.

Einen deutlichen Schwerpunkt im Programm der Saison werden Werke der neuen Capell-Compositrice bilden. Erstmalig wird diese Residenz zum zweiten Mal an die gleiche Person verliehen, nicht, weil es nicht genug spannende Komponisten auf dem Planeten gäbe, sondern weil sich die Staatskapelle Dresden nach einer bereits begonnenen, intensiven Zusammenarbeit mit Sofia Gubaidulina dazu entschlossen hat, diese fortzusetzen und damit gleichzeitig ihren 85. Geburtstag zu würdigen. Diese Residenz fällt umfassend aus - neben einem neuen Orchesterwerk namens "Der Zorn Gottes", das Christian Thielemann selbst dirigieren wird, hat sie ihr für Dresden begonnenes und während der Residenz 2014/2015 erfolgeich uraufgeführtes "O komm, Heiliger Geist" nun zu einem Oratorium komplettiert, es wird von Omer Meir Wellber, Solisten und dem MDR-Chor im 3. Sinfoniekonzert erstaufgeführt.

Weitere Stücke von Gubaidulina erklingen in Sinfoniekonzerten, Aufführungsabenden und einem ihr gewidmeten Porträt-Kammerkonzert in der Schlosskapelle. Bei insgesamt 17 aufzuführenden Kompositionen kann man von einer umfassenden Werkschau sprechen, die es so noch nicht in einer Saison der Kapelle gegeben hat. Diese intensivere Art der Residenz soll aber auch in den kommenden Jahren fortgesetzt werden, so Dramaturg Tobias Niederschlag. Der erste Gastdirigent der Staatskapelle, Myung-Whun Chung, wird seinen Mahler-Zyklus mit der 5. Sinfonie cis-Moll fortsetzen, er leitet zudem auch das Gedenkkonzert am 13. Februar mit dem Fauré-Requiem und ist im Januar 2017 gemeinsam mit Solisten der Staatskapelle als Pianist im jährlich im Meetingpoint Music Messiaen aufgeführten "Quatuor pour la Fin du Temps", das Messiaen 1941 dort in der Gefangenschaft komponierte, vertreten.

In der Schar der bekannten und berühmten Dirigenten sind in der kommenden Saison viele Namen erneut vertreten, die schon seit Jahren erfolgreich mit der Staatskapelle zusammenarbeiten, wie etwa Donald Runnicles oder Vladimir Jurowski. Es wird ein lang erwartetes Wiederhören mit Daniel Harding (Dvořák und Mahler) geben, und selbstverständlich wird Herbert Blomstedts 90. Geburtstag gebührend begangen - mit Beethoven und Bruckner wird der große Dirigent das Dresdner Publikum und sich selbst beschenken. Zu den Solisten der Sinfoniekonzerte zählen weiterhin Andras Schiff, Maria Joao Pires, Matthias Goerne, Lisa Batiashvili und das Borodin Quartett. Fortgesetzt wird auch das Palmsonntagskonzert mit Reinhard Goebel, dann unter anderem mit dem "Dettinger Te Deum" von Georg Friedrich Händel.

Auf Tour erlebt man die Sächsische Staatskapelle im nächsten Jahr in den großen Musikzentren Europas. unter anderem in der neu eröffneten Elbphilharmonie in Hamburg. Besonders freut sich Christian Thielemann auf eine Residenz in der Suntory Hall in Tokio, bei der auch Richard Wagners "Rheingold" in einer halbszenischen Fassung auf dem Programm steht. Der Vorverkauf für die neue Saison der Sächsischen Staatskapelle beginnt wie der der Semperoper am 21. März 2016.
(4.3.2016)

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