Donnerstag, 28. Mai 2015

Energiegeladener Konzertabend

The Philadelphia Orchestra gastierte in der Semperoper

Nicht jeder hat die Möglichkeit, die Musikmetropolen der Welt zu besuchen, dafür laden die Dresdner Musikfestspiele jedes Jahr die Welt nach Dresden ein. Das perfekte Zusammenspiel der globalen Terminkalender bescherte dem Festival in diesem Jahr erneut ein Gastspiel eines der so genannten "Big Five"-Orchester aus den USA, dem Philadelphia Orchestra, das 2011 schon einmal zu einem Sonderkonzert im Kulturpalast gastierte.

Die Dresdner Musikfestspiele werben mit einer Worthülse für das Einzelkonzert: das Orchester wurde gleich zum "Residenzorchester" ernannt - außer einem zweiten Konzert in Berlin, von dem die Dresdner nichts mitbekommen werden und das lediglich den Stempel der Musikfestspiele trägt, ist von einer Residenz aber nichts spürbar. Es die erste große Europa-Tour des Orchesters mit dem Kanadier Yannick Nézet-Séguin am Pult, der in Philadelphia seit 2012 als Musikalischer Direktor amtiert.

Reichlich sinnfrei war die Beschreibung eines neuen Werkes des US-amerikanischen Komponisten Nico Muhly (geb. 1981), das am Beginn des Konzertes stand. Kein Wort war im Programmheft über Idee und Inhalt von Muhlys "Mixed Messages", das einige Tage zuvor in Philadelphia uraufgeführt wurde, zu lesen. Man lernt stattdessen, dass Muhly "bestens im Geschäft" und der "heisseste Komponist des Planeten" sei. [Mehr erfährt man im New Yorker online] Dermaßen niedergeschraubte Hörerwartungen bestätigten sich: ein aus Versatzstücken von Béla Bartók bis John Adams (zu) flott zusammengeklebtes Werk erzeugte einen Eklektizismus, der Intellekt und Gefühl gleichermaßen kalt ließ. Nézet-Séguin und sein Orchester zeigten mit sehr engagierter Interpretation, dass man sich in solchen den Effekt in den Vordergrund stellenden Klangwelten zu Hause fühlt - die "Botschaft" indes war angesichts vor sich hin klingelnder Patterns in Streichern und Schlagzeug kaum zu entschlüsseln.

Bei Edvard Griegs Klavierkonzert a-Moll, das mühelos die Zeiten überdauert hat, liegt der Fall anders. Hier liegen viele emotionale Welten dicht beieinander, durchdringen und überlagern sich, sodass Pianist und Dirigent sorgsam mit Dosis und Balance umgehen müssen. Der erst 20jährige kanadische Pianist Jan Lisiecki, der 2012 schon mit einem Recital bei den Musikfestspielen begeisterte, entfachte mit seiner klaren und kraftvollen Interpretation in der Semperoper Beifallsstürme.

Unprätentiös, überlegt und mit staunenswerter Detailgenauigkeit ging Lisiecki zu Werke und fand in allen drei Sätzen eine bis in nur vordergründig unauffällige Passagen hinein überzeugende Darstellung. Trotz äußerlicher Ruhe verströmte Lisiecki eine alle Motive zu großer Spannung verbindende Energie in seinem Spiel, die das Philadelphia Orchestra ansteckte und zu zu lichtem und partnerschaftlichem Spiel verleitete - hier waren unglaubliche Momente zu vernehmen, wie etwa das zauberhafte Verklingen des 2. Satzes.

Das Nocturne op. posth. von Chopin war dann nicht eine bloße Zugabe, sondern von Lisiecki luzide zu einer Kostbarkeit geformt - mit andächtiger Stille im Opernrund. Hier konnte man gut beobachten, zu welcher Reife und Selbstverständlichkeit Lisiecki gerade bei Chopin bereits gelangt ist: Form, Bewegung, Anschlag bildeten eine Einheit, die sich in natürlichem Ausdruck niederschlug. In die Chopin-Noten wird nicht irgendetwas hineinzelebriert ("guck mal, Chopin!"), sondern Lisiecki schafft es, die Musik selbst sprechen zu lassen, solche fast von Demut geprägten Hörerlebnisse sind rar.

Energiegeladen ging es nach der Pause weiter: Peter Tschaikowskys 5. Sinfonie e-Moll ist ein willkommenes Bravourstück für jedes Orchester. Es gibt sicherlich Interpretationsansätze, die sehr tiefgründig sein können und vor allem die nachdenklich-zweifelnden ersten drei Sätze mit Priorität behandeln. Ebenso zulässig ist aber auch ein musikantisch zu nennender Zugang, der die Themen zum Leuchten bringt und das Stück schlicht als sinfonisches Meisterwerk zelebriert. Letzteres war der Fall - man konnte in allen vier Sätzen perfekt im gerühmten, von Leopold Stokowski begründeten "Philadelphia-Sound" schwelgen und das Staunen neu lernen.

An den berückenden Soli von Klarinetten und Hörnern, am butterweichen und im forte obertonreichen Streichersound mochte man sich kaum satthören. Etwas herausstechend war der Oboenklang, was wohl am Instrument lag, hingegen klang das Blech überraschend warm und gar nicht spitz, wie man es vielleicht als Vorurteil des amerikanischen Klangideals unberechtigterweise im Kopf hat.

Faszinierend war zu beobachten, wie exakt und trotzdem klangfarblich flexibel das Orchester auf Nézet-Séguins Zeichen reagierte und kleinste aus dem Moment heraus entstehende Veränderungen umsetzte, insbesondere Binnencrescendi und -decrescendi gelangen da organisch und sorgten so für einen diskreten Fluss des Werkes. Diese gegenseitige Inspiration tat Tschaikowsky gut, denn Nézet-Séguin überspannte in Tempo und Dynamik nie den Bogen. Tutti-Passagen kamen homogen und keinesfalls dröhnend über die Rampe. Zwingend und mit nie ermüdender Motivationsgabe an seine Musiker arbeitete sich Nézet-Séguin zum jubelnden Finale vor: "The Philadelphia" erntete brausenden Jubel und stehende Ovationen. Dass sich Nézet-Séguin freundlich vom Publikum mit dem Satz "Bis Dienstag in Berlin" verabschiedete, war sicher auf das bevorstehende dortige Konzert gemünzt - ein Augenzwinkern in Richtung Philharmoniker war aber legitim und zeigte auch, dass es Nézet-Séguin keinerlei Sorgen bereitet, wann auch immer in Berlin anzukommen - mit diesem Orchester ist er ohnehin überall willkommen.

(26. Mai, ergänzt)

Traum CII

Ein Abhang, der abrutscht.

[Fragmentarischer geht's nicht mehr, aber heute wenigstens einmal ein Splitter in Wochen traumerinnerungsloser Nächte.]

Sonntag, 10. Mai 2015

Mein #bphil Zettel

Morgen wird der neue Chefdirigent der Berliner Philharmoniker gewählt. Ich kann mich nicht erinnern, dass es bei Abbado oder Rattle so einen Hype darum gegeben hat und im Spekulationsniveau unterbietet sich das hehre Feuilleton ("Die Favoriten im Gerüchte-Check") gegenseitig. Die Medien meinen zu wissen, wer überhaupt in Frage kommt. Je nach Gusto sind es 7 (tagesspiegel), 5 (ZEIT) oder 3 Kandidaten (Berliner Morgenpost). Dabei haben sich einige dieser Dirigenten schon durch eigene Bekundungen oder Vertragsverlängerungen aus dem Rennen genommen - alle üben sich im Understatement ("Mir geht's hier wahnsinnig gut" - Thielemann über Dresden) und dürften die massiven Spekulationen mit einigem Vergnügen lesen. Wer Jansons, der nun in München verlängert hat, bis zuletzt zuoberst auf dem Zettel hatte, darf sich mit einem Tränchen im Knopfloch heute übrigens dessen Konzert mit den Berlinern in 130 Kinos bundesweit ansehen.

Die am häufigsten Genannten sind Christian Thielemann, Mariss Jansons, Andris Nelsons, Daniel Barenboim, Gustavo Dudamel, Riccardo Chailly, Riccardo Muti, Kirill Petrenko und Yannick Nézet-Séguin. Nur hier und da am Rande erwähnt werden Iván Fischer, Paavo Järvi, Daniel Harding, Philippe Jordan, Pablo Heras-Casado, Teodor Currentzis, Alan Gilbert, Vladimir Jurowski und Esa-Pekka Salonen. Letztere sind also eher die Geheimtipps oder auch die persönlichen Pushs einiger Redakteure - man könnte noch einige mehr hinzufügen. Habe ich jemanden überlesen/vergessen?

Dieser Blogeintrag sei lediglich mein Zettel für morgen, über die Kandidaten wurde genug geschwatzt. Einer wird es.

Die letzten Verlautbarungen:
* Süddeutsche: "Der Welt entfliehen" (Brembeck)
* ZEIT: "Das Maestro-Syndrom" (Lemke-Matwey)
* Tagesspiegel: Wer wird am Montag neuer Chefdirigent (Kommentar, Hanssen)
* Musik in Dresden: "Was bleibt, wenn er geht?" (Morgenstern)

Meditatio Mortis

Peter Gülkes neues Buch "Musik und Abschied"

Dass wir vom Tod oft mitten im Leben umfangen sind, ist uns nicht nur aus Luthers Zeilen wohlbekannt. Zu gewissen Zeitpunkten müssen wir ihn alle erleben, erdulden und uns damit auseinandersetzen. Ebenso entstehen wiederkehrend Gedanken über die eigene Sterblichkeit und Existenz. Doch eine Selbstverständlichkeit, gar Akzeptanz von Tod und Vergänglichkeit mutet uns angesichts der Größe und Komplexität des Themas fremd an. Oft genug stößt man an die Grenzen des Begreifens, fehlen einem die Worte. An diesem Punkt eines tiefgreifenden eigenen persönlichen Erlebnisses angelangt, widmete sich der Dirigent, Musikwissenschaftler und Siemens-Preisträger Peter Gülke der Musik, die im Angesicht des Todes oder eines Abschieds zu allen Zeiten der Musikgeschichte komponiert wurde und zeichnete seine Gedanken auf.

Gülke kann aufgrund seiner überreichen Erfahrung eines Lebens in der Musik damit nicht nur eigene Trauerarbeit in klingender, bereichernder Umgebung vollziehen, er gibt nun diese Betrachtungen an seine Leser weiter. Am Montagabend stellte Gülke "Musik und Abschied" im Gespräch mit dem Germanisten Ernst Osterkamp in der Sächsischen Akademie der Künste vor und es wurde schnell deutlich, dass es sich bei den insgesamt 54 Essays nicht um ein "Potpourri mit Trauerrand" handelt, sondern - die Formulierung des Adam von Fulda schwebt gleichsam als Motto über dem Buch - eine "meditatio mortis". Keineswegs ist dies aber ein Buch, das nur in dunklen Stunden gelesen werden sollte, und erst recht nicht eines, das einem enzyklopädischen oder wissenschaftlichem Anspruch Genüge tun will.

Gewählt hat Gülke eine literarische Form der Annäherung und Umkreisung, die das "Bewusstsein des Danebentreffens" im Wort, so Gülke, einschließe. Denn wie erklären wir uns berühmte letzte Werke, wo doch das Vergehen selbst in der Musik schon immanent ist und der Augenblickscharakter von Musik auch da wirkt, wo gar nicht vom Tod die Rede ist? Wie stehen wir - mitten im Leben - einem Werk gegenüber wie etwa Bachs "Kunst der Fuge" oder dem Adagio in Bruckners 9. Sinfonie, in dem sich bereits der Himmel zu öffnen scheint und die ohnehin bereits "dem lieben Gott" gewidmet ist? Gülkes neues Buch ist in besonderer Weise eine Niederschrift intensiven Nachdenkens über Musik - das schließt die Form des Essays samt eingeschobener Selbstgespräche ein, die Gedankenexperimente ebenso zuläßt wie Fragmentarisches, gar Aphoristisches. Denn, um bei einem von Gülke geliebten Abschiedswerk zu bleiben, angesichts des Streichquintetts C-Dur von Franz Schubert, endgültige Antworten zu geben, liegt kaum einem Buch wie diesem ferne - Gülke nimmt uns nicht die Sprachlosigkeit, aber er zeigt sie uns.

Und so faszinieren letztendlich die vielgestaltigen Aspekte des Themas, die einem nun fast überlebendig (sic!) und farbig schillernd aus dem Buch entgegenleuchten: etwa das "Singen über Abgründen", was wir auch in Schuberts Winterreise finden, oder die nicht dem Glauben widersprechende Ratlosigkeit Johann Sebastian Bachs, wenn er in den Passionen den Moment des Todes auskomponiert, die Todesvokabeln in alten Motetten wie auch zeitgenössischer Musik oder gar ein dröhnendes C-Dur, das nach Wahrheit fragt. Von Fragen handelt das Buch, muss das Buch mehr handeln als von Antworten und doch wird der Leser reich beschenkt, weil Gülkes universelles Wissen um Zusammenhänge in der Musikgeschichte, den Biographien, den Sach- und Zwangslagen der Komponisten und ihrer historischen Umgebung wie selbstverständlich einfließen. Die Demaskierung des Zitterns und Fürchtens im Kapitel "Tage des Zorns", das eben manche Komponisten nicht komplizenhaft und dem Text ausgeliefert vertonten, ist da ebenso überraschend zu lesen wie das Essay "Frauen sterben anders" - dem lakonischen Titel folgt eine feinsinnige Analyse von Bühnenfiguren bei Purcell, Puccini und Janáček.

Wenn wir die Größe eines Spätwerks (auch diesen Begriff überzieht Gülke im Buch wie im Gespräch mit dem berechtigten Stirnrunzeln, dem sogleich das Weiterdenken folgt) eines Beethoven, Mahler, Schubert oder Schostakowitsch vor der Lektüre von "Musik und Abschied" nur geahnt haben, so sind wir ihnen mit Gülke vielleicht ein Stück näher gerückt. Die Dimension des Begriffes der Zumutung, den Gülke angesichts des Alterswerkes einiger Komponisten wählt, wird einem in der Erschütterung des Hörens bewusst. Zum Hören, und das ist die wohl schönste Wirkung des Buches, lädt "Musik und Abschied" ausdrücklich ein. Peter Gülke verriet im Gespräch ein Geheimnis des eigenen Ansporns: "Musik, die ich schön finde, finde ich noch schöner, wenn ich darüber noch mehr herausfinde." Dies kann auch ein Leitspruch bei der Lektüre dieses Buches sein, in dem oft weit über das Thema hinaus einen hallender, tönender Raum geöffnet wird und die Musik beim Lesen zum treuen Begleiter gerät.

* Peter Gülke - Musik und Abschied, 362 S., Verlag Bärenreiter/Metzler
ISBN 978-3-7618-2377-4

Leidenschaftliche Botschafter für die gute Sache

Das World Doctors Orchestra gastierte in der Kreuzkirche

Mit etwas Ratlosigkeit im Blick standen die beiden Sanitäter des Malteser-Hilfsdienstes am Freitagabend im Eingangsbereich der Kreuzkirche. Sie verrichteten dennoch freundlich ihren obligaten Dienst, auch wenn dieses Mal rund neunzig Doktoren auf der Bühne saßen, Pflegepersonal für den Einlass zuständig war und auch im gefüllten Kirchenrund noch einmal viele Besucher saßen, die ihre OP-Kleidung am Abend gegen den Anzug eingetauscht hatten. Grund der außergewöhnlichen Veranstaltung war ein Benefizkonzert des World Doctors Orchestra, das erstmals in Dresden gastierte. 2007 vom Musiker und Mediziner Stefan Willich, der auch das aktuelle Konzert leitete, gegründet, tourt das Orchester mehrmals im Jahr mit dem Benefizgedanken und klassischen Partituren im Gepäck durch die Welt. Dabei wird nicht nur die Hand für Spenden aufgehalten, die Ärzte engagieren sich auch an den jeweiligen Konzertorten für die Nöte und aktuellen Probleme der Menschen - auch in Dresden haben Musiker des Orchesters während der Probenphase bereits in Schulen und Krankenhäusern gespielt.

Der Erlös des Konzertes in der Kreuzkirche kam der Hope-Stiftung Kapstadt und der Michaelis-Epilepsie-Stiftung zu Gute. Damit, so formulierten es Sozialministerin Barbara Klepsch und Ministerpräsident a. D. Kurt Biedenkopf in ihren Begrüßungen, verschreibe sich das Orchester der wichtigen Aufgabe, Not an Ort und Stelle zu überwinden und sich den Problemen der Menschen zielgerichtet zu widmen. Und schließlich habe die Musik die verbindende Funktion einer weltumfassenden, auch heilenden Sprache. In Dresden ist solches Engagement übrigens kein Fremdwort: von vielen Ärzten kennt man Haus- oder Praxiskonzerte, andere musizieren selbst in Chören und Ensembles, und das Orchester "medicanti" an der Uniklinik besteht seit über 25 Jahren. Wohl auch deswegen bildeten sich lange Schlangen am Eingang der Kreuzkirche; man war gespannt, wie die neunzig Musiker aus 15 Ländern das sinfonische Konzertprogramm gestalten würden.

Unterschätzen darf man die Doktoren mit der Geige an der Schulter indes nicht: viele haben sogar ein Doppelstudium hinter sich oder arbeiten regelmäßig mit Profimusikern. Trotzdem war das romantische Programm sehr anspruchsvoll - mit der "Meistersinger"-Ouvertüre von Richard Wagner, dem Cellokonzert von Antonín Dvořák und der 4. Sinfonie von Robert Schumann standen beliebte Werke auf dem Programm, die durchaus nicht "prima vista" gespielt werden können. Ein gewisser Hauch von Abenteuer war an einigen Notenpulten sicher nicht von der Hand zu weisen, aber es war auch imponierend, mit welcher Konzentration sich das Orchester den Werken widmete. Vor allem Anna-Margarete Kries gab wertvolle Impulse vom Konzertmeisterpult der Geigen und brillierte auch im Dialog mit Ludwig Quandt, dem Solisten im Cellokonzert h-Moll von Antonín Dvořák. Quandt, Solocellist der Berliner Philharmoniker, inspirierte das Orchester zu aufmerksamem Spiel und gestaltete den 1. Satz so kraftvoll, dass es nicht nur Zwischenapplaus gab, sondern die einfühlsamen Welten des kammermusikalischen 2. Satzes als Kontrast gut zur Geltung kamen. Überhaupt war das Cellokonzert ein Höhepunkt des Konzertes, denn auch vom Solo-Horn und der Bläsergruppe konnte man sehr schöne Gestaltung vernehmen.

Dirigent Stefan Willich leitete dann zum Abschluss eine spannungsreiche Aufführung der 4. Sinfonie d-Moll von Robert Schumann und konnte die Charakteristika der Sätze zwischen Melancholie und forschem, fröhlich daherkommendem Selbstbewusstsein gut ausformen. Glückliche Gesichter auf dem Podium und stehende Ovationen kündeten von einer gelungenen Veranstaltung für eine gute Sache - die Botschaft einer grenzen- und interessenlosen grundsätzlichen medizinischen Versorgung, für das sich das World Doctors Orchestra einsetzt, wurde hier auf eine sympathische und gleichzeitig sensibilisierende Art und Weise transportiert.
(27.4.15)

Dienstag, 21. April 2015

Ins Unsagbare weisend

Sofia Gubaidulinas "O komm, Heiliger Geist" in der Frauenkirche uraufgeführt

Unzweifelhaft ist die Komponistin Sofia Gubaidulina eine der großen, wichtigen Stimmen der Musik unserer Zeit. Ihre Residenz bei der Sächsischen Staatskapelle in der laufenden Konzertsaison ermöglichte nun das intensive Kennenlernen ihres Werkes. Am Sonnabend kam es in der Frauenkirche zur Uraufführung von "O komm, Heiliger Geist" für Sopran- und Basssolo, Chor und Orchester, eine geistliche vokalsinfonische Komposition, die inaltlich eng mit dem Pfingstfest verbunden ist.

Das neue Werk ist ein erster fertiggestellter und zudem der finale Teil eines in der Entstehung befindlichen großen Oratoriums, das sich vor allem in Vertonung der Verse des heiligen Augustinus dem Thema Frieden widmet. "O komm, Heiliger Geist", weist in seiner knapp viertelstündigen Dauer eine frappierende Geschlossenheit auf, das durch die Konzentration auf die Texte des Pfingsthymnus und einen Ausschnitt aus einem Augustinus-Gebet entsteht, von Gubaidulina mit äußerst klaren, direkt treffenden Klangsymbolen umgesetzt, die keinerlei Chiffrierung oder Vorgeschichte benötigen, der Hörer ist von Anfang an "mittendrin".

Die Klanglinien verdeutlichen hier nicht nur das unerbittliche Voranschreiten der Zeit; sie sind auch dem menschlichen Atem gewidmet, dem Lebenshauch, der sich mal aufgeregt wirbelnd, mal in den Solostimmen (eindringlich gestaltend: Sophie Karthäuser, Sopran und Georg Zeppenfeld, Bass) nachsinnend gibt. Die harmonische Ebene ist hingegen Chor und Bläsern vorbehalten, deren "O komm"-Rufe sich mit fast Brucknerscher Wucht ins Ohr meißeln. Diese Assoziation entsteht nicht nur aufgrund der Wagner-Tuben im Orchester, sie scheint auch legitim, weil Gubaidulina hier ebenfalls einen geistlichen Bedeutungsraum öffnet, der ins Unsagbare weist. Die Bitte nach der Heilung durch den Heiligen Geist formt Gubaidulina zu Beginn des Stückes in flehendem, vom Chor stockend vorgetragenem Gestus. Später verwandelt sich dieses Bitten organisch und rauschhaft in den mit Atem-Glissandi vorangetriebenen Höhepunkt und erreicht im Schlussakkord himmlische Sphären.

Der musikalische Leiter der Uraufführung, der estnische Dirigent Andres Mustonen, war Sofia Gubaidulina schon ein wichtiger Partner in der Entstehungsphase der Komposition, ihm ist das Werk auch gewidmet. Die Uraufführung mit dem exzellent deklamierenden MDR-Rundfunkchor (Einstudierung: Nicolas Fink) war von nachdrücklicher Wirkung. Zu hoffen ist, dass dieses dem Frieden gewidmete Opus Summum Gubaidulinas auch zur Gesamturaufführung nach Dresden findet.

Dem kurzen neuen Stück folgte ein ungleich längeres, ebenso gewichtiges Werk: Franz Schuberts letzte Messe in Es-Dur wirkte nach dieser zeitgenössischen Äußerung stark wie aus einer anderen Welt kommend. Es ist gerade bei diesem Werk unabdingbar, dass die nicht auf den ersten Blick zu entdeckenden Besonderheiten von den Musikern herausgearbeitet werden, damit das Stück nicht zu konventionell oder langatmig wirkt. Genau diese Genauigkeit ließ die Aufführung aber leider vermissen, mehr noch: die im Laufe des Stücks aufgehäuften Mängel, die ursächlich bei Mustonens kaum einen Grundpuls vermittelnden, immer wieder zu lautem, blockhaftem Musizieren einladendem Dirigat zu finden waren, hinterließen einen betrüblichen Eindruck.

Zwar versuchten die Staatskapelle Dresden und der MDR-Rundfunkchor Leipzig Mustonens ausladende Gesten zu deuten und ein dem Kirchenraum angemessenes Spiel zu entwickeln, doch von innerer Gestaltung der Motive oder einer zielgerichteten, charakteristischen Form der Messteile war wenig zu spüren - zwei Mal brach gar in den Chorfugen das Gefüge fast auseinander. Nicht ganz passend zusammengestellt im Timbre der Stimmen, aber durchaus erfreulich gestalteten die Solisten ihre Partien, zu den bereits Genannten gesellten sich Marie-Claude Chappuis (Mezzosopran) sowie Steve Davislim und Lothar Odinius (Tenor) hinzu. Am überzeugendsten agierte der MDR-Rundfunkchor in leiseren Passagen im Credo, doch Mustonens fordernd-massive Grundhaltung verhinderte trotz dem Bemühen aller Kräfte eine Interpretation, die dem Werk irgendwie gerecht werden würde.

* Programmheft des Konzertes zum Nachlesen
* Direktlink zum Konzert (audio) beim MDR
* Das Konzert ist bis zum 26.4. im MDR Webchannel "Classic in Concert" verfügbar (Loop...)

Auf verschlungenen Wegen

Kammermusik-Porträt von Sofia Gubaidulina an der Musikhochschule

Die partnerschaftliche Zusammenarbeit im Verbund "KlangNetz Dresden" ermöglichte es, dass jedes Jahr der aktuelle Capell-Compositeur der Sächsischen Staatskapelle auch an der Hochschule für Musik zu Gast ist.
Sofia Gubaidulina hat die Residenz in diesem Jahr inne und die Aktivitäten in Dresden bescherten der 83-jährigen Komponisten einen vollen Terminkalender. Für die Studenten an der Hochschule ist diese Präsenz der Komponisten von großem Wert. So liegt nicht nur schweigendes Papier auf dem Notenpult, sondern die Schöpferin des Werkes trägt mit ihren Worten zum Verständnis und zur Interpretation bei.

Gleich zwei Kammermusikkonzerte stellte die Hochschule auf die Beine, und es war gut, dass man die sechs Stücke auf zwei Konzerte verteilte, so bekamen die Abende einen intimen, konzentrierten Charakter. Keineswegs handelt es sich bei der Kammermusik der russischen Komponistin um leichte Spielstücke, die sich zu jeder Gelegenheit einflechten lassen. Oftmals verrät schon die erste Partiturseite die Unabdingbarkeit künstlerischen Tuns: lasse Dich darauf ein, oder lege die Noten besser weg. Die Studenten entschlossen sich für die erste Variante und erschlossen sich damit einen Musik-Raum, der sicherlich einiges an Arbeit erfordert hat, mit dem sie - das zeigten die glücklichen Gesicher nach dem ersten Abend - aber auch wichtige Erkenntnisse gewonnen hatten.

Denn Gubaidulinas Musik bedient nicht nur eine einzelne Empfindung, sie geht nicht den geraden Weg und hinterläßt auch nach den letzten verklingenden Tönen oftmals einen Raum, in dem Weiterdenken und Fragenstellen möglich ist. Um richtige und falsche Töne ging es in den Proben weniger, verriet Gubaidulina im Gespräch mit Jörn Peter Hiekel, sondern mehr darum, mit einer bewussten Haltung die Intensität des Spiels zu entwickeln.

Auch für die Komponistin war die Begegnung mit den Studenten höchst reizvoll, den diese gäben ihre jugendliche Energie in die Stücke ein, etwas Neues entsteht. Im erst 2013 in Gohrisch uraufgeührten "So sei es" für Violine, Kontrabass, Klavier und Schlagzeug entsteht diese aus behutsamen Dialogen und nebeneinander stehenden Kontrasten, fast möchte man von These und Antithese sprechen. Shuo Zang, Marc Schönfeld, Peter Naryshkin, Bartosz Marciniak gelang eine klangschöne Aufführung, Tomas Westbrooke dirigierte und hatte auch die Einstudierungen der Werke übernommen.

Während dieses neuere Werk einen lichteren Charakter aufwies, wirkten die anderen beiden Stücke zerklüfteter: im 1977 entstandenen Quartett für vier Flöten (mit tollem Zusammenspiel: Kristyna Landová, Victoria Romann, Julia Hebecker und Sophie Moutte) gibt es zwar viele melodiöse Passagen, doch die Verstrickung der vier gleichen Instrumente im Tonraum barg immer wieder dramatisches Potenzial und führte zu farbigster Entfaltung.

Absolut großartig war die Interpretation von "Freue Dich" (1981), einer fünfsätzigen Sonate für Violine und Cello. Goumang Heng und Sofia von Freydorf nahmen das Abenteuer an, hier Grenzen von Klangwelten und ihrer traditionellen Bedeutungen zu überschreiten und das Dahinterliegende für sich selbst zu entdecken, so dass sich immer mehr eine frei schwingende, künstlerische Rede entfaltete, die auch über große Klippen hinweg atmen konnte. Man durfte als Zuhörer in diesem intimen und intensiven Rahmen dankbar sein, dass man an Gubaidulinas Reise auf der, so die Komponistin, "Suche nach den höchsten Dimensionen des Lebens", der wohl dankbarsten Aufgabe eines Künstlers, teilhaben konnte.

Mit Brahms im Hinterkopf

Kompositionen für Horntrio im Kammerabend der Staatskapelle

Ein Potenzial für Überraschungen ist immer gegeben, wenn man einen Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle besucht, und dies nicht nur, weil die Programme etwas kurzfristiger angesetzt werden. Keinesfalls hat das mit spontaner Darbietung zu tun, die kammermusikalischen Partnerschaften im Orchester und mit Gästen sind seit langer Zeit gewachsen. Die freudige Erwartungshaltung, die nach dem Konzert meist von einer ebenso positiven Erlebniserinnerung gefolgt wird, entsteht vor allem aus den spannenden Programmen, die Fäden quer durch die Musikgeschichte legen.

Der Kammerabend am Sonntag war der Besetzung Horntrio gewidmet, aber Moment - ein ganzes Konzert in dieser Besetzung? Üppige Bibliotheksrecherche mag zwar manch vergessenes Werk zu Tage fördern, die Leuchttürme dieser aparten Triozusammenkunft sind jedoch die Kompositionen von Johannes Brahms und György Ligeti. Da sie zudem eng miteinander verwoben sind, ist es ein besonderes Erlebnis, beide Stücke in einem Konzert zu hören. Damit haben die Interpreten aber dann auch fast schon genug "Arbeit" auf dem Notenpult, denn beide Repräsentanten der Gattung geben sich gewichtig.

Trotzdem war es schön, dass die Kapellisten sich noch für zwei kleinere Beiträge zur Umrahmung entschlossen. Von Charles Koechlin (1867-1950) hört man im Konzertsaal ohnehin viel zu selten etwas - seine unglaublich farbigen sinfonischen Werke (u. a. hat er das "Dschungelbuch" zyklisch vertont) legen sich Dirigenten leider nur selten auf's Pult. Die "Quatre petite pièces" halten exakt, was der Titel verspricht. Matthias Wollong (Violine), Jochen Ubbelohde (Horn) und als Gast Paul Rivinius (Klavier) spürten der mit feinem impressionistischen Pinsel gezeichneten Musik klangschön nach.

Mit "Brahms im Hinterkopf" schrieb György Ligeti 1982 sein Horntrio und schuf ein komplexes, Hörer wie Interpreten stark forderndes Werk, das seinen Reiz nicht nur aus dem Brahms-Bezug bildet, sondern vor allem durch die Herstellung einer Höchstspannung des Dialoges zwischen Tradition und zeitgenössischer Musiksprache. Das war im rasanten zweiten Satz ebenso offenkundig wie im sorgsam die Motive aufblätternden ersten oder der sich zu extremem Ambitus weitenden Passacaglia im Finale. Wollong, Ubbelohde und Rivinius stürzten sich mit viel Gestaltungswillen und der nötigen Ruhe in das Abenteuer. So konnte man beobachten, wie das Stück selbst nach und nach die Regie übernahm, die Interpretation bis zum letzten Ton starke Intensität besaß und nie verlor.

Vor dem "Vaterstück", dem Horntrio Es-Dur von Johannes Brahms, erklangen Robert Schumanns "Phantasiestücke" nicht ohne Bezug zum Restprogramm, denn die in der Romantik besonders entwickelte freie musikalische Rede durchzog thematisch das ganze Konzert. Brahms' Trio geriet am Ende zum Höhepunkt des in sich geschlossenen Abends: Wollong, Ubbelohde und Rivinius zeigten sich einmal mehr in der Lage, nicht nur ein homogenes, lebendiges Werkgefüge zu gestalten, sondern den besonders melancholischen Charakter des Trios in der Phrasierung, im Nachgeben und Voranstreben adäquat widerzugeben. Die nachsinnend langsamen Passagen erhielten besondere Emphase, dadurch konnte man begreifen, dass der Kehraus im 6/8-Takt zum Ende zwar durchaus heiter stimmen mag, das Wichtigste dieses Werkes ist er indes nicht.

Donnerstag, 16. April 2015

Sofia Gubaidulina zu Gast in Dresden

Vielgestaltiges Porträt mit Kammermusik und Vokalsinfonik

Sie ist unbestritten eine der großen musikalischen Stimmen unserer Zeit und man darf es schon als Glück bezeichnen, dass in Dresden nun fast eine Woche lang ihr facettenreiches Werk vorgestellt wird: die russische, seit über zwanzig Jahren in Deutschland lebende Komponistin Sofia Gubaidulina ist die aktuelle Capell-Compositrice der Sächsischen Staatskapelle.



Gidon Kremer hat ihr 2. Violinkonzert bereits zur Saisoneröffnung interpretiert und wird im Juni auch ihr erstes Konzert "Offertorium", mit dem sie weltweit bekannt wurde, spielen. Ab heute gilt das Augenmerk ihrer Kammermusik und einer oratorischen Uraufführung. Dabei ist Gubaidulina, veranstaltet vom Verbund KlangNetz Dresden, zunächst in der Hochschule für Musik präsent.

Dresdner Musikstudenten haben fast ein halbes Dutzend ihrer Kammermusikwerke einstudiert und werden diese nun gemeinsam mit der Komponistin in zwei von Jörn Peter Hiekel moderierten Porträtkonzerten (Donnerstag und Freitag, Konzertsaal der Hochschule für Musik, jeweils 19.30 Uhr) interpretieren - zur Aufführung gelangt dabei auch das erst 2014 zu den Schostakowitsch-Tagen Gohrisch uraufgeführte "So sei es" für Violine, Klavier, Kontrabass und Schlagzeug.

Viele Werke von Sofia Gubaidulina spüren einem außermusikalischen Anlass, einer menschlichen Haltung oder einem geistlichen Thema nach. Ihr im Rahmen der Residenz bei der Kapelle entstandenes neues vokalsinfonisches Werk "O komm, Heiliger Geist" für Solisten, Chor und Orchester wird am Sonnabend im Kapell-Konzert in der Frauenkirche (20 Uhr) uraufgeführt und ist in das Kirchenjahr eingebettet: Die Säulen der Komposition bilden, mit ritualhaften Wiederholungen, die eröffnende Pfingst-Antiphon "O komm, Heiliger Geist" und der erste Vers aus dem zentralen Gebet des heiligen Augustinus "Atme in mir, du Heiliger Geist".

Die musikalische Leitung dieses neuen Werkes liegt in den Händen von Andres Mustonen, einem engen künstlerischen Weggefährten von Sofia Gubaidulina, dem die Komponistin das Werk gewidmet hat. Die Solopartien werden von Sophie Karthäuser (Sopran) und Georg Zeppenfeld (Bass) übernommen, es singt der MDR Rundfunkchor Leipzig.

Mustonen ist auch der Dirigent des Aufführungsabends der Staatskapelle am 20. April um 20 Uhr in der Semperoper. Im Rahmen dieses Konzertprogramms wird Sofia Gubaidulinas "Warum?" für Flöte, Klarinette und Streichorchester als Deutsche Erstaufführung erklingen, die Solisten sind Sabine Kittel (Flöte) und Christian Dollfuß (Klarinette). Nach Auskunft der Komponistin ist diese Komposition ein Variationswerk, das in der Beschäftigung mit dem Thema Schmerz und dem vielsagenden Titel, der einen ganzen Fragenraum eröffnet, geradezu dramatisches Potenzial in sich birgt.

Alle Veranstaltungen mit Sofia Gubaidulina:
* KlangNetz Dresden
* Staatskapelle Dresden

Zwischen Idyll und Höllentrip

Prokofjew, Glière und Strawinsky mit der Dresdner Philharmonie

Einen ganzen Abend lang ging es russisch zu im Albertinum und das hatte einen guten Grund: Dmitri Kitajenko war als Dirigent zu Gast bei der Dresdner Philharmonie. Das Publikum konnte schon mehrfach seine Interpretationen mit russischen Repertoire erleben - Kitajenko arbeitet gern mit dem Orchester zusammen. Programmatisch widmete sich der in Leningrad geborene, seit 1990 erfolgreich im Westen tätige Dirigent drei Komponistenhandschriften den 20. Jahrhunderts. Obwohl die Entstehung der Stücke von Sergej Prokofjew, Reinhold Glière und Igor Strawinsky zusammen gerade einmal einen Zeitraum von 20 Jahren umfasst, hätte der Höreindruck unterschiedlicher nicht sein können.

Während die Kosmopoliten Prokofjew und Strawinsky in Frankreich die neuesten Kunstströmungen aufsaugten, hatte der bis heute auch selten gespielte Reinhold Glière mit solcherlei Trends wenig am Hut - in der Nachbarschaft der beiden fast revolutionär neutönerischen Werke bildete dessen 1938 entstandenes Harfenkonzert den ruhigen Mittelpunkt des Konzertes. Dem französischen Harfenisten Xavier de Maistre - derzeit wohl unbestritten weltweit einer der herausragenden Meister dieses Instrumentes - blieb es vorbehalten, daraus einen Lichtpunkt zu entwickeln, was ihm auch mit absolut flexiblem, sinnlich-souveränem Spiel gelang. De Maistre formte die lyrischen Themen differenziert aus und hatte für jedes noch so offenherzig virtuose Element des Werkes eine liebevolle Ausformung parat. Dazu begleitete Kitajenko mit dem Orchester luftig und ließ so dem Solisten viel Raum zur Entfaltung. Gegenüber der Komposition blieb am Ende doch der Eindruck eines aus der Zeit gefallenen, künstlichen Idylls bestehen. Kitajenko hatte die 3. Sinfonie c-Moll von Sergej Prokofjew an den Beginn des Konzertes gestellt und damit die etwas bequemere Zuhörvariante gewählt, denn Strawinskys beliebte "Feuervogel"-Suite endet zumindest deutlich triumphaler als die Sinfonie, die im vorletzten Akkord mit einem Aufschrei eher das Ende eines Höllentrips heraufbeschwört.

Man möchte dem Programmheft gerne widersprechen, wenn dieses Stück als Meisterwerk tituliert und dafür nur eine "überraschende Gewichtung der Ecksätze" angeführt wird. Experimentell und zuweilen ambivalent ist das Gefüge des Stücks geraten - so haderte Prokofjew hier mit der Zweitverwertung der Motive einer zum Zeitpunkt der Sinfonie-Niederschrift nicht aufgeführten Oper und der Findung einer eigenen Handschrift zwischen jugendlichem Irrwitz und traditionellen Wurzeln. Dabei geschieht Überraschendes: während der erste Satz sich selbst fast mit bemühter Kontrapunktik erschlägt, sind die fast aphoristischen Mittelsätze in ihrer Farbigkeit sinfonische Perlen, bevor die Sinfonie mächtig und düster ausklingt. Kitajenko arbeitete mit der Dresdner Philharmonie zwar differenziert und das Stück schien sorgfältig vorbereitet, dennoch hätte bei seiner etwas geradlinigen Lesart hier und da der emotionale Pegel stärker ausschlagen dürfen. Damit ist weniger die Lautstärke gemeint als vielmehr eine intensivere Zeichnung der Sätze, die in dieser Aufführung eher blockhaft, manchmal gar nur skizziert anmutete.

Ähnliches gilt für die Interpretation der Ballettsuite "Der Feuervogel" von Igor Strawinsky, mit der das Konzert endete. Toll waren die einzelnen Bilder dargestellt und der Höllentanz Kastscheis saß auf den Punkt genau. Der Teufel lag in der Suite im Detail, wo einige Inhomogenitäten in Übergängen, Intonation und Artikulation zusammenkamen, die den insgesamt doch sehr ambitionierten und vor allem spannenden Eindruck dieses Konzertes etwas schmälerten.
(13.4.15)

Traum CI

Befinde mich im Gespräch mit ihr und verweise auf die Bände 8, 9, 10. Sie findet das "kalt". Ich schaue mir Zimmerbelgungspläne an und suche ihren Namen.

Donnerstag, 9. April 2015

Traum C

R. dirigiert ein Chorstück von mir, ich komme zu spät und setze mich ins Publikum. R. ruft mir öfters während der Aufführung etwas zu, ich solle den Tenören den Spirit übertragen oder so ähnlich. Der Titel des Stücks fängt mit E an.

[NB: Mehr ist vom Traum mit der besonderen Nummer leider nicht mehr übrig, obwohl dieser kurz nach dem Aufwachen noch deutlich umfangreicher war. Zwischen 99 und 100 gab es auch etliche kleine Fragmente, die aber zu undeutlich waren. Ich werde auf jeden Fall weitermachen - das Traumtagebuch bezieht ausdrücklich nur die größeren und vor allem erinnerten Träume ein, was relativ selten ist - die Zeitspanne der Einträge umfasst nunmehr neun Jahre. Ab und an beziehe ich aber auch besonders prägnante Fragmente, Bilder mit ein, die keinen fertigen Status haben, sondern nur als blitzartiger Ausschnitt präsent bleiben. Da mir mein Schlaf heiliger ist als dieses Notizbuch, pflege ich nicht mit Zettel und Stift einzuschlafen. Einige Träume gehen dann genau in den Minuten des Aufwachens gewissermaßen hops, sie verschwimmen und sind nicht mehr greifbar. „Der Traum ist ein zweites Leben.“ - ganz so eindeutig wie Gérard de Nerval würde ich es nicht formulieren, aber es ist ein anderer Platz im Leben, an dem weitere Dinge geschehen.]

Freitag, 3. April 2015

Mozart-Show und ernste Sinfonik

Sinfoniekonzert der Elblandphilharmonie Sachsen in Radebeul

Zu leisen gehaltenen Streichertönen wandelt ein Klarinettist durch den Zuschauersaal, improvisiert singend, tänzelnd, gar heulend auf seinem Instrument und schreitet zur Bühne. So beginnt Wolfgang Amadeus Mozarts Klarinettenkonzert. Nein, natürlich nicht. Aber zumindest hätte dies denken können, wer nur flüchtig in das Programmheft des 5. Philharmonischen Konzertes der Elbland Philharmonie Sachsen geschaut hat. Wer den Klarinettisten Helmut Eisel zu einem Konzert einlädt, muss sich auf einen experimentellen Mozart-Zugang gefasst machen.

Eisel ist Klezmer-Musiker und spielt ansonsten solistisch und in verschiedenen Jazz- und Klezmerformationen. Das Mozart-Konzert hat er umfassend für seine Zwecke bearbeitet und eben auch mit diesem theatralischen Prolog ausgestattet - allerdings fragte man sich beim Hören mehrfach, welchen Sinn dies machen soll. Von Mozart blieb nicht mehr viel übrig: komponierte Form, Werkproportionen und klassische Klangsinnlichkeit waren nur mehr Begleiterscheinung. Originalpassagen verschliff und verzierte Eisel bis zur Unkenntlichkeit und anstelle des klassischen Finales wird eine Tanzpassage hinzugefügt - Crossover nennt sich das, und dem Publikum gefiel außerordentlich, was dann in einer Zugabe bis zur Show ausartete. Dirigent Jan Michael Horstmann folgte mit dem Orchester brav, leider waren die Streicher hier nicht auf dem höchsten Level ihres Könnens - die lässige Atmosphäre des Solisten übertrug sich halt von den ersten Takten an.

Dem Motto des Konzertes - Schweden - konnte man erst nach der Pause folgen und die Pause war nötig, um einen Weltenwechsel zu vollziehen. Ernst und geradezu existenziell emotional ging es mit Allan Petterssons 7. Sinfonie weiter, die überhaupt in Radebeul zum ersten Mal erklang. Pettersson wurde 1968 mit diesem Werk überhaupt erst einer breiten Öffentlichkeit bekannt, heute ist der schwedische Sinfoniker (1911-1980) immer noch selten in den Konzertsälen zu hören. Es gehört von Zuhörern wie Musikern viel Offenheit dazu, sich diesen kompromisslosen, ausdrucksstarken Stücken zu widmen. Dann aber öffnet sich - wie auch an diesem Abend durch eine intensive Darstellung geschehen - eine Welt voller katastrophischer Entwicklung, aber auch melancholischer Schönheit. Nach dem ersten, fast apokalyptisch sich zu mehreren Höhepunkten aufschwingenden Drittel der einsätzigen 7. Sinfonie beginnt ein großes Ausschwingen eines schlichten Gesangs, der unterbrochen von immer wieder anrollenden Wellen des Unbills erst in den letzten Takten zu ungestörter Ruhe findet.

Einige Abschnitte vor allem nach der vom Orchester dynamisch gut ausbalancierten, warm timbrierten Streicherpassage waren von Horstmann sehr ausgestaltend langsam genommen, doch hielt die Elbland Philharmonie stets die innere Spannung - mit aufmerksamen Streichern, die auch in schwindelnder Höhe gut phrasierten, einer toll artikulierenden, noch nicht immer ganz auf den Punkt gebrachten Bläsergruppe und exzellent agierenden Schlagzeugern, die im Stück einen wichtigen Part übernahmen. Am Ende hatte man das Gefühl, dass ein einziges Konzert für diese starke Begegnung doch zu wenig war: diese Klänge verlangen nach viel intensiver Beschäftigung. Man darf gespannt sein, ob das Orchester sich auch an eine der anderen faszinierenden, enorm fordernden Sinfonien des Schweden herantraut: die erste Tür wurde geöffnet.
(24.3.15)

Komponieren zur Freude

Porträtkonzert für Manfred Weiss zum 80. Geburtstag an der Musikhochschule

Es gibt nur wenige musikinteressierte Dresdner und noch weniger Dresdner Musiker, die den Komponisten Manfred Weiss nicht kennen - seinen Kompositions- und Theorieunterricht an der Dresdner Musikhochschule haben seit 1959 Generationen von Studenten genossen. Ohne Übertreibung darf man sagen, Manfred Weiss ist ein wichtiger Teil der Dresdner Musikgeschichte im 20. Jahrhundert, denn mit großbesetzen Werken wie auch mit Kammermusik ist Weiss über die Jahrzehnte bis zum heutigen Tag im Musikleben Dresdens präsent - das wissen vor allem die Chöre zu schätzen, denn in den letzten Jahren lag Weiss' Augenmerk verstärkt bei der Vokalmusik. Im Februar feierte Manfred Weiss seinen 80. Geburtstag - ein schöner Anlass also, dass das ihm so eng verbundene Institut, die Hochschule für Musik Dresden, dem Komponisten ein Porträtkonzert im Konzertsaal ausrichtete, bei welchem Weiss Publikum und Musiker gleich mit zwei Uraufführungen beschenkte. Die sorgfältig ausgearbeiteten Stücke, aber auch die ruhig vorgetragenen Worte im Gespräch mit Rektor Ekkehard Klemm - selbst ein Kompositionsschüler von Manfred Weiss - zeugen von einem in-sich-Ruhen in der Musik, das von vielfältigen Erfahrungen gespeist ist. Der 1935 in Niesky geborene Komponist berichtete von ersten Erfahrungen mit Instrumentalunterricht nach dem 2. Weltkrieg und gefundenen Partituren auf einem Dachboden, die er auf der Violine nachspielte. Der Entschluss, Komposition zu studieren, führte Manfred Weiss nach Halle (Prof. Hans Stieber) und Berlin, wo er Meisterschüler von Rudolf Wagner-Régeny wurde, um gleich im Anschluss daran die Dozentur in Dresden aufzunehmen. Später erhielt er ebenda eine Professur und war nach der Wende bis 1997 Prorektor der Hochschule. Prägend seien für ihn Begegnungen mit der Musik von Hindemith und Bartók gewesen, in späterer Zeit auch die polnische Avantgarde um Penderecki und Lutoslawski. Zwar waren die Komponisten zu DDR-Zeiten als Kulturschaffende in selbstverständlicherer Weise mit Aufträgen gesegnet als es heute der Fall ist, es war jedoch keine leichte Aufgabe, innerhalb der politischen Umstände die künstlerische Stimme ertönen zu lassen. Aufschlussreich war die Tonbandwiedergabe eines Ausschnittes aus dem Violinkonzert, uraufgeführt 1979 von Ralf-Carsten Brömsel und der Dresdner Philharmonie - wer vor allem die jüngeren Werke des Komponisten kannte, konnte anhand des Gespräches die avancierte Sprache dieses Stückes kennen und verstehen lernen. Manfred Weiss hat sich immer zu seinen großen musikalischen Vorbildern bekannt, Neues nur um des Neuen willen ist ihm fremd. Der bereits in den sechziger Jahren feststehende Entschluss einer aus christlicher Weltanschauung heraus entstehenden Musik und die fast im Nebensatz im Gespräch fallende Bemerkung "Musik zu schreiben, die mir Freude macht, die mich weiterbringt" beschreiben den Ethos, dem sich Weiss verpflichtet. Im zweiten Teil der Veranstaltung erklangen kammermusikalische Werke: Prof. Annette Unger spielte die Uraufführung einer Fantasie für Violine Solo, ein Stück mit melancholischen Schwerpunkten, das Nachdenken in Musik und über Musik zum Thema haben könnte. Nach "Vier kleinen Stücken" für Violine und Harfe und dem "Feierlichen Hymnus und Tanzlied" in der ungewöhnlichen Besetzung für Bassposaune, Harfe und Schlagzeug traten kleine, aphoristische Formen in den Duetten für 2 Violinen hervor. Dass Weiss nahezu für jedes Instrument nicht nur gut spielbare, sondern auch klangfarblich abwechslungsreiche Stücke erfindet, zeigte die Uraufführung des "Quintetto Spirito" für Blechbläserquintett. Hartmut Flath, Ludwig Kowollik, Sebastian Fischer, Jörg Withulz und Burkhard Swaboda brachten das neue Werk zu lebendigster Entfaltung. Vom Autor dieser Zeilen ergehen an Manfred Weiss herzliche Glückwünsche und ebenso neugierig, wie der fleißige Konzertbesucher Weiss die neuen Werke der Kollegen aufnimmt, sind wir auf die nächsten Kompositionen von ihm.

* Zum 80. Geburtstag von Manfred Weiss hat die Sächsische Landesbibliothek, die viele Autographen des Komponisten archiviert hat, eine Spezialseite geschaltet.

Samstag, 21. März 2015

Traum XCIX

Dieser Traum war heute morgen leider noch sehr viel präsenter, ich weiß nun nur noch, dass ich zu Fuß mit Leuten aus dem Chor in W. unterwegs war, in der Nähe meines Hauses. Wir gingen bepackt mit Gepäck zur Bushaltestelle und haben dort sehr lange warten müssen, bis ein Bus kam, der zum Bahnhof fuhr. Im Bus noch eine kurze Szene mit L. und ein Unfall auf der Gegenfahrbahn, an dem wir vorbeifuhren.

Samstag, 14. März 2015

Kleine Besetzung - feine Interpretationen

Landeskapelle Eisenach gastierte im Absolventenkonzert der Musikhochschule

Über die aktuelle Situation der Orchester in Mitteldeutschland zu räsonieren, ruft schnell Bitternis und Ärger hervor, vor allem angesichts der Tatsache, dass bereits reduzierte oder fusionierte Ensembles erneut in die Diskussion geraten, wo eigentlich nichts mehr zu sparen ist - im Gegenteil: würden Politiker den Wert der Kulturaktivitäten der Orchester landauf und landab wirklich erkennen, müßte ein sofortiger Appell der Schutzwürdigkeit und der Ausweitung der Kapazitäten erfolgen. Was beispielsweise die Landeskapelle Eisenach, deren Stammhaus 2007 das Musiktheater und damit auch fast die Hälfte der Orchestermusiker verlor, kurz vor ihrem 70jährigen Bestehen zu leisten imstande ist, nötigt höchsten Respekt ab.

Davon durften sich am Dienstagabend auch das Dresdner Publikum überzeugen, denn der Initiative von Rektor Ekkehard Klemm ist es zu danken, dass die Kapelle dessen Idee eines Absolventenkonzertes gleich in die Tat umsetzte und mit einem kompletten Konzertprogramm, das zuvor in Eisenach als Saisonbeitrag erklang, nach Dresden reiste. Dort warteten gleich vier Dirigierstudenten auf das kleine, feine Ensemble und schlossen mit ihren Aufführungen ihre Ausbildung in Dresden ab.

Das Programm war auf die Größe des Orchesters gut zugeschnitten und mit zwei Konzertwerken, einer Sinfonie und einem kammermusikalischen Stück des 20. Jahrhunderts abwechslungsreich. So unterschiedlich sich also die Aufgaben am Pult gestalteten, so persönlich authentisch und ausdrucksstark gaben sich die Dirigenten und Solisten. Damit gelang ein runder Konzertabend, an dem die leidenschaftlich agierende und diesen besonderen Anforderungen gewachsene Landeskapelle Eisenach großen Anteil hatte.

Gleich das Kammerkonzert für 13 Instrumente von György Ligeti erfordert höchste Konzentration und bietet solistische Entfaltungsmöglichkeiten - Dirigent Wolfgang Drescher sorgte von Beginn an für die nötige Klarheit im Verlauf; so konnten sich feinsinnige rhythmische und klangfarbliche Nuancen einstellen. Ein wenig frei von der Anspannung des Eingangswerkes spielten sich die Musiker anschließend in Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert B-Dur KV 456 - David Holzinger am Pult und Hyelim Oh (Klavier) sorgten dabei für sprudelnde Lebendigkeit, aber auch für Sauberkeit und Deutlichkeit in der Phrasierung.

Ähnlich lebensfroh in der Darstellung gaben sich nach der Pause Wawrzyniec Szymanski (Horn) und Andrea Barizza am Dirigentenpult mit Richard Strauss' 1. Hornkonzert Es-Dur. Barizza ließ vor allem die Ecksätze vorwärtsgerichtet pulsieren, Szymanski kostete die virtuosen Möglichkeiten seines Instruments sorgsam und souverän aus. Am Ende stand ein Meisterwerk von Joseph Haydn: dessen aus der Londoner Serie stammende 99. Sinfonie wartet mit opulenter Bläserbesetzung und einer Menge harmonischer und satztechnischer Überraschungen auf. Dass dieses Werk auch stilistisch klar gegriffen und in der Wirkung nie langweilig wurde, ist der japanischen Dirigentin Yukari Saito zu danken. Die Dresdner Musikhochschule präsentierte sich nicht ganz ohne Stolz als Dirigentenschmiede, aber auch als wichtiger Partner der Orchester im mitteldeutschen Umland; dafür dankte auch das zu solchen Gelegenheiten im Konzertsaal der Hochschule zahlreich erscheinende Publikum herzlich.
(13.3.15)

Samstag, 7. März 2015

Traum XCVIII

Mir wird empfohlen, das Haus nicht zu verlassen. "Wenn er dich findet, ersticht er dich." [spielt sich in W. ab] - danach erscheinen nur noch einzelne Bilder von einem Mann mit einem in seiner Hand halb verborgen gehaltenen Messer.

Mittwoch, 25. Februar 2015

Traum XCVII

drei erinnerte Fragmente aus einer Nacht:
a) Auszug aus einer Art Jugendherberge, irgendwie der letzte Morgen, wo ich alles fein säuberlich zum Kofferpacken zurechtlege. Ansonsten weiß ich nur, dass L. in einem der Zimmer nebenan ist, wir winken uns aus dem Fenster zu.
b) Wir sitzen uns bei Sibelius gegenüber. Es ist unmöglich. Danach ein Tag voll Stille und Erwartung, bevor ich wieder den Kontakt aufnehme.
c) ich wache von meiner eigenen Stimme auf, weil ich laut im Schlaf mit einer Dame in Göteborg auf englisch telefoniere. Meine von mir selbst gehörten Worte klingen nach einem letzten Anruf, einem Abschied. M. saß bei mir in der Küche und hatte angerufen und mir dann das Phone gereicht.

Freitag, 20. Februar 2015

40 Tage ohne.

ich faste eigentlich jedes Jahr, und zwar ohne Dogma, sondern mit der Absicht, mir (!) etwas Gutes zu tun im Verzicht auf einige - meist verzehrbare - Dinge. Dieses Jahr sind es Fleisch, Süßwaren aller Art und Limonaden. Für Michnichtkenner: das konsumier(t)e ich bislang normal bis reichhaltig, bin aber auch ein Meister des unbewussten Nebenbeivertilgens bei Schreib- und Gucktätigkeiten. Sprich: Tatortgucken wird zum Kalorienproblem - es sei denn, der Tatort ist so gut, dass man die Chipstüte vergisst. Wie gesagt, ich betreibe die Fasterei nicht dogmatisch, es wird auch der Tag der Sünde kommen, aber das versuche ich natürlich zu vermeiden. Erstmalig gibt es an dieser Stelle ein kleines Tagebuch dazu, mit allem, was mir dabei auffällt, einfällt oder passiert ist.

Tag 1: entfällt, da ich am Aschermittwoch noch zu einem pulled-pork-Burger-Essen gehe. Ich nehme das als günstigen Anlass für "das Ende" - Fastenstart also Ascherdonnerstag.
pork
Erinnerungsbild. Vermisse ich da was?

Tag 2: auch dieser Tag hat Schrammen, denn ich entdecke natürlich Aufschnittreste im Kühlschrank ebenso wie die Zotter-Schokolade, die ich nun als Erste-Hilfe-Kasten deklariere. In Ermangelung von Zeit esse ich heute beim Asia-Imbiss Nudeln mit Tofu. Ich lerne, dass diese (Nicht-)Zubereitungsart von Tofu (beim Asiamann simpel ins Fett geworfen und anschließend mit "pikante Soße", was auch immer das ist, zugekleistert) mir nicht zusagt. Beim Einkaufen wird mir übrigens bewusst, wie stark die Läden auf Süßkram setzen, man geht ja ständig dort durch Berge von Keksen und Schokoladen und der Osterkram ist natürlich auch schon anwesend.

Tag 3: Eine Stammkundin bringt uns MonCheri mit. Ich widerstehe brav und knabbere zu Hause an kamerunischen Trockenbananen, die ich fast leckerer finde (Produktquelle *hier*). Ansonsten gab es Frühstücksbrei, daran bin ich ohnehin gewöhnt, und Pilzravioli mit einer Fertigtomatensauce, in der allerdings Speck enthalten war. Nun denn, sie ist nun auch vernichtet. Da ich mich nun nicht streng vegan oder vegetarisch ernähre, sondern schlicht auf Fleisch verzichten will, war am Abend noch ein Omelett dran, mit frischen Tomaten und Bergkäse. Offensichtlich scheint in diesen Tagen auch die Kreativität in der Küche zurückzukehren, das macht Mut. Morgen bekomme ich sogar den Ottolenghi ausgeliehen. Das ist, wie Foodleser natürlich wissen, weder ein bequemes Sofa noch ein Kaffeevollautomat, sondern ein superfeines vegetarisches Kochbuch.

buch
Lese"futter"

Tag 4: Parallel zum Verschlingen (sic!) von Kochbüchern (das Jerusalem-Buch bekam ich auch noch ausgeliehen!) lerne ich auch, dass man sich ohne Fleisch und Süßkram weiterhin ungesund und geschmacklich zweifelhaft ernähren kann. Da kaum Zeit zum Einkaufen war, blieb es heute bei Kartoffelecken und Fischstäbchen. Da ich aber nicht vorhabe, ein Fame-Foodblogger zu werden oder gar von der Brigitte am Ende noch verlinkt werde, finden auch diese Alltäglichkeiten hier ihren Niederschlag.

yum
Geht doch.

Tag 5: Gelesen, getan. Hatte ich die Bücher erst noch im Verdacht, dass man auf der Suche nach exotischen Zutaten durch die halbe Stadt fahren muss um dann ernüchtert nur die "halbe Miete" zubereiten zu können, so war gleich das erste Rezept aus dem Jerusalembuch wunderbar einfach und doch überzeugend lecker. Spannend dabei die Joghurt-Erbsen-Sauce und die Kombi von Feta und Chili dazu. Hätte ich mehr Zeit, würde ich ja jeden Tag in der Küche zaubern. Leider unmöglich.

Tag 6+7 gehen ohne besondere Vorkommnisse vorbei, es gibt Erbsensuppe und Nudeln "mit was drauf" - ach doch, da war die Zottersünde am 7. Tag... - Tag 8 dann ein Besuch im Café Prag am Altmarkt, dort gibt es einen Stand mit arabischen Genüssen. Die "Muddi" dort (anders kann ich die Dame nicht bezeichnen, sie war liebenswürdig aufdringlich) tischt mir einen gemischten Teller auf, von dem ich eigentlich noch 24h später zehre, wahrscheinlich hat sie mit diesem Essen ihre Bulgur-Vorräte endlich "an den Mann gebracht". Die zudem dazu gereichte Suppe (sah nach grünen Linsen aus) war spitze und wärmte dank orientalischer Gewürze völlig durch.

Nachtrag: das wird kein Essenstagebuch hier, ich habe zu wenig Zeit. Ich bemerke aber nach nunmehr zwei Wochen, dass das fleischlose Leben recht einfach ist und man natürlich für viel Abwechslung sorgen kann. Schwieriger gestaltet sich die Abwesenheit von Süßem, da gab es schon die eine oder andere Sünde, zuletzt ein "zu großer" Eisbecher, der mir heute zum Vernichten rübergereicht wurde. Dennoch bleibt es auch hier bei Einzelfällen, alles in allem läuft es ganz gut. Und demnächst lerne ich auch noch, wie man in einer Gemüsesuppe versenkte Putenstückchen nicht als Champignons missinterpretiert...

(t.b.c.)

Fortwährende Gänsehaut

Dmitri Schostakowitschs 11. Sinfonie im Gedenkkonzert der Dresdner Philharmonie

Die Konzerte zum Dresdner Gedenktag fanden bisher immer einen Kanon des Erinnerns und des Innehaltens in der Musik - oft wählten Dirigenten Requiem-Kompositionen, die in der Stimmung diese Haltung direkt vermitteln. Chefdirigent Michael Sanderling dirigierte im letzten Jahr eine beeindruckende Aufführung von Dmitri Schostakowitschs 8. Sinfonie, die - 1943 entstanden - die Gefühle und den Irrsinn dieser Zeit musikalisch bündelt. Ähnlich verhält es auch mit der in diesem Jahr vorgestellten 11. Sinfonie g-Moll "Das Jahr 1905", wenngleich auf den ersten Blick die Brücke zum Gedenktag in Dresden schwer herzustellen ist. Es sind historische Ereignisse und deren Reflektion zu verknüpfen, die in intensiver innerer Beschäftigung ein komplexes Geflecht ergeben, in dem politische, künstlerisch-biografische und emotionale Ebenen schwer zu trennen sind.

Wenn der sich nach vielen Repressalien im sowjetischen Kulturleben rehabilitierende Komponist Schostakowitsch 1957 mit dieser Sinfonie als bekennender Patriot vorstellte, dafür den Leninpreis erhielt und wir heute am 13. Februar im Konzert sitzen und sich dieses monumentale, zuweilen kinematographisch direkte sinfonische Gemälde der - erfolglosen - russischen Revolution 1905 über uns ergießt, kann der Weg des Erinnerns kein direkter sein, sondern er schließt einen intellektuellen Nachvollzug ein. Was die Musik äußert, ist von extremer Natur - Begriffe wie Aufbegehren und Widerstand, Niederschlagung, Trauer und Hoffnung ziehen sich wie ein Band durch die Sinfonie - populär wurde sie zudem, weil Schostakowitsch darin etliche Volks- und Revolutionslieder verarbeitete.

Es ist etwas wie eine fortwährende, in keine Richtung direkt erklärbare Gänsehaut, die Michael Sanderling mit der Dresdner Philharmonie mit diesem sinfonischen Urstrom über sechzig Minuten erzeugte. Fahle Bilder des ersten, unerhörte Wucht im Schlachtengemälde des zweiten Satzes verbinden sich mit wunderbaren Soli von Trompeten, dem Englisch-Horn und der Bratschengruppe, die im 3. Satz still zu singen beginnt. Für viele Zuhörer war dies eine extreme, möglicherweise kontroverse, hoffentlich bereichernde Hörerfahrung, wozu Max Regers Transkription von Bachs "O Mensch, bewein dein Sünde groß" die äußerst passende Einleitung darstellte. Am Sonnabend wurde das Konzert mit geändertem Programm wiederholt - statt Reger wurde Sergej Prokofieffs 2. Klavierkonzert gegeben.

Der Artist-in-Residence Martin Helmchen näherte sich diesem großen viersätzigen und abwechslungsreich-virtuosen Konzert mit großer Klarheit in der Darstellung, gab sich weniger bärbeißig-trocken denn vor allem in den Ecksätzen der großbögigen Phrasierung kundig und überraschte mit einem weichen, melodischen Zugang, der auch im Orchester aufgenommen wurde - eine gewissermaßen entschärfte, aber insgesamt sehr schlüssige Interpretation, die großen Wert auf Klangfarben und klare Charakteristik in den Satzkontrasten legte.

Die Klangfarben entfalteten sich auch im zweiten Durchgang der Schostakowitsch-Sinfonie noch einmal intensiver als am Freitag, und nachdem am Freitag nach dem Konzert die angemessene Stille eintrat, durften Sanderling und die Philharmoniker am Sonnabend den Jubel des Publikums entgegennehmen - Klangverständnis und Leistungsfähigkeit des Orchesters in Sanderlings Schostakowitsch-Aufführungen sprechen für eine unbedingte Fortsetzung.

Sonntag, 15. Februar 2015

Mit innerem Furor

Schostakowitsch und Tschaikowsky im Kapell-Sinfoniekonzert

Es kommt selten vor, dass Partituren der großen Komponisten wie ein offenes Buch vor uns liegen und wir alles entschlüsseln können, was die Musik uns sagen will. Das ist gut so, weil so die Werke über die Jahrhunderte und mit dem Können und der Persönlichkeit der Interpreten immer neu erscheinen und die Faszination der Musik, die eben nicht immer Antworten auf alle Fragen gibt, erhalten bleibt. Zwei Meisterwerke der russischen Sinfonik hatte die Staatskapelle Dresden für ihr 6. Sinfoniekonzert ausgewählt, die man zu kennen meint - die Stücke werden oft gespielt, die "Pathétique" von Peter Tschaikowsky, oft als sein Requiem bezeichnet, hat sogar Eingang in die Literatur gefunden.

Mit den ersten Takten, die der Solist Nikolaj Znaider im 1. Violinkonzert von Dmitri Schostakowitsch gestaltete, war jedoch klar, dass hier keineswegs ausgetretene Pfade betreten wurden. Dafür sorgte die unglaublich packende Präsenz des Geigers auf der Bühne, der den langsamen ersten Satz zu einer großen Klangrede formte, in der die Ausformulierung des Gesagten bis in die Punktierungen der Noten spürbar war. Mit einer solchen Vorrede war die Basis gelegt für ein Scherzo, das sich niemals in Fröhlichkeit erging, sondern durch Znaiders klare Ansage in Tempo und Phrasierung eher eine aschgraue Färbung erhielt - da lagen die Knochen der Musik blank, aber die Intensität des Spiels blieb durchweg hoch.

Znaider nahm diese in den 3. Satz mit, formte eine fast stählerne Kadenz und blieb auch im Finale überdeutlich, als seien Ausrufezeichen in die Partitur eingeschrieben. Die Konsequenz seiner Interpretation, die einen inneren Furor eben nicht durch rohe Übertreibung, sondern durch ein geerdetes Spiel erzeugte, wirkte sehr überzeugend. Nicht durchweg konnte Chefdirigent Christian Thielemann da mit der Staatskapelle exakt folgen - sehr gut gelang dies in der Übernahme der Klangfarben, manchmal weniger in rhythmischer Genauigkeit in schnellen, zwischen Solist und Orchester aufgeteilten Passagen.

Auch in der "Pathétique", der 6. Sinfonie h-Moll von Peter Tschaikowsky galt es, die Ohren von möglichem Rezeptionsballast zu befreien. Trotz einer insgesamt sehr guten Aufführung befriedigte die Interpretation vielleicht nicht diejenigen, die vor allem die emotionale Größe des Werkes zuvorderst hören wollten. Dafür waren die Tempi etwa im Höhepunkt des 1. Satzes und im Finale zu zügig. Vieles war sauber und korrekt gearbeitet, was ja zunächst erst einmal eine Qualität ist, aber bei einem solchen Stück lohnt eben der Grenzübertritt jenseits des Schönspielens, die Nuance des Extremen in kleinen Details der Agogik eben doch. Interessanterweise blieben die Mittelsätze am deutlichsten in der Erinnerung - Thielemann kostete das "Allegro con grazia" sehr delikat aus und verpasste dem Lebensmarsch des 3. Satzes gehörigen Zug, verließ aber dabei nicht den Kontext der Sinfonie. Insofern hatten auch die normalerweise tränenreichen Wellen des letzten Satzes in der hier energetischen, keineswegs ausschließlich Endgültigkeit verheißenden Deutung durchaus ihre Berechtigung.
(8.2.15)

Klassiker der Popmusik im orchestralen Gewand

Bormann, Götze und das Kreuzschulorchester unter Dietrich Zöllner im Benefizkonzert

In der heutigen Zeit gibt es viele schlaue Bücher, die Lehrern und Eltern musikbegeisterter Kinder mitteilen, wie die Sprößlinge am besten an die hehre Musik herangeführt werden sollen. Das zerteilt sich schnell in Spreu und Weizen, doch es gibt gottlob auch abseits der Lehrbücher Wege, die vielleicht steiniger sind, aber schon deshalb ehrlicher, weil die Musik und der kreative Prozess stets im Mittelpunkt bleiben.

Man nehme also einen enthusiasmierten Musiklehrer, der auch außerhalb der Schule Musik sein Leben nennt, dazu einen Bassisten und einen Gitarristen, die gemeinsam eines der phantasie- und stimmungsvollsten Duos der Stadt bilden, sowie 73 junge Schüler des Kreuzschulorchesters, die erwartungsgespannt mit ihrem Instrument der Dinge harren, die da auf sie zukommen. Der Schlüssel ist das gemeinsame Tun und Erarbeiten des Neuen - Überraschungen und Entdeckungen sind da inklusive. Vom Erfolg dieses einmaligen Projektes "10 Saiten und ein Orchester" konnte man sich am Sonntag in der Kreuzkirche überzeugen - die als Benefizkonzert für die Sanierung des Treppenhauses der Kirche durchgeführte Veranstaltung zog sehr viele Besucher an, die begeistert mitgingen.

Musiklehrer und Dirigent Dietrich Zöllner wird mächtig stolz auf seine Schüler gewesen sein, die bei weiten nicht nur einen Background für Gitarrist Stephan Bormann und Bassist Tom Götze bildeten, sondern gleichberechtigter Teil des Ganzen waren. Dafür sorgten Zöllners farbige Arrangements, die eben alle Instrumente des bunten Ensembles berücksichtigten ohne den besonderen Charakter der Songs zu verfremden. Ebenso wie das Duo sich eine eigene gefühlvolle Welt in den Songs erschuf, hatte Zöllner in den Bearbeitungen der Klassiker von Sting, Peter Gabriel oder Pink Floyd die Klangfarbenpalette ausgereizt - hier ein Violinsolo, dort ein sanfter Teppich der Flöten, die Vocals wurden gleich aus dem Orchester mitbesetzt. Dabei überwog im gesamten Konzert die Sorgfalt und der Respekt vor den Originalen. Lernen konnte man auf jeden Fall, dass guter Jazz und Pop keineswegs allein durch das hemmungslose Austoben im Bandkeller entsteht (was auch nötig ist) - es steckt viel disziplinierte Arbeit dahinter.

Das stimmungsvolle "Let it be" war ebenso ein Höhepunkt wie die mit allem Schlagwerk einzureißenden Mauern in "The Wall" von Pink Floyd. Wenn Götze und Bormann alleine spielten, verließ das Orchester nicht etwa den Altarraum, sondern lauschte gespannt und ließ sich inspirieren - ebenso wie die Zuhörer, die ihre Volksliedkenntnisse beim wunderschön ausgearbeiteten "Vöglein" auffrischen konnten. Großer Jubel für alle Beteiligten stand am Ende des Konzertes, das für die Schüler sicher einen einmaligen Höhepunkt der Vorbereitung über ein halbes Jahr bedeutete - der Beifall der Zuhörer rief indes eindringlich zur Wiederholung oder gar Fortsetzung auf. Wie auch immer die nächsten Projekte sich anhören werden, an Kreativität herrscht beim Kreuzschulorchester kein Mangel.

CD-Tipp: Stephan Bormann / Tom Götze: Pearls (2013)
(3.2.15)

Überbordende Phantasie

Hans Rotts 1. Sinfonie E-Dur im Philharmoniekonzert

Es macht Sinn, in die Komponierstuben im Jahr 1878 zu schauen, um zu begreifen, was sich am Sonnabend im Schauspielhaus auf der Bühne abspielte: der 65jährige Richard Wagner saß in Bayreuth an der Ausarbeitung der Parsifal-Partitur, in Wien genoß Brahms den Erfolg der Uraufführung seiner 2. Sinfonie, während Bruckner nach dem Durchfallen seiner Dritten bereits mit dem fertiggestellten Nachfolger, der "Romantischen" Sinfonie, haderte. In Bruckners Theorieklasse examinierte gerade der junge Gustav Mahler, der seinem "Klagenden Lied" nicht nur ein bombastisches Instrumentarium verpasste, sondern auch gleich die Gedichte selbst verfasste. Strauss schrieb als gerade 14jähriger erste Kompositionen für die familiäre Hausmusik, Reger war 5 Jahre alt.

Ebenfalls bei Bruckner studierte der junge Hans Rott und legte eben in diesem Jahr den 1. Satz seiner Sinfonie E-Dur zu einem Kompositionswettbewerb vor, es war trotz Fürsprache von Bruckner ein erfolgloses Vorhaben und dem Komponisten widerfuhren weitere Niederlagen, die in psychische Krisen und schließlich einen frühen Tod mündeten. Erst 1989 wurde die Sinfonie uraufgeführt - der Frankfurter Opernchef Sebastian Weigle hat sie in den letzten zehn Jahren oft dirigiert. Im Dresdner Schauspielhaus gelang eine beeindruckende Aufführung. Trotz der akustischen Unzulänglichkeiten breiteten die Philharmoniker ein ganzes Füllhorn an musikalischen Details und Nuancen aus.

In allen Sätzen sind die Bläser stark beteiligt am thematischen Geschehen; hier galt es, mit differenziertem Spiel nicht nur die Übergänge auszuformen, sondern einen großen Bogen herzustellen, was bei Rotts überbordender Phantasie nicht gerade leicht ist. Doch Weigle gelang mit dem Orchester sogar ein bis in kleinste motivische Fäden verstehendes Spiel; hervorragende Soli von Trompete, Horn und Oboe gesellten sich hinzu, so dass man an diesem riesigen spätromantischen Farbtopf großen Spaß hatte und die harmonischen und klangfarblichen Sensationen - an denen sich auch Gustav Mahler später weidete - genau wahrnehmen konnte. Dass die nahezu von Linz nach Wien breit ausgelegten Orgelpunkte dann im 4. Satz doch etwas die Faktur zur Erschöpfung brachten, war in der bis zum letzten Aushauchen stimmigen Interpretation kaum spürbar - hier gaben alle Musiker ihr Bestes, weil man wohl auch gar nicht anders kann angesichts des Raffinements der Erfindung.

Vorangegangen war ein Klassiker des romantischen Klavierkonzertes - Edvard Griegs einziges Konzert gibt sich unbekümmert von großem Pathos weitgehend lyrisch. Der junge ukrainische, in New York lebende Pianist Dmitri Levkovich zehrt zwar von ersten Wettbewerbserfolgen, doch dieses Debut mit dem Dresdner Orchester ging gründlich schief: bereits der erste Akkord war nicht mit den Philharmonikern zusammen, in der Folge zeigte Levkovich viel zu viele falsche Töne und verwaschen gespielte Phrasenenden, die er ungünstig mit dem Pedal verschleierte.

Seine kaum verständlichen Rubati blieben ohne Konzept und es reihten sich nurmehr einzelne Momente aneinander. Sebastian Weigle folgte tapfer mit dem Orchester dem sich zuweilen in geschwind-virtuosen, aber kaum präzisen Gewaltausbrüchen ergehenden Solisten, der auch den Beginn des 3. Satzes kaum bewältigte und am Ende im Tutti nicht einmal auf den Schlag mit dem Orchester zusammenfand. Die in der Folge erster Wettbewerbserfolge versprochenen und eingelösten Orchesterdebuts sollten generell einmal hinterfragt werden, wenn die pianistische Reife schlicht noch Zeit und Fleiß benötigt.
(2.2.15)

Traum XCVI

Meine Augenärztin - ich weiß nur vage, dass sie einen Doppelnamen hat, habe aber gar keine Augenärztin - stirbt, bevor ich zur Behandlung bei ihr drankomme. Zuvor habe ich in einer Warteschlange vor dem Behandlungszimmer mitgebrachte Einkäufe auspacken müssen.

Montag, 2. Februar 2015

[netto]

Genervte Menschen legen
Ungenießbares aufs Band.
Eine Hausfrau kippt Kleingeld aus.
Die Urzeitkasse bootet nicht mehr.
Fuselgeruch.

Mittwoch, 28. Januar 2015

Ein derbes und vergnügliches Pasticcio

Ernst Lubitschs "So this is Paris" als Filmmusikkonzert mit der Dresdner Philharmonie

Die Sinfoniekonzerte sind das Hauptbetätigungsfeld eines Orchesters wie der Dresdner Philharmonie, doch einmal im Jahr wagt das Ensemble einen Ausflug in die Welt der Filmmusik. Seit der Schließung des Kulturpalastes dient der große Saal im Hygienemuseum als Kinokasten und wäre nicht die etwas plautzende Akustik im Weg, würde man glatt ausrufen: "Mehr davon!", denn die Klassiker der Stummfilmzeit in Verbindung mit packender Livemusik von einem großen Orchester gespielt, das kann keine Flimmerkiste und auch keine noch so gute Restaurationsfassung eines Filmes auf DVD ersetzen.

Diesmal stand mit "So this is Paris" aus dem Jahr 1926 eine der großen Gesellschaftskomödien von Ernst Lubitsch auf dem Programm, nachdem die Partnerschaft mit dem Dirigenten und Arrangeur Helmut Imig in den letzten Jahren vor allem Chaplin-Filmen gewidmet war. Es ist ein Film mit vielen reizenden Details und vier großen Stummfilmstars - eigentlich fünf, denn Myrna Loy ist da noch als Haushälterin in einer Nebenrolle zu sehen und darf nur einmal kurz durchs Zimmer schreiten. Der hier genüßlich erzählte Ehebruch im Quartett führt nicht nur dazu, dass der Falsche im Gefängnis landet, man bekommt auch mit der Ballszene eine opulente Inszenierung Lubitschs mit Hunderten Tänzern zu sehen.

Der "Künstlerball" ist ein filmischer Rauschzustand, der perfekt in diese doch manchmal auch weltfern anmutende Komödie passt. Imig hat für die musikalische Begleitung des Films Musik kompiliert, die das Paris der 20er Jahre als Schmelztiegel zeigt: von Chopin über Satie bis Ibert und Françaix reichen die musikalischen Allusionen, mal im Original zitiert, dann wieder jazzig mit Posaunendämpfern und rhythmischer Verzerrung in der Partitur versteckt. Film und Musik verbinden sich gut und sorgen beim Zuschauen für größtes Vergnügen.

Verschwiegen werden darf dabei nicht, dass die Philharmoniker sich hier auf einem Terrain bewegen, das keinesfalls als leichte Muse missinterpretiert werden darf. Was da so beschwingt klingt und vor allem in der von einem Charleston dominierten acht Minuten langen Ball-Szene auch die Beine unruhig werden läßt, will erst einmal leichtfüßig aus den Instrumenten hervorgebracht werden. Zudem sparte Helmut Imig in der Live-Aufführung am Sonntagvormittag nicht mit spontaner Tempoarbeit, um zur nächsten Ohrfeige einer der Protagonisten auf der Leinwand wieder exakt auf der Filmspur zu liegen.

Bei allem Spaß und guter Konzentration, den die Philharmoniker in diesem auch vor Schlagern und Johann Strauß nicht haltmachendem Pasticcio zeigten: etwas weniger heiß gestrickt darf es schon zugehen. In vielen Szenen überwog, das war auch manchmal der Instrumentation geschuldet, eine eher laute Derbheit, die dem Spannungsaufbau im Film fast zuvorkam. Der süffisante, leise Humor eines Satie oder Poulenc kam, obwohl von Imig in der Einführung angekündigt, insgesamt zu kurz. Komödiantisch gab sich der Arrangeur Imig auch in einigen Zitaten: die Hinwendung der Doktorsgattin zu seichten Liebesromanen mit orientalischem Background mit Rimski-Korsakows Sheherazade zu kommentieren, ist eine schöne Geste, Lubitschs bildnerischen Humor im Musikalischen fortzusetzen.

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