Montag, 12. Oktober 2015

Traum CIX

zweiteiliger Traum (10. auf 11.10.): zunächst eine Orchester-Uraufführung von T.A., von M.K. dirigiert, in einem Konzert auf einer Open-Air-Bühne. Im Wortsinne ver-rücktes Setting der Veranstaltung: die Bühne befand sich (innerhalb einer Stadt auf einem Platz) weiter unten, dazwischen kam ein große Straßen-Baustelle mit Zäunen und Erde, weiter oben eine Zuschauertribüne, die rechtwinklig zur Konzertbühne aufgebaut war, man musste also den Kopf schräg nach links drehen, um hinten in der Ferne hinter der Baustelle die Bühne wahrzunehmen. Als wir alle saßen, nahmen wir erst wahr, dass irgendwas nicht stimmen könnte (neben mir saß U.-M.) und ich machte mich auf zur Bühne und stolperte durch die Baustelle hinunter. Hier aber Ende dieses Teils.
Im zweiten Teil bin ich beim Arzt und es gibt eine Untersuchung, die in einem Labor auf der anderen Seite des Hausflurs stattfinden soll. Alle zu untersuchenden Patienten gehen hinein, doch der Boxer, der am Ende der Schlange auch hineinwill, muss leider draußenbleiben. Es ist unklar, ob ich einer der Patienten bin oder der Arzt, was wahrscheinlicher ist, weil ich nicht in das Labor hineingehe, sondern alle Patienten samt (meinem?) Hund dabei beobachte.
In dieser Nacht muss ich gesprochen haben (nicht bewusst mit einem der beiden Träume), und zwar in Hochdeutsch - also klar und deutlich - den Satz "Lass uns jetzt nach draußen gehen."

Dienstag, 6. Oktober 2015

Alles kreist

Opera Spaziale "Copernicus" von Oliver Korte in Hellerau uraufgeführt

Der Astronom Nikolaus Kopernikus tat vielleicht gut daran, erst kurz vor seinem Tod 1543 seine Schrift "Über die Umläufe der Himmelskreise" zu veröffentlichen, nicht nur, weil einige Gedanken zu der Zeit noch hypothetischer Natur sein mussten, sondern weil ihm möglicherweise die Erschütterung des bis dahin vorherrschenden geozentrischen Weltbildes bewusst war. Galileo, Kepler und Newton setzten die naturwissenschaftlichen Annahmen fort, mittlerweile untersuchen wir schwarze Löcher und Unendlichkeiten.

Und immer noch enthält uns das Universum viele Antworten vor. Der Ansatz der neuen Oper von Oliver Korte, die am Sonnabend von den Landesbühnen Sachsen in Kooperation mit dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau im Festspielhaus Hellerau uraufgeführt wurde, liegt aber vor allem in der Gemengelage der Wissenschaften in der Renaissance, in der sich Geistes- und Naturwissenschaften durchdrangen und von verschiedenen Anknüpfungspunkten aus eine Neuzeit proklamiert wurde, deren Dynamik bis heute nichts von ihrer Faszination verloren hat.

Weniger als retrograde Renaissance-Oper gemeint konzentrierte sich Oliver Korte auf himmlische Sphären und den Statements großer Denker dazu: seine "Opera Spaziale" nimmt den Raum wörtlich: als Himmelsraum, als Gedankenraum, als musikalischen Raum. In der zweistündigen, fünfaktigen Darstellung beeindruckte die konsequente Umsetzung dieses Ansatzes. Das Orchester nimmt elliptisch um das Publikum angeordnet planetäre Aufgaben war, die Bläser werden gar zu Wandelsternen und tönen mal von Nordost, mal von Südwest. Eine Handlung findet nicht statt, vielmehr stellt Korte Kopernikus' Thesen im ersten Akt in den - wörtlichen - Raum und konfrontiert sie mit den Folgen.

Eine wesentliche Problematik des Stückes entsteht daraus, dass Korte in fast allen Akten das Publikum mit einer wenig reflektierten und auch kaum bearbeiteten Textmasse konfrontiert, die zwar einen netten Renaissance-Bilderbogen mit Einschüben von Shakespeare über Einstein bis zu Thomas Bernhardt anbietet, aber den Zuhörer ansonsten hoffnungslos alleine läßt. Man vergräbt sich gleichsam einen Abend lang in einer riesigen Bibliothek weiser Worte aus allen Zeiten, die Korte dann auch noch dupliziert: Was der Sänger lateinisch singt, wird deutsch nachgesprochen. Ein tieferer Sinn dieser Untertitelung ergibt sich nicht. Szenisch werden die von Korte sorgsam angebotenen kompositorischen Formen auch nicht gerettet.

Jan Michael Horstmann dirigiert sonnengleich vom Zentrum aus die hervorragend musizierenden Elblandphilharmonie-Himmelskörper und hat auch die Regie übernommen. Doch die beiden Gesangssolisten (Stephanie Krone und Kazuhisa Kurumada mit überzeugend dargebotenen, umfassenden Hauptpartien) muss mit Sprechern (Sarah Bauer, Utz Pannike, Manuel Schöbel) und Chorquartett ein ums andere Mal in der Mitte der Bühne um Laute, Harfe und Dirigent auf einem engen Podest herumschleichen, um Pest, Inquisition, Liebesduett und Madrigal zu deklamieren. Handlung, Geste und Bedeutung wurde dem Stück immer wieder aufgepfropft, wo man sich doch als Zuhörer eigentlich irgendwo in den Textblättern so schön seltsam verloren findet und eine traumwandlerische, zutiefst künstlerische Abstraktion dieser vielen Überlegungen und Prophezeiungen viel mehr dran wäre als ein bemühtes Theaterspiel.

An den Wänden laufen dazu Videos, besser: es ist eine Art uninspiriertes VJing, was erst im 5. Akt mit dem Sphärenhimmel der Villa Stuck eine gewisse phantastische Ebene erreicht - davon, und vor allem von Gefühl, Visionen und einer Botschaft kam zu wenig an. Trotz der wandelnden Bläser herrschte durchweg eine Arbeitsatmosphäre, und wenn im Text von Blut die Rede war, kam der rote Scheinwerfer zum Einsatz. Die visuellen Möglichkeiten blieben in Hellerau seltsam ungenutzt, und es entstand der Eindruck, dass der wohl immense musikalische Aufwand der Vorbereitung bei anderen Ebenen zu zu einfach gedachten Lösungen führte. Wegträumen durfte man sich hingegen bei Kortes teilweise kongenial komponierter Musik, etwa dem Madrigal (Antje Kahn, Patrizia Häusermann, Peter Diebschlag und Bojan Heyn) zur Inquisition des Giordano Bruno am Ende des vierten Aktes. Manches ist in Kortes Musik polystilistisch, erinnert an Messiaen oder Schostakowitsch, bekommt aber eine starke eigene Handschrift, weil Korte sich in den durch das Thema vorgegebenen Formen diszipliniert und dadurch spannende Raum-Musiken erfindet, die die Musiker höchst aufmerksam im ganzen Saal verteilt umsetzen.

Wenn Korte die Musik am Ende in pulsarisches Pochen auflöst (und selbst die akustischen Signale der Mondlandung erscheinen im Kontext historistisch), verschwinden all die in Jahrhunderten mit großen Gedanken erstellten schweren Bücher, Pamphlete und Thesen im All. Eine plausible, schöne Vorstellung, die uns aber das weitere Nachdenken nicht nehmen sollte. Allein das 21. Jahrhundert, die Gegenwart, blieb in dieser vornehmlich akademisch wirkenden Himmels- und Erdenschau seltsam unberücksichtigt - vielleicht sind die Kopernikusse unserer Zeit rar geworden?

Weitere Termine: 9., 10.10., 5. und 6.3. -> Hellerau

Samstag, 3. Oktober 2015

Traum CVIII

Meine Gesprächspartner liegen bereits unter dem Tisch. Alkohol und Schweiß. -- Wir ziehen um.

Traum CVII

Auf Reisen mit S. und dem Chor (was nicht zusammengeht). Glückliche Zeit. Verirrungen lösen sich auf (ich helfe).

Dienstag, 29. September 2015

Konsequent kompromisslos

Gustav Mahlers 6. Sinfonie a-Moll im 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle

Sicher, dieser Sonntagvormittag im September besaß - zumindest vor dem Konzertbeginn um elf Uhr - einen anderen, lichteren Grundklang und man benötigte eine gewisse Offenheit, um im Konzert einem Werk wie der 6. Sinfonie von Gustav Mahler zu begegnen, die einem schonungslos in vier Sätzen in Musik gegossene Abgründe menschlichen Daseins präsentiert - auch 109 Jahre nach der Uraufführung ist die Modernität und Emotionalität dieses Werkes schon nach wenigen Takten evident. Dennoch erklärt dies nicht die etwas gelichteten Reihen beim 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden, über die man sich nur wundern muss.

Der Erste Gastdirigent des Orchesters, der koreanische Dirigent Myung-Whun Chung, setzte mit der Sechsten seinen über mehrere Jahre angelegten Mahler-Zyklus fort und schuf auswendig dirigierend eine nachhaltig bewegende Interpretation. Nach der 4. Sinfonie in der letzten Saison hätte man vermuten können, auch dieses Werk bekäme von Chung einen weltlich-gnädigen Tupfer, doch hier regieren andere Mächte: der zwingende und energische Beginn Chungs mit dem Marsch-Thema des 1. Satzes legte die Gangart für die gesamte Sinfonie fest. Flexibilitäten im Tempo erlaubte sich Chung nur auf der Basis des einen großen Zusammenhang stiftenden, stets leicht nach vorne drängenden Grundtempos. Die wenigen piano-Stellen des 1. Satzes mit ihrer Kuhglocken-Fernwelt erreichten so einen hohlen, von bizarrer Einsamkeit geprägten Ausdruck.

Gerade die klangfarbliche Ebene spielt in der 6. Sinfonie eine besondere Rolle, und Chung schaffte es hier und in dem an zweiter Stelle platzierten Scherzo, mit den spielerischen Qualitäten der Kapellmusiker vor allem die scharf geschnittenen Übergänge zwischen gegensätzlichen Stimmungswelten wie Marsch und Ländler überzeugend zu zeichnen - die beiden ersten Sätze wirkten so wie aus einem Guss und gleichermaßen kraftvoll wie unglücksahnend. Eine Sonderstellung nimmt im Werk und auch in Chungs Interpretation der 3. Satz ein. Sorgsam wurden in diesem Andante Moderato die Streicher geführt; warme und dunkle Farben überwogen in diesem nicht beruhigenden, sondern eher gedanklich wegschweifendem Satz, den Chung in den Höhepunkten im letzten Drittel zu einem in einem einzigen Bogen schwingenden ernsten Gesang ausformte. Die hier zu bewundernde Homogenität des gesamten Ensembles wurde zu einem Höhepunkt der Aufführung und von Chung auch bewusst geformt als kantable, dennoch mit schmerzlichem Ausdruck versehene Insel innerhalb der sinfonischen Höllenfahrt.

Letztere wurde mit dem Finale fortgesetzt, das eine Geröllwüste aus musikalischen Fetzen aller Sätze darbietet. In der Rezeption ist dieser Satz wie die ganze Sinfonie bis heute mit teils wunderlichen Geschichten aus Mahlers Psyche, philosophischen Exkursen und Deutungen umgeben, um am Ende doch bei der Musik selbst und der schlichten Frage, was ihn da bloß geritten hat, zu landen - das Ende aller Deutungsversuche scheint erreicht, die Musik ist ohnehin wichtiger, sie bohrt sich ins Ohr. Neben der Satzreihenfolge, die Mahler selbst länger beschäftigte, wird auch die Diskussion über die Anzahl der Hammerschläge im letzten Satz mit jeder neuen Aufführung fortgesetzt. Chung entschied sich für die Version mit dem dritten, "vernichtenden" Schlag in der Coda - andere Dirigenten bevorzugen zwei Hammerschläge, aus Urschriften werden gar fünf herauszitiert. Doch weniger als Chiffren und Rätsel zeigte Chung den Zuhörern schlicht das sinfonische Meisterwerk, das offen vor uns liegt und in kompromissloser Konsequenz sowie mit blitzartiger Aufmerksamkeit von den Kapellmusikern umgesetzt wurde. Gewohnt bescheiden und freundlich seinen Musikern dankend, nahm Chung nach diesem viele Dimensionen sprengenden Werk einen sehr verdienten, großen Applaus entgegen.

Fragmente, Schattierungen und ein sinfonisches Kleinod

Kurtág, Ligeti und Haydn im 1. Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle

György Kurtág ist der neue Capell-Compositeur der gerade begonnenen Saison der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Der 1926 geborene ungarische Komponist gilt als eine der großen Stimmen des 20. Jahrhunderts, und doch ist er vergleichsweise selten in Konzerten zu hören. Trotz eines umfangreichen OEuvres stellt es auch eine Schwierigkeit dar, diese besondere Musik anderer gegenüberzustellen, einen passenden Rahmen zur Entfaltung zu wählen, wo doch - das wurde auch im 1. Aufführungsabend der Staatskapelle am Mittwoch deutlich - die Stücke sich üblichen Kategorien entziehen. Kurtágs Werke sind beziehungsreich, manchmal gar verrätselt miteinander verbunden, sie verbleiben oft im Fragmentarischen, Aphoristischen und stellen einen flüchtigen Gedanken, einen Moment in den Vordergrund.

Selbst dieser ist oft mehrschichtig, schattiert oder von derart pastellener Farbe, dass sich das Ohr in einem Zwischenraum des Hörens und Verstehens bewegt. Das vierminütige Stück "Merran's Dream" aus den "Neuen Botschaften" für Orchester ist so ein Werk, das wie ein verwirbeltes Notenblatt kurz eine - allerdings enorme - Aufmerksamkeit benötigt, aber dann schon wieder verweht wird. Ungünstig wirkte sich aus, dass das danach folgende Stück eine ganz andere Besetzung hatte, somit die Umbaupause gleichsam zeitlich ähnlichen Umfang wie das Werk selbst besaß und jegliche Art von Atmosphäre, die schon der leider obligate Schmuckvorhang der Oper für dieses Konzert nicht ausstrahlt, zunichte machte. Ein Konzentrationsraum für diese Spuren von Vergänglichkeit wäre schön gewesen, ebenso eine ganze Konzerthälfte Kurtág, um zunächst mit der Musik und dem Komponisten vertraut zu machen.

Mit den "Brefs Messages" erklangen im neunköpfigen gemischten Ensemble dann vier ebenso kurze Sätze, die etwas mehr strukturelle Entwicklung, gar Abwechslung aufwiesen - mehr als ein kurzer Lichtstrahl auf den kurtágschen Kosmos gelang hier aber nicht; freundlichen Applaus für die Kapellisten, kompetent und klar angeleitet vom neuen Musikdirektor des Orchestre Philharmonique de Luxembourg, Gustavo Gimenez, gab es trotzdem.

Dieser steigerte sich beim folgenden Konzertwerk, dem "Hamburgischen Konzert" für Horn und Kammerorchester von György Ligeti, deutlich, und das war einer hervorragenden Leistung des Ensembles, dem in allen Registern und Spielarten äußerst versiert agierenden Solisten Jochen Ubbelohde (Horn) und den vier unterschiedlich gestimmten Naturhörnern im Orchester zu verdanken - daraus erwuchs beinahe ein Hornquintettkonzert. Deutlicher spürbar als bei Kurtág setzt Ligeti hier in seinem im Jahr 1999 geschriebenen Werk auf traditionelle Kompositionsformen, die in komprimierter Setzweise zumeist heftig ins Extrem getrieben werden. Mit einer klassischen Sinfonie im zweiten Teil des Konzertes deutete sich Kontrast an, doch die 94. Sinfonie "Mit dem Paukenschlag" von Joseph Haydn war in diesem Zusammenhang klug gewählt, stellen die einzelnen Satzformen bei Haydn doch wahre Kleinode dar, die ebenso punktgenau gespielt werden müssen, um die optimale Wirkung zu erzielen.

Das gelang Gimeno vortrefflich, nach dem borstigen ersten Satz besaß der berühmte Paukenschlag-Satz ein gutes Maß an eleganter Naivität, und Menuett und Finale wirbelten eher im Presto denn Allegro vorbei, was aber die Spielfreude und Wirkung erhöhte. Gimeno brauchte hier wenig tun, denn die Kapellmusiker übernahmen dankbar seine Anleitung und badeten sich im Esprit dieser meisterlichen Sinfonie.

Samstag, 26. September 2015

Traum CVI

Fahre Auto. Und zwar schlafend, in genau dem Zustand, in dem ich dies träumte - mit geschlossenen Augen, wissend, dass man schläft, unmöglich, die Augen zu öffnen. Ich fahre meinen alten Audi, ein Beifahrer neben mir, ich kann nicht erkennen, wer. Die Strecke kenne ich "im Schlaf", dennoch fahre ich am Ende einer Straße auf einen Bürgersteig und höre ein "Pass auf!!" neben mir. Mehr passierte nicht.
[vor-3-Uhr-Traum]

Donnerstag, 17. September 2015

Traum CV

Ich war eine Woche lang Innenminister. Mir war schlecht. Das gefiel mir alles nicht. Schreibe ich ihr in einer SMS. Chorprobe. Pause. Wir stehen draußen rauchend. Sie auch. Sie ist ohnehin die ganze Zeit dabei. Ich krabbel in meinen von M.K. kurzgeschlossenen Audi, suche irgendwas, der Fond ist entsetzlich unaufgeräumt. Sie fährt auch einen Audi, einen sehr alten. Ich helfe ihr, sie kennt sich nicht aus im Hinterzimmer/Kiosk ? Um mich herum hupt alles. Es wird stiller, die Probe geht weiter. Ich stecke S. einen Bleistift zu.

Freitag, 11. September 2015

Traum CIV

[lange Phase -fast- ohne erinnerte Träume]

eigene Uraufführung geträumt, die aber einer Performance glich, möglicherweise vorher mit Orchester, dann aber drapierte ich Dinge auf der Bühne, ein Brot auf einem Sockel beispielsweise. Vier Kinder bat ich am Ende nach vorne, es kamen nur Erwachsene, die bekamen Schokoriegel. Parallel (?) habe ich noch zwei Frauen im Auto den Weg zur Polizei gezeigt, einmal über die Schulhöfe meiner alten Schule, dann saß ich selbst im Auto und lotste sie durch eine Großstadt (Köln?).

Donnerstag, 10. September 2015

Schmerzliche Nostalgie und Fragezeichen

Elgar und Schostakowitsch zur Saisoneröffnung der Dresdner Philharmonie

Eine in in Töne gesetzte, nachdenkliche Rückschau auf eine vergangene Ära, auch auf Krieg und Unterdrückung, verband die beiden Werke des Saisoneröffnungskonzertes der Dresdner Philharmonie im Albertinum am vergangenen Wochenende. Trotzdem liegen Welten zwischen dem 1919 entstandenen Cellokonzert von Edward Elgar und der 10. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch, im Todesjahr Stalins 1953 entstanden. Beide Werke - hier das unbestritten auch durch Interpretinnen wie Jacqueline du Pré bekannteste Cellokonzert des frühen 20. Jahrhunderts, dort die mit den Initialen D-Es-C-H offen und gleichzeitig verstörend daliegende Bekenntnismusik - konnten vor allem durch eine jeweils herausragende Interpretation nebeneinander bestehen.

Die argentinische Cellistin Sol Gabetta, Artist-in-Residence dieser Saison bei der Dresdner Philharmonie, ließ vom ersten Ton an keinen Zweifel daran, dass dieses Konzert eine schmerzlich-nostalgische Komponente birgt, die Gabetta mit vollem Klang der kantablen Linien hervorbrachte: dunkelgrau und warm in der Tiefe, und deutlich formulierend, aber niemals grell in der Höhe. Zwei Ausnahmequalitäten in Gabettas Spiel erzeugten eine große Spannung über alle vier Elgar-Sätze: da ist zum einen ihre imponierende Palette klangfarblicher Register, die sie in den accompagnati im Dialog mit dem Orchester hervorzauberte, zum anderen ein unaufgeregter Atem, mit dem sie die richtige Zeit für einen großen Melodiebogen findet. Fast fremdartig, wenngleich von Gabetta völlig mühelos bewältigt, wirken bei diesem emotionalen Höhenflug hingegen die virtuos-trubeligen Passagen im zweiten und vierten Satz, doch hier ist maximal Elgar selbst zu kritisieren, dessen sorglose Ornamentik einige Male für Verwirrung im Stück sorgt.

Die reife, klangsatte Interpretation von Sol Gabetta wurde vom Orchester unter Leitung von Chefdirigent Michael Sanderling sehr kontrolliert begleitet, die Priorität von Aufmerksamkeit und Präzision war fast ein wenig zu viel spürbar, doch so konnte die Solistin sich vertrauensvoll und frei entfalten. Mit Pablo Casals "El cant des ocells" (Der Gesang der Vögel) beantwortete sie den großen Applaus und versicherte sich einer stimmungsvollen Begleitung durch die Cellogruppe der Philharmonie.

Dmitri Schostakowitschs Sinfonien spielen in den Programmen Sanderlings eine große Rolle - nicht nur wegen einer starken persönlichen Affinität. Man spürte auch an diesem Abend deutlich, wie die wiederholte Annäherung an diese Partituren die Philharmoniker zusammenschweißte, wie Verständnis und Klangartikulation eine nur mehr staunenswerte Kompetenz bildeten. Sanderling beließ es nicht bei Details (und selbst die sind aufregend, wie etwa die hier klasse gestalteten Soli der Fagottgruppe), sondern erfasste die ganze zehnte Sinfonie in ihrer spezifischen Art. Dazu gehört eine Atmosphäre des "zu schön, um wahr zu sein", die er mit ahnungsvoller Natürlichkeit im ersten Satz ausbreitete. Der zweite Satz jagte ohne jeglichen Gedanken an ein Zurück vorbei, dieser Aufschrei - auch das gelang überzeugend - kann nicht in stechender Präzision daherkommen.

Flüssig und mit deutlicher Zeichnung einer pastosen Zwischenwelt nahm Sanderling den dritten Satz, das Finale hingegen hat eine zwingende Kraft, wobei die stärksten Momente aber nicht im Schluss lagen, sondern in dem musikalische Fragezeichen aufstellenden Übergang zwischen Andante und Allegro. Dass ein solches Werk Spuren hinterläßt, wurde deutlich, als Sanderling sich beim donnernden Schlussapplaus zum Publikum umdrehte: ein leichtes Entsetzen war noch in seinem Gesicht geschrieben - Zeichen für eine bedingungslose Hingabe an dieses Werk, Schichten hervorholend, die keineswegs zum Zurücklehnen einladen, sondern Teilnahme und Nachvollzug erfordern. Dieser Anspruch macht sehr gespannt auf die reichhaltige neue Konzertsaison.

Wimmelbilder und Lockpfeifen

Zeitgenössisches mit dem elole-Trio im Coselpalais

Nicht jeder von uns hat immer die Gelegenheit, diejenigen Musikfestivals in Europa zu besuchen, bei denen zeitgenössische Musik im Vordergrund steht. Im Medienzeitalter haben wir die Möglichkeit, die neuen Werke per Übertragung oder Stream mitzuerleben, doch eine Live-Aufführung ist ein anderes Erlebnis. Insofern kann man dem Dresdner elole-Klaviertrio dankbar sein, dass es nicht nur zum wiederholten Male bei den Tagen für Neue Musik in Ostrava aufgetreten ist, sondern die dort vorgestellten und zum Teil erstaufgeführten Werke nun auch in Dresden im Konzert gespielt hat. Das Konzert im Pianosalon im Coselpalais am Donnerstag war zwar nicht übermäßig gut besucht, dafür aber schätzten die Besucher die vom Trio ausgehende konzentrierte Spannung, die das ganze Konzert durchzog.

Vier Kompositionen aus Tschechien, Italien und Japan hatte elole ausgewählt, die - das konnte man am Ende nach dem Hörerlebnis aller Stücke feststellen - als gemeinsames Element das konsequente Durchführen einer Idee im Stück aufwiesen. Dennoch konnten die Kompositionen unterschiedlicher nicht sein: Petr Bakla, ein 1980 in Prag geborener Komponist, verbindet und verstrickt in seiner Musik Elemente, die zunächst nackt und unentwickelt erscheinen. Das Schlimme an der Musik ist das Tolle an der Musik: sie erreicht nie den Punkt, wo es von der scheinbaren Beliebigkeit in das "so und nicht anders" wechselt. Bei dieser Gratwanderung befindet man sich im Hören in einem spannenden Grenzbereich, wobei die Abstraktion eine große Rolle spielt. Dass der Werktitel "Dog Variations" auf die Kompositionsmethode des Erschnüffelns von Strukturen hinweist, erscheint dabei nur sympathisch. Schwer zugänglich war dann Makiko Nishikazes "trio - stella": die Komponistin erkundet in piano-Räumlichkeiten immer neu entstehende Klänge, ohne dass ein Ziel erkennbar ist. Zeit verstreicht, Aufmerksamkeit schwindet und die überwiegend vibratolos gestrichenen Töne wirken seltsam kernlos, nahezu musikalisch unterernährt. Es ist fraglich, ob diesem etwas saftlosen Stück eine Interpretation noch mehr Leben einhauchen könnte, als sich elole darum schon merklich bemühte.

Ganz anders gab sich Salvatore Sciarrinos Trio aus dem Jahr 1975: ein hochvirtuosen Wimmelbild, in dem Töne wie Schlingpflanzen wucherten und ein sinnliches, vom Rhythmus getriebenes Klangbild entstand. Hier begeisterte das elole-Trio schon mit Sinn für eine überaus plastische Wiedergabe, und dies setzte sich mit Theatralik im letzten Werk des Abends fort: dass zeitgenössische Musik mit feinem Humor und einem unkonventionellen Zugang ebenfalls Spaß machen kann, zeigte Petr Ciglers "Jagdtrio", das kürzlich in Ostrava uraufgeführt wurde. Erfrischend anders ist schon der grundsätzliche Zugang zur Musik des Komponisten, der als weitere Berufe übrigens Hornist, Chemiker und Molekül-Designer angibt - Neugier und Wissenschaft verbinden sich hier auf überraschende Weise. Die wilden Klaviertrio-Szenen mit Lockpfeifen waren dann auch weit von einer puren Albernheit entfernt, denn die durchaus ernste Interpretation von elole wies auf das Ritual hin, auf Abmachungen und festgelegte Abläufe, denen man nur mit Enten- oder Bauernschläue entkommen kann - eine Art moderne "Pet(e)r und der Wolf"-Szenerie entstand, die, das sei dem Trio als Idee einer Besucherin gerne mitgegeben, auch in einem Kinderkonzert begeisterte Ohren fände.

Mittwoch, 2. September 2015

Beethoven-Nacht und kontrastreiche Romantik

Konzerte in Schloss Proschwitz und in der Moritzburger Kirche

Mit insgesamt vier Konzerten startete das Moritzburg Festival seinen Schlussspurt, das hohe Niveau der internationalen Interpreten sorgte noch einmal für großen Publikumsandrang. So auch bei der Beethoven-Nacht auf Schloss Proschwitz bei Meißen - das Weingut des Prinz zur Lippe war schon zum dritten Mal Austragungsort feiner Kammermusik - und nicht nur das: basierend auf zeitgenössischen Quellen wurde auch das Menü der Beethoven-Zeit angepasst; es ist davon auszugehen, dass die Proschwitzer Haushälterinnen jedoch einen besseren Stand genießen durften als diejenigen Beethovens, der panische Angst besaß, vom dargereichten Essen vergiftet zu werden.

Musikalisch war die Programmfolge mit einer großen Steigerung aufgebaut: das "Duett mit zwei obligaten Augengläsern" entstammt Skizzenbüchern Beethovens und wurde erst im späten 19. Jahrhundert veröffentlicht. Adrien La Marca (Viola) und Anssi Karttunen (Cello) widmeten sich diesem nicht sehr aufregenden Werk mit schöner Klanggebung, ersterer sogar ohne Brille. Dass Duette, die als Gelegenheitsarbeit oder Schenkung entstanden sind, auch ernsten, gar existenziellen Charakter erhalten können, wurde bei Bohuslav Martinůs Duo für Violine und Cello D-Dur H371 deutlich: was sich da im Adagio an schwermütigen, am Ende stufenweise nach unten führenden Linien entspinnt, ist die Stimme eines Komponisten, der im Wissen um seine todbringende Krankheit nicht zwanglos freundliche Musik schreiben kann - das wurde von Kai Vogler und Anssi Karttunen eindringlich ausgeführt.

Gewichtig gab sich das letzte Werk des Konzertes: Beethovens "Erzherzog-Trio" B-Dur war bei Kai Vogler, Johannes Moser und Lise de la Salle in besten Händen. Schön war hier zu bemerken, wie die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Interpreten die verschiedenen Charaktere des Werkes von großer Zergrübelung bis hin zu feinem Humor so formten, dass bei aller Kontrastgebung große Einigkeit in Phrasierung und Zielrichtung entstand.
Alexander Keuk

Vor den Abendkonzerten in Moritzburg waren auch in diesem Jahr einige kurze Porträts zu erleben, in denen sich die Musiker solistisch vorstellten. Am Sonnabend war es allerdings ein Duo - Kyle Armbrust (Viola) und Lise de la Salle (Klavier) verstehen sich nicht nur musikalisch gut - die Liaison wurde bereits vor drei Jahren in Moritzburg geknüpft. Nicht nur deswegen dürften die Zuhörer sich freuen, dass die französische Pianistin und der amerikanische Bratschist mit Sicherheit wiederkehren werden. Im Porträt gelang den beiden eine jugendlich-verspielte und in der klanglichen Abstufung jederzeit spannende Darstellung der späten Viola-Sonate f-Moll, Opus 120 von Johannes Brahms.

Mit Kraft und großem Ton des Streichinstruments wurden dann einige Tänze aus Sergej Prokofieffs Ballett "Romeo und Julia" dargeboten - Lise de la Salle, die beim Festival ohnehin einen Löwenanteil bestritten hat, zeigte sich hier geradezu erfreut, einmal einen pianistisch reichhaltig-sinfonischen Part zu übernehmen. Im folgenden Abendkonzert waren mit Werken von Mendelssohn, Brahms und Korngold drei sehr verschiedene Welten zu erleben, wenngleich die namentlichte Nennung der Komponisten zumindest eine musikgeschichtliche Abfolge vortäuscht. Denn selbst die Kammermusik von Felix Mendelssohn Bartholdy läßt sich schwer auf einen Nenner bringen.

Die beiden nachgelassenen Quartettsätze aus Opus 81 sind in ihrer Reife und vor allem in der Leichtigkeit der sich stets neu verbindenden Stimmen faszinierend - von Vineta Sareika, Tim Vogler, Adrien La Marca und Jan Vogler wurde das einfühlsam nachgezeichnet. Schlägt man hingegen eine Partitur von Erich Wolfgang Korngold auf, muss man bereits aufpassen, dass die ersten Noten nicht bereits herauskippen, bevor man überhaupt einen Ton gespielt hat - so überreich und polyphon gesetzt gelangt hier Kammermusik an einen Punkt, wo der Spannungsatem leicht in Hinterherhecheln zu immer neuen Akzenten und virtuosem Ornament mutieren könnte. Nicht so in Moritzburg: Yura Lee, Mira Wang, Kyle Armbrust, Anssi Karttunen und Oliver Triendl - mit des Komponisten üppig ausgesetztem Klavierpart - kümmerten sich aufopferungsvoll um Korngolds Klavierquintett und ernteten laute Bravo-Rufe für ein Werk, dass eben aufgrund permanenter Überreizung des Materials ein Faszinosum ist.

Mit Johannes Brahms zweitem Streichquintett Opus 111 wurden zum Abschluss sanftere Töne angeschlagen. Dieses lichte Spätwerk des Meisters fand mit Kai Vogler, Henning Kraggerud, Yura Lee, Kyle Armbrust und Anssi Karttunen versierte Interpreten, die eine Lesart wählten, die mit großer Weichheit und einem damit verbundenen stark bevorzugten Legato-Spiel aufwartete. Dass diese konsequent undramatisch-legere Haltung alle vier Sätze durchzog, war ein wenig überraschend, denn es gibt durchaus Möglichkeiten zur deutlicheren Konturengebung in diesem Werk. Doch am Ende war die Erkenntnis, dass bei Brahms nicht jeder Ton einen Erdkrater an Schwere hinterlassen muss, eben auch eine Bereicherung, die durch diese ansprechende, das Leise und Leichte in den Vordergrund rückende Interpretation entstand.
(31.8.2015)

Sonntag, 30. August 2015

Kammermusikalische Perle

Saint-Saëns, Pintscher und Dvořák beim Moritzburg Festival

Mit drei sehr unterschiedlichen Werken wartete das Moritzburg Festival am Mittwochabend im Monströsensaal des Schlosses auf - eigentlich hatte eine Uraufführung von Matthias Pintscher den Abend bereichern sollen, doch Jan Vogler musste krankheitsbedingt absagen, damit entfiel das Solowerk für Cello, das er selbst interpretiert hätte. Ein weiteres Werk von Pintscher für Cello und Klavier, "Uriel" aus dem Jahr 2012, gehört in eine zyklische Werkbindung mit dem nun ungehörten neuen Werk und wurde aber dennoch gespielt.

Zwei mit zeitgenössischer Musik ungemein vertraute Interpreten, der Pianist Oliver Triendl und der Cellist Anssi Karttunen widmeten dem Werk, das vom Höreindruck eine vorsichtig-zerbrechliche Charakterzeichnung der Engelsgestalt ergab - in Zusammenhang mit dem gleichnamigen Bild von Barnett Newman, auf das sich Pintscher bezog, trat noch eine weitere Ebene, abstraktere Ebene zwischen Licht und Dunkel hinzu. Karttunens äußerst ruhige und feinsinnige Auslotung der Cellolinien mit leichtem Echo im Klaviersatz war spannungsgeladen, das Werk wurde auch auf diese Weise sehr zugänglich.

Zuvor hatte ein hochkarätig besetztes Solistenensemble eine Perle der Kammermusik gehoben, die vielen kaum bekannt sein dürfte. Vielleicht ist Camille Saint-Saëns Klavierquartett B-Dur zu eigen, auch zu extrovertiert, als dass es in gängige Programme passt? In der jederzeit sich stark für die Musik einsetzenden, im Ensemble völlig homogenen Interpretation von Vineta Sareika (Violine), Kyle Armbrust (Viola), Johannes Moser (Cello) und Lise de la Salle (Klavier) machte das Zuhören große Freude. Nur der erste Satz schwebt in lyrischem Sanftmut, wie man ihn auch von Gabriel Fauré kennt, vorbei, danach wird es ernst: ein Choralsatz gemahnt in der Motivik an Wagners Ring und könnte im vorgeschriebenen maestoso beinahe in Kitsch abgleiten, doch die vier Interpreten sorgten hier für einen sehr guten Fluss der Musik. Das einen weiten Tonraum durchgaloppierende Scherzo wirkt dann im Ausdruck leichter. Überraschend unterbrechen zwei von Vineta Sareika und Lise de la Salle auftrumpfend und frei interpretierte Rezitative das muntere Treiben, bevor das pulsierende und noch einmal virtuose Finale den Zuhörer mitreißt.

Im Gegensatz zu diesem saftig-romantischen Werk, ist ausgerechnet das das Konzert beschließende Streichquintett Es-Dur Opus 97 Antonín Dvořák ein eher sanfter Vertreter seines Genres. In ähnlicher Motivik wie in den Nachbarwerken, dem "amerikanischen" Streichquartett und der 9. Sinfonie, wird hier ein lyrisches Klangideal in allen vier Sätzen hochgehalten - die Heimatverbundenheit leugnet der Melodiker Dvořák ohnehin nie. Yura Lee, tags zuvor noch an der Bratsche zu erleben, war in dieser Aufführung die Primaria, ihr wäre allerdings ein in den Linien intensiverer, auch manchmal genauer führender Klang zu wünschen gewesen. Im Quintett sorgten weiterhin Kai Vogler, Adrien La Marca, Kyle Armbrust und Christian Poltéra für eine an vielen Stellen vor allem in den Mittelsätzen aufhorchende, jederzeit den zumeist unbeschwerten Charakter des Werkes nachfühlende Aufführung.
(27.8.2015)

Musik über Bilder und schwarze Tonarten

Beethoven, Pintscher und Brahms in Moritzburg

Nicht immer läuft alles nach Plan, auch in der Kultur nicht. Im aktuellen Jahrgang des Moritzburg Festivals steckt ein wenig der Besetzungswurm - nachdem kurz vor Beginn die Geigerin Karen Gomyo abgesagt hatte, musste sich nun Cellist Jan Vogler selbst krankheitsbedingt für die Mitwirkung an den Konzerten am Dienstag und Mittwoch ausklinken. Für die Klasse des Kammermusikfestivals spricht, dass man nicht nur hochkarätigen Ersatz in beiden Fällen fand, sondern dass in den nun neuen Besetzungen genauso geistvoll und auf hohem Niveau musiziert wurde, wie es eben der Moritzburger Anspruch ist.

Dabei ist der Cellist Christian Poltéra hier gesondert zu würdigen, der eigentlich nur für ein Stück des Dienstagkonzertes im Schloss Moritzburg besetzt war, nun aber das komplette Konzert mühelos und mit vollem Engagement in der kammermusikalischen Gemeinschaft bestritt. Der Abend im Monströsensaal des Schlosses begann mit dem Streichtrio c-Moll von Ludwig van Beethoven. Da auch Johannes Brahms 3. Klavierquartett in dieser Tonart steht, war das in der Mitte stehende zeitgenössische Werk von Matthias Pintscher, dem Composer-in-Residence des Festivals sozusagen in diesen c-Moll-Raum eingebettet.

Dieser Klangraum jedoch konnte unterschiedlicher nicht ausfallen: in Beethovens Trio gelangt man dabei nahezu an einen Urgrund der Kammermusik mit drei Melodieinstrumenten, denen Beethoven 1798 noch recht konventionelle Aufgaben gibt. Genussvoll legten sich Vineta Sareika (Primaria des Artemis-Quartetts), Adrien La Marca und Christian Poltéra in die Wogen dieses Werkes. Mit viel Differenzierung gelang ihnen eine gute Nachzeichnung und vor allem die Darstellung des an Haydn und Mozart gemahnenden klassischen Charakter des Werkes.

Von Matthias Pintscher gab es dann ein Quartettwerk namens "Study IV for Treatise on the veil" (etwa: Studie IV über die 'Abhandlung über den Schleier') zu hören. Mira Wang, Robert Chen, Yura Lee und Christian Poltéra schufen eine spannungsgeladene Interpretation dieses Stückes, das im Beziehungsgeflecht von Kunst über Kunst artifiziell und abstrakt wirkte, dabei aber eine konsequent durchgehaltene Ebene aus leisesten Geräuschlinien und punktuellen Gesten vorstellte. Zwei Wünsche blieben offen: wenn der Werkbezugspunkt ein Bild des Malers Cy Twombly ist, sollte diese visuelle Ebene im Konzert auf jeden Fall in irgendeiner Weise erfahrbar sein - der stetige Blick auf das Geweihensemble im Monströsensaal war eher ein absurdes Surrounding für dieses Stück. Und für Dialoge mit Publikum oder Interpreten wäre die ohnehin obligate Anwesenheit eines Composer-in-Residence nützlich gewesen, doch Pintscher glänzte durch Abwesenheit. Trotz hervorragendem Einsatz der Interpreten trägt ein solches Durchwinken der zeitgenössischen Musik nicht unbedingt zum Verständnis bei.

Nach der Pause ging es zurück zu c-Moll und zu Johannes Brahms - doch nach der Beethoven-Erfahrung in der gleichen Tonart war hier deutlich spürbar, wie schwarz diese Tonart in Brahms Tonsetzung nun gefärbt war. Das über Jahre hinweg nicht komponierte, sondern schwer errungene Werk bekam von Francesco Piemontesi vom Klavier aus immer wieder dramatische und außerordentlich genau geformte Attacken, die sich wie Lunten in die Streichinstrumente legten und zu vielen vor Spannung berstenden Höhepunkten führten. Auf diese Weise erhielt das Scherzo seinen traurigen Sarkasmus, fragte das Andante trotz wunderschöner Cellolinie ständig "was wäre, wenn?" und erst im Finale schien sich vorsichtig die Anspannung zu lösen, wenngleich die unwirkliche Sehnsuchtswelt erhalten blieb. Diese Hochromantik war bei Piemontesi, Mira Wang, Yura Lee und Christian Poltéra in den besten Händen und wurde vom Publikum stark gefeiert.
(26.8.2015)

Gemeinsame Sache

Herbert Blomstedt und das Gustav Mahler Jugendorchester in der Frauenkirche

Unangetastet lag die Partitur auf dem Pult. Was darin steht, verbreitete sich durch Blicke und sparsame Gesten geführt im Raum der Frauenkirche. Wenn Herbert Blomstedt eine Sinfonie von Anton Bruckner leitet, ist dies ohnehin ein besonderes Ereignis, denn sicherlich gehört dieser Komponist zu seinen Favoriten, hat sein überreiches musikalisches Leben intensiv begleitet und entsteht in jeder Aufführung, angereichert mit der enormen Erfahrung und einem gehörigen Schuss Weisheit, den nur ein 88jähriger versprühen kann, immer wieder neu.

Und dabei gerät man ein ums andere Mal ins Staunen, wie Blomstedt - hier bereits zum vierten Mal für ein Tourprojekt des Gustav Mahler Jugendorchesters am Pult stehend - nicht nur die musikalischen Angebote der jungen, exzellenten Musiker vor ihm aufnimmt, sondern wie sich hier im Höreindruck der 8. Sinfonie c-Moll das sinfonische Riesengemälde derart auftut, dass einem eher Gedanken von Leichtigkeit, Esprit und Frische in den Sinn kommen, denn die eines verstaubten Kolosses, als die man die ja unwidersprochen monumental konzipierte Sinfonie in manch sesselschwerer Einspielung auch kennt. Das 1986 auf Initiative von Claudio Abbado gegründete Gustav Mahler Jugendorchester gastierte auf Einladung und in Kooperation mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden vor deren Saisoneröffnung. Dieser Prolog weist nicht nur auf die Nachwuchsarbeit hin - viele ehemalige GMJO-Musiker sind heute Kapell-Musiker - sondern vermittelt auch ein Bild des aktuellen, hohen Ausbildungsniveaus in Europa; schließlich ist das GMJO nicht ein aus Spaß an der Freude inszeniertes Sommerprojekt, sondern hier versammelt sich die Elite der Musikstudierenden in Europa, um besondere gemeinsame Konzerterlebnisse zu schaffen.

Atemberaubende Präzision in der Ausführung war dann auch der Eindruck, den man vom Orchester im ersten Satz der Sinfonie erhielt. In der hellwachen Konzentration der Musiker war die Musik zwar sehr transparent und durchhörbar, manchmal eben aber auch im perfekten Gelingen etwas zu kühl im Ausdruck, von Blomstedt aber auch in der Übersicht der ganzen Sinfonie im Hinblick auf Kommendes konzipiert. Wenn hier noch maximal der Trompetenklang im Tutti etwas zu scharf geriet, gewöhnten sich die Musiker dann immer mehr an den Frauenkirchenraum und Blomstedt gab Übergängen genug Atem, damit Schlussakkorde und Neueinstiege organisch und natürlich wirkten. Nach dem in ganzen Takten weich pulsierenden Scherzo inklusive einem flüssig, fast drangvoll dargestellten Trio geriet das mächtige Adagio zum Höhepunkt der Aufführung, nicht nur wegen des hier von Blomstedt völlig ohne äußerliche Anstrengung hergestellten Spannungsaufbaus, sondern auch mit vielen klanglich überzeugenden Details.

Hörner und Tuben waren solistisch wie im Ensemble ein einziger Genuss, und der vibratolose Einstieg der Violinen zu Beginn des Satzes glich einer Toröffnung zu einer anderen Welt, die am Ende des Satzes ebenso traumwandlerisch sicher wieder verlöschte. Auch die Tempogestaltung von Herbert Blomstedt war hier flexibel genug, dass Steigerungen natürlich gerieten und kammermusikalische beleuchtete Entwicklungen genug Raum erhielten. Das Finale bekam - kaum verwunderlich, aber dennoch frappierend einleuchtend - von Blomstedt auch den finalen Charakter verliehen, mit mehreren Anläufen zur Großartigkeit bestimmt, dennoch nie den Rahmen sprengend. Die stehenden Ovationen des Publikums galten dem Werk, dem exzellenten Orchester und vor allem Herbert Blomstedt, dessen herausragende Musikalität am eindrücklichsten wirkte, wenn er milde lächelnd schlicht einer Streichergruppe bei der Entfaltung eines Themas zuhörte - die Vermittlung des Vertrauens in der gemeinsamen Sache Musik war eine schöne Konstante in dieser nachdrücklich wirkenden Aufführung.
(25.8.2015)

Brennen für Beethoven

Gala-Konzert mit überraschendem Finale beim Moritzburg Festival

Mit einem "Gala-Konzert mit anschließendem Dinner" wartete das Moritzburg Festival am Freitagabend auf. Nimmt man Gala wörtlich, so definiert man damit eine besonders festliche Veranstaltung, einen Höhepunkt des Festivals gar? Doch vermutlich musste nur für das für normalsterbliche Besucher im Preis unerschwingliche Gesamtpaket aus Konzert und Exklusiv-Dinner ein Name gefunden werden. Die Programmauswahl rechtfertigte den Titel nicht unbedingt, wenngleich man dem Festival insgesamt mühelos das Flair des Festlichen bescheinigen kann.

Da alle Gäste noch ein 4-Gänge-Menü zu absolvieren hatten, beließ man es im Konzert bei drei kompakten Gängen ohne Pause - etwas mehr als eine gute Stunde Musik kam da zusammen. Wirklich festlich waren die zu Beginn vorgestellten "Quatre Petite Pièces" von Charles Koechlin (1867-1950) auch nicht gedacht. Einerseits war man froh, dass der unkonventionelle französische Tonsetzer endlich mal wieder in einem Konzertprogramm auftauchte, doch diese kleinen Stücke sind eher klassische Studien - wenn der Reiz der aparten Besetzung Violine, Horn und Klavier sich gerade einmal entfaltete, war das Stück auch schon zu Ende. Mira Wang (Violine), Felix Klieser (Horn) und Alessio Bax (Klavier) zeigten dabei vor allem mit gedeckten, warmen Klangfarben, dass auch eine Miniatur erfreuen kann - der Komponist hingegen sollte nicht an diesen Stücken gemessen werden, da gibt es noch ganz andere Diamanten zu entdecken.

Jan Vogler und Janne Saksala gaben sich dann dem Duo D-Dur für Cello und Kontrabass von Gioachino Rossini hin, wobei Hingebung die Musizierweise der beiden wohl treffend beschreibt: die leichtfüßige Virtuosität und der buffoneske Humor wurde schön herausgearbeitet, wobei der Belcanto im tief(st)en Register ebensowenig zu kurz kam wie die bassige Koloratur. Beide spielten Rossini mit großer Geste, und hier ist diese auch angebracht und führt nicht zur Karikatur, sondern zu zwingender Lebendigkeit.

Robert Chen, Annabelle Meare, Lawrence Power, Yura Lee und Guy Johnston fanden sich zum Konzertabschluss im Quintett zusammen und widmeten sich dem Streichquintett C-Dur, Opus 29 von Ludwig van Beethoven in einer solch anspruchsvollen Spielkultur, dass man erschrocken und bewegt auf der Stuhlvorderkante saß. Beethoven kann ja einen Zuhörer furchtbar kalt lassen, wenn die Interpretation die Nervenstränge des Werkes nur partiell erreicht. Hier war aber von den ersten Tönen an klar, dass tiefes Eindringen und extreme Auslotung der Charaktere zur gemeinsamen Sache gehörte. So formten sich schon im ersten Satz homogene Klangfarben und ein atmendes Spiel, bei welchem alle fünf Musiker sich gegenseitig genug Raum gaben, um die zahlreichen Parallelstraßen, Sackgassen und auch findige Abkürzungen der Partiturreise mühelos darzustellen. Ob diese "brennende" Aufführung dafür verantwortlich war, dass kurz nach Verklingen der letzten Töne tatsächlich die Feuerwehr im Moritzburger Schloss anrücken musste, wird wohl nicht gelöst werden. Unversehrt konnten die Besucher nach einem kurzen Aufenthalt an der frischen Abendluft - fachmännisch Evakuierung benannt - dann aber vom musikalischen zum kulinarischen Menü überwechseln.
(23.8.2015)

Beethoven-Krimi und flotter Mozart

Eröffnungskonzert des Moritzburg Festivals mit dem Akademie-Orchester

Traditionell öffnet das Moritzburg Festival nicht vor den Toren Dresdens seine Pforten, sondern mitten in der Stadt - mit einem Orchesterkonzert in der VW-Manufaktur. Hier stellt sich die Moritzburg Festival Akademie vor, ein Ensemble aus rund 40 jungen Musikern, die eigens jedes Jahr ausgewählt werden, um mit den renommierten Solisten des Festivals und einem Dirigenten Orchester- und Kammermusikliteratur zu erarbeiten. Insofern erreichte das Festival schon zu Beginn einen ersten Abschluss, denn diesem Konzert ging bereits eine intensive Probenwoche voraus.

Der diesjährige Schirmherr, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Innenminister und Kuratoriumsvorsitzender Thomas de Maizière und der musikalische Leiter Jan Vogler freuten sich auf den neuen Festival-Jahrgang, in dem bis zum 30. August über ein Dutzend Konzerte stattfinden werden. Bei der Eröffnung zeigte sich also möglicherweise die kommende Generation großer Kammermusiksolisten, und was diese in einem ad hoc zusammengestellten Orchester unter den nicht einfachen Bedingungen des Manufakturraumes leisteten, war beachtlich.

Eine schöne Homogenität war gleich in der einleitenden Suite "Le Tombeau de Couperin" von Maurice Ravel festzustellen, in der sich delikat vor allem die zahlreichen Linien entfalteten, die Ravel der Oboe geschenkt hat. In diesem Jahr ist der in Wien lebende Fagottist und Dirigent Milan Turković mit der Leitung des Orchesters betraut, er sorgte für einen lebendigen Fluss des Werkes und zahlreiche Nuancen dynamischer Art traten zu Tage, die den über dem Boden schwebenden Charakter des Werkes intensivierten.

Zum Höhepunkt des Abends geriet das Solokonzert mit der französischen Pianistin Lise de la Salle. Sie ist erneut zu Gast beim Festival und wird in der kommenden Woche auch in Kammermusikwerken am Klavier mitwirken. Im Eröffnungskonzert widmete sie sich dem 4. Klavierkonzert G-Dur von Ludwig van Beethoven. Sie sorgte dafür, dass in allen drei Sätzen Höchstspannung auf der Bühne wie im Publikum herrschte, denn die Klarheit ihrer Artikulation gepaart mit Leidenschaft und einem in den Ecksätzen toll geführten metrischen Puls machte das Konzert fast zu einem Krimi. Jede einzelne Phrase wurde da zum Ereignis, de la Salle gestaltete klug und verdeutlichte harmonische und dynamische Entwicklungen besonders plastisch. Stark wirkte im 2. Satz der Dialog mit dem in schroffem Kontrast hereinfahrenden Orchester, und die Kadenz des 1. Satzes gelang Lise de la Salle überzeugend und in selbstbewusster, erdiger Manier. Trotz der wohl aus technischen Gründen ungewöhnlichen Platzierung des Flügels zwischen Celli und Bratschen, die dazu führte, dass Turković nur den Rücken der Pianistin sah, gelang die Zwiesprache mit dem Orchester sehr gut, ein Zeichen also, dass alle Musiker permanent in höchster Aufmerksamkeit agierten.

Die letzte, die so genannte "Jupiter"-Sinfonie C-Dur, KV 551von Wolfgang Amadeus Mozart beschloss den Abend - Milan Turković setzte dabei auf flüssige Tempi, die im zweiten und vierten Satz zwar dazu führten, dass viele Dinge zusammengefasst erschienen und manche Feinheiten und Flexibilitäten gerade im Andante Cantabile erhielten so weniger Raum. Die Akademie setzte diese Intentionen mühelos um, besonders das Finale schlug trotz rasant auszuführender Figuren nie in Hektik um - da war großes Können und Lust an der gemeinsamen Sache zu beobachten. Davon werden wir in den kommenden zwei Wochen in Moritzburg sicher noch mehr erleben.
(17.8.2015)

Orchesterwerkstatt "con brio"

Moritzburg Festival Akademie stellte sich in den Flugzeugwerken vor

Wenn das Moritzburg Festival am Sonntag mit dem Eröffnungskonzert in der VW-Manufaktur beginnt, dann haben die Teilnehmer der Festival-Akademie bereits eine ganze Woche harte Arbeit absolviert. Die 39 jungen Akademisten aus aller Welt bringen sich dann im Orchesterspiel, auf Tourneekonzerten und mit Kammermusiken unter anderem bei der "Langen Nacht der Kammermusik" am kommenden Donnerstag ein. Den Zuhörern wurde mit der Orchesterwerkstatt am Sonnabend also nicht nur eine Art Prolog zum Festival präsentiert, man erhielt auch interessante Einblicke hinter die Kulissen.

Der künstlerische Leiter Jan Vogler moderierte die Werkstatt im Flugzeughangar bei den Elbe-Flugzeugwerken - eine imposante Umgebung, die ebenfalls Arbeitsatmosphäre ausstrahlte und somit perfekt geeignet schien. Weniger ging es um ein perfektes Ergebnis, dafür nahm man auch Abstriche in der Akustik in Kauf, eher um einige kurzweilige Einblicke: Musik und Menschen standen im Vordergrund. Jan Vogler unterhielt sich mit zwei Akademisten, einer Geigerin aus Texas und einer Fagottistin aus Österreich, die sichtlich begeistert von ihren Erfahrungen berichteten. In diesem Jahr ist der Fagottist und Dirigent Milan Turković musikalischer Leiter der Akademie und berichtete von der außergewöhnlichen Erfahrung, binnen einer Woche die unterschiedlichen Nationen und Kulturen, aber auch Spieltalente zu einem homogenen Ensemble zusammenzuschweißen. Dass dies noch vor der Eröffnung - aber bereits nach einem absolvierten Tour-Konzert in Bad Elster - gelungen ist, davon konnten sich die Zuhörer in einigen Musikbeispielen überzeugen.

Zunächst erklang die Ouvertüre zur Oper "Die Hochzeit des Figaro" spielfreudig und mit viel Sinn für die von Mozart auf engstem Raum angesiedelten Kontraste. Von Jörg Widmann, 2012 zuletzt selbst Composer-in-Residence beim Festival (in diesem Jahr ist es Matthias Pintscher), wurde ein kurzes Orchesterstück namens "Con Brio" vorgestellt, das sich mit hoher Virtuosität mit den Charakteren beethovenscher Sinfonik befasst und damit permanent auf der Brücke zwischen Altem und Neuem unterwegs ist. Damit wurde eine Art gedanklicher Beethoven-Raum geschaffen, der - der Titel verrät es - "mit Feuer" zu spielen ist und derartig auch die Hörer begeisterte. Turković bat sich zwar aus, eben im Rahmen des Werkstattcharakters auch unterbrechen zu dürfen, doch der wilde Ritt gelang mit ordentlich Adrenalin bei den Musikern bis zum Finale, hier besonders vom unermüdlich werkelnden Paukisten Brandon Ilaw angetrieben.

Die französische Pianistin Lise de la Salle, die seit 2010 schon mehrfach in Moritzburg gastierte und die sommerliche Zusammenarbeit mit den Musikern hier auch als Höhepunkt ihrer eigenen Konzertsaison empfindet, interpretierte dann den 1. Satz aus Beethovens 4. Klavierkonzert G-Dur. Hier war es interessant, auch einmal verbal von der Interpretin die Richtung angezeigt zu bekommen: im Kontrast etwa zum Dritten Konzert sieht Lise de la Salle dieses Werk, und hier besonders die Ecksätze, als Ausdruck von Freude und Helligkeit, wie sie eigentlich so unverschattet selten in Beethovens Werk zu finden sind. Den Worten folgte man in der Musik prompt: Lise de la Salle ging mit klarem, ausdrucksstarken Spiel zu Werke, und die Akademisten begleiteten mit aufmerksamem Nachvollzug dieser Intentionen. Ein spontan von Vogler vorgeschlagenes Finale der Orchesterwerkstatt mit einem Auszug aus der "Jupiter"-Sinfonie von Mozart fiel den fehlenden Noten auf den Pulten zum Opfer, doch das Publikum wurde mit einem Da Capo der Figaro-Ouvertüre versöhnt in den Abend entlassen.
(16.8.2015)

Romantischer Schmelz und irdischer Mozart

Die Junge Deutsch-Polnische Philharmonie gastierte in der Martin-Luther-Kirche

Schon seit 15 Jahren existiert die Junge Deutsch-Polnische Philharmonie, und von Beginn an hatte sich das Orchester auf die Fahnen geschrieben, nicht nur einmal im Jahr ein Konzertprogramm mit Jugendlichen aus der Grenzregion von Polen und Deutschland auf die Beine zu stellen. Der Grundgedanke geht weit darüber hinaus: Immer wieder nehmen die Programme auf aktuelle Ereignisse oder Feierlichkeiten Bezug, so auch in diesem Jahr zum fünfzigsten Jahrestag des Hirtenbriefs der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder, der einen der ersten Schritte der Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete. Die Versöhnung kann man in dem Musikprojekt fortgesetzt sehen - eine Woche lang proben die Jugendlichen intensiv unter fachkundiger Anleitung und ziehen dann durch Kirchen und Konzertsäle.

In diesem Jahr scheint der Schwerpunkt des Projektes wieder mehr in Polen zu liegen - vier Konzerten in der Umgegend von Breslau stand das die Tournee beendende Konzert in der Martin-Luther-Kirche Dresden gegenüber. Hierher strömte am Mittwochabend eine treue Fangemeinde und war gespannt auf das diesjährige Programm. Romantischer Musik von Johannes Brahms und Henri Wienawski stand das "Requiem" von Wolfgang Amadeus Mozart gegenüber. Damit kam das Orchester auch in den Genuss chorsinfonischer Arbeit und der Chor der Technischen Universität Breslau durfte sich auf der kleinen Konzerttournee präsentieren. Auch die Solisten sind zumeist Studenten oder (ehemalige) Mitglieder des Orchesters.

Als Dirigent stand der Leiter des Vogtlandkonservatoriums in Plauen, Jörg Leitz, zur Verfügung. Mit sattem romantischem Schmelz zogen zu Beginn die Klänge der "Tragischen Ouvertüre" von Johannes Brahms durch das Kirchenrund und vermittelten gleich einen guten Eindruck von dem, was hier in kurzer Zeit zusammengewachsen ist: Streicher und Bläser spielten nicht nur sauber und aufmerksam, sie bemühten sich auch um zielgerichtete Phrasierung und verlieh dem Stück dadurch viel Charakter. In Henri Wienawskis 2. Violinkonzert, ein übrigens viel zu selten erklingendes Werk, hatte nicht nur die Solistin Krystyna Wasik umfangreiche Aufgaben zu bewältigen - dem Orchester kommt hier im spätromantischen Satz eine ebenso wichtige Rolle zu. Bis auf wenige Wackler in den schnellen Passagen des 3. Satzes gelang das außerordentlich gut. Krystyna Wasik wiederum konnte man nur beglückwünschen, weil sie das doch mit allerhand virtuoser Ornamentik gespickte Konzert ruhig, mit einem schönen großen Ton und vor allem stets mit einem Ohr auf das hinter ihr begleitende Orchester anging. Dass hier und da die Intonation im Gesamtgefüge etwas litt, war angesichts der schönen Musikalität zu vernachlässigen.

Ähnliches gilt für das Mozart-Requiem, das sich - dies ist bei einem Projekt mit Jugendlichen ein Kritikpunkt - ohne Pause für Musiker und Publikum anschloss. Nicht mehr ganz reichte da die Aufmerksamkeit für die verschiedenen, oft sehr plötzlich entstehenden und wieder vergehenden Charaktere der Musik. Hier war vor allem der Chor der Technischen Universität Breslau die Anschubkraft. Malgorzata Sapiecha-Muzol hatte die knapp 40 Sänger hervorragend vorbereitet: die Rufe des "Rex tremendae" etwa waren prägnant, es wurde dynamisch sehr differenziert gesungen und der Text sehr gut deklamiert. Jörg Seitz tat gut daran, überwiegend auf flüssige Tempi zu setzen, die den Ensembles zur Musizierlust verhalfen. Die vier studentischen Gesangssolisten aus Breslau, Daria Stachowicz, Agnieszka Pulkowska, Bartosz Nowak und Stavros Chatzipenditis lösten ihre Aufgaben gut gut - sicherlich war aber hier noch Entwicklungspotenzial vorhanden und vor allem Stachowicz hatte mit ihrem volltönenden Soprantimbre mit den feinen Mozartlinien einige Probleme. Zum Ende hin fehlte dann doch die werkübergreifende Intensität, das "Lux Aeterna" in eine transzendente Atmosphäre zu überführen - Erleichterung überwog in diesem eher irdisch musizierten Ende. Und doch - gerade wenn Jugendliche sich dieser wunderbaren Musik nähern, bekommt man eine große Ahnung, was Leben, Versöhnung, Verständigung alles bedeuten kann. Allein dafür sind die Konzerte der Jungen Deutsch-Polnischen Philharmonie höchst wertvoll und die Musiker nehmen auch in diesem Jahr sicher ein unvergessliches Erlebnis mit nach Hause.
(30.7.2015)

Donnerstag, 27. August 2015

Pardon.

Hinter mir liegen einige Ereignisse fernab jeglicher Tastatur- und Blogwelten, weswegn hier einiges zu kurz kam. Insbesondere zu erwähnen ist jedoch ein Urlaub, den ich ganz für mich allein und nach sehr langer Zeit des Entbehrens machen durfte. Davon zehre ich immer noch und dementsprechend flott geht es nach dem Urlaub mit vielen Konzerten und auch neuen Projekten weiter. Texte und Rezensionen folgen wieder, vielleicht schaffe ich gar wieder regelmäßiges Bloggen und dann auch mal einen fälligen Umzug desselben.

donau

Mittwoch, 24. Juni 2015

Unser Feuilleton...

...könnte in den letzten Tagen vermeldet haben: "Kirill Petrenko wurde zum neuen Chef der Berliner Philharmoniker gewählt."

Hat es auch. Das reicht aber nicht, ist ja Feuilleton. Und so lesen wir erstaunt, belustigt, und zum Teil leider auch mit mehrfachem Knall des Kopfes auf die Tischplatte:

"Wird Petrenko diesen Hexenkessel des traditionell schon berüchtigten Wagner-Clans heil überstehen, in dem jetzt noch als zusätzliche Zutat der Zorndes öffentlich gedemütigten Konkurrenten brodelt?" (Sabine Lange, ndr - die auch vor einem Wotan/Alberich-Vergleich nicht Halt macht) Es fehlt nur noch der Zusatz: "Schalten Sie auch morgen wieder ein, wenn es heißt....[Marienhoftitelmelodie]"

Über Mütter, Juden und "Zwischenmenschliches" schwadroniert Manuel Brug in der Welt. Die Kulturseite als Slapstick, vermutlich auch noch ernst gemeint.

Und Axel Brüggemann stellt die Frage "Nur die vierte Wahl?" und meint, die Berliner würden sich gerade "den ultimativen Rausch" abgewöhnen. Krokodilstränen, fürwahr.

Alle drei haben ihren Medien erst einmal ordentliche Klickzahlen beschwert, insofern: saubere Arbeit.

Montag, 22. Juni 2015

Östliche und westliche Traditionen

Ensemble Courage im zweiten "An die Freunde..."-Konzert

Im zweiten Konzert der neuen KlangNetz-Reihe "An die Freunde..." gab es erneut Ensemble-Kammermusik zu erleben, diesmal richtete sich der Blick nach Asien. Natürlich ist das Motto der Konzertreihe derart dehnbar, dass man ohne weiteres eine zehnjährige Reihe daraus basteln könnte - die acht Konzerte in diesem Jahr werden fokussierend nur einige Aspekte erfassen können. Der Blick nach Asien ist insofern - erneut - wichtig, da sich seit den ersten Annäherungen europäischer Komponisten der zeitgenössischen Musik die Musiklandschaft gewandelt hat: viel selbstverständlicher trifft man heute auf asiatische Komponisten und Interpreten, die meisten von ihnen weisen eine fast globale Ausbildung bei Lehrern und Instituten rund um die Welt auf.

Insofern hatte das Ensemble Courage sicher die Qual der Wahl bei der Auswahl der Kompositionen. Mit dem Porträt von Isang Yun (1917-95) und Toshio Hosokawa (*1955), zwei Vaterfiguren der asiatischen zeitgenössichen Musik, gelang eine runde Dramaturgie. Eine Uraufführung des jungen chinesischen Komponisten Shen Hou, der in Dresden an der Musikhochschule studiert, setzte einen aktuellen Akzent. Schön auch, dass man im kooperierenden Hygiene-Museum auf Atmosphäre setzte. Statt Frontalbespielung saß das Publikum in kleinen Runden an Tischen, japanische und chinesische Tees wurden gereicht. Trotzdem war die Bühne dann doch ein paar Meter zu weit vorne, als dass sich gänzlich Intimität im großen Marta-Fraenkel-Saal einstellte.

Das zu Beginn gespielte Quartett für Flöte, Violine, Cello und Klavier ist insofern untypisch für Isang Yun, da es mit ungewohnt sanften, fast impressionistischen Klängen startet. Erst später wird die Struktur aufgeraut - einem durchgehalten fortissimo gespielten, wilden Abschnitt antwortete ein kurzes Adagio wie ein Abgesang. Dem Koreaner Yun folgte der Japaner Hosokawa: dessen "Stunden-Blumen" sind deutlich auf Olivier Messiaen bezogen, zitieren jedoch nicht wörtlich. Hosokawas im Mikro- wie Makrokosmos auf Entstehen und Vergehen eingehende Ästhetik ist schwer erreichbar, gleichwohl schuf das Ensemble Courage hier wie auch in den aphoristisch anmutenden "Duo" für Violine und Violoncello spannungsgeladene Darbietungen.

Shen Hous Uraufführung "Z" setzte einen schönen Kontrast, war sie doch im Gegensatz zu Yuns und Hosokawas tonreich-entwickelnden Kompositionen im zu entdeckenden Moment aufgehoben. Da stand die Zeit still und trotzdem gab es jede Menge Geräusche und Ereignisse zu entdecken - um so aufregender war dann ein plötzliches Insistieren eines Klanges oder eine aufgebaute Fläche. Isang Yuns "Pièce Concertante" aus dem Jahr 1976 beschloss das Konzert - trotz markant dissonantem Material war es das mit (westlicher) Musiktradition am nächsten zu verbindende Werk, und man konnte den klar abgegrenzten Teilen gut folgen. Fernab von Exotismus oder dieser Kultur gerne vergebenen Klischees ging das Ensemble frisch und kompetent mit diesen Werken um und zeigte eine Spielkultur, die tiefes Eindringen beim Hören ermöglichte. So konnte im wahrsten Sinne des Wortes Freundschaft geschlossen werden mit einer Musik, die uns heute kaum mehr fremd erscheint, sondern ihren Platz in der musikalischen Welt eingenommen hat.

Schwelgen mit Brahms

Orchester "Medicanti" im Konzertsaal der Musikhochschule

Halbjährlich lädt das Orchester "Medicanti" der medizinischen Fakultät an der TU Dresden zum Sinfoniekonzert ein, den Abschluss vor den Sommerferien bot am vergangenen Wochenende ein Konzert in der Musikhochschule. Das traditionsreiche Orchester hat nicht nur viele Mitglieder, es hat auch viele Freunde und Fans und so stieß man mit der Kapazität des Konzertsaales zwar an seine Grenzen, den überwiegend jungen Musikern bot das volle Haus aber eine besonders spannungsreiche Atmosphäre zum Musizieren.

Spätromantik und frühe Moderne war im Programm aufgeboten - Antonín Dvořáks Konzertouvertüre "In der Natur" erklang zu Beginn und war gleich ein nicht ungefährlicher Einstieg, denn bevor man sich im Tutti freispielen durfte, waren da einige behutsam vorwärtstastende Motive zu bewältigen. Das gelang dem Orchester unter Leitung von Wolfgang Behrend aber mühelos, das warme Timbre der Musik von Dvořák wurde sogleich eingefangen, auch Nebenstimmen in den Bläsern erhielten von Behrend Würdigung. Dass die Freude über die erwachende Natur noch spritziger hätte ausfallen dürfen, ist verzeihlich - man war bedacht auf ein gutes Gelingen in der direkten Akustik des Konzertsaales.

Maximilian Otto nahm dann am Flügel Platz, der erst sechzehnjährige Pianist ist ein Multitalent und bildet sich nicht nur an den Tasten fort (am Landesgymnasium für Musik bei Oksana Weingardt-Schön), sondern komponiert auch und erhält Unterricht in Kontrabass, Musiktheorie und Dirigieren. Dass er sich Sergej Prokofjews 1. Klavierkonzert Des-Dur für diesen Auftritt ausgesucht hat, spricht für gehörigen Mut und Anspruch - dieses in kaum zwanzig Minuten vorüberflitzende, kompakte Konzert birgt viele Hürden, aber auch virtuose Spielfreude in sich. Otto löste die Aufgabe mit Bravour und vor allem Sorgfalt. Er spielte ruhig und besonnen die technisch schwierigen Läufe aus und konnte den Motiven viel Charakter verleihen, in den kleineren und größeren Kadenzen griff er beherzt zu. Behrend und die Medicanti begleiteten aufmerksam und schwungvoll, nur im finalen Tutti ging das Klavier dynamisch unter. Da hatte Otto aber längst das Publikum für sich eingenommen und bedankte sich mit einer Etüde von Alexander Skrjabin.

Eine große Aufgabe stand dann noch nach der Pause an: Johannes Brahms 2. Sinfonie D-Dur ist ein lichtes, weniger dramatisches Werk, das stetig zwischen lyrischem Schwelgen und sanft aufgerauter Entwicklung pendelt. Das vermittelte Behrend dem Orchester gut, gleich der umfangreiche 1. Satz gelang überzeugend in der Ausgestaltung der Motive. Im großen Streicherapparat war da viel Verständnis für die Bögen der Musik verhanden und man konnte sich an konzentriertem, gemeinsam realisierten Spiel erfreuen. Lediglich der 2. Satz wurde im angezeigten Tempo zu zäh und verlor dadurch seine innere Spannung - dieses Adagio verträgt auch im langsamem Duktus mehr Leidenschaft. Im fein ausgehörten Allegretto und dem zum Ende hin positiv drängenden Schlusssatz konnte man sich allerdings nur freuen über viel homogenes, auch in schwierigen Bläserpassagen klangschön realisiertes Spiel - ein gelungener Semesterabschluss!

In höheren Sphären

Martin Grubinger, Christoph Eschenbach und die Bamberger Symphoniker in der Semperoper

Nein, sie sind nicht irgendein städtisches Orchester - die Bamberger Symphoniker, obwohl erst 1946 gegründet, haben seit Jahrzehnten einen hervorragenden Ruf und haben sich weit über Bayern hinaus einen Namen gemacht. Große Dirigentenpersönlichkeiten wie Joseph Keilberth und Horst Stein prägten das Ensemble, Jonathan Nott führte sie ins 21. Jahrhundert. Mit Christoph Eschenbach am Pult gastierten sie am Finalwochende zu den Musikfestspielen in der Semperoper. Der Dirigent wurde erst vor wenigen Tagen mit dem wichtigen Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet - die Würdigung seines Lebenswerks im Dienste der Musik.

Die Förderung junger Talente ist Eschenbach immer besonderes Anliegen, der prominente Solist, den er mitbrachte, ist allerdings längst in höhere Sphären aufgebrochen: Martin Grubinger ist weltweit einer der besten Schlagwerker und war erst im April zu Gast bei der Dresdner Philharmonie - seine hiesige Fangemeinde sorgte für ein vollbesetztes Auditorium in der Semperoper. Mit dem von ihm 2007 uraufgeführten Schlagzeugkonzert "Frozen in Time" des israelischen Komponisten Avner Dorman brachte Grubinger dieses Mal ein Stück mit, das in gut einer halben Stunde Dauer einmal die ganze Welt durchforstete, historisch wie geographisch.

Dass dabei ein polystilistischer Flickenteppich zwischen indischer Tala, Swing, afrikanischen Rhythmen und europäischer klassischer Tradition entstand, war insofern verschmerzbar, da von Anfang bis Ende Auge und Ohren auf Grubingers Kunst fixiert waren, der zwischen leisestem Vibraphonklang, einem eigenen Klangkosmos aus Marimba und Glocken sowie entfesselten Trommelkaskaden beeindruckend agierte. Kongenial war die Partnerschaft zwischen Grubinger und Eschenbach, wobei letzterer trotz rasant wechselnden Charakteren immer genügend Atem für den Solisten bereithielt. Was in diesem Werk - zumindest bis Reihe Neun - komplett akustisch unterging, war der Orchesterpart. Viele Passagen der Ecksätze waren lediglich optisch wahrzunehmen, nur im zweiten Satz des formal recht biederen Stücks konnten die Musiker sich zu raffinierten Klangfarben im Dialog mit Grubinger entfalten.

Im zweiten Teil des Konzertes waren dann die Bamberger Symphoniker selbst der Solist: in Béla Bartóks "Konzert für Orchester" konnten sie eine hervorragende Klangkultur entfalten und überzeugten vor allem mit homogener Umsetzung von Eschenbachs nuanciertem Dirigat. In den ersten vier Sätzen war eine prägnante, natürliche und zuweilen auch verspielte Vorstellung der vielen Motive und Klangfarben zu erleben - Bartóks lustvolles Spiel mit Rhythmen und Volksmelodien erschien hier liebevoll gewürdigt. Das Finale nahm Eschenbach dann ziemlich rasant, was aber mit stets spürbarem gegenseitigen Vertrauen zum Erfolg führte. Ein passendes Encore bildete Maurice Ravels bekanntes Poème choréographique "La Valse" zum Abschluss, hier durften - mit von Eschenbach klug organisiertem Spannungsaufbau - vom Kontrafagott bis zum Piccolo alle Instrumente selig im Dreivierteltrubel glänzen.
(9.6.15)

Darf der das?

Klavierabend von Olli Mustonen bei den Dresdner Musikfestspielen

Wenn man den Finnen Olli Mustonen zu einem Konzert einlädt, lohnt es sich, ihn erstmal zu fragen, in welcher ausübender musikalischer Profession er sich dem Publikum vorstellen will - aktiv ist er als Dirigent, Pianist und Komponist. In Dresden konnte man sich bereits beim Moritzburg Festival von seinem Können überzeugen. Bei den Musikfestspielen gab er am Freitag ein Klavierrecital, bei welchem er auch eine eigene Klaviersonate vorstellte. Ohnehin verspricht ein komponierender Interpret meist interessante Interpretationen, weil der Blick des Tonsetzers auch bei fremder Literatur nie ganz abschaltbar ist. Diese Haltung schuf wohl die außergewöhnliche Energie dieses Klavierabends, bei dem man sich einige Male des soeben Gehörten vergewissern musste: darf der das? Geht das denn überhaupt? Nicht alle dieser Fragen und Irritationen konnten aufgeklärt werden.

Zunächst widmete sich Olli Mustonen dem "Kinderalbum" von Peter Tschaikowsky - sicherlich ein Werk, das jedem Klavierschüler schon einmal begegnet ist; seltener werden die vierundzwanzig Stücke in Gänze aufgeführt. Mustonen ging mit dem Seziermesser zu Werke, traf die Charaktere teilweise so blitzscharf, dass die Puppengeschichte als Scherenschnitt vor dem Ohr entstand. Reiter und Volkstänzer waren schneller um die Ecke verschwunden, als sie aufgetreten waren und die Lerche bekam ein stählernes Korsett. Das war extravagant und bisweilen weit über die Noten hinaus interpretiert: Mustonen öffnete hier seine eigene Märchenkiste und spielte auf seine Weise mit den Figuren, selten versonnen, manches mal ruppig.

Mit Tschaikowsky führte dies zu einem Aha-Effekt, bei den sechs folgenden Chopin-Mazurken war dann aber mit ähnlich hartem Anschlag eine Grenze überschritten. Punktierungen gerieten hier so scharf, dass der von Chopin meisterlich behandelte Tanzcharakter derb wirkte - diese im Ausdruck nah an der Verzweiflung angelegte "finnische Mazurka" war zwar sicher ein einzigartiges Hörerlebnis, mit Chopin hatte sie nur wenig am Hut. In der zweiten Konzerthälfte hatte Mustonen pianistisch üppigere Werke ausgewählt, in welchen er auch viel virtuoses Spiel zeigen konnte und - weiterhin - extremen Ausdruckswillen nachging.

Nun aber fanden Werk und Interpretation glücklicher zueinander, zunächst in Mustonens eigener Klaviersonate "Jehkin Iivana", die mythischen finnischen Geschichten und dem finnischen Nationalinstrument, der Kantele, ein musikalisches Denkmal setzt - hier konnte man wunderschön ausgespielte Klangwelten verfolgen, die Mustonen mal volkstümlich, mal vollgriffig-sinfonisch in Töne gesetzt hatte. Mit Sergej Prokofjews 7. Klaviersonate stand dann zum Abschluss ein gewaltiges und durchaus auch gewalttätiges Stück aus den Jahren des 2. Weltkrieges auf dem Programm, dem Mustonen kompromisslos begegnete - im leisen wie lautem Extrem. Dadurch geriet besonders der langsamere zweite Satz mit seinem irrwitzigen Walzer zu einer Art visionärem Horror, den dritten spielte Mustonen in einem Rutsch und verausgabte sich dabei völlig. Einen solchen Klavierabend erlebt man nicht alle Tage.
(8.6.15)

Sonntag, 7. Juni 2015

Ominöser Zettel aufgetaucht.

#obwdd

zettel

[nein, der ist nicht ominös. Ich habe nur mal getippt. Mal sehen, wie nahe ich am Ergebnis bin.]

Höhenflug der ernsthaften Art

Arriaga, Ravel und Sibelius mit dem Auryn-Quartett

Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen: seit 34 Jahren spielt das in Nordrhein-Westfalen beheimatete Auryn-Quartett in unveränderter Besetzung. Wenn gerade das Thema "Ehe für alle" in den Schlagzeilen rotiert, könnte dieses Streichquartett sicher eine Menge darüber berichten, wie so etwas über drei Jahrzehnte zu viert funktioniert - selbstverständlich ausschließlich aus musikalischer Sicht, aber aus der Musik heraus kann man ja immer eine Menge für das Leben lernen. Ihre Erfahrungen geben die vier Herren längst an der Detmolder Musikhochschule als Kammermusikprofessoren weiter.

Kenner der Kammermusikszene werden dem Auryn-Quartett ein unverwechselbares Klangbild bescheinigen, das sich in dreißig Jahren kontinuierlich aufgebaut hat und natürlich mit Instrumenten, Charakter und Vorlieben der einzelnen Mitglieder zu tun hat, zudem verfügt das Auryn-Quartett über ein grenzenloses Repertoire vom Barock bis zur Gegenwart. Eine Demonstration dieser reifen Spielkultur durfte das Publikum der Musikfestspiele am Donnerstagabend im Palais im Großen Garten erleben - im Programm begab man sich auf eine musikalische Reise von Spanien über Frankreich nach Finnland.

Als Geheimtipp gilt der baskische Komponist Juan Crisóstomo de Arriaga (1806-1826), dessen hoffnungsvolles Schaffen mit einem jähen Tod sein Ende fand. Sein 3. Streichquartett Es-Dur bedient die klassische Form, bezieht aber auch romantisches Empfinden ein, das deutlich auf Schubert weist und besonders in einem Pastoral-Satz eine naturalistische, fast sinfonische Dichtung im Quartett entfaltet. Plastisch gelang dies dem Auryn-Quartett, wenngleich in schnellen Werten hier noch etwas Nervosität zu bemerken war und manche Motivarbeit erst im zweiten oder dritten Anlauf homogene Klarheit erhielt, dann aber war durchweg die "gemeinsame Sache" ein Stilmerkmal, das sich durch alle Werke des Konzertes zog.

Ein Klassiker ist das (einzige) Streichquartett von Maurice Ravel vor allem in seiner einzigartigen Sprache - der großen Kammermusiktradition wird hier mit leichtem, weichen Bleistift begegnet. Fulminant gelang vor allem der letzte Satz mit dichtem, spritzigen Streicherklang. Den Esprit hatte man allerdings vorher vermisst, das helle Leuchten dieses Werkes wollte in der oft geradlinigen Lesart nicht zur Erweckung gelangen. Man wurde das Gefühl nicht los, dass die Musiker mit großer Kompetenz herangingen, der Pegel der Sinnlichkeit aber noch größer hätte ausschlagen dürfen. Nach der Pause stand mit Jean Sibelius viertem Streichquartett "Voces Intimae" ein großes, vornehmlich düster-grüblerisches Werk auf dem Programm, das trotz eines virtuos wirbelnden Finales eine Hoffnungslosigkeit hinterläßt, die vor allem aus der Erfahrung des Adagios herrührt, das einige Male an den Grundfesten der Welt zu zweifeln scheint.

Hier entwickelten Matthias Lingenfelder, Jens Oppermann, Steward Eaton und Andreas Arndt einen Höhenflug der ernsthaften Art. Sie zeichneten die nahezu festgebissenen Noten mit erschreckender Lapidarität nach - was ein überzeugender Interpretationsansatz war - und setzten dem Werk keinen falschen Romantizismus auf. Selbst das Scherzo und das Allegretto bekamen so einen fahlen, nachdenklichen Anstrich. Um die für diese großartige Leistung stark applaudierenden Zuhörer versöhnlich zu entlassen, spielte das Auryn-Quartett noch einen der schönsten Sätze eines Mozart-Quartetts überhaupt: das Andante Cantabile aus dem "Dissonanzen-Quartett". Wunderbar gelangen den Musikern hier die gesanglichen Linien und das Empfinden für die natürliche Länge der Harmonien. Und die Welt war wieder in Ordnung.

Traum CIII

Ich moderiere ein Konzert und rede über ein Werk von Henri Dutilleux. Als ich dessen Namen nenne, antwortet das ganze Publikum singend mit diesem Chanson:


* Konzerttipp dazu: Dresdner Philharmonie, 13./14.6. (nein, ich moderiere nicht)
* Woher ich das Lied kenne? Alexandre Tharauds wunderbares "Paris"-Album

Familie - ein unruhiger Ort.

Leonard Bernsteins Oper "A Quiet Place" in der Manufaktur

Oper in der VW-Manufaktur? Nach den bisherigen Erfahrungen waren klassische Konzerte manches Mal ein Wagnis - schon allein, weil die akustischen Gegebenheiten in der Manufaktur selten befriedigende Ergebnisse hervorbrachten. Doch gerade für Experimentelles und Zeitgenössisches stimmen Atmosphäre und Umgebung und so war die Entscheidung, Leonard Bernsteins 1983 in Houston uraufgeführte Oper "A Quiet Place" genau hier zu platzieren, richtig.

Leider war die (einzige) Vorstellung in Dresden bei Kartenpreisen von gut 100 Euro zahlungskräftigen Musikliebhabern vorbehalten, dabei hätte gerade dieses Werk einen breiten Zuhörerkreis verdient. Der Dirigent Kent Nagano, der damals schon bei den Proben zur Wiener Aufführung der Oper dabei war, hatte eine neue Fassung des Werkes in Auftrag gegeben, die er 2013 mit dem Ensemble Modern uraufgeführt hat. Mit der auch beim Publikum durchgefallenen Originalfassung war der Komponist selbst nicht zufrieden gewesen - nun ist ein überraschend schlüssiges Konzentrat entstanden, das dem Stück auch zu weiterer Verbreitung verhelfen könnte.

In drei Teilen über neunzig Minuten erstellte Garth Edwin Sunderland ein Kammerspiel, bei dem als gelungen zu vermelden ist, dass von der ersten bis zur letzten Note der kreative, umtriebige und auch widersprüchliche Geist Bernsteins unabgemildert durch die Partitur weht und meistens auch stürmt. Wer Bernstein, diese hochsensible, oft zweifelnde Persönlichkeit in all seinen Facetten kannte, dürfte auch von "A Quiet Place" viel mitgenommen haben; nur wer von diesem Abend lockere Broadway-Stimmung erwartete, wurde womöglich enttäuscht. Doch es gab von allem etwas, denn dieser "späte" Bernstein ist musikalisch nicht in einer Richtung festgelegt.

Die äußere Handlung ist schnell erzählt: am Sarg der verstorben Dinah versammelt sich die Verwandtschaft, ihr Tod erzeugt den Raum für Erinnerungen, Aufklärung aber auch vielfache Verstrickungen innerhalb der Beziehungen der Familie. Dabei schwankt Bernsteins Tonfall von einer Partiturseite zur nächsten vom jazzig-buffonesken Stil bis hin zu tiefer Bitternis mit vielen autobiographischen Zügen. Viele Symbole und (Selbst-)Zitate tauchen auf, am auffälligsten ist der Garten, den Dinah hinterläßt und der schon in Candide ein Sehnsuchts- und Hoffnungssymbol war - hier ist er voller Unkraut und die ganze Familie ist hin- und hergerissen im "Wie weiter?".

Die behutsame szenische Einrichtung der Aufführung von Georges Delnon mit Filmschnipseln einer Achterbahnfahrt und Clips amerikanischen Familienidylls unterstützt die Annahme, dass es in diesem letzten Bühnenwerk von Leonard Bernstein nicht weniger als um das große Ganze geht: "Akzeptieren oder Sterben?" fragen sich die Protagonisten ein ums andere Mal und Themen wie Selbstmord, Homosexualität und Generationenkonflikt tragen in dieser komplexen, teilweise auch rasanten Abhandlung nicht wenig zur - notwendigen - Verstörung bei. Mit gleichzeitigem Hören, Schauen und Lesen der Übertitel war auch der Zuhörer ordentlich gefordert. Am Ende der mit prallem Leben gefüllten Oper steht mit der Umarmung von Vater und Sohn ein Lichtblick in die Zukunft: "Ich verstehe Dich nicht, aber die Tür ist offen." Dass die Aufführung in dieser neuen Fassung bei den Musikfestspielen zu stehenden Ovationen führte, ist vor allem einer immens guten Sängerleistung - man möchte fast von einem Sängerfest sprechen - und der kongenialen Gesamtleitung von Kent Nagano zu verdanken, der ruhig und bestimmt die wahrlich nicht einfache Musik jederzeit in Bahnen lenkte, wo die Sänger und das fabelhaft agierende Ensemble Modern intensiven Ausdruck ermöglichen konnten.

So getragen konnten Claudia Boyle (Dede, Sopran), Benjamin Hulett (Francois, Tenor), Jonathan McGovern (Junior, Bariton) und Christopher Purves (Sam, Bariton) in den Hauptrollen vorzüglich glänzen und auch darstellerisch in der emotionalen Achterbahnfahrt innerhalb der Familienbande überzeugen. Hinzu gesellte sich ein Beerdigungs-Vokalensemble mit souveräner Dresdner Unterstützung durch Henriette Gödde (Alt) und Aaron Pegram (Tenor). Dass die Verstärkung der Solisten im forte Grenzen überschritt, hingegen die Instrumentalisten manches Mal im Gesamtklangbild fahl erschienen, ist ein weiterhin zu akzeptierendes Manko an diesem Ort, die Intensität der Begegnung mit diesem außergewöhnlichen Werk schmälerte es indes nicht.
(4.6.2015)

Lyrischer Grundklang

Beethoven und Mahler mit Myung-Whun Chung im Kapellkonzert

Der erste Gastdirigent der Sächsischen Staatskapelle, Myung-Whun Chung setzte am Sonntag im 10. Sinfoniekonzert seinen Mahler-Zyklus fort, der über mehrere Spielzeiten verteilt alle Sinfonien des Komponisten vorstellen wird. Gustav Mahlers 4. Sinfonie G-Dur stellte er die 2. Sinfonie D-Dur von Ludwig van Beethoven gegenüber. Beiden Sinfonien gemeinsam ist, dass sie je zu ihrer Zeit experimentelle Felder beschritten, was aus der heutigen Distanz und in der Gegenüberstellung beider Werke besonders deutlich wird. Schwieriger fällt in der Deutung der Umgang mit Konnotationen, die beiden Werken anhaften, aber nur zu einem gewissen Grad in Aufführungen bestätigt werden.

Sicher ist, dass beider Komponisten Denk- und Musikwelten zu komplex sind, als dass man diese angesichts eines Werkes mit einem rundum beschreibenden Adjektiv fassen könnte - Beethovens 2. Sinfonie ist eben nicht ausschließlich heiter und Mahlers Vierte scheint ein ums andere Mal ein merkwürdiger Tanz vor dem Abgrund zu sein. Der Konzertvormittag erhielt insgesamt einen leichten und lyrischen Gesamtklang und dies war der bekannt unprätentiösen Leitung von Myung-Whun Chung zu verdanken. Klare Tempi und unaufdringliche Gesten formten die Beethoven-Charaktere zwischen selbstbewusstem Vorwärtsdrang im 1. Satz und einer klassisch-selbstverständlichen Art in den folgenden Sätzen. Vielleicht gelangen da einige Passagen zu leicht, zu unbekümmert im natürlich kompetenten Beethoven-Klangbild der Kapelle, wirklich nachhaltig ins Ohr grub sich die Aufführung nicht.

Extreme Gangarten oder klangliche Hingucker sind bei Chung rar, dennoch wissen die Kapellisten, dass auch dessen in Hüfthöhe geballte Faust eine Reaktion erzeugen muss. Erfreuen durfte man sich in der Beethoven-Sinfonie vor allem am runden Bläserklang, bei den Ersten Violinen musste man sich hingegen über Inhomogenität und einen eher obertonarmen Klang wundern. Das verbesserte sich in der größer besetzten Mahler-Sinfonie etwas, kleine Unschärfen waren aber auch hier zu vernehmen. Chung interpretierte die Sinfonie ganz aus ihrem lyrischen Gestus heraus, neigt aber auch dazu, besondere Wegmarken zu übergehen - so hätte der Höhepunkt des ersten Satzes, aber auch Übergänge des 3. Satzes sicherlich mit mehr Emphase genommen werden können.

Stark wirkte diese Aufführung vor allem, wenn in der Partitur Ruhe einkehrte. Dass Chung viel Ausgestaltung den Spielern überließ, bedeutete aber an diesem Morgen in einigen Passagen eine nicht von der Hand zu weisende Harmlosigkeit, die in dieser Sinfonie bei aller Kammermusikalikät und sanftem Empfinden eben nicht entstehen sollte - die Musiker nahmen diese Freiheit, die sie vom Pult vermittelt bekamen, durchaus unterschiedlich, aber zumeist mit viel Vorsicht auf. Ausgenommen davon sind die zahlreichen Solopassagen in Oboe, Horn und Violine, die im jeweiligen Charakter sehr ausdrucksvoll gelangen. Die belgische Sopranistin Sophie Karthäuser, die schon vor einem Monat bei der Kapell-Uraufführung von Sofia Gubaidulina mitgewirkt hatte, sorgte für einen wunderbaren und tröstlichen Ausgang der Sinfonie. Ihre natürliche Stimmgebung sorgte dafür, dass der Lied-Charakter stets gewahrt blieb und die Kapelle hier ihre luftigsten Momente hatte - da konnte man am Ende fast bedauern, dass die „himmlischen Freuden“ nur in fünf Strophen entfaltet wurden.

Erstmal durchatmen

Haydn, Dutilleux und Beethoven mit dem Quatuor Ebène bei den Musikfestspielen

Haydn, Beethoven? Kennen wir, klar. Immer wieder schön. Doch weit gefehlt. Würde man diese und andere Komponisten auf das Bekannte, Bequeme, auf der Straße Pfeifbare redudzieren, so wird man nicht nur den Komponisten nicht gerecht, uns würde auch schnell langweilig. Der kleine Kritiker im Ohr der Zuhörer möchte aber doch "seinen" Haydn hören - der erinnert sich doch immer wieder, wie wohlgeformt er bereits geklungen hat. Und dann kommen da vier junge, smarte Männer mit Streichinstrumenten auf die Bühne und bringen den Nörgler im Ohr erstmal zum Schweigen.

Das französische Quatuor Ebène, das bei den Musikfestspielen im Konzertsaal der Musikhochschule auftrat, schaffte es mühelos, Altes neu wirken zu lassen und gleichzeitig mit fast kindlicher Naivität an die verschiedenen Streichquartettsätze heranzugehen wie auch mit klarem, unerschütterlichen Plan von Entwicklung und Klangfarbe die Kompositionen zu vergolden. Das ging gleich bei Joseph Haydn los - der wurde nicht gespielt, sondern gefeiert. Und zwar für seine geniale Kompositionskunst, den vier Stimmen des Quartetts nicht nur allerhand Material für Kurzweil an die Hand zu geben (wofür das "Kaiserquartett" ein herausragendes Beispiel ist), sondern eben auch eine freiheiliche Interpretation zu ermöglichen.

Im Sinne der deutsch-französischen Freundschaft kann durchaus erwogen werden, die aus dem 2. Satz hervorgegangene deutsche Nationalhymne im Radio vor dem Tageswechsel künftig von Ebène spielen zu lassen. Frappierend war in diesem Satz vor allem, wie einfachste Harmoniewechsel in kongenialer Verbindung der vier Spieler immer neue Farbnuancen bildeten. Keine noch so kleine Kadenz wurde ausgelassen, und vor allem das im Tempo ernstgenommene Presto-Finale bot dem Ensemble reichlich Möglichkeiten zur Kontrastbildung zwischen bewusst verkünsteltem "alla barocca" und nachdenklichem Innehalten.

Auf diesem hohen Niveau ging es weiter: der Komponist Henri Dutilleux (1916-83) wäre sicher entzückt von der traumhaft sicheren, impressionistisch zeichnenden Interpretation seines Quartetts "Ainsi la Nuit" gewesen. Vor allem das gekonnte Wechselspiel zwischen Höchstspannung/Drama und völliger Zurücknahme führte zu wundersamen Höreindrücken - diese Nacht war keine deutsche Eichenwaldnacht, sondern eine poetische Zwischenwelt - mit lauter Elfen und Fabelwesen und ab und an auch einigen Abgründen und Traummonstern.

Zum bejubelten Höhepunkt geriet nach der Pause die Aufführung des a-Moll-Quartetts Opus 132 von Ludwig van Beethoven. Mit den späten Quartetten des Meisters befassen sich Pierre Colombet, Gabriel Le Magadure (Violine), Adrien Boisseau (Viola) und Raphael Merlin (Cello) schon längere Zeit intensiv. Ein äußerst dichter, von viel legato und ineinanderfließenden Übergängen bestimmter Gesamtklang, der denkbar weit entfernt von den manchmal knochentrockenen Interpretationen deutscher Quartette der letzten Jahrzehnte war, beherrschte die Aufführung, und das war - hatte man sich einmal an die Wahl des Farbstiftes gewöhnt - erstaunlich schlüssig. Von dieser Basis aus gelang der 2. Satz fast romantisch zu Schubert herüberwinkend, und die Hymne an dritter Stelle war das erreichte Gipfelplateau, bei der eine so spannungsgeladene Ruhe zelebriert wurde, dass danach ein Ruck im Publikum spürbar war: erstmal durchatmen. Diese nur irre zu nennende Atmosphäre wurde bis zum Finale durchgehalten, danach nahmen sich die vier erleichtert in den Arm und - gut so - verabschiedeten sich ohne Zugabe. So klang das Beethoven-Quartett lange nach, und Ebène demonstrierte mit diesem Konzert eindrucksvoll, dass es mit seinen kreativen und intensiven Darbietungen eindeutig in die erste Liga der Streichquartettformationen gehört - Champions League, mindestens.

mehrLicht

Musik Kultur Dresden

Aktuelle Beiträge

Sie haben ihr Ziel erreicht.
Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, sie haben...
mehrLicht - 20. Jul, 12:04
Ein Sommer in New York...
Was für eine Überraschung, dieser Film. Der Uni-Professor...
mehrLicht - 19. Jul, 21:53
Sturmlauf zum Schlussakkord
Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche Auch...
mehrLicht - 14. Jul, 18:54
Wenn der "innere Dvořák"...
Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert Mit...
mehrLicht - 14. Jul, 18:53
Ohne Tiefgang
Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des...
mehrLicht - 14. Jul, 18:51
Sich in Tönen zu (ent-)äußern
Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader"...
mehrLicht - 14. Jul, 18:50
Chopins Cellowelten
Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta Für...
mehrLicht - 14. Jul, 18:48
Fest der Klangfarben
Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum Verklungen...
mehrLicht - 14. Jul, 18:46

Lesen!

Hören!

van anderen

Steve Jobs erklärt den Malern das digitale Grafikmachen
Steve Jobs teaching Andy Warhol, Keith Haring and...
Kreidler - 4. Mai, 05:38
Kronenscheu
The exact physiological basis of crown shyness is...
Kreidler - 3. Mai, 05:36
Kant Autograph
(via)
Kreidler - 2. Mai, 05:35
Beatboxen
The YouTuber named the Speed Bard performs musical...
Kreidler - 1. Mai, 05:46
Terminhinweis: Buchvorstellung “Medien in Sachsen”
Vor 13 Jahren hat die Sächsische Landeszentrale...
owy - 30. Apr, 13:27
Neues aus dem Deutschpop
Knepper wieder. https://www.udio.c om/songs/kujoRuYvrZRewbmd5 k8rdP https://www.udio.com /songs/fp3f73SjdcBhHb9XeAj xN3 https://www.udio.com/s ongs/i4tj7e4pMp4YZVeDGWDHZ M
Kreidler - 30. Apr, 05:43

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

stuff

PfalzStorch Bornheim Pinguin-Cam Antarktis
Conil de la Frontera
Kram Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Status

Online seit 6708 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


Dresden
hörendenkenschreiben
nuits sans nuit
Rezensionen
Weblog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren