Sonntag, 15. Februar 2015

Mit innerem Furor

Schostakowitsch und Tschaikowsky im Kapell-Sinfoniekonzert

Es kommt selten vor, dass Partituren der großen Komponisten wie ein offenes Buch vor uns liegen und wir alles entschlüsseln können, was die Musik uns sagen will. Das ist gut so, weil so die Werke über die Jahrhunderte und mit dem Können und der Persönlichkeit der Interpreten immer neu erscheinen und die Faszination der Musik, die eben nicht immer Antworten auf alle Fragen gibt, erhalten bleibt. Zwei Meisterwerke der russischen Sinfonik hatte die Staatskapelle Dresden für ihr 6. Sinfoniekonzert ausgewählt, die man zu kennen meint - die Stücke werden oft gespielt, die "Pathétique" von Peter Tschaikowsky, oft als sein Requiem bezeichnet, hat sogar Eingang in die Literatur gefunden.

Mit den ersten Takten, die der Solist Nikolaj Znaider im 1. Violinkonzert von Dmitri Schostakowitsch gestaltete, war jedoch klar, dass hier keineswegs ausgetretene Pfade betreten wurden. Dafür sorgte die unglaublich packende Präsenz des Geigers auf der Bühne, der den langsamen ersten Satz zu einer großen Klangrede formte, in der die Ausformulierung des Gesagten bis in die Punktierungen der Noten spürbar war. Mit einer solchen Vorrede war die Basis gelegt für ein Scherzo, das sich niemals in Fröhlichkeit erging, sondern durch Znaiders klare Ansage in Tempo und Phrasierung eher eine aschgraue Färbung erhielt - da lagen die Knochen der Musik blank, aber die Intensität des Spiels blieb durchweg hoch.

Znaider nahm diese in den 3. Satz mit, formte eine fast stählerne Kadenz und blieb auch im Finale überdeutlich, als seien Ausrufezeichen in die Partitur eingeschrieben. Die Konsequenz seiner Interpretation, die einen inneren Furor eben nicht durch rohe Übertreibung, sondern durch ein geerdetes Spiel erzeugte, wirkte sehr überzeugend. Nicht durchweg konnte Chefdirigent Christian Thielemann da mit der Staatskapelle exakt folgen - sehr gut gelang dies in der Übernahme der Klangfarben, manchmal weniger in rhythmischer Genauigkeit in schnellen, zwischen Solist und Orchester aufgeteilten Passagen.

Auch in der "Pathétique", der 6. Sinfonie h-Moll von Peter Tschaikowsky galt es, die Ohren von möglichem Rezeptionsballast zu befreien. Trotz einer insgesamt sehr guten Aufführung befriedigte die Interpretation vielleicht nicht diejenigen, die vor allem die emotionale Größe des Werkes zuvorderst hören wollten. Dafür waren die Tempi etwa im Höhepunkt des 1. Satzes und im Finale zu zügig. Vieles war sauber und korrekt gearbeitet, was ja zunächst erst einmal eine Qualität ist, aber bei einem solchen Stück lohnt eben der Grenzübertritt jenseits des Schönspielens, die Nuance des Extremen in kleinen Details der Agogik eben doch. Interessanterweise blieben die Mittelsätze am deutlichsten in der Erinnerung - Thielemann kostete das "Allegro con grazia" sehr delikat aus und verpasste dem Lebensmarsch des 3. Satzes gehörigen Zug, verließ aber dabei nicht den Kontext der Sinfonie. Insofern hatten auch die normalerweise tränenreichen Wellen des letzten Satzes in der hier energetischen, keineswegs ausschließlich Endgültigkeit verheißenden Deutung durchaus ihre Berechtigung.
(8.2.15)

Klassiker der Popmusik im orchestralen Gewand

Bormann, Götze und das Kreuzschulorchester unter Dietrich Zöllner im Benefizkonzert

In der heutigen Zeit gibt es viele schlaue Bücher, die Lehrern und Eltern musikbegeisterter Kinder mitteilen, wie die Sprößlinge am besten an die hehre Musik herangeführt werden sollen. Das zerteilt sich schnell in Spreu und Weizen, doch es gibt gottlob auch abseits der Lehrbücher Wege, die vielleicht steiniger sind, aber schon deshalb ehrlicher, weil die Musik und der kreative Prozess stets im Mittelpunkt bleiben.

Man nehme also einen enthusiasmierten Musiklehrer, der auch außerhalb der Schule Musik sein Leben nennt, dazu einen Bassisten und einen Gitarristen, die gemeinsam eines der phantasie- und stimmungsvollsten Duos der Stadt bilden, sowie 73 junge Schüler des Kreuzschulorchesters, die erwartungsgespannt mit ihrem Instrument der Dinge harren, die da auf sie zukommen. Der Schlüssel ist das gemeinsame Tun und Erarbeiten des Neuen - Überraschungen und Entdeckungen sind da inklusive. Vom Erfolg dieses einmaligen Projektes "10 Saiten und ein Orchester" konnte man sich am Sonntag in der Kreuzkirche überzeugen - die als Benefizkonzert für die Sanierung des Treppenhauses der Kirche durchgeführte Veranstaltung zog sehr viele Besucher an, die begeistert mitgingen.

Musiklehrer und Dirigent Dietrich Zöllner wird mächtig stolz auf seine Schüler gewesen sein, die bei weiten nicht nur einen Background für Gitarrist Stephan Bormann und Bassist Tom Götze bildeten, sondern gleichberechtigter Teil des Ganzen waren. Dafür sorgten Zöllners farbige Arrangements, die eben alle Instrumente des bunten Ensembles berücksichtigten ohne den besonderen Charakter der Songs zu verfremden. Ebenso wie das Duo sich eine eigene gefühlvolle Welt in den Songs erschuf, hatte Zöllner in den Bearbeitungen der Klassiker von Sting, Peter Gabriel oder Pink Floyd die Klangfarbenpalette ausgereizt - hier ein Violinsolo, dort ein sanfter Teppich der Flöten, die Vocals wurden gleich aus dem Orchester mitbesetzt. Dabei überwog im gesamten Konzert die Sorgfalt und der Respekt vor den Originalen. Lernen konnte man auf jeden Fall, dass guter Jazz und Pop keineswegs allein durch das hemmungslose Austoben im Bandkeller entsteht (was auch nötig ist) - es steckt viel disziplinierte Arbeit dahinter.

Das stimmungsvolle "Let it be" war ebenso ein Höhepunkt wie die mit allem Schlagwerk einzureißenden Mauern in "The Wall" von Pink Floyd. Wenn Götze und Bormann alleine spielten, verließ das Orchester nicht etwa den Altarraum, sondern lauschte gespannt und ließ sich inspirieren - ebenso wie die Zuhörer, die ihre Volksliedkenntnisse beim wunderschön ausgearbeiteten "Vöglein" auffrischen konnten. Großer Jubel für alle Beteiligten stand am Ende des Konzertes, das für die Schüler sicher einen einmaligen Höhepunkt der Vorbereitung über ein halbes Jahr bedeutete - der Beifall der Zuhörer rief indes eindringlich zur Wiederholung oder gar Fortsetzung auf. Wie auch immer die nächsten Projekte sich anhören werden, an Kreativität herrscht beim Kreuzschulorchester kein Mangel.

CD-Tipp: Stephan Bormann / Tom Götze: Pearls (2013)
(3.2.15)

Überbordende Phantasie

Hans Rotts 1. Sinfonie E-Dur im Philharmoniekonzert

Es macht Sinn, in die Komponierstuben im Jahr 1878 zu schauen, um zu begreifen, was sich am Sonnabend im Schauspielhaus auf der Bühne abspielte: der 65jährige Richard Wagner saß in Bayreuth an der Ausarbeitung der Parsifal-Partitur, in Wien genoß Brahms den Erfolg der Uraufführung seiner 2. Sinfonie, während Bruckner nach dem Durchfallen seiner Dritten bereits mit dem fertiggestellten Nachfolger, der "Romantischen" Sinfonie, haderte. In Bruckners Theorieklasse examinierte gerade der junge Gustav Mahler, der seinem "Klagenden Lied" nicht nur ein bombastisches Instrumentarium verpasste, sondern auch gleich die Gedichte selbst verfasste. Strauss schrieb als gerade 14jähriger erste Kompositionen für die familiäre Hausmusik, Reger war 5 Jahre alt.

Ebenfalls bei Bruckner studierte der junge Hans Rott und legte eben in diesem Jahr den 1. Satz seiner Sinfonie E-Dur zu einem Kompositionswettbewerb vor, es war trotz Fürsprache von Bruckner ein erfolgloses Vorhaben und dem Komponisten widerfuhren weitere Niederlagen, die in psychische Krisen und schließlich einen frühen Tod mündeten. Erst 1989 wurde die Sinfonie uraufgeführt - der Frankfurter Opernchef Sebastian Weigle hat sie in den letzten zehn Jahren oft dirigiert. Im Dresdner Schauspielhaus gelang eine beeindruckende Aufführung. Trotz der akustischen Unzulänglichkeiten breiteten die Philharmoniker ein ganzes Füllhorn an musikalischen Details und Nuancen aus.

In allen Sätzen sind die Bläser stark beteiligt am thematischen Geschehen; hier galt es, mit differenziertem Spiel nicht nur die Übergänge auszuformen, sondern einen großen Bogen herzustellen, was bei Rotts überbordender Phantasie nicht gerade leicht ist. Doch Weigle gelang mit dem Orchester sogar ein bis in kleinste motivische Fäden verstehendes Spiel; hervorragende Soli von Trompete, Horn und Oboe gesellten sich hinzu, so dass man an diesem riesigen spätromantischen Farbtopf großen Spaß hatte und die harmonischen und klangfarblichen Sensationen - an denen sich auch Gustav Mahler später weidete - genau wahrnehmen konnte. Dass die nahezu von Linz nach Wien breit ausgelegten Orgelpunkte dann im 4. Satz doch etwas die Faktur zur Erschöpfung brachten, war in der bis zum letzten Aushauchen stimmigen Interpretation kaum spürbar - hier gaben alle Musiker ihr Bestes, weil man wohl auch gar nicht anders kann angesichts des Raffinements der Erfindung.

Vorangegangen war ein Klassiker des romantischen Klavierkonzertes - Edvard Griegs einziges Konzert gibt sich unbekümmert von großem Pathos weitgehend lyrisch. Der junge ukrainische, in New York lebende Pianist Dmitri Levkovich zehrt zwar von ersten Wettbewerbserfolgen, doch dieses Debut mit dem Dresdner Orchester ging gründlich schief: bereits der erste Akkord war nicht mit den Philharmonikern zusammen, in der Folge zeigte Levkovich viel zu viele falsche Töne und verwaschen gespielte Phrasenenden, die er ungünstig mit dem Pedal verschleierte.

Seine kaum verständlichen Rubati blieben ohne Konzept und es reihten sich nurmehr einzelne Momente aneinander. Sebastian Weigle folgte tapfer mit dem Orchester dem sich zuweilen in geschwind-virtuosen, aber kaum präzisen Gewaltausbrüchen ergehenden Solisten, der auch den Beginn des 3. Satzes kaum bewältigte und am Ende im Tutti nicht einmal auf den Schlag mit dem Orchester zusammenfand. Die in der Folge erster Wettbewerbserfolge versprochenen und eingelösten Orchesterdebuts sollten generell einmal hinterfragt werden, wenn die pianistische Reife schlicht noch Zeit und Fleiß benötigt.
(2.2.15)

Traum XCVI

Meine Augenärztin - ich weiß nur vage, dass sie einen Doppelnamen hat, habe aber gar keine Augenärztin - stirbt, bevor ich zur Behandlung bei ihr drankomme. Zuvor habe ich in einer Warteschlange vor dem Behandlungszimmer mitgebrachte Einkäufe auspacken müssen.

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