Rezensionen
Landesjugendorchester Sachsen im Konzert mit Werken von Paul Aron, Iris ter Schiphorst und Robert Schumann
Zweimal im Jahr lädt das Landesjugendorchester Sachsen in Dresden zum Konzert ein und stellt die zuvor in einer Projektphase erarbeiteten Werke vor. Doch was sich dann im zweistündigen Konzertabend manifestiert, geht weit über das bloße Präsentieren eines Ergebnisstandes hinaus. Der künstlerische Leiter Milko Kersten prägt seit fünfzehn Jahren das Ensemble und zeichnet verantwortlich für Projekte mit alter und neuer Musik - das Sprengen der Grenzen zwischen den Künsten und Stilen ist ihm nicht nur vertraut, die Offenheit und der Bezugsreichtum zeigt sich auch immer wieder im Enthusiasmus der Jugendlichen - die Projektwochen vor den Abschlusskonzerten geraten intensiv.
Auch das Konzert am Sonnabend war eines, das an keiner Stelle das bloße Musizieren und Repertoireaneignen zum Ziel hatte. Die Musik wies direkt in unsere Gegenwart hinein und die Konfrontation mit aktuellen Themen, die uns in Dresden und in Europa derzeit bewegen, war unumgänglich und beabsichtigt. Sie geschah auf eine künstlerische Weise, die das Experiment in den Vordergrund stellte und damit auch nicht von vornherein bestimmte Antworten zu geben bereit war. Im Mittelpunkt stand bei "In Memoriam" ein poetisches Gedenken an die Pogromnacht 1938, die sich am 9. November jährt. Mit diesem Motto gestaltete das Landesjugendorchester Sachsen einen offenen, interdisziplinären Raum zwischen Musik, Theater und Poesie.
Beispielhaft für die Schicksale der NS-Zeit stand in diesem Konzert die Erinnerung an den 1886 in Dresden geborenen Musiker und Komponisten Paul Aron, der zwischen den Weltkriegen über 200 Werke zeitgenössischer Komponisten in seiner eigenen Konzertreihe aufführte und maßgeblich zum Musikleben der Stadt beitrug, eher er bereits 1933 ins Exil in die Tschechoslowakei und später in die USA gehen musste. Man muss dem Landesjugendorchester höchst dankbar sein, dass es gleich zwei Werke des Komponisten wieder zu Gehör brachte - die "Four Ostinatos" (in der Orchestrierung von Milko Kersten) erwiesen sich in der stilistischen Farbigkeit der dreißiger Jahre ebenso als Entdeckung wie die drei Lieder auf Texte von William Butler Yeats, die die Sopranistin Salome Kammer mit warmem Timbre in ihrem poetischen, oft kammermusikalisch anmutenden Raum beließ. Poesie oder der Versuch, sich mit Worten dem oft Unaussprechlichen zu nähern (was eben auch die Musik zu leisten vermag, darin besteht ihre faszinierende Nähe), bildete einen roten Faden des Konzertes.
Von der in diesem Jahr mit dem Ingeborg-Bachmannpreis ausgezeichnete Lyrikerin Nora Gomringer sprach die Schauspielerin Karina Plachetka (Staatsschauspiel Dresden) Texte, die der Musik eine weitere Ebene hinzufügte, Nachdenken und Nachsinnen ermöglichte, ohne bloß das Erklungene verbal zu bebildern. Hinzu kam eine Uraufführung der Komponistin Iris ter Schiphorst mit dem Titel "An den Stränden der Ruhe..., wo die Sonne untergeht". Auch dies war Wort-Klang-Collage, die sich hier explizit auf die politische Gegenwart der Flüchtenden im Mittelmeerraum bezog - die nun mit Masken spielenden Orchestermusiker spiegelten Schicksale der Unbekannten, wie überhaupt hier mit von den Jugendlichen hervorragend umgesetzten, bedrohlichen Klängen und theatralischen Aktionen bald eine Atmosphäre entstand, die vom Kunstmachen bald in die Dramatik einer Dokumentation des Tatsächlichen kippte. Das war als Konzerterlebnis gleichzeitig eine einzigartige, vielleicht widersprüchliche, aber vor allem aufwühlende Erfahrung. Wenn ein Wunsch offenblieb, dann der, dass man die Texte Gomringers oder die in ter Schiphorsts Werk skandierten, akustisch nicht verständlichen Worte gerne noch einmal nachgelesen hätte, was das Programmheft nicht anbot.
Dass im zweiten Teil des Konzertes Robert Schumanns 1. Sinfonie B-Dur, die "Frühlingssinfonie", nun mit deutlich helleren Texten von Gomringer verknüpft, erklang, war nach diesem aufrüttelnden ersten Konzertteil ein schroffer Kontrast. Hier war noch einmal hohe Konzentration gefragt, denn auch dieses scheinbar bekannte Werk will erst einmal zusammengesetzt sein. Doch weniger als die letzte Präzision gelang ausgerechnet mit diesem von den jungen Musikern mit viel Kraft und Lebendigkeit angefüllten Stück der Blick nach vorn, der bei allem Erinnern unabdingbar ist. Und dieser Blick darf auch ruhig einmal das Wagnis, die Vorwitzigkeit, das kleine Scheitern und den maximalen, überraschenden Erfolg beinhalten - sonst wäre die Kunst kalt und tot.
(18.10.2015)
Opera Spaziale "Copernicus" von Oliver Korte in Hellerau uraufgeführt
Der Astronom Nikolaus Kopernikus tat vielleicht gut daran, erst kurz vor seinem Tod 1543 seine Schrift "Über die Umläufe der Himmelskreise" zu veröffentlichen, nicht nur, weil einige Gedanken zu der Zeit noch hypothetischer Natur sein mussten, sondern weil ihm möglicherweise die Erschütterung des bis dahin vorherrschenden geozentrischen Weltbildes bewusst war. Galileo, Kepler und Newton setzten die naturwissenschaftlichen Annahmen fort, mittlerweile untersuchen wir schwarze Löcher und Unendlichkeiten.
Und immer noch enthält uns das Universum viele Antworten vor. Der Ansatz der neuen Oper von Oliver Korte, die am Sonnabend von den Landesbühnen Sachsen in Kooperation mit dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau im Festspielhaus Hellerau uraufgeführt wurde, liegt aber vor allem in der Gemengelage der Wissenschaften in der Renaissance, in der sich Geistes- und Naturwissenschaften durchdrangen und von verschiedenen Anknüpfungspunkten aus eine Neuzeit proklamiert wurde, deren Dynamik bis heute nichts von ihrer Faszination verloren hat.
Weniger als retrograde Renaissance-Oper gemeint konzentrierte sich Oliver Korte auf himmlische Sphären und den Statements großer Denker dazu: seine "Opera Spaziale" nimmt den Raum wörtlich: als Himmelsraum, als Gedankenraum, als musikalischen Raum. In der zweistündigen, fünfaktigen Darstellung beeindruckte die konsequente Umsetzung dieses Ansatzes. Das Orchester nimmt elliptisch um das Publikum angeordnet planetäre Aufgaben war, die Bläser werden gar zu Wandelsternen und tönen mal von Nordost, mal von Südwest. Eine Handlung findet nicht statt, vielmehr stellt Korte Kopernikus' Thesen im ersten Akt in den - wörtlichen - Raum und konfrontiert sie mit den Folgen.
Eine wesentliche Problematik des Stückes entsteht daraus, dass Korte in fast allen Akten das Publikum mit einer wenig reflektierten und auch kaum bearbeiteten Textmasse konfrontiert, die zwar einen netten Renaissance-Bilderbogen mit Einschüben von Shakespeare über Einstein bis zu Thomas Bernhardt anbietet, aber den Zuhörer ansonsten hoffnungslos alleine läßt. Man vergräbt sich gleichsam einen Abend lang in einer riesigen Bibliothek weiser Worte aus allen Zeiten, die Korte dann auch noch dupliziert: Was der Sänger lateinisch singt, wird deutsch nachgesprochen. Ein tieferer Sinn dieser Untertitelung ergibt sich nicht. Szenisch werden die von Korte sorgsam angebotenen kompositorischen Formen auch nicht gerettet.
Jan Michael Horstmann dirigiert sonnengleich vom Zentrum aus die hervorragend musizierenden Elblandphilharmonie-Himmelskörper und hat auch die Regie übernommen. Doch die beiden Gesangssolisten (Stephanie Krone und Kazuhisa Kurumada mit überzeugend dargebotenen, umfassenden Hauptpartien) muss mit Sprechern (Sarah Bauer, Utz Pannike, Manuel Schöbel) und Chorquartett ein ums andere Mal in der Mitte der Bühne um Laute, Harfe und Dirigent auf einem engen Podest herumschleichen, um Pest, Inquisition, Liebesduett und Madrigal zu deklamieren. Handlung, Geste und Bedeutung wurde dem Stück immer wieder aufgepfropft, wo man sich doch als Zuhörer eigentlich irgendwo in den Textblättern so schön seltsam verloren findet und eine traumwandlerische, zutiefst künstlerische Abstraktion dieser vielen Überlegungen und Prophezeiungen viel mehr dran wäre als ein bemühtes Theaterspiel.
An den Wänden laufen dazu Videos, besser: es ist eine Art uninspiriertes VJing, was erst im 5. Akt mit dem Sphärenhimmel der Villa Stuck eine gewisse phantastische Ebene erreicht - davon, und vor allem von Gefühl, Visionen und einer Botschaft kam zu wenig an. Trotz der wandelnden Bläser herrschte durchweg eine Arbeitsatmosphäre, und wenn im Text von Blut die Rede war, kam der rote Scheinwerfer zum Einsatz. Die visuellen Möglichkeiten blieben in Hellerau seltsam ungenutzt, und es entstand der Eindruck, dass der wohl immense musikalische Aufwand der Vorbereitung bei anderen Ebenen zu zu einfach gedachten Lösungen führte. Wegträumen durfte man sich hingegen bei Kortes teilweise kongenial komponierter Musik, etwa dem Madrigal (Antje Kahn, Patrizia Häusermann, Peter Diebschlag und Bojan Heyn) zur Inquisition des Giordano Bruno am Ende des vierten Aktes. Manches ist in Kortes Musik polystilistisch, erinnert an Messiaen oder Schostakowitsch, bekommt aber eine starke eigene Handschrift, weil Korte sich in den durch das Thema vorgegebenen Formen diszipliniert und dadurch spannende Raum-Musiken erfindet, die die Musiker höchst aufmerksam im ganzen Saal verteilt umsetzen.
Wenn Korte die Musik am Ende in pulsarisches Pochen auflöst (und selbst die akustischen Signale der Mondlandung erscheinen im Kontext historistisch), verschwinden all die in Jahrhunderten mit großen Gedanken erstellten schweren Bücher, Pamphlete und Thesen im All. Eine plausible, schöne Vorstellung, die uns aber das weitere Nachdenken nicht nehmen sollte. Allein das 21. Jahrhundert, die Gegenwart, blieb in dieser vornehmlich akademisch wirkenden Himmels- und Erdenschau seltsam unberücksichtigt - vielleicht sind die Kopernikusse unserer Zeit rar geworden?
Weitere Termine: 9., 10.10., 5. und 6.3. ->
Hellerau
Gustav Mahlers 6. Sinfonie a-Moll im 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle
Sicher, dieser Sonntagvormittag im September besaß - zumindest vor dem Konzertbeginn um elf Uhr - einen anderen, lichteren Grundklang und man benötigte eine gewisse Offenheit, um im Konzert einem Werk wie der 6. Sinfonie von Gustav Mahler zu begegnen, die einem schonungslos in vier Sätzen in Musik gegossene Abgründe menschlichen Daseins präsentiert - auch 109 Jahre nach der Uraufführung ist die Modernität und Emotionalität dieses Werkes schon nach wenigen Takten evident. Dennoch erklärt dies nicht die etwas gelichteten Reihen beim 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden, über die man sich nur wundern muss.
Der Erste Gastdirigent des Orchesters, der koreanische Dirigent Myung-Whun Chung, setzte mit der Sechsten seinen über mehrere Jahre angelegten Mahler-Zyklus fort und schuf auswendig dirigierend eine nachhaltig bewegende Interpretation. Nach der 4. Sinfonie in der letzten Saison hätte man vermuten können, auch dieses Werk bekäme von Chung einen weltlich-gnädigen Tupfer, doch hier regieren andere Mächte: der zwingende und energische Beginn Chungs mit dem Marsch-Thema des 1. Satzes legte die Gangart für die gesamte Sinfonie fest. Flexibilitäten im Tempo erlaubte sich Chung nur auf der Basis des einen großen Zusammenhang stiftenden, stets leicht nach vorne drängenden Grundtempos. Die wenigen piano-Stellen des 1. Satzes mit ihrer Kuhglocken-Fernwelt erreichten so einen hohlen, von bizarrer Einsamkeit geprägten Ausdruck.
Gerade die klangfarbliche Ebene spielt in der 6. Sinfonie eine besondere Rolle, und Chung schaffte es hier und in dem an zweiter Stelle platzierten Scherzo, mit den spielerischen Qualitäten der Kapellmusiker vor allem die scharf geschnittenen Übergänge zwischen gegensätzlichen Stimmungswelten wie Marsch und Ländler überzeugend zu zeichnen - die beiden ersten Sätze wirkten so wie aus einem Guss und gleichermaßen kraftvoll wie unglücksahnend. Eine Sonderstellung nimmt im Werk und auch in Chungs Interpretation der 3. Satz ein. Sorgsam wurden in diesem Andante Moderato die Streicher geführt; warme und dunkle Farben überwogen in diesem nicht beruhigenden, sondern eher gedanklich wegschweifendem Satz, den Chung in den Höhepunkten im letzten Drittel zu einem in einem einzigen Bogen schwingenden ernsten Gesang ausformte. Die hier zu bewundernde Homogenität des gesamten Ensembles wurde zu einem Höhepunkt der Aufführung und von Chung auch bewusst geformt als kantable, dennoch mit schmerzlichem Ausdruck versehene Insel innerhalb der sinfonischen Höllenfahrt.
Letztere wurde mit dem Finale fortgesetzt, das eine Geröllwüste aus musikalischen Fetzen aller Sätze darbietet. In der Rezeption ist dieser Satz wie die ganze Sinfonie bis heute mit teils wunderlichen Geschichten aus Mahlers Psyche, philosophischen Exkursen und Deutungen umgeben, um am Ende doch bei der Musik selbst und der schlichten Frage, was ihn da bloß geritten hat, zu landen - das Ende aller Deutungsversuche scheint erreicht, die Musik ist ohnehin wichtiger, sie bohrt sich ins Ohr. Neben der Satzreihenfolge, die Mahler selbst länger beschäftigte, wird auch die Diskussion über die Anzahl der Hammerschläge im letzten Satz mit jeder neuen Aufführung fortgesetzt. Chung entschied sich für die Version mit dem dritten, "vernichtenden" Schlag in der Coda - andere Dirigenten bevorzugen zwei Hammerschläge, aus Urschriften werden gar fünf herauszitiert. Doch weniger als Chiffren und Rätsel zeigte Chung den Zuhörern schlicht das sinfonische Meisterwerk, das offen vor uns liegt und in kompromissloser Konsequenz sowie mit blitzartiger Aufmerksamkeit von den Kapellmusikern umgesetzt wurde. Gewohnt bescheiden und freundlich seinen Musikern dankend, nahm Chung nach diesem viele Dimensionen sprengenden Werk einen sehr verdienten, großen Applaus entgegen.
Kurtág, Ligeti und Haydn im 1. Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle
György Kurtág ist der neue Capell-Compositeur der gerade begonnenen Saison der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Der 1926 geborene ungarische Komponist gilt als eine der großen Stimmen des 20. Jahrhunderts, und doch ist er vergleichsweise selten in Konzerten zu hören. Trotz eines umfangreichen OEuvres stellt es auch eine Schwierigkeit dar, diese besondere Musik anderer gegenüberzustellen, einen passenden Rahmen zur Entfaltung zu wählen, wo doch - das wurde auch im 1. Aufführungsabend der Staatskapelle am Mittwoch deutlich - die Stücke sich üblichen Kategorien entziehen. Kurtágs Werke sind beziehungsreich, manchmal gar verrätselt miteinander verbunden, sie verbleiben oft im Fragmentarischen, Aphoristischen und stellen einen flüchtigen Gedanken, einen Moment in den Vordergrund.
Selbst dieser ist oft mehrschichtig, schattiert oder von derart pastellener Farbe, dass sich das Ohr in einem Zwischenraum des Hörens und Verstehens bewegt. Das vierminütige Stück "Merran's Dream" aus den "Neuen Botschaften" für Orchester ist so ein Werk, das wie ein verwirbeltes Notenblatt kurz eine - allerdings enorme - Aufmerksamkeit benötigt, aber dann schon wieder verweht wird. Ungünstig wirkte sich aus, dass das danach folgende Stück eine ganz andere Besetzung hatte, somit die Umbaupause gleichsam zeitlich ähnlichen Umfang wie das Werk selbst besaß und jegliche Art von Atmosphäre, die schon der leider obligate Schmuckvorhang der Oper für dieses Konzert nicht ausstrahlt, zunichte machte. Ein Konzentrationsraum für diese Spuren von Vergänglichkeit wäre schön gewesen, ebenso eine ganze Konzerthälfte Kurtág, um zunächst mit der Musik und dem Komponisten vertraut zu machen.
Mit den "Brefs Messages" erklangen im neunköpfigen gemischten Ensemble dann vier ebenso kurze Sätze, die etwas mehr strukturelle Entwicklung, gar Abwechslung aufwiesen - mehr als ein kurzer Lichtstrahl auf den kurtágschen Kosmos gelang hier aber nicht; freundlichen Applaus für die Kapellisten, kompetent und klar angeleitet vom neuen Musikdirektor des Orchestre Philharmonique de Luxembourg, Gustavo Gimenez, gab es trotzdem.
Dieser steigerte sich beim folgenden Konzertwerk, dem "Hamburgischen Konzert" für Horn und Kammerorchester von György Ligeti, deutlich, und das war einer hervorragenden Leistung des Ensembles, dem in allen Registern und Spielarten äußerst versiert agierenden Solisten Jochen Ubbelohde (Horn) und den vier unterschiedlich gestimmten Naturhörnern im Orchester zu verdanken - daraus erwuchs beinahe ein Hornquintettkonzert. Deutlicher spürbar als bei Kurtág setzt Ligeti hier in seinem im Jahr 1999 geschriebenen Werk auf traditionelle Kompositionsformen, die in komprimierter Setzweise zumeist heftig ins Extrem getrieben werden. Mit einer klassischen Sinfonie im zweiten Teil des Konzertes deutete sich Kontrast an, doch die 94. Sinfonie "Mit dem Paukenschlag" von Joseph Haydn war in diesem Zusammenhang klug gewählt, stellen die einzelnen Satzformen bei Haydn doch wahre Kleinode dar, die ebenso punktgenau gespielt werden müssen, um die optimale Wirkung zu erzielen.
Das gelang Gimeno vortrefflich, nach dem borstigen ersten Satz besaß der berühmte Paukenschlag-Satz ein gutes Maß an eleganter Naivität, und Menuett und Finale wirbelten eher im Presto denn Allegro vorbei, was aber die Spielfreude und Wirkung erhöhte. Gimeno brauchte hier wenig tun, denn die Kapellmusiker übernahmen dankbar seine Anleitung und badeten sich im Esprit dieser meisterlichen Sinfonie.
Elgar und Schostakowitsch zur Saisoneröffnung der Dresdner Philharmonie
Eine in in Töne gesetzte, nachdenkliche Rückschau auf eine vergangene Ära, auch auf Krieg und Unterdrückung, verband die beiden Werke des Saisoneröffnungskonzertes der Dresdner Philharmonie im Albertinum am vergangenen Wochenende. Trotzdem liegen Welten zwischen dem 1919 entstandenen Cellokonzert von Edward Elgar und der 10. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch, im Todesjahr Stalins 1953 entstanden. Beide Werke - hier das unbestritten auch durch Interpretinnen wie Jacqueline du Pré bekannteste Cellokonzert des frühen 20. Jahrhunderts, dort die mit den Initialen D-Es-C-H offen und gleichzeitig verstörend daliegende Bekenntnismusik - konnten vor allem durch eine jeweils herausragende Interpretation nebeneinander bestehen.
Die argentinische Cellistin Sol Gabetta, Artist-in-Residence dieser Saison bei der Dresdner Philharmonie, ließ vom ersten Ton an keinen Zweifel daran, dass dieses Konzert eine schmerzlich-nostalgische Komponente birgt, die Gabetta mit vollem Klang der kantablen Linien hervorbrachte: dunkelgrau und warm in der Tiefe, und deutlich formulierend, aber niemals grell in der Höhe. Zwei Ausnahmequalitäten in Gabettas Spiel erzeugten eine große Spannung über alle vier Elgar-Sätze: da ist zum einen ihre imponierende Palette klangfarblicher Register, die sie in den accompagnati im Dialog mit dem Orchester hervorzauberte, zum anderen ein unaufgeregter Atem, mit dem sie die richtige Zeit für einen großen Melodiebogen findet. Fast fremdartig, wenngleich von Gabetta völlig mühelos bewältigt, wirken bei diesem emotionalen Höhenflug hingegen die virtuos-trubeligen Passagen im zweiten und vierten Satz, doch hier ist maximal Elgar selbst zu kritisieren, dessen sorglose Ornamentik einige Male für Verwirrung im Stück sorgt.
Die reife, klangsatte Interpretation von Sol Gabetta wurde vom Orchester unter Leitung von Chefdirigent Michael Sanderling sehr kontrolliert begleitet, die Priorität von Aufmerksamkeit und Präzision war fast ein wenig zu viel spürbar, doch so konnte die Solistin sich vertrauensvoll und frei entfalten. Mit Pablo Casals "El cant des ocells" (Der Gesang der Vögel) beantwortete sie den großen Applaus und versicherte sich einer stimmungsvollen Begleitung durch die Cellogruppe der Philharmonie.
Dmitri Schostakowitschs Sinfonien spielen in den Programmen Sanderlings eine große Rolle - nicht nur wegen einer starken persönlichen Affinität. Man spürte auch an diesem Abend deutlich, wie die wiederholte Annäherung an diese Partituren die Philharmoniker zusammenschweißte, wie Verständnis und Klangartikulation eine nur mehr staunenswerte Kompetenz bildeten. Sanderling beließ es nicht bei Details (und selbst die sind aufregend, wie etwa die hier klasse gestalteten Soli der Fagottgruppe), sondern erfasste die ganze zehnte Sinfonie in ihrer spezifischen Art. Dazu gehört eine Atmosphäre des "zu schön, um wahr zu sein", die er mit ahnungsvoller Natürlichkeit im ersten Satz ausbreitete. Der zweite Satz jagte ohne jeglichen Gedanken an ein Zurück vorbei, dieser Aufschrei - auch das gelang überzeugend - kann nicht in stechender Präzision daherkommen.
Flüssig und mit deutlicher Zeichnung einer pastosen Zwischenwelt nahm Sanderling den dritten Satz, das Finale hingegen hat eine zwingende Kraft, wobei die stärksten Momente aber nicht im Schluss lagen, sondern in dem musikalische Fragezeichen aufstellenden Übergang zwischen Andante und Allegro. Dass ein solches Werk Spuren hinterläßt, wurde deutlich, als Sanderling sich beim donnernden Schlussapplaus zum Publikum umdrehte: ein leichtes Entsetzen war noch in seinem Gesicht geschrieben - Zeichen für eine bedingungslose Hingabe an dieses Werk, Schichten hervorholend, die keineswegs zum Zurücklehnen einladen, sondern Teilnahme und Nachvollzug erfordern. Dieser Anspruch macht sehr gespannt auf die reichhaltige neue Konzertsaison.
Zeitgenössisches mit dem elole-Trio im Coselpalais
Nicht jeder von uns hat immer die Gelegenheit, diejenigen Musikfestivals in Europa zu besuchen, bei denen zeitgenössische Musik im Vordergrund steht. Im Medienzeitalter haben wir die Möglichkeit, die neuen Werke per Übertragung oder Stream mitzuerleben, doch eine Live-Aufführung ist ein anderes Erlebnis. Insofern kann man dem Dresdner elole-Klaviertrio dankbar sein, dass es nicht nur zum wiederholten Male bei den Tagen für Neue Musik in Ostrava aufgetreten ist, sondern die dort vorgestellten und zum Teil erstaufgeführten Werke nun auch in Dresden im Konzert gespielt hat. Das Konzert im Pianosalon im Coselpalais am Donnerstag war zwar nicht übermäßig gut besucht, dafür aber schätzten die Besucher die vom Trio ausgehende konzentrierte Spannung, die das ganze Konzert durchzog.
Vier Kompositionen aus Tschechien, Italien und Japan hatte elole ausgewählt, die - das konnte man am Ende nach dem Hörerlebnis aller Stücke feststellen - als gemeinsames Element das konsequente Durchführen einer Idee im Stück aufwiesen. Dennoch konnten die Kompositionen unterschiedlicher nicht sein: Petr Bakla, ein 1980 in Prag geborener Komponist, verbindet und verstrickt in seiner Musik Elemente, die zunächst nackt und unentwickelt erscheinen. Das Schlimme an der Musik ist das Tolle an der Musik: sie erreicht nie den Punkt, wo es von der scheinbaren Beliebigkeit in das "so und nicht anders" wechselt. Bei dieser Gratwanderung befindet man sich im Hören in einem spannenden Grenzbereich, wobei die Abstraktion eine große Rolle spielt. Dass der Werktitel "Dog Variations" auf die Kompositionsmethode des Erschnüffelns von Strukturen hinweist, erscheint dabei nur sympathisch. Schwer zugänglich war dann Makiko Nishikazes "trio - stella": die Komponistin erkundet in piano-Räumlichkeiten immer neu entstehende Klänge, ohne dass ein Ziel erkennbar ist. Zeit verstreicht, Aufmerksamkeit schwindet und die überwiegend vibratolos gestrichenen Töne wirken seltsam kernlos, nahezu musikalisch unterernährt. Es ist fraglich, ob diesem etwas saftlosen Stück eine Interpretation noch mehr Leben einhauchen könnte, als sich elole darum schon merklich bemühte.
Ganz anders gab sich Salvatore Sciarrinos Trio aus dem Jahr 1975: ein hochvirtuosen Wimmelbild, in dem Töne wie Schlingpflanzen wucherten und ein sinnliches, vom Rhythmus getriebenes Klangbild entstand. Hier begeisterte das elole-Trio schon mit Sinn für eine überaus plastische Wiedergabe, und dies setzte sich mit Theatralik im letzten Werk des Abends fort: dass zeitgenössische Musik mit feinem Humor und einem unkonventionellen Zugang ebenfalls Spaß machen kann, zeigte Petr Ciglers "Jagdtrio", das kürzlich in Ostrava uraufgeführt wurde. Erfrischend anders ist schon der grundsätzliche Zugang zur Musik des Komponisten, der als weitere Berufe übrigens Hornist, Chemiker und Molekül-Designer angibt - Neugier und Wissenschaft verbinden sich hier auf überraschende Weise. Die wilden Klaviertrio-Szenen mit Lockpfeifen waren dann auch weit von einer puren Albernheit entfernt, denn die durchaus ernste Interpretation von elole wies auf das Ritual hin, auf Abmachungen und festgelegte Abläufe, denen man nur mit Enten- oder Bauernschläue entkommen kann - eine Art moderne "Pet(e)r und der Wolf"-Szenerie entstand, die, das sei dem Trio als Idee einer Besucherin gerne mitgegeben, auch in einem Kinderkonzert begeisterte Ohren fände.
Konzerte in Schloss Proschwitz und in der Moritzburger Kirche
Mit insgesamt vier Konzerten startete das Moritzburg Festival seinen Schlussspurt, das hohe Niveau der internationalen Interpreten sorgte noch einmal für großen Publikumsandrang. So auch bei der Beethoven-Nacht auf Schloss Proschwitz bei Meißen - das Weingut des Prinz zur Lippe war schon zum dritten Mal Austragungsort feiner Kammermusik - und nicht nur das: basierend auf zeitgenössischen Quellen wurde auch das Menü der Beethoven-Zeit angepasst; es ist davon auszugehen, dass die Proschwitzer Haushälterinnen jedoch einen besseren Stand genießen durften als diejenigen Beethovens, der panische Angst besaß, vom dargereichten Essen vergiftet zu werden.
Musikalisch war die Programmfolge mit einer großen Steigerung aufgebaut: das "Duett mit zwei obligaten Augengläsern" entstammt Skizzenbüchern Beethovens und wurde erst im späten 19. Jahrhundert veröffentlicht. Adrien La Marca (Viola) und Anssi Karttunen (Cello) widmeten sich diesem nicht sehr aufregenden Werk mit schöner Klanggebung, ersterer sogar ohne Brille. Dass Duette, die als Gelegenheitsarbeit oder Schenkung entstanden sind, auch ernsten, gar existenziellen Charakter erhalten können, wurde bei Bohuslav Martinůs Duo für Violine und Cello D-Dur H371 deutlich: was sich da im Adagio an schwermütigen, am Ende stufenweise nach unten führenden Linien entspinnt, ist die Stimme eines Komponisten, der im Wissen um seine todbringende Krankheit nicht zwanglos freundliche Musik schreiben kann - das wurde von Kai Vogler und Anssi Karttunen eindringlich ausgeführt.
Gewichtig gab sich das letzte Werk des Konzertes: Beethovens "Erzherzog-Trio" B-Dur war bei Kai Vogler, Johannes Moser und Lise de la Salle in besten Händen. Schön war hier zu bemerken, wie die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Interpreten die verschiedenen Charaktere des Werkes von großer Zergrübelung bis hin zu feinem Humor so formten, dass bei aller Kontrastgebung große Einigkeit in Phrasierung und Zielrichtung entstand.
Alexander Keuk
Vor den Abendkonzerten in Moritzburg waren auch in diesem Jahr einige kurze Porträts zu erleben, in denen sich die Musiker solistisch vorstellten. Am Sonnabend war es allerdings ein Duo - Kyle Armbrust (Viola) und Lise de la Salle (Klavier) verstehen sich nicht nur musikalisch gut - die Liaison wurde bereits vor drei Jahren in Moritzburg geknüpft. Nicht nur deswegen dürften die Zuhörer sich freuen, dass die französische Pianistin und der amerikanische Bratschist mit Sicherheit wiederkehren werden. Im Porträt gelang den beiden eine jugendlich-verspielte und in der klanglichen Abstufung jederzeit spannende Darstellung der späten Viola-Sonate f-Moll, Opus 120 von Johannes Brahms.
Mit Kraft und großem Ton des Streichinstruments wurden dann einige Tänze aus Sergej Prokofieffs Ballett "Romeo und Julia" dargeboten - Lise de la Salle, die beim Festival ohnehin einen Löwenanteil bestritten hat, zeigte sich hier geradezu erfreut, einmal einen pianistisch reichhaltig-sinfonischen Part zu übernehmen. Im folgenden Abendkonzert waren mit Werken von Mendelssohn, Brahms und Korngold drei sehr verschiedene Welten zu erleben, wenngleich die namentlichte Nennung der Komponisten zumindest eine musikgeschichtliche Abfolge vortäuscht. Denn selbst die Kammermusik von Felix Mendelssohn Bartholdy läßt sich schwer auf einen Nenner bringen.
Die beiden nachgelassenen Quartettsätze aus Opus 81 sind in ihrer Reife und vor allem in der Leichtigkeit der sich stets neu verbindenden Stimmen faszinierend - von Vineta Sareika, Tim Vogler, Adrien La Marca und Jan Vogler wurde das einfühlsam nachgezeichnet. Schlägt man hingegen eine Partitur von Erich Wolfgang Korngold auf, muss man bereits aufpassen, dass die ersten Noten nicht bereits herauskippen, bevor man überhaupt einen Ton gespielt hat - so überreich und polyphon gesetzt gelangt hier Kammermusik an einen Punkt, wo der Spannungsatem leicht in Hinterherhecheln zu immer neuen Akzenten und virtuosem Ornament mutieren könnte. Nicht so in Moritzburg: Yura Lee, Mira Wang, Kyle Armbrust, Anssi Karttunen und Oliver Triendl - mit des Komponisten üppig ausgesetztem Klavierpart - kümmerten sich aufopferungsvoll um Korngolds Klavierquintett und ernteten laute Bravo-Rufe für ein Werk, dass eben aufgrund permanenter Überreizung des Materials ein Faszinosum ist.
Mit Johannes Brahms zweitem Streichquintett Opus 111 wurden zum Abschluss sanftere Töne angeschlagen. Dieses lichte Spätwerk des Meisters fand mit Kai Vogler, Henning Kraggerud, Yura Lee, Kyle Armbrust und Anssi Karttunen versierte Interpreten, die eine Lesart wählten, die mit großer Weichheit und einem damit verbundenen stark bevorzugten Legato-Spiel aufwartete. Dass diese konsequent undramatisch-legere Haltung alle vier Sätze durchzog, war ein wenig überraschend, denn es gibt durchaus Möglichkeiten zur deutlicheren Konturengebung in diesem Werk. Doch am Ende war die Erkenntnis, dass bei Brahms nicht jeder Ton einen Erdkrater an Schwere hinterlassen muss, eben auch eine Bereicherung, die durch diese ansprechende, das Leise und Leichte in den Vordergrund rückende Interpretation entstand.
(31.8.2015)
Saint-Saëns, Pintscher und Dvořák beim Moritzburg Festival
Mit drei sehr unterschiedlichen Werken wartete das Moritzburg Festival am Mittwochabend im Monströsensaal des Schlosses auf - eigentlich hatte eine Uraufführung von Matthias Pintscher den Abend bereichern sollen, doch Jan Vogler musste krankheitsbedingt absagen, damit entfiel das Solowerk für Cello, das er selbst interpretiert hätte. Ein weiteres Werk von Pintscher für Cello und Klavier, "Uriel" aus dem Jahr 2012, gehört in eine zyklische Werkbindung mit dem nun ungehörten neuen Werk und wurde aber dennoch gespielt.
Zwei mit zeitgenössischer Musik ungemein vertraute Interpreten, der Pianist Oliver Triendl und der Cellist Anssi Karttunen widmeten dem Werk, das vom Höreindruck eine vorsichtig-zerbrechliche Charakterzeichnung der Engelsgestalt ergab - in Zusammenhang mit dem gleichnamigen Bild von Barnett Newman, auf das sich Pintscher bezog, trat noch eine weitere Ebene, abstraktere Ebene zwischen Licht und Dunkel hinzu. Karttunens äußerst ruhige und feinsinnige Auslotung der Cellolinien mit leichtem Echo im Klaviersatz war spannungsgeladen, das Werk wurde auch auf diese Weise sehr zugänglich.
Zuvor hatte ein hochkarätig besetztes Solistenensemble eine Perle der Kammermusik gehoben, die vielen kaum bekannt sein dürfte. Vielleicht ist Camille Saint-Saëns Klavierquartett B-Dur zu eigen, auch zu extrovertiert, als dass es in gängige Programme passt? In der jederzeit sich stark für die Musik einsetzenden, im Ensemble völlig homogenen Interpretation von Vineta Sareika (Violine), Kyle Armbrust (Viola), Johannes Moser (Cello) und Lise de la Salle (Klavier) machte das Zuhören große Freude. Nur der erste Satz schwebt in lyrischem Sanftmut, wie man ihn auch von Gabriel Fauré kennt, vorbei, danach wird es ernst: ein Choralsatz gemahnt in der Motivik an Wagners Ring und könnte im vorgeschriebenen maestoso beinahe in Kitsch abgleiten, doch die vier Interpreten sorgten hier für einen sehr guten Fluss der Musik. Das einen weiten Tonraum durchgaloppierende Scherzo wirkt dann im Ausdruck leichter. Überraschend unterbrechen zwei von Vineta Sareika und Lise de la Salle auftrumpfend und frei interpretierte Rezitative das muntere Treiben, bevor das pulsierende und noch einmal virtuose Finale den Zuhörer mitreißt.
Im Gegensatz zu diesem saftig-romantischen Werk, ist ausgerechnet das das Konzert beschließende Streichquintett Es-Dur Opus 97 Antonín Dvořák ein eher sanfter Vertreter seines Genres. In ähnlicher Motivik wie in den Nachbarwerken, dem "amerikanischen" Streichquartett und der 9. Sinfonie, wird hier ein lyrisches Klangideal in allen vier Sätzen hochgehalten - die Heimatverbundenheit leugnet der Melodiker Dvořák ohnehin nie. Yura Lee, tags zuvor noch an der Bratsche zu erleben, war in dieser Aufführung die Primaria, ihr wäre allerdings ein in den Linien intensiverer, auch manchmal genauer führender Klang zu wünschen gewesen. Im Quintett sorgten weiterhin Kai Vogler, Adrien La Marca, Kyle Armbrust und Christian Poltéra für eine an vielen Stellen vor allem in den Mittelsätzen aufhorchende, jederzeit den zumeist unbeschwerten Charakter des Werkes nachfühlende Aufführung.
(27.8.2015)
Beethoven, Pintscher und Brahms in Moritzburg
Nicht immer läuft alles nach Plan, auch in der Kultur nicht. Im aktuellen Jahrgang des Moritzburg Festivals steckt ein wenig der Besetzungswurm - nachdem kurz vor Beginn die Geigerin Karen Gomyo abgesagt hatte, musste sich nun Cellist Jan Vogler selbst krankheitsbedingt für die Mitwirkung an den Konzerten am Dienstag und Mittwoch ausklinken. Für die Klasse des Kammermusikfestivals spricht, dass man nicht nur hochkarätigen Ersatz in beiden Fällen fand, sondern dass in den nun neuen Besetzungen genauso geistvoll und auf hohem Niveau musiziert wurde, wie es eben der Moritzburger Anspruch ist.
Dabei ist der Cellist Christian Poltéra hier gesondert zu würdigen, der eigentlich nur für ein Stück des Dienstagkonzertes im Schloss Moritzburg besetzt war, nun aber das komplette Konzert mühelos und mit vollem Engagement in der kammermusikalischen Gemeinschaft bestritt. Der Abend im Monströsensaal des Schlosses begann mit dem Streichtrio c-Moll von Ludwig van Beethoven. Da auch Johannes Brahms 3. Klavierquartett in dieser Tonart steht, war das in der Mitte stehende zeitgenössische Werk von Matthias Pintscher, dem Composer-in-Residence des Festivals sozusagen in diesen c-Moll-Raum eingebettet.
Dieser Klangraum jedoch konnte unterschiedlicher nicht ausfallen: in Beethovens Trio gelangt man dabei nahezu an einen Urgrund der Kammermusik mit drei Melodieinstrumenten, denen Beethoven 1798 noch recht konventionelle Aufgaben gibt. Genussvoll legten sich Vineta Sareika (Primaria des Artemis-Quartetts), Adrien La Marca und Christian Poltéra in die Wogen dieses Werkes. Mit viel Differenzierung gelang ihnen eine gute Nachzeichnung und vor allem die Darstellung des an Haydn und Mozart gemahnenden klassischen Charakter des Werkes.
Von Matthias Pintscher gab es dann ein Quartettwerk namens "Study IV for Treatise on the veil" (etwa: Studie IV über die 'Abhandlung über den Schleier') zu hören. Mira Wang, Robert Chen, Yura Lee und Christian Poltéra schufen eine spannungsgeladene Interpretation dieses Stückes, das im Beziehungsgeflecht von Kunst über Kunst artifiziell und abstrakt wirkte, dabei aber eine konsequent durchgehaltene Ebene aus leisesten Geräuschlinien und punktuellen Gesten vorstellte. Zwei Wünsche blieben offen: wenn der Werkbezugspunkt ein Bild des Malers Cy Twombly ist, sollte diese visuelle Ebene im Konzert auf jeden Fall in irgendeiner Weise erfahrbar sein - der stetige Blick auf das Geweihensemble im Monströsensaal war eher ein absurdes Surrounding für dieses Stück. Und für Dialoge mit Publikum oder Interpreten wäre die ohnehin obligate Anwesenheit eines Composer-in-Residence nützlich gewesen, doch Pintscher glänzte durch Abwesenheit. Trotz hervorragendem Einsatz der Interpreten trägt ein solches Durchwinken der zeitgenössischen Musik nicht unbedingt zum Verständnis bei.
Nach der Pause ging es zurück zu c-Moll und zu Johannes Brahms - doch nach der Beethoven-Erfahrung in der gleichen Tonart war hier deutlich spürbar, wie schwarz diese Tonart in Brahms Tonsetzung nun gefärbt war. Das über Jahre hinweg nicht komponierte, sondern schwer errungene Werk bekam von Francesco Piemontesi vom Klavier aus immer wieder dramatische und außerordentlich genau geformte Attacken, die sich wie Lunten in die Streichinstrumente legten und zu vielen vor Spannung berstenden Höhepunkten führten. Auf diese Weise erhielt das Scherzo seinen traurigen Sarkasmus, fragte das Andante trotz wunderschöner Cellolinie ständig "was wäre, wenn?" und erst im Finale schien sich vorsichtig die Anspannung zu lösen, wenngleich die unwirkliche Sehnsuchtswelt erhalten blieb. Diese Hochromantik war bei Piemontesi, Mira Wang, Yura Lee und Christian Poltéra in den besten Händen und wurde vom Publikum stark gefeiert.
(26.8.2015)
Herbert Blomstedt und das Gustav Mahler Jugendorchester in der Frauenkirche
Unangetastet lag die Partitur auf dem Pult. Was darin steht, verbreitete sich durch Blicke und sparsame Gesten geführt im Raum der Frauenkirche. Wenn Herbert Blomstedt eine Sinfonie von Anton Bruckner leitet, ist dies ohnehin ein besonderes Ereignis, denn sicherlich gehört dieser Komponist zu seinen Favoriten, hat sein überreiches musikalisches Leben intensiv begleitet und entsteht in jeder Aufführung, angereichert mit der enormen Erfahrung und einem gehörigen Schuss Weisheit, den nur ein 88jähriger versprühen kann, immer wieder neu.
Und dabei gerät man ein ums andere Mal ins Staunen, wie Blomstedt - hier bereits zum vierten Mal für ein Tourprojekt des Gustav Mahler Jugendorchesters am Pult stehend - nicht nur die musikalischen Angebote der jungen, exzellenten Musiker vor ihm aufnimmt, sondern wie sich hier im Höreindruck der 8. Sinfonie c-Moll das sinfonische Riesengemälde derart auftut, dass einem eher Gedanken von Leichtigkeit, Esprit und Frische in den Sinn kommen, denn die eines verstaubten Kolosses, als die man die ja unwidersprochen monumental konzipierte Sinfonie in manch sesselschwerer Einspielung auch kennt. Das 1986 auf Initiative von Claudio Abbado gegründete Gustav Mahler Jugendorchester gastierte auf Einladung und in Kooperation mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden vor deren Saisoneröffnung. Dieser Prolog weist nicht nur auf die Nachwuchsarbeit hin - viele ehemalige GMJO-Musiker sind heute Kapell-Musiker - sondern vermittelt auch ein Bild des aktuellen, hohen Ausbildungsniveaus in Europa; schließlich ist das GMJO nicht ein aus Spaß an der Freude inszeniertes Sommerprojekt, sondern hier versammelt sich die Elite der Musikstudierenden in Europa, um besondere gemeinsame Konzerterlebnisse zu schaffen.
Atemberaubende Präzision in der Ausführung war dann auch der Eindruck, den man vom Orchester im ersten Satz der Sinfonie erhielt. In der hellwachen Konzentration der Musiker war die Musik zwar sehr transparent und durchhörbar, manchmal eben aber auch im perfekten Gelingen etwas zu kühl im Ausdruck, von Blomstedt aber auch in der Übersicht der ganzen Sinfonie im Hinblick auf Kommendes konzipiert. Wenn hier noch maximal der Trompetenklang im Tutti etwas zu scharf geriet, gewöhnten sich die Musiker dann immer mehr an den Frauenkirchenraum und Blomstedt gab Übergängen genug Atem, damit Schlussakkorde und Neueinstiege organisch und natürlich wirkten. Nach dem in ganzen Takten weich pulsierenden Scherzo inklusive einem flüssig, fast drangvoll dargestellten Trio geriet das mächtige Adagio zum Höhepunkt der Aufführung, nicht nur wegen des hier von Blomstedt völlig ohne äußerliche Anstrengung hergestellten Spannungsaufbaus, sondern auch mit vielen klanglich überzeugenden Details.
Hörner und Tuben waren solistisch wie im Ensemble ein einziger Genuss, und der vibratolose Einstieg der Violinen zu Beginn des Satzes glich einer Toröffnung zu einer anderen Welt, die am Ende des Satzes ebenso traumwandlerisch sicher wieder verlöschte. Auch die Tempogestaltung von Herbert Blomstedt war hier flexibel genug, dass Steigerungen natürlich gerieten und kammermusikalische beleuchtete Entwicklungen genug Raum erhielten. Das Finale bekam - kaum verwunderlich, aber dennoch frappierend einleuchtend - von Blomstedt auch den finalen Charakter verliehen, mit mehreren Anläufen zur Großartigkeit bestimmt, dennoch nie den Rahmen sprengend. Die stehenden Ovationen des Publikums galten dem Werk, dem exzellenten Orchester und vor allem Herbert Blomstedt, dessen herausragende Musikalität am eindrücklichsten wirkte, wenn er milde lächelnd schlicht einer Streichergruppe bei der Entfaltung eines Themas zuhörte - die Vermittlung des Vertrauens in der gemeinsamen Sache Musik war eine schöne Konstante in dieser nachdrücklich wirkenden Aufführung.
(25.8.2015)