Sonntag, 11. November 2012

Mit Raffinement und Energie

Beethoven und Weber in der "Blauen Stunde" der Dresdner Philharmonie

Gerade zurückgekehrt von ihrer erfolgreichen Tournee durch Großbritannien verwöhnte die Dresdner Philharmonie ihr heimisches Publikum erneut mit einer "Blauen Stunde" im Hygiene-Museum, die sich, dass zeigt der überaus gute Publikumszuspruch, schon jetzt als Erfolgsgeschichte erweist. Neben der angenehmen Sonntagsatmosphäre ist auch die historische Verbindung naheliegend - der Steinsaal diente den Philharmonikern vor der Eröffnung des Kulturpalastes bereits als Spielstätte. Auch das Konzept, eine Stunde Musik ohne Pause anzubieten, geht auf, wenn man eine ansprechende Dramaturgie anbietet - diesmal war es der Einblick in die Musikgeschichte zwischen der Blütezeit der Wiener Klassik und der deutschen Frühromantik - zeitlich gibt es da nahezu keine Grenzziehung, stilistisch jedoch war das Aufeinandertreffen zwischen Ludwig van Beethoven und Carl Maria von Weber erhellend.

Stellt der eine seine sinfonischen Raffinements ganz in den Dienst des Intellekts, der Erbauung durch Reibung und Erweiterung des bisher formulierten sucht, so setzt bei Weber schon das unprätenzöse unterhaltende Element ein, das sich vor allem in der Kammer- und Salonmusik des 19. Jahrhunderts fortsetzt: der Komponist tritt zurück zugunsten des Virtuosen. Sebastian Manz war der Solist in Webers Klarinettenquintett B-Dur, das in einer Fassung mit Streichorchester erklang. Nicht immer ganz abgerundet wirkte der erste Satz, doch Manz fand dann immer mehr zu einer spritzigen, ausgefeilten Spielkultur und ließ die Klarinette singen und tanzen, die Philharmoniker begleiteten aufmerksam, wenngleich die Instrumentation nicht die Feinsinnigkeit des Originals besitzt. Der Rausch der Geschwindigkeit im Finalsatz hätte da gar nicht mehr als Leistungsbeweis herhalten müssen - Manz bekam großen Applaus und bedankte sich mit einer jazzigen Strawinsky-Pièce.

Um Weber herum hatte Chefdirigent Michael Sanderling späte, reife Werke von Beethoven platziert, die - vor allem in der vorwärts stürmenden, aber leider kaum bekannten Ouvertüre "Zur Namensfeier" schon den Duktus der 9. Sinfonie antizipierten. Sanderling selbst schien an diesem Sonntag offenbar von der "Blauen Stunde" weniger das entspannende denn das erregende Farbelement zeigen zu wollen - sehr temperamentvoll und energisch leitete er die Ouvertüre, die so einen großen Spannungsbogen erhielt und mit volltönender Dynamik zelebriert wurde. In der zum Abschluss dargebotenen 8. Sinfonie F-Dur war mehr Raum für Details, Übergänge und eben die raffinierten Nebenstimmen der Werkanlage gegeben. Sanderling kostete die Partitur mit flotter, aber nicht hektischer Tempogebung aus und setzte mit dem jederzeit homogen und stilistisch sicher und punktgenau aufspielenden Orchester einen schönen Schlusspunkt.

Die Kutsche, die nicht vom Fleck kommt

Opernausschnitte von Kunad, Matthus und Hanell an den Landesbühnen

Wenn man in unseren Breiten von zeitgenössischer Musik spricht, ist zumeist die aktuelle, gegenwärtig entstehende Musik gemeint. Zwanzig Jahre nach der Wende wird uns bewusst, dass die Pflege der Musik, die zu DDR-Zeiten entstanden ist, heute kaum noch eine Bedeutung hat. Wenige ostdeutsche Komponisten konnten mit ihren Werken den Weg ins Repertoire der Bühnen und Orchester finden. Befragt man heute Komponisten der Generation, die zu Zeiten der DDR häufiger gespielt wurden, so ist eine eindeutige Bewertung nicht zu erreichen - zwar gab es früher mehr Aufträge, Kultur zeigte sich aber immer eingebunden in einen politischen Auftrag, in dem der Kunst in vielfacher Ebene Zügel angelegt waren und Querdenker subtiler formulieren oder gar das unproduktive Schweigen vorziehen mussten.

In diesem Zusammenhang erscheint das Engagement der Landesbühnen Sachsen, in Kooperation mit der Dresdner Musikhochschule eine Reihe namens "Musikzonen - Zonenmusik" zu etablieren, allein schon verdienstvoll im Sinne der Dokumentation und Auseinandersetzung. Diese kann nur geführt werden, wenn man die Werke lebendig erhält und auch von Versuchen und Experimenten berichtet. Der erste Abend enthielt Ausschnitte aus drei Opern, die in verschiedener Weise mit den Landesbühnen Sachsen verbunden sind.

Der im Konzert mitwirkende Tenor Guido Hackhausen war an der Dramaturgie maßgeblich beteiligt und verfasst derzeit eine Dissertation über das ostdeutsche Musiktheater zwischen 1949 und 1989. 1965 wurde an den Landesbühnen "Bill Brook" von Rainer Kunad uraufgeführt, ein Einakter nach einem Text von Wolfgang Borchert, der in vielfältiger Weise die Emotionen im Nachkriegsdeutschland reflektiert. Der Ausschnitt mit dem an einem wüsten Ort herumirrenden Feldwebel (Henrik Marthold) zeigte exemplarisch diese Expressivität, aber auch eine strenge, auf wesentliche Gesten reduzierte Kompositionsweise, in der die drei zu fragwürdigem Leben erwachten Gestalten (Iris Stefanie Maier, Stephanie Krune und Henriette Gödde) kurze, fast irrationale Klagelieder singen. Im von Jan Michael Horstmann moderierten Konzert kam es dann zu einer Wiederbegegnung mit Siegfried Matthus komischer Oper "Noch einen Löffel Gift, Liebling" - buffonesk arbeitete sich die Elbland Philharmonie Sachsen unter Leitung von Hans-Peter Preu durch diese augenzwinkernde Partitur, in der "very british" ein Pilzgericht zur doppelten Vergiftung führen soll.

Den Höhepunkt dieses Abends bildeten die auch musikalisch sehr überzeugend dargebotenen Ausschnitte aus Robert Hanells 1976 in Radebeul uraufgeführten Komödie "Reise mit Jou Jou". Das Orchester und ein großes Sängerensemble brachen eine Lanze für dieses musikalische Feuerwerk. Mit Dietmar Fiedler als Graf wirkte im Ensemble der sich gegenseitig bekriegenden Reisegesellschaft sogar ein Protagonist der Uraufführung mit. Dass in der DDR Unterhaltung auch auf höchstem Niveau stattfand und heute keineswegs als muffiger Zeit-Spiegel wirkt, zeigt diese von nur zauberhaft zu nennender Musik umgebene Geschichte. Hanell zieht - auch im Orchesterintermezzo - alle Register kompositorischen Könnens; die Kutsche, die "nicht vom Fleck kommt", bleibt als Sinnbild bestehen.

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