Montag, 19. Dezember 2011

Interpretation mit Widersprüchen

Bachs Weihnachtsoratorium unter Christian Thielemann

"Thielemanns Weihnachtsoratorium", so frohlockte die Sächsische Staatskapelle vollmundig in der Ankündigung der Aufführung. Zum ersten Mal überhaupt widmete sich der designierte Chefdirigent der Kapelle einem Oratorienwerk von Johann Sebastian Bach. Der Slogan rückte den Interpreten in den Vordergrund, die Vermarktung für Radio und Heimkino stand bereit - das schürte Erwartungen. Am Donnerstagabend konnte sich das Publikum in der ausverkauften Frauenkirche von der Lesart Thielemanns der ersten drei Kantaten ein Bild machen. Von einer historisch informierten Aufführung ist nicht zu berichten - hier und da waren Elemente in die Interpretation eingeflossen, doch gerade die Kompetenz der Kapellmusiker in der Pflege des barocken Kulturgutes führte in Verbindung mit der Kompromisslösung modernen Instrumentariums und einer in den Phrasierungen nur punktuell zu beobachtenden Einigkeit zu unlösbaren Widersprüchen im Hörergebnis.

Thielemann suchte in den Kantaten Zusammenhang durch attacca-Übergänge zu schaffen, ihm geriet aber vor allem zur dritten Kantate hin der Mut zur Detailarbeit innerhalb der Sätze aus den Augen. Läßt man die Kapellmusiker mit minimalistischem Dirigat allein musizieren, so überträgt sich der Charakter des "Irgendwie" auch bis auf die Emporen. Gerade der Streicherklang ließ sich zwischen romantisierend-wulstigem Klang wie in der wenig prägnant strukturierten Hirtensinfonia oder in der Arie "Schlafe, mein Liebster" und ansatzweise realisierter Affektausgestaltung ("Lasset uns nun gehen") nicht auf einen Nenner bringen. Thielemanns Weihnachtsoratorium hat dafür reichlich dynamische Kontraste zu bieten, der Eingangschor war von Pauken und Trompeten stark dominiert.

Dieses oft von ihm terrassenartig eingesetzte Stilmittel reichte vor allem für den Chor kaum aus: der Kammerchor der Frauenkirche musizierte brav nach Dirigat mal laut, mal leise, wirkte aber in den Kantaten zwei und drei zu forciert und ohne erkennbare Linienführung, die zu Beginn besser ausgeprägt war. Auch in den Chorälen war keine Konzeption zu erkennen: mal wurde Bedeutung hineingeholt, mal flächig durchmusiziert, ohne dass sich ein Bezug zum Fortgang des Werkes herstellte. So war im Hörergebnis nicht nachvollziehbar, dass die Textausdeutung, und damit die Erzählung der Weihnachtsgeschichte in der Anordnung Bachs im Vordergrund von Thielemanns Sichtweise stand.

Es reihten sich mehr oder weniger überzeugende musikalische Einzelerlebnisse aneinander. Die Solistenbesetzung konnte den unklaren Gesamteindruck nicht verbessern. Auch hier gab es eine Diskrepanz in der jeweiligen Erfahrung und der individuellen Umsetzung der Bachschen Musik. Daniel Behle (Tenor) fand da als Evangelist genau das richtige Maß zwischen Einfühlung und Distanz der Erzählrolle, kundig vom stets hellwachen Continuo um Johannes Wulff-Woesten begleitet. Christa Mayer (Alt) agierte zumeist geschickt, um ihre große Opernstimme für diese Musik einzurichten. Ihre Arie "Schließe, mein Herze" fiel vor allem wegen Kai Vogler (Violine), dessen sämig vorgetragenes Solo im Stile einer "Pièce" des 19. Jahrhunderts nicht nur gegenüber Mayers Gesang zu dominant war, sondern auch stilistisch ausbrach. Florian Boesch (Bass) wiederum hätte von Behle einiges an Geschmeidigkeit übernehmen können, konnte sich aber durch übertriebene Gestaltung und herausgestemmte Spitzentöne keine Meriten erwerben.

Es blieb an Sibylla Rubens (Sopran), den Geist der Weihnacht auch durch eine musikalische Umsetzung hervorzuzaubern - wie sie den wenigen Noten des Engels und der weltbejahenden Energie des Duetts "Herr, dein Mitleid" natürlichen, ganz aus Bach heraus verstehenden Charakter gab, das war ein plötzlich aufleuchtender Stern dieses Weihnachtsoratoriums. Bachs Musik braucht starke, kompetente und vor Begeisterung brennende Interpreten - dass das vielfach unterschätzte und komplexe Oratorium einzig durch die von Thielemann im Vorfeld als Hauptattraktion benannte Unschuld und Naivität eine auch emotional nachvollziehbare musikalische Spannung und Dramaturgie erhielt, war nach der Aufführung in der Frauenkirche zu verneinen.

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