Montag, 16. Juli 2012

Eine bloßgelegte Architektur

"Missa Solemnis" beim MDR Musiksommer in der Frauenkirche

Der MDR Musiksommer hat sich in Dresden rar gemacht. Wo früher sommers ganze Konzertreihen stattfanden, muss man nun mit zwei einzelnen Darbietungen in der Frauenkirche vorliebnehmen - dort finden Konzerte ohnehin jeden Sonnabend statt. Musikalisch bekommt Dresden in diesem Jahrgang allerdings zwei "Giganten" der oratorischen Musikgeschichte ab - am 4. August dirigiert Hellmuth Rilling "H-Moll-Messe" von Johann Sebastian Bach und am vergangenen Sonnabend erklang die Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven.

Diese Aufführung bestritt der MDR Musiksommer bis auf die Solisten mit Kräften aus dem eigenen Haus und es war wohl auch eine besondere Herzensangelegenheit des Chefdirigenten des MDR-Chores, Howard Arman, dieses Gipfelwerk in der Frauenkirche selbst zu musizieren. Beethovens "Missa" wirft bis heute viele Fragen auf und stellt die Interpreten vor nicht zu unterschätzende Herausforderungen - Fugen mit aberwitzigen harmonischen Fortschreitungen, schärfste Kontraste und ineinander verschränkte Themen und Rhythmen zeigen Beethoven auf der Höhe seiner Meisterschaft, aber auch in radikalster Modernität und kompositorischem Ringen, das auch heute noch spürbar ist.

Howard Arman ging es weniger um die Ausstellung der Extreme der Partitur; er bevorzugte einen weichen Gesamtklang mit deutlicher Themengestaltung, der auch im forte gut differenziert war. Der MDR-Chor folgt ihm da so kompetent, dass viele Nuancen zu Tage traten und auch im Agnus Dei noch Kraftreserven in allen Stimmen, die sich stets homogen und mit schöner zielgerichter Tongestaltung zeigten, vorhanden waren. Gewaltig ist diese Messe in der Wirkung, gewalttätig darf sie nicht sein, und damit lag Arman in der Dosierung richtig. Dennoch stellte sich nicht immer eine unmittelbar berührende Atmosphäre ein, wie sie etwa nach dem jubelnden Gloria-Beginn im scharfen Tempokontrast des "In Terra Pax" entstand.

Vielleicht war einigen Sätzen eine zu bloßgelegte Architektur zu eigen (was aber bei diesem Werk ebenso fasziniert!), vielleicht aber auch erlaubte Arman dem Orchester zu wenig eigene gestalterische Kraft. Hier war eine Unschärfe zu bemerken, die mehrfach zu einem schwankenden Klangbild im Orchestersatz mit undifferenzierten Lautstärken und Tempi führte. Keinesfalls dürften eigentlich Armans klar gezeigte Übergänge zu derlei Irrungen führen, wie sie im solistischen Abschnitt des "Quoniam" fast den Satz aushebelten. Sehr überzeugend gerieten jedoch die barock empfundenen Zwischenspiele im Sanctus und Benedictus, letzteres mit dem gut in den Satz integrierten Violinsolo. Das Solistenquartett gestaltete seine Partien souverän, aber recht unterschiedlich. So hatte Dara Hobbs nicht durchgängig die Kraft ihres Sopranes zeigen müssen, viel Kantables im leiseren Bereich blieb da auf der Strecke. Silvia Hablowetz (Mezzo) und Christian Elsner (Tenor) gefielen sehr gut, wobei Elsner viel mehr Legato hätte riskieren können. Ain Anger konnte sich nur im Solo behaupten, im Quartett war sein stets abgedunkeltes Basstimbre nicht wirklich überzeugend. Bei der insgesamt guten Textverständlichkeit fiel ein überzogen deklamiertes "Sanctus" der Solisten doch arg aus der gerade gut entstandenen sanften Stimmung heraus.

In der Frauenkirche gab es großen Applaus für eine insgesamt sehr gute, vom sich in hervorragender Form präsentierenden MDR-Rundfunkchor getragene Aufführung, bei denen viele spannungsintensive Momente gerade des Ausmalens vorwärtsdrängender Gefühle zusammenkamen, jedoch im Zauber der Zurücknahme und des Innehaltens noch etwas Potenzial lag.

Durch die Brille.

Händel, Brahms und Schönberg im 9. Philharmonischen Konzert

Die Konzertsaison der Dresdner Philharmonie neigt sich dem Ende zu, und auch die verbleibende Zeit im Kulturpalast ist gezählt. Dennoch stellte das Orchester im 9. Philharmonischen Konzert ein neues Format vor: im "Präludium" vor dem eigentlichen Konzert wird ein Werk vorgestellt, das in engem Zusammenhang mit dem Konzert steht. Hier waren es die Händel-Variationen von Johannes Brahms, die durch den Pianisten Christoph Berner zunächst im Original erklangen. Berner ist der Philharmonie schon durch viele Auftritte verbunden und auch ein geschätzter Kammermusikpartner.

Im großen Saal des Kulturpalastes wusste er die Variationen mit gutem Sinn für den formalen Zusammenhang zu interpretieren und stellte die unterschiedlichen Charaktere transparent und feinsinnig dar - so war die abschließende Fuge gut eingebunden in den Kontext und Berner bewies frischen Atem bis zu den Schlussakkorden des halbstündigen Werkes. Das Publikum nahm die neue, allerdings keinesfalls moderne (zu Beginn des 19. Jahrhunderts begannen Konzerte schon am Spätnachmittag und auch in den Pausen wurde musiziert) Konzertform völlig selbstverständlich auf.

Nur einzelne Gäste erschienen erst zum Orchesterkonzertbeginn, zu spannend war der Bezug zwischen Original und Bearbeitung. Für das Konzert indes benötigte man gleich mehrere Hör-Brillen. Zunächst musizierten die Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Michael Sanderling stilsicher ein Concerto Grosso von Georg Friedrich Händel, dem "Themengeber" der Variationen. Und auch hier ist schon die erste Brille gefragt, denn die barocken Concerti Grossi atmen natürlich das italienische Vorbild.

Vor der Pause durfte man sich dann rühmen, insgesamt 50 Variationen des Händelschen Themas (das allerdings einer Clavecin-Suite entstammt) gehört zu haben, nun allerdings die Brahms-Fassung in einer Orchesterbearbeitung von Mark Popkin, einem amerikanischen Fagottisten (1929-2011). Durch diese Brille erschien Brahms zwar freundlich instrumentiert, jedoch fehlte trotz der engagierten Interpretation der Philharmoniker mit Streichern und fünf Bläsern ein wirklicher Mehrwert - vielleicht wird Sanderling auch einmal die weitaus farbigere Fassung des Briten Edmund Rubbra vorstellen.

Nach der Pause wurde das Grundthema "Original-Bearbeitung" weiter verfolgt. Arnold Schönbergs Instrumentierung des Klavierquartetts g-Moll, Op. 25 von Johannes Brahms wird scherzhaft gerne "Brahms' Fünfte" genannt, wurde allerdings von Schönberg immerhin 104 Jahre nach Brahms Geburt erstellt. Hier fasziniert die große Dichte und Farbigkeit der durchweg spätromantischen Partitur. Der Orchestersatz schimmert und drängt zwischen edelster Kammermusik und vollem Tutti, der Meister Schönberg zeigt sich hier in der Instrumentationskunst und hebt das Original auf eine neue Ebene. Sanderling ging das Werk mit reichlich Emotion und viel motivierender Betreuung der Orchestergruppen an. Im ersten Satz überzeugte diese auf die Zielpunkte der Linien zeigende Grundhaltung. Allerdings verlor das Intermezzo an zweiter Stelle im zu schnellen Tempo den Grund und geriet einige Male ins Schwimmen.

Die scharfe Konturierung des Rondos führte zu einem äußerst leidenschaftlichen Finale und die Musiker folgten Sanderling in Höchstform - 185 Minuten philharmonisches Konzert wurden eifrig bejubelt. In der neuen Saison wird man dieses Format an den verschiedenen Spielorten zunächst nicht finden, allerdings wird es viermal einen "Epilog" geben, auf den man gespannt sein darf.

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