Samstag, 21. April 2012

Bewegende Friedensbitte

Chorsinfonik von Mozart und Martin an der Musikhochschule

Das chorsinfonische Konzert der Dresdner Musikhochschule hatte in dieser Saison einen besonders hohen Anspruch, nicht nur, weil mit oratorischen Werken von Wolfgang Amadeus Mozart und Frank Martin gleich zwei ambitionierte Stücke auf dem Programm standen. Es war zugleich als Kooperationsprojekt verschiedener Kräfte geplant, so traf der Hochschulchor (Einstudierung Olaf Katzer) auf den Universitätschor Dresden (Einstudierung Karl-Friedrich Winter) und dazu gesellte sich das Landesjugendorchester Sachsen mit Solisten aus den Gesangsklassen der Hochschule.

Die Verbindung einer Mozart-Messe mit Martins 1944 entstandenem Oratorium breve "In Terra Pax" erschien so spannend wie sinnfällig, weil in der Aufführung mehr als deutlich wurde, wie einigend und einleuchtend sich die Sichtweisen zweier Komponisten im Abstand der Epochen und Zeitläufte darstellen. Mit Jörg-Peter Weigle kehrte auch ein Dirigent an die Hochschule zurück, der kurz nach der Wende nicht nur die Geschicke am Institut, sondern auch im Musikleben der Stadt maßgeblich beeinflusste. Das sorgte zum einen für einen restlos ausverkauften Konzertsaal in der Hochschule, zum anderen für besondere Spannung unter den jungen Musikern, denn Weigles große Erfahrung auf dem Chorgebiet ist ebenso bekannt wie seine motivierende Interpretationskunst.

So erlebte man eine frische Lesart der C-Dur-Messe, der sogenannten "Großen Credomesse" von Mozart, bei der im Orchester noch etwas respektvolle Zurückhaltung vorherrschte, die Konzentration aber zu einem sehr angenehmen Ergebnis führte, denn Weigle kümmerte sich um viele Nuancen des schlanken Orchesterklangs und unterstützte einen lebendigen und frei schwingenden Chorsatz. Das Solistenquartett mit Elisabeth Göckeritz, Julia Böhme, Benjamin Glaubitz und Georg Finger passte sich adäquat und zumeist homogen in das Werk ein und glänzte vor allem im Benedictus, während der Chor mit sehr guter Textdeklamation das große Credo zu einem Genuss machte.

Dass Frank Martins Werke heute erst nach und nach wieder eine hervorragende Reputation auf den Konzertbühnen erfahren, ist verwunderlich - verfügte doch dieser Komponist über eine ganz eigene, aber jederzeit direkte und verständliche Musiksprache. So sprühen die elf Sätze des im Angesicht des 2. Weltkrieges entstandenen Werkes vor tiefer Emotion und daraus resultierenden überzeugenden kompositorischen Ideen. Im Orchester gingen die jungen Musiker mutig an den farbigen Satz heran, sowohl der dramatische erste Teil überzeugte als auch der von Henriette Gödde (Alt) gut ausgestaltete Largo-Satz im Zentrum des Werkes. Ah Young Yoon, David Sitka, Philipp Kaven und Felix Schwandtke hatten ebenfalls teils umfangreiche Partien zu bewältigen, die sie sehr achtbar und mit Sinn für den jeweiligen tiefen Ausdruck interpretierten. Dass die absolut hervorragend präparierten Chöre hier mit dem Willen zum Äußersten agierten und Weigle dies auch immer wieder mit Energie forderte, erzeugte eine bewegende Aufführung, an deren Ende Zuversicht im Glauben stand. Schön, dass nach den letzten trostvollen Tönen eine spannungsvolle Stille entstand, bevor man den vielen jungen Protagonisten zu einer Aufführung gratulieren durfte, die sehr ambitioniert und erfolgreich war.

Russisches Festmahl

Boris Berezovsky und Kirill Petrenko im Kapellkonzert

Besonders die Freunde russischer Spätromantik kamen beim 9. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden auf ihre Kosten, erst recht, wenn sie alle Vorstellungen dieses Konzertes besuchen, denn die Kapelle stellte in drei Programmen verschiedene Werke der russischen Komponisten Sergej Rachmaninow (1873-1943) und Alexander Skrjabin (1872-1915) gegenüber. Der direkte Vergleich ist im Konzertleben selten anzutreffen, dabei komponierten doch beide ihre Hauptwerke zur selben Zeit und es gibt sogar Verbindungen nach Dresden, die im Fall Rachmaninow bekannter sind als bei Skrjabin, der sich aber immerhin mit Umzugsplänen in die Elbmetropole beschäftigte.

Doch die Temperamente und Lebensläufe können verschiedener nicht sein - Skrjabin wird heute als einer der wichtigsten Neuerer der russischen Musik gedeutet, während Rachmaninow an alten Idealen festhielt, die ihn später im Exil in den USA kompositorisch ganz verstummen ließen. Beiden gemeinsam allerdings ist die Meisterschaft, die sie ihrem Instrument widmeten: dem Klavier. Im 9. Sinfoniekonzert gab es daher die sinnfällige Nebeneinanderstellung der zweier Klavierkonzerte von Rachmaninow mit dem einzigen von Skrjabin und dessen 3. Sinfonie und dem "Poème de l'extase" - einzig ein reines sinfonisches Werk von Rachmaninow hätte noch die Krone auf dieses dramaturgisch spannende Programm aufgesetzt. Wahrlich ließ sich dies nicht an einem Abend realisieren - vor dem russischen Pianisten Boris Berezovsky mag man allein schon den Hut vor dem Vorhaben ziehen, die Mammutleistung der Aufführung von drei Klavierkonzerten an drei Tagen zu erbringen - am Dienstag sogar zwei in einem Konzert.

In der Sonntagsmatinée erklang das 3. Klavierkonzert d-Moll von Sergej Rachmaninow, gemeinhin nicht ganz so häufig gespielt wie das vorhergehende. In den großbögigen Sätzen mit immer neuen Anläufen der Themen und Leidenschaften bei gleichzeitigem immens hohem technischen Anspruch liegt auch die Herausforderung. Doch bei Berezovsky löst sich jeglicher Zweifel bereits in den Anfangstakten, in dem wie ein klarer Quell fließenden Hauptthema, das sodann von ihm unprätentiös und doch mit kompromisslos fließender Energie und nur aus den Händen gestalteter großer Kraft in wirbelnden Kaskaden ausgebreitet wird, bis einen die Kadenz des ersten Satzes zum ersten Mal am Luftholen hindert.

Gastdirigent Kirill Petrenko, ab 2013 neuer GMD der Bayerischen Staatsoper, formte am Pult der Staatskapelle gemeinsam mit dem stets für den Gesamtklang und das Tempo aufmerksamem Berezovksy eine Interpretation, die keinerlei Wünsche offen ließ: der dritte Satz war auch in der gemeinsam atmenden Zielgebung und der warmen Klangfarbe ein Edelstein, den der russische Pianist mit unglaublichem Sinn für Phrasengestaltung und jederzeit flexiblem Anschlag gestaltete. Sekbst in der Coda bewies der Russe Contenance und lenkte das Konzert in ein präzises und dennoch emotional mitreißendes Finale. So etwas darf man mit Recht authentisch nennen und der begeisterte Publikumsjubel wurde von Berezovsky mit einem schönen Prélude von Rachmaninow beantwortet.

Nach der Pause fiel es dementsprechend schwer, sich auf die so andere Welt des Klangphilosophen Skrjabin einzulassen, dessen 3. Sinfonie im Block von drei zusammengefassten Sätzen schon eine deutliche Abkehr von traditionellen Formen markiert, wenngleich Richard Wagner in Skrjabins Harmonik auf vielen Partiturseiten noch den Hut lupft. Petrenko entging mit den ersten Themenvorstellungen der Gefahr eines zu langsamen Tempos, das unweigerlich Schwaden von Langatmigkeit nach sich gezogen hätte. In dieser frischen, vorwärtszeigenden Art teilte sich aber die Großform erstaunlich plastisch mit und Petrenko arbeitete viel, um die Nuancen der Dynamik und das strahlende Blech hervorzuarbeiten. Da folgte ihm die Kapelle natürlich gerne und konnte ihrerseits die Qualitäten für dieses oft weit über dem Boden schwebende Werk hervorzaubern, kraftvoll und volltönend klang das Konzert aus.

Nachtrag: Die kleinen "Berezovsky-Festspiele" gingen am Montag und Dienstag weiter. In Vorbereitung einer Residenz im Konzerthaus Dortmund am Wochenende spielte Berezovsky am Montag das 4. Klavierkonzert von Rachmaninow, am Dienstag zusätzlich sogar noch das Klavierkonzert fis-Moll Op. 20 von Alexander Skrjabin. Bei letzterem versicherte sich der Russe dann doch der Noten auf dem Klavier, allerdings deutete die Interpretation darauf hin, dass er auch mit diesem Konzert höchst vertraut war.

Weniger vertraut war das Orchester unter Kirill Petrenko mit diesem Werk, die Interpretation konnte der Partitur nicht die notwendige Farbigkeit und Sinnlichkeit verleihen. Anders in Rachmaninovs 4. Klavierkonzert, hier war ja schon ein Konzert vorausgegangen, und die dem Werk innewohnende Spannung kam in den Ecksätzen gut zum Tragen, wobei Berezovsky hier fast noch mehr Temperament zeigte als im dritten Konzert.

Skrjabins "Poème de l'extase" beendete lautstark die russischen Tage der Kapelle - ein fulminanter Pianist bleibt in guter Erinnerung, weniger, dass die Staatskapelle viele anspruchsvolle und unbekannte Werke in zu kurzer Zeit realisieren musste. Dafür war Petrenko wohl nicht immer der richtige Mann trotz seiner überaus emotionalen Bemühungen am Pult.

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