Dienstag, 17. April 2012

Vortrefflich.

Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie zum Osterfest

Die Osterkonzerte der Dresdner Philharmonie versprachen einiges an musikalischer Abwechslung. Den allerorten zu hörenden Passionsmusiken setzte das Orchester ein weltliches sinfonisches Programm entgegen, das aber keineswegs alltäglich war und seine eigenen Reize besaß. Unter dem Motto "O Gott! Welch ein Augenblick!" widmete sich die Philharmonie wieder der Liebes-Thematik in den Zykluskonzerten, wenngleich diese hier nur mit der Leonoren-Ouvertüre von Ludwig van Beethoven verbunden war und in den Folgewerken höchstens in schwelgerischem Tonsatz als romantische Empfindung auszumachen war.

Interessanterweise wird für eine Konzertfassung gerne die etwas geschlossener und opulenter wirkende dritte Ouvertüre benutzt, Chefdirigent Michael Sanderling wählte allerdings die zweite aus, die auch der Uraufführung der Oper 1805 voranstand. Seine Interpretation war auf kontrastreiches Musizieren angelegt - Sanderling kostete Ruhepunkte ebenso wie dramatische Wellen aus und schien in den langen Pausen zwischen den Tutti-Akkorden einen gedanklichen Nachhall zu formen. Den echten, volltönenden wird die Philharmonie erst im neuen Saal erleben, wohl aber war der befreiende Ton in diesem Freiheits-Stück nach dem gerade erfolgten Stadtratsbeschluss zu Gunsten des Kulturpalast-Umbaus fast greifbar.

Mit dem zweiten Werk des Abends verhielt es sich in puncto Popularität ähnlich: das zweite Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow ist das opulent auftrumpfende Gesellenstück vieler Pianisten, während das frühe 1. Klavierkonzert fis-Moll nur selten auf den Podien zu hören ist. Virtuosität, Ornament und melodiöse Schönheit genügen diesem Werk und machen es in diesen Begrenzungen durchaus auch problematisch. Dem russischen Pianisten Kirill Gerstein - längst arriviert auf den Bühnen der Welt unterwegs - oblag es, daraus dennoch eine Perle zu formen, und das gelang ihm vortrefflich. Mit robust-volltönender Unterstützung aus dem Orchester ging er zumeist unaufgeregt und engagiert zu Werke, legte in jedes noch so unscheinbare Figurenwerk Zielsetzung und Gestaltung, verleugnete aber nie den spielerisch-naiven Charakter des Werkes. Das wertete besonders den 3. Satz auf, der zweite hingegen gelang mit gutem Atem für ein nie stockendes oder übertriebenes Klangbild. Mit einer packenden und genauso aus der Ruhe heraus souverän "hingelegten" Gershwin-Zugabe bedankte sich Gerstein für den begeisterten Applaus des Publikums.

Zum Abschluss des Konzertes kamen etwas verfrühte "Proms"-Gefühle auf: In Edward Elgars "Enigma"-Variationen überzeugten die Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten einmal mehr mit spätromantisch sattem Sound. Sanderling konnte mit gut ausgehörtem, transparentem Klang in den Orchestergruppen das kleinteilige Werk zu einer Einheit formen. Besonders die Ausgestaltung der einzelnen Charakterzeichnungen gelang sowohl in zarten kammermusikalischen Passagen wie auch in den kurzen rasanten Variationen überzeugend. Das macht Appetit auf mehr - sicher dann irgendwann auch mit einem kurzen, aber exquisiten Nachhall in den Generalpausen...

Brahms contra Bruckner mit dem "alten Chef"

Herbert Blomstedt leitete das Palmsonntagskonzert der Staatskapelle

Die nackten Zahlen beeindrucken: 10 Jahre, von 1975 bis 1985 stand Herbert Blomstedt als Chefdirigent am Pult der Staatskapelle Dresden, absolvierte 250 Gastkonzerte und leitete 130 Plattenaufnahmen. Nach Dresden nahm er Chefpositionen in San Francisco und Leipzig an - heute könnte sich Blomstedt in seiner Wahlheimat Schweiz eine ruhige Pensionszeit gönnen. Doch der bald 85jährige Dirigent wirkt dann am glücklichsten, wenn er in aller Welt mit seinen geschätzten Ensembles weiterhin große Musik interpretieren darf - und so kehrt er regelmäßig auch in die Semperoper zurück.

Ein kleines Jubiläum gab es hier (allerdings aus Termingründen diesmal am Sonnabend) zu feiern, das 8. Symphoniekonzert der Kapelle war gleichzeitig Blomstedts 10. Palmsonntagkonzert, das traditionell früher als Benefizkonzert musiziert wurde und immer aber programmatisch profiliert war. Blomstedt stellte zwei Werke gegenüber, die zeitlich nur vier Jahre auseinander liegen, deren gemeinsame Präsentation aber zu Lebzeiten der Komponisten undenkbar gewesen wäre.

Vielleicht war Johannes Brahms' Hölderlin-Vertronung "Schicksalslied" mit Blomstedts Fingerzeig auch als poetische Gabe an Anton Bruckner gemeint, der wohl mehr als einmal über Schicksal und Vergänglichkeit nachgedacht haben dürfte. Die Werke blieben im Höreindruck in ihrem Gegensatz zwischen emotionaler Höhenfahrt und fast sportivem kontrapunktischem Intellekt unaufgelöst - das machte den eigentlichen Reiz des Palmsonntagskonzertes aus. Das "Schicksalslied" legte Blomstedt mit großer Ruhe und samtweichem Klang an, der auch im Tutti niemals Schärfen erlangte. So durfte sich der Staatsopernchor (Einstudierung: Pablo Assante) mit exzellenter Piano-Kultur zeigen und zauberte gemeinsam mit dem Orchester unendlich scheinende Linien, die aus dem Nichts zu kamen schienen und dahin auch wieder verloschen. Hier betörte vor allem Rozália Szabós Flötenpartie, während die Streicher vielleicht auch wegen Blomstedts dynamischer Zurückhaltung nicht den intensivsten Zusammenklang zeigten.

Nach der Pause lud Anton Bruckners 5. Sinfonie B-Dur zu einem höchst anspruchsvollen Hörgenuss ein, konnte aber in Blomstedts Interpretation nicht immer befriedigen. Stark gelangen der erste Satz und das Adagio: Blomstedt legte - das gesamte Werk auswendig dirigierend - die Satzanfänge mit schwebender Schönheit und doch sorgfältiger rhythmischer Diktion an; so entstand eine flüssige, unaufgeregte und natürliche Musizierhaltung. Unverständlich jedoch waren manche Ungereimtheiten in der Tempoaufnahme und Reaktion des Orchesters wie auch in unerwartet stürzenden Übergängen zwischen kontrastierenden Teilen. Sicher muss man bei Bruckner nicht alle Extrema in Tempo und Dynamik ausfahren, doch besonders Scherzo und Finale fehlte eine zwingende, satzübergreifende Intensität des Ausdrucks, wofür auch in der Interpretation mehr Atem und Genauigkeit (etwa in den Choralpassagen des 4. Satzes) zuträglich gewesen wäre.

In manchen führenden Passagen demonstrierten die Streicher ein für die Kapelle ungewohnt enges Klangspektrum - diese Aufführung war nicht von allen zu jeder Zeit zur Bestform bestimmt, wofür eigentlich kein hör- oder sichtbarer Grund auszumachen war. Trotzdem: spannend und kontrastreich war die Wiederbegegnung mit dem "alten Chef" allemal und das begeisterte Publikum zeigte mit stehenden Ovationen, dass Blomstedt die Tradition der Wiederkehr gerne fortsetzen soll.

Kleine Vorspeise und großer Hauptgang

"The Knights" gastierten bei den Meisterkonzerten auf Albrechtsberg

Mehrfach gastierte das Ensemble "The Knights" aus New York bereits in Dresden - auf Einladung von Jan Vogler war es schon bei den Musikfestspielen zu erleben und versprühte Esprit mit temperamentvollen Interpretationen klassischer Werke, aber auch mit Grenzgängen und Neuentdeckungen zwischen Jazz, Pop und Crossover. Derzeit befinden sich die jungen Musiker auf einer Europa-Tournee, und natürlich machen sie in Dresden Station.

In einer Kammerbesetzung gastierten sie am Donnerstag bei den "Meisterkonzerten auf Schloss Albrechtsberg" und stellten hier auch gleich klar, dass auch in der kleinen Besetzung frisches, unverkrampftes Musizieren im Vordergrund steht. Da mit dem gut eine Stunde dauernden Oktett von Franz Schubert als "Hauptgang" ein großes klassisches Werk im zweiten Teil auf dem Programm stand, begnügten sich "The Knights" mit einer leichteren "Vorspeise" im ersten Teil. Hier stand schlicht die Musizierlust im Vordergrund, die beiden Werke postulierten keinen tiefgehenden Anspruch. Brasilien und Ungarn und damit die Komponisten Alberto Ginastera und György Ligeti zu kombinieren, machte auch nur Sinn mit einer Werkauswahl, die die Wurzeln der beiden Komponisten in ihrer Heimat veranschaulicht.

Ginasteras "Impresiones de la Pena" bezieht sich auf Indio-Musik und Landschaften in den Anden, das wussten "The Knights" mit dem dominierenden Flöten-Solo-Part (Alex Sopp) plastisch und mit rhythmischer Feinarbeit gut nachzuzeichnen. György Ligeti gilt auf der anderen Seite zwar als herausragender Komponist und Neuerer der zeitgenössischen Musik, wenig bekannt ist aber, dass er ähnlich wie seine Vorgänger Bartók und Kodály Ungarns Musikschätze sammelte und neu arrangierte - die hier vorgestellten "Alten Gesellschaftstänze" erscheinen somit als pure Folklore und wirken dennoch in subtiler Instrumentation ansprechend. Immer wieder war zu bemerken, dass der kammermusikalische Geist bei den "Knights" aus dem Moment heraus wirkte, alle Musiker spielten stets mit offenen Ohren für den Nachbarn.

Nun weht aber in Franz Schuberts Oktett ein anderer Wind - sechs zum Teil opulent auskomponierte Sätze mit unterschiedlichsten romantischen Charakteren sind da auszuformen. Nicht immer gelang den "Knights" eine treffende dynamische Balance. Insbesondere in den Ecksätzen war eine in den Streichern eher dünne Klangfarbe auffällig, im Tutti dagegen lauerten einige Schärfen. Auf dieser Basis wirkte die gesamte Interpretation etwas ungewohnt, auch ungeordnet. Ein sattes Legato wurde nicht voll ausgefahren, was kein Manko darstellte, doch manche Phrasierungen wirken zu unausgereift. Hingegen bewahrte das Ensemble stets volle Konzentration im Miteinander der Stimmen und vermochte ausgerechnet die eher leichtfüßigen Mittelsätze zu kleinen Perlen zu veredeln - Klarinette, Horn und Fagott waren da stets ebenbürtige Partner der Streicher, besonders im nicht zu langsam genommenen Adagio. Insgesamt war es ein spannendes Gastspiel der jungen New Yorker, das beim Publikum große Begeisterung auslöste.

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van anderen

Farbfilm, 1896
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Radiosendung über Musik, die nur im Kopf erklingt
Darin werden auch meine Sheet Music Arbeiten besprochen. https://www.de utschlandfunkkultur.de/mus s-musik-klingen-dlf-kultur -af311058-100.html?fbclid= IwZXh0bgNhZW0CMTAAAR1gukU1 amxtLwWbiPxNhxdVCM977eywjf 8TH7ENGamlB60GL7TpK5pqCrY_ aem_Aas_oUIX6V1yGiBFpKKDxE mEaNZUWV82XFXWTczRhCYe_9nX Y2S0GX8UHQUD8R8WBLNAmCNmT3 PeF0ekBqS14Yqu Vorstellung skraft...
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Kreidler - 17. Mai, 05:17
A Beginner’s Guide To Breakcore, Drum & Bass, Jungle &...
#Bildung #Auftrag Siehe auch: (via kfm)
Kreidler - 16. Mai, 05:43

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