Donnerstag, 15. März 2012

Endhaltestellenwanderungen Teil X: Wölfnitz

Vor rund einer Woche war Wölfnitz dran in unserer kleinen Serie der Endhaltestellenwanderungen - vielleicht haben wir es ein bißchen hinausgezögert, denn wir dachten, was machen wir eigentlich dort? Der nördliche Rand von Gorbitz scheint wenig einladend, hat aber immerhin auch einen Eintrag bei der Webseite über die Dresdner Stadtteile und das kleine Gebiet war immerhin schon 1357 als Bauernweiler bekannt. Zudem wandeln wir schon an der Endhaltestelle der Linie 6 selbst auf der Gemarkung eines alten Gasthofes. Wölfnitz selbst verläuft weiter westlich der Kesselsdorfer Straße.


Graffiti an der Endhaltestelle in Wölfnitz

Diesmal wandern wir allerdings südwärts und besuchen daher noch einmal Gorbitz, das uns aber außer einigen auf dem Amalie-Dietrich-Platz lungernden Alkoholikern, dem Schild "AWG - Alle werden glücklich" und einigen Hochhauskästen nicht wirkliche Wanderhöhepunkte beschert. Weiter den Hang hoch ist ein kleiner Park eingelagert, der zum Elbamare führt, dem kleinen Stadtteilbad, das schon 1995 eröffnet wurde.


große Kästen in Gorbitz - wohnt man da gut?


Wir wagen wie neulich bei der Gorbitz-Route erneut den Sprung über die Kesselsdorfer Straße, denn auch heute treibt uns der Hunger, zusätzlich zu dem einladenden Schild "Hexenhaus" sieht der westliche Teil von Gorbitz natürlich schmucker aus mit seinen alten Gehöften. Im Hexenhaus speisen wir dann auch vortrefflich und ziehen es vor, danach die Runde noch nach Süden zu erweitern.


Das "Hexenhaus in Altgorbitz

Wir laufen die ländlich geprägte Uthmannstraße hinauf, wohl wissend, dass uns ganz oben die Linie 7 erwartet, die ja nach der Linienverlängerung bis nach Pennrich reicht. Die Uthmannstraße selbst bildet (ähnlich wie in Briesnitz) die alte Dorfstraße und das halbe Viertel dort steht unter Denkmalschutz, alte Bäume säumen die Höfe. Kurz vor Sonnenuntergang kommen wir zur Straßenbahn, und die Linie 7 wird uns dann auch bei den nächsten beiden Wanderungen beschäftigen....


Abendlicht an der Uthmannstraße

Mit Volldampf ins Wagner-Jahr

Christian Thielemanns erste Chefsaison an der Semperoper

Gleich zu Beginn der Pressekonferenz der Semperoper Dresden zur neuen Spielzeit 2012/2013 gab es Ernüchterung: Christian Thielemann, der am 1. September sein Amt als Chefdirigent antreten wird, grüßte lediglich per Videobotschaft in die Runde, zeigte sich aber erfreut über seine Vorhaben. Am 18. November wird er sein Operndebut am Haus mit dem "Rosenkavalier" geben, im März 2013 dann auch seine erste Premiere im Graben dirigieren, interessanterweise eben kein Werk der Jubilare, sondern "Manon Lescaut" von Giacomo Puccini; das Verismo-Werk wird in Lesart von Hauptregisseur Stefan Herheim zu erleben sein.

Die kommende Spielzeit wird vor allem von zwei Schwerpunkten bestimmt - zum einen widmet sich die Semperoper natürlich Richard Wagner, dessen 200. Geburtstag gebührend gefeiert wird - nicht mit einer "Ring"-Neuauflage, wie Intendantin Dr. Ulrike Hessler betonte, sondern mit der Würdigung insbesondere der Zeit, die Wagner in Dresden verbrachte - Christian Thielemann wird das Wagner-Jahr mit einer Neuauflage des "Lohengrin" am 13. Januar 2013 einleiten. Dazu gehört auch die Hinwendung zur französischen Oper dieser Zeit, die heutzutage kaum mehr auf den Spielplänen zu finden ist, von Wagner aber sehr geschätzt wurde.

Der zweite Schwerpunkt der Spielzeit gilt dem Komponisten Hans Werner Henze, dessen Werkpflege in Dresden schon eine 40jährige Tradition aufweist. Henze wird gleichermaßen auf der Bühne und im Konzert mit einer großen "Hommage" geehrt; ihm gehört auch die erste Opernpremiere der Saison mit einem Werk, das mit über 100 Rollen, drei Bühnen und großem Instrumentarium (Dirigent Erik Nielsen) alle Kräfte des Hauses fordern wird: das Bürgerkriegsdrama "We come to the River"/"Wir erreichen den Fluss", von Henze 1976 komponiert. Von Richard Wagner wird es im Juni 2013 einen neuen "Fliegenden Holländer" (Inszenierung Florentine Klepper / Leitung Constantin Trinks) geben, in dem übrigens Wookyung Kim als Erik sein Wagner-Debüt geben wird; die französische Oper ist mit "La Juive" von Jacques Fromental Halévy und "La Vestale" von Gaspare Spontini vertreten.

Auch die Reihe der Mozart-Opern werden mit einer Neuinszenierung fortgesetzt, Michael Schulz zeigt eine Deutung des "Idomeneo", von Julia Jones als Premiere am 29. November dirigiert. Auch das barocke Repertoire bleibt fester Bestandteil der Premieren, diesmal mit "Orlando" von Georg Friedrich Händel (mit Christa Mayer in der Hauptrolle) in einer Inszenierung von Andreas Kriegenburg. In Semper 2, dem kleinen, feinen Nebenschauplatz für die Junge Szene und Experimentelles inszeniert Manfred Weiß die Märchenoper "Das geheime Königreich" von Ernst Krenek; die Junge Szene stellt sich mit "Mario und der Zauberer" von Stephen Oliver (nach Thomas Mann) und einem neuen Werk von Johannes Wulff-Woesten vor - hier werden auch die bewährten Kooperationen mit den Hochschulen der Stadt fortgesetzt.

Ballettdirektor Aaron S. Watkin kündigte einen neuen dreiteiligen Ballettabend unter dem Titel "Bella Figura" an, darin gibt es Stücke der Choreografen Helen Pickett, Jiri Kylián und Ohad Naharin. Prokofiefs berühmtes Ballett "Romeo und Julia" wird in der Sichtweise von Steijn Celis am 22. März 2013 seine Premiere erleben, dann aber müssen die Zuhörer mit der NDR Kammerphilharmonie vorliebnehmen, da die Kapelle dann ihr Engagement bei den Osterfestspielen in Salzburg wahrnimmt - der dort zur Neuinszenierung kommende "Parsifal" wird dann auch später in Dresden zu erleben sein. Eine Ballett-Gala und ein Abend mit "Jungen Choreographen" in der VW-Manufaktur rundet die Ballett-Saison ab.

Natürlich gibt es auch ein umfangreiches Repertoire von 31 Opernproduktionen, 11 Ballettproduktionen und drei Arbeiten der Jungen Szene, auch der Jubilar Giuseppe Verdi ist 2013 mit gleich vier Opern gebührend vertreten. Geschäftsführer Wolfgang Rothe wies auf gleichbleibende Kartenpreise hin, die in etlichen Kategorien gestaffelt sind, Zuhörer können zwischen vielen verschiedenen Paketen und Anrechten wählen, auch Ermäßigungsberechtigte erhalten im Voraus wie an der Abendkasse gute Angebote. Die Auslastung im letzten Jahr ergab einen Wert von 92,6%, dieses Ziel soll in der neuen Saison mit der hochklassigen Mischung aus Bewährtem und Neuem an 355 Spielabenden mindestens wieder erreicht werden - die Karten gibt es ab sofort.

Alle Premieren der neuen Spielzeit: Übersicht

Musik als Geschenk

Almut Rößler spielte Olivier Messiaen in der Kreuzkirche Dresden

Sie ist die Grande Dame der Orgelmusik in Deutschland und ihre Verdienste insbesondere für die Musik des 20. Jahrhunderts sind immens: als Organistin, Kantorin, Professorin ist die in Düsseldorf lebende Organistin Almut Rößler eine Instanz. Anlässlich eines Konzertes innerhalb der Reihe "Dresdner Orgelzyklus" stattete sie nun der Kreuzkirche in Dresden einen Besuch ab und die Zuhörer konnten im Konzert wie auch im Einführungsvortrag wertvolle Einblicke in die Erfahrung dieser Musikerin gewinnen, die auch mit 79 noch für die Orgelmusik der Gegenwart brennt und diese höchst lebendig, aber auch stets mit dem hohen Anspruch einer dem Komponisten würdigen Interpretation zu vermitteln weiß.

Dem französischen Komponisten Olivier Messiaen, dem sie in Freundschaft verbunden war, dessen Werke sie ur- und erstaufführte, war dieses Porträtkonzert gewidmet. Messiaen hat die Orgelmusik seines Jahrhunderts um einen ganzen Kosmos an Klängen bereichert und Rößler stellte der großen Schar Zuhörer vor ihrem Konzert dieses "Geschenk" vor, dessen Reichtum man sich auf vielfältige Weise nähern kann. Ist man erst einmal offenen Ohrs und Herzens für den geistlichen Mittelpunkt seines Schaffens, so ergänzen sich andere Elemente der Musik von Messiaen auf natürliche Weise: der Umgang mit Farben (Messiaen war Synästhet, "hörte" Farben und beschrieb seine Musik oft mit Farbtönen), die Natur und der Vogelgesang, schließlich der Aspekt der Zeit, des Zeitbewusstseins.

Messiaen selbst lag wohl falsch mit seiner Behauptung "meine Musik ist vor allem für Eingeweihte geschrieben" - Almut Rößler öffnete durch eine kluge Programmdramaturgie und sorgfältigem Umgang mit der Jehmlich-Orgel Tor und Tür für einen außergewöhnlichen Konzertabend. Fast schon ein Klassiker ist die frühe "Apparition de l'Eglise Eternelle" (Erscheinung der Ewigen Kirche) - hier legte Messiaen das ganze Kraftzentrum seiner Musik in einem einzigen kurzen Werk bloß. Rößler behielt hier die Ruhe, den großen Crescendo-Decrescendo-Bogen für den Raum passend einzurichten.

Das "Verset pour la fete de la Dédicace" (1960) hingegen war ästhetisch vom Eingangswerk denkbar weit entfernt. Doch schimmerten die gregorianischen Melodien in Rößlers deutlich strukturierender Registrierung wie von ferne durch die moderne Anlage des Werkes. Waren dies noch Einzelwerke, die zum Einstieg in Messiaens Welt gut geeignet waren, so ist Messiaens zyklische Musik höchst anspruchsvoll für Hörer wie Interpreten.

Die 1950 entstandene "Pfingstmesse" zeigt Messiaen als avancierten Denker auf der Höhe der Zeit: Hindu-Rhythmen, Modi und Vogelstimmen durchdringen sich wie in einem bunten Kirchenfenster - die Farben ergeben in der Summe ein Bild tiefer Gläubigkeit. In dieser schillernden Welt zeigte Rößler transparentes Spiel und souveränen Umgang mit den Farben der Jehmlich-Orgel, die insbesondere im Mixturen- und Zungenvorrat den Messiaen-Stücken ganz eigene Prägung verlieh. Bei aller Modernität etwa des zerklüfteten Offertoriums waren die Quellen, das Recit des 3. Satzes und die unverrückbaren Pedalsäulen des 2. Satzes von Rößler so plastisch gestaltet, dass man sich schnell und gerne in dieser Welt verlor - am Ende stand mit der Auferstehungsdarstellung schlicht das pralle Leben in seiner ganzen Fülle. Die Zugabe gab es vor dem Schlussapplaus - das "Gebet nach der Kommunion" aus dem späten Zyklus "Livre du Saint-Sacrement", den Rößler übrigens 1986 in den USA uraufgeführt hat, war ein immens tröstlicher, bewegender Ausklang dieses beeindruckenden Konzertes.
Almut Rößler ist am 13.2.2015 im Alter von 82 Jahren verstorben. Nachruf der Johanneskantorei in Düsseldorf

Kunst im Zwischenraum

Morton Feldmans Oper "Neither" im Festspielhaus Hellerau

Nachdem uns das Dresdner "elole"-Ensemble kürzlich das 90minütige Klaviertrio des amerikanischen Komponisten Morton Feldman (1926-87) im Konzert in der Messe vorstellte, konnten Freunde dieser außergewöhnlichen Musik nun ein weiteres Werk des Komponisten im Festspielhaus Hellerau erleben. Das Europäische Zentrum der Künste gönnte sich nach dem erfolgreichen Abschluss der Tanzplattform kaum eine Woche des Durchatmens, bevor mit diesem rätselhaften, rückhaltlos modernem Werk erneut spannende zeitgenössische Kunst präsentiert wurde.

Feldmans Werke sind ab den 80er-Jahren von großen Zeitdauern bei gleichzeitiger Differenzierung und Feinarbeit in den Strukturen geprägt - die Musik fließt, Erklärungen und künstlerische Absichten vermied Feldman. Wie würde sich eine Oper des Komponisten in dieser selbstpostulierten "Losigkeit" anhören, wo keinerlei Ego oder Aussagedogma mitschwingt? Die Annäherung an den Dichter Samuel Beckett erscheint so logisch wie folgenschwer: nach kurzer, gegenseitiges (Anti-)Verständnis beschwörender Konversation erhielt Feldman auf einer Postkarte das Libretto zu "Neither".

Als "Anti-Oper" könnte man dieses Werk aber nur bezeichnen, wenn alle Elemente auch als solches umgesetzt würden. Die Inszenierung der Berliner Künstlergruppe "phase 7 performing.arts" wählte eine andere Vorgehensweise, behielt Feldmans Grundkonzeption dabei sensibel im Auge. Phase 7 katapultierte Feldman und Beckett kompromisslos ins 21. Jahrhundert und setzte damit eigentlich die Tradition fort, "alte" (wir sprechen vor 35 Jahren entstandenen Werk) Musik gegenwärtig oder gar mit Visionen der Zukunft zu betrachten. Dementsprechend war das Orchester synthetisch, es wurde aber durch eine Technik der Wellenfeldsynthese über 72 kreisförmig über dem Publikum angeordnete Lautsprecher ein dreidimensionaler Hörraum geschaffen, in der Kreismitte ein Kubus mit Beamerprojektionen und eine Plattform für die Sängerin, der einzigen (Nicht-)Akteurin der Oper. Hier würde klassische Regie kolossal versagen, denn der Text bietet keinerlei Handlungsanlass, weil er Zwischenräume, das Noch-Nicht oder "Weder" beschreibt.

Ein perfekter Saatboden für Kunst also, in dessen merkwürdiger Ausdruckslosigkeit die digitale Perspektive absolut plausibel erscheint. Und dennoch: am Ende erzeugen die zu Säulen und Gittern angeordneten Scheinwerfer, die jenseits aller "normalen" Tonhöhen entrückten Ausrufe der Sopranistin (betörend und kraftvoll die Norwegerin Eir Inderhaug) und die flirrenden Projektionen so etwas wie Schönheit, weil sie einen Geborgenheitsraum mit der Musik erzeugen. Und diese will eben nicht aufrütteln, zeigen, aussagen, sondern nur Musik sein. Da staunt man und fragt sich lediglich am Ende, ob es da der Verkünstelung des Orchesterklanges wirklich bedurft hat.

Es war das einzige Manko der Aufführung, dass Feldmans Arbeit mit den Klangfarben der Instrumente in diesem dreidimensionalen Klangraum keine ausreichende Wertschätzung erfuhr. Was offen blieb, ist die Frage, ob Feldmans Ästhetik nicht manchmal die Schönheit und Feinheit der Musik erschlägt. Das Nicht-Wollen in der Kunst stellt sich nicht selten als Sackgasse heraus, in diesem Fall allerdings ist es eine durchaus behagliche.

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