Donnerstag, 12. Januar 2012

Auf der Stuhlkante

Junges Sinfonieorchester und Hochschulorchester musizieren Mozart und Mahler unter Vladimir Jurowski

Das neue Jahr ist noch jung, die Studenten der Musikhochschule haben sich nach der Weihnachtszeit gerade wieder an den Hochschulalltag gewöhnt, da stand auch schon ein besonders ambitioniertes Projekt auf dem Programm: ein Konzert mit Werken von Gustav Mahler und Wolfgang Amadeus Mozart galt es vorzubereiten. Gleichzeitig war es das Jahreskonzert des Jungen Sinfonieorchesters des Landesgymnasiums für Musik. Der Rektor der Musikhochschule, Ekkehard Klemm, teilte erfreut dem Publikum im ausverkauften Konzertsaal der Hochschule mit, dass für dieses Projekt mit Vladimir Jurowski ein wahrer Pultstar gewonnen werden konnte.

Jurowski ist nicht nur Principal Conductor beim London Philharmonic Orchestra und ständiger Gast der Sächsischen Staatskapelle Dresden, er ist auch Alumnus der Dresdner Hochschule und hat daher das Projekt gerne übernommen. Dabei war das Konzert allerdings weit entfernt von einer Star-Show, im Gegenteil: die Musik stand im Vordergrund und damit auch das gemeinsame Erarbeiten der Partituren hin zu einem sehr professionellen, überzeugenden klanglichen Ergebnis.

Das begann mit dem Orchester des Landesgymnasiums und dem Klavierkonzert C-Dur KV 467 von Wolfgang Amadeus Mozart. Der erst 18jährige Pianist Ngoc Doc Vu (Klasse Prof. Zenzipér) bot eine differenzierte, sichere Gestaltung und formte treffend die Charakteristik der drei Sätze. Noch dazu entschied er sich die umfangreichen Kadenzen von Alfred Schnittke zu verwenden, die dem Stück eine starke Intensivierung verliehen. Dirigent Vladimir Jurowski konnte sich auf fabelhaft agierende junge Musiker verlassen, trennte räumlich Bläser und Streicher und hatte keinerlei Mühe, Schwung und Deutlichkeit in den Ecksätzen und innige Verklärung im zweiten Satz zu erzeugen.

Nach der Pause war die terminlich leicht verspätete Ehrung des Jubilars Gustav Mahler mit einer spannenden Dramaturgie versehen: zunächst musizierte das Hochschulorchester die beiden Wunderhornlieder "Das irdische Leben" und "Das himmlische Leben" - beide Lieder sollten nach Mahlers Plänen in die 4. Sinfonie aufgenommen werden, doch dann entschied sich der Komponist nur für das Vokalfinale mit dem "himmlischen Leben". Die Sopranistinnen Rebekka Gruber und Elisabeth Auerbach gestalteten die beiden keinesfalls leichten Wunderhornlieder mit passender Klanggebung und guter Ausformung von Text und Charakter.

Das lyrische Moment dieser Lieder übertrug Vladimir Jurowski dann nahtlos in die Interpretation der 4. Sinfonie, in der das Hochschulsinfonieorchester ausnahmslos in allen Gruppen derartig farbig und flexibel agierte, als ob Mahler das täglich Brot wäre. Jurowski verstand es, den Musikern auch kleinste agogische Hinweise zu geben und gleichzeitig Spannung und Entwicklung zu halten - die jungen Musiker dankten diesem Engagement mit hoher Konzentration auf der Stuhlkante. Die Sopranistin Jihye Son führte im Solo des 4. Satzes die Sinfonie dann zu einem geschmeidig-wärmenden Abschluss. Es war eine erfolgreiche Kooperation, die die starken Potenziale der beiden Institute demonstrierte, aber hier vor allem ein einzigartiges Musikerlebnis schuf.

Musikalisches Ausrufezeichen

Landesbühnen Sachsen mit der Aufführung der 9. Sinfonie von Beethoven

Die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven wird für den Jahreswechsel von vielen Orchestern gern auf das Programm gesetzt, dabei ist es nicht nur der offene Jubel des bekannten Finalsatzes, der "Ode an die Freude", die zu den Aufbruchsgedanken eines neuen Jahres perfekt passt. Denn die Sinfonie, das wird gerne unterschlagen, besteht aus vier genial zusammengefügten Sätzen und bietet zahlreiche auskomponierte Haltungen und Gedanken feil, die letztlich alle auf eine komplexe Auseinandersetzung mit dem Menschen und der Natur zielen, somit philosophische Dimension offenbaren.

Insofern wäre das Werk auch gut geeignet, auch Politikern einen Moment der Besinnung angedeihen zu lassen: was kann Kultur bewirken? wie werde ich berührt? warum spendet das Publikum in der vollbesetzten Auferstehungskirche in Dresden-Plauen so großen, ehrlichen Applaus? Leider hat dieses musikalische Ausrufezeichen wohl niemanden der Verantwortlichen erreicht, die die Kürzungen des Orchesters der Landesbühnen unlängst durchgesetzt haben.

So fällt das Grußwort des Orchesters zum Jahresausklang sorgenvoll aus, dass die Musiker anschließend in der Sinfonie "um ihr Leben spielten", kann man als fast schon zynische Wahrheit beschreiben: die Aufführung der 9. Sinfonie von Beethoven war gleichsam ein historisches Ereignis, das keiner gewollt hat, denn in dieser Formation wird das Landesbühnenorchester wohl zum nächsten Jahreswechsel nicht mehr antreten. Mit diesem Beigeschmack versehen ist es um so bemerkenswerter, wie die Aufführung diesmal eine Intensivierung erfuhr, die mit dem Gefühl des "jetzt erst recht" nicht nur zu Beethovens Innerstem vordrang, sondern auch von mitreißender Ernsthaftigkeit geprägt war.

GMD Michele Carulli wählte für den Eingangssatz ein bedächtiges Tempo, das Raum für die Klangentfaltung ließ - der Orgelpunkt am Ende der Durchführung fiel dadurch um so bohrender, gar wütender aus. Anstelle von Wildheit und Chaos im Scherzo herrschte eine gespannte Ordnung, die den folgenden langsamen Satz noch intensiver geraten ließ. Carulli ließ im Finale dann alle musikalischen Kräfte frei, gestaltete aber sorgsam die gut deklamierenden Chöre (Singakademie Dresden und Chor der Landesbühnen) und das etwas auftrumpfend agierende Soloquartett (Anna Erxleben, Hannah Schlott, Guido Hackhausen, Iikka Leppänen).

Musste es erst zu der kulturpolitischen Unbill kommen, dass wir uns plötzlich wieder dem Sinn der Neunten zuwenden? Ein verrückter Gedanke, der uns aber näher an die Bedeutung des Werkes führt. Dieter Hildebrandt wird im Programmheft zitiert: "Nur wenn wir uns klarmachen, dass wir einem Hymnus auf die Vergeblichkeit beiwohnen, dämmert uns eine Ahnung von Widerstand und Widerständigkeit, bis in die letzte Note der Neunten." - Ode an die Freude, ungelöst.

Nachbemerkung: Dass ich ausgerechnet auf dem Weg zu diesem Konzert in einem Park in der Innenstadt von einer dort versammelten Meute "Sieg Heil"-Rufe vernahm, erfüllte mich mit Entsetzen - und rüclt den Kürzungsakt des Sächsischen Kultusministeriums in nahezu kriminelle Regionen. Wer Kultur kürzt, macht sich strafbar, und zwar geistig strafbar.

Mit Maß und Contenance

Georges Prêtre mit Schubert und Mahler im 6. Sinfoniekonzert der Staatskapelle

Vor fast genau zehn Jahren begann er eine intensive Zusammenarbeit mit der Sächsischen Staatskapelle, und das ist in seinem Alter und mit der Erfahrung, bei der man sich die Lieblingsorchester der Welt nahezu aussuchen kann, nicht selbstverständlich. Doch den 87jährigen Georges Prêtre, den französischen Grandseigneur der Dirigentenzunft zieht es immer wieder nach Dresden: Freundschaften wollen gepflegt werden, und wenn man einen Blick in seine funkelnden Augen während der Aufführung erhascht, so weiß man, dass diesem großen Mann nichts lieber ist als Musik, Musik, Musik.

Das 6. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle am vierten Advent war daher auch nahezu ausverkauft und mit Schuberts "Unvollendeter" und Mahlers 1. Sinfonie standen zwei große sinfonische Werke auf dem Programm, die nicht nur durch die Tonartenbeziehung eine interessante Dramaturgie aufwiesen. Prêtre ging durchaus ähnlich an beide Werke heran, indem er immer wieder in Ruhe nach einem spezifischen Klangfluss forschte, der zum einen punktgenau ins Detail verwies, zum anderen nie den Zusammenhang der Architektur des Werkes außer acht ließ. Mit dieser Konsequenz versehen, geriet das Konzert zu einem Festmahl, bei dem die Zeit rasant verflog, weil sie mit dem Äußersten angefüllt war.

Dazu übertrug sich Prêtres spannungsgeladenes Musizieren bis in die hintersten Reihen im Parkett, so dass man bei von Prêtre sensibel angelegten feinen Harmoniewechseln in der Schubert-Sinfonie atemlose Stille im Opernrund verspürte. Die Detailgenauigkeit führte aber niemals zum Bruch - Schuberts zweisätziges Meisterstück wurde wie ein liebevoll enthülltes Geschenk bedacht: Prêtre ist ein Meister im Maßhalten und so zauberte er vor allem einen runden, satten Klang aus dem Orchester, der Schubert keine Weltverzweiflung auferlegte, sondern vor allem Sensibilität und Lebensatem - sauber ist ein "Moderato" da vom "con moto" getrennt.
Dafür allein hätte man Prêtre schon feiern mögen, doch der sinfonische Erstling von Gustav Mahler wartete noch nach der Pause.

Auswendig und mit ökonomischer, dennoch scharfer Zeichengebung führte Georges Prêtre die Sinfonie zu einer differenzierten Interpretation. Das begann gleich bei der feinen Contenance, mit dem er die Naturlaute des 1. Satzes mit der persönlichen Reflektion des Komponisten verband und selbst im Höhepunkt noch Linien betreute und Abrundung gestaltete. Die Aufbruchsgedanken waren über den von Prêtre saftig musizierten 2. Satz bis in die letzten Noten des 4. Satzes gespannt. Sanft führte Prêtre die Musiker zu atemberaubenden Bläsersoli und gab im Dirigat oft nach um den Klang zu intensivieren, der Marsch des 3. Satzes erhielt dadurch eine Stringenz, die nie Grenzen überschritt, damit tiefen Ernst entwickelte.

Außergewöhnlich langsam geriet der 4. Satz, doch mit der Ruhe und Überlegenheit, die Prêtre ausstrahlte, entwickelte der Satz schon zu Beginn eine enorme Kraft. Doch Säbelrasseln ist Prêtres Sache nicht, stattdessen strömte das Finale mit allen seinen Rückblicken und Innenschauen markant und organisch auf seinen hymnischen Jubel zu. Den Blumenstrauß gab es als besondere Ehrerbietung gleich von Christian Thielemann höchstselbst; mit stehenden Ovationen dankte das Publikum Georges Prêtre und der Kapelle für ein außergewöhnliche Musikerlebnis.

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