Freitag, 9. Dezember 2011

Advent in h-Moll

Kammerchor der Singakademie Dresden mit Eccard, Hammerschmidt, Bach und Füting

Seit 2004 ist der "Adventsstern" der Singakademie Dresden ein fester Programmpunkt der musikalischen Aktivitäten der Vorweihnachtszeit. Dass neben der Besinnlichkeit und Vorbereitung auf das Weihnachtsfest in diesem Konzert tiefergehende Beleuchtung adventlicher Gedanken musikalischer Art zu erleben sind, darf sich gerne noch mehr herumsprechen. Als solches dient nämlich der "Adventsstern" als hervorragende Alternative zur inszenierten Besinnungslosigkeit dieser hektischen Zeit. Die Dramaturgie der Programme, für die Leiter Ekkehard Klemm verantwortlich zeichnet, bietet dabei manche Überraschung feil.

Doch nur kurz währet das Stutzen, als man im Programmheft neben dem Komponistennamen Johann Sebastian Bach nicht das Weihnachtsoratorium als Aufführungsgegenstand erblickt, sondern den ersten Teil der h-Moll-Messe. Klemm versteht die h-Moll-Messe im Sinne von Neuerung und Aufbruch und zieht damit eine sinnvolle Parallele zur Weihnachtszeit - eine weitere besteht in den weihnachtsaffinen Teilen des Ordinarium Missae, die selbstverständlich Geburt und Anbetung Jesu (Gloria, Benedictus) nicht auslassen. Die Singakademie wird sich dem Meisterwerk in drei Teilen bis 2013 im jeweiligen "Adventsstern" zuwenden und stellt Bach jeweils eine "Re-Aktion" eines zeitgenössischen Komponisten zur Seite. Am Sonntag war dies der in Amerika und Deutschland wirkende Komponist Reiko Füting, dem mit "höhen-stufen" eine reizvolle kontemplative Betrachtung von Sprache und Zeit gelang.

Spannend war zu beobachten, wie sich die Verzahnung von Harmonik und Zeitfluss in Fütings Werk zu Bach verhielt. Beide Komponisten arbeiten in klar wahrzunehmender strenger Strukturierung, und es wird jeweils eine Gesamtidee deutlich, die die Thematik beleuchtet, aber nicht einengt. Die Idee von himmlischen und irdischen Stimmen wird hier kompositorisch sehr plastisch ausgeformt und stellen somit auch einen Bezug zur Messe im theologischen Sinne her. Der Kammerchor der Singakademie hatte mitsamt fünf Solisten (Jana Reiner, Christiane Büttig, Elisabeth Holmer, Oliver Kaden und Egbert Junghanns) vielfältige Aufgaben zwischen Geräusch, Tonfläche und Deklamation zu bewältigen, Uta-Maria Lempert steuerte ein das Werk reflektierendes Violinsolo von der Empore bei.

Endend mit der Chorsatz "Cum Sancto Spiritu", wirkten Kyrie und Gloria der Messe in dieser Teilaufführung geschlossen und wurden ja auch von Bach zur - nicht erfolgreichen - Bewerbung um einen Hoftitel in Dresden eingereicht. Für den runden Gesamteindruck der Aufführung sorgte Klemms Auswahl flüssiger Tempi, die klare Themengestaltung zuließen - so rückte jeweils der ganze Satz in den Hörvordergrund, weniger die Details. Bereits die beiden Kyrie-Sätze waren zielgerichtet ausmusiziert, das Gloria hätte noch etwas mehr rhythmische Emphase zeigen dürfen. Der Kammerchor zeigte, dass er die anspruchsvollen Chorpartien engagiert bewältigen kann, einige Reserven waren in den Mittelstimmen zu bemerken. Empfunden und stilgerecht waren die Arien von den Solisten gestaltet, in der Begleitung der Sinfonietta Dresden fielen allerdings einige Ungenauigkeiten in der Phrasierung und ein durchweg zu präsentes Continuo auf. Der Kammerchor der Singakademie hatte zu Beginn noch einen weiteren Programmteil mit Continuo-Begleitung und a-cappella ausgestaltet und damit erfolgreich eine höchst ansprechende Gesamtleistung bewältigt: Motetten von Johann Eccard und Andreas Hammerschmidt zeigte der Chor mit überzeugender Textdeklamation ud folgte Klemms Zeichengebung stets aufmerksam, so dass die Motetten Schwung und Klarheit erhielten. Damit löste der Chor gleich zu Beginn die adventliche Stimmung aus, die im folgenden die Betrachtung der Gegenwart, der Musik und Kulturen erst ermöglichte.

Aufgehobene Distanzen

Jörg Herchets Kantate zum 3. Sonntag nach Epiphanias in der Musikhochschule

Zu einem Gesprächskonzert mit dem Komponisten Jörg Herchet lud die Dresdner Musikhochschule, wo Herchet viele Jahre als Professor für Analyse und Komposition wirkte, am Donnerstagabend ein. Nur ein einziges Werk stand auf dem Programm: die "komposition für violine, violoncello, klavier und publikum", gleichzeitig betitelt als Kantate zum 3. Sonntag nach Epiphanias von Jörg Herchet. Bereits im März wurde die Kantate im Leonhardi-Museum uraufgeführt, doch konnten sich die Interpreten und der Komponist glücklich schätzen, das Werk im Laufe des Jahres in mehreren sehr unterschiedlichen Räumen erklingen zu lassen, denn die Kantate bezieht nicht nur die Raumwirkung ein, sondern hebt auch die Distanzen auf, indem das Publikum an zwei Stellen zur Mitwirkung eingeladen wird.

Herchet begann seinen Zyklus mit Kantaten zum Kirchenjahr 1978; seitdem sind viele höchst unterschiedliche, in ihrer genuinen Kreativität immer wieder neu faszinierende Werke entstanden, die die jeweiligen Themen des Glaubens beleuchten, aber auch in Reflektion zum Menschen der Gegenwart setzen und dafür eine spezifische literarische und musikalische Ausdruckswelt erschaffen. In der Kantate zum 3. Sonntag nach Epiphanias, dem Dreikönigstag, ist schon die Besetzung ungewöhnlich: die Kantate kommt ohne Chor, Solisten, Orchester aus, stattdessen ist ein Klaviertrio Protagonist der Musik. Die drei Musiker sind auch gemeinsam mit dem Publikum Träger des Textes (Jörg Milbradt), dessen Auskomposition im Stil einer "Lesung" verbleibt und daher nah an den von der Kirche her gewohnten Rezitationen und einfachen Gesänge verbleibt.

Überraschend sinnfällig war die Einbeziehung des Publikums als Laut-Träger: die für jedermann sofort umsetzbaren Anweisungen der Lesung sorgten für eine mal individuelle, mal chorisch organisierte Klangebene. Das aufführende Dresdner elole-Klaviertrio und der Komponist gaben wertvolle Einblicke in die Partitur und konnten somit den Zuhörern vor der Aufführung eine Vertrautheit vermitteln, die nicht belehrend oder akademisch geriet. Dafür sorgt auch Herchets in diesem Werk überraschend bildhafte Musiksprache, die aber niemals totale Identifikation oder Eindeutigkeit fordert, doch lädt sie an vielen Stellen nicht nur zum Genuss (wie die "Lieblingsstellen" der Musiker bewiesen), sondern auch zur tiefergehenden Beschäftigung mit dem Thema ein - Herchets Einbeziehung des Zen-Buddhismus baut gottlob nicht auf Orientalismen, sondern führt behutsam etwa an die Wahrnehmung und Auflösung von erlebter Zeit heran.

Die Aufführung selbst geriet zu einem starken Erlebnis für alle: der nahezu ökumenische Gedanke der Kantate hin zu einer offenen Frage zum Bezug zwischen Wort, Glaube und Wunder manifestierte sich in Text wie Musik so zwingend, dass man nachgeradezu froh war, keine klassische oratorische Umsetzung vor sich zu haben. Immer wieder fanden sich in dem klar strukturierten Werk deutlich gezeichnete instrumentale Bilder, die durch die starke Umsetzung von elole wie eine Art geistige Wanderung durch eine Klanggalerie wirkten. In der passenden Form des Gesprächskonzertes wurde auch die immense Bedeutung des Kantatenzyklus von Herchet offenbar - nach Johann Sebastian Bach dürfte er der erste Komponist sein, der in der Neuzeit auf eine ähnlich intensive, zeitgenössische Art und Weise, zum Kirchenjahr Fragen stellt, Haltungen formuliert oder reflektiert und damit die Auseinandersetzung mit dem Glauben heute fördert - ein humanistischer Ansatz letztlich, für den man in der Verbindung mit der Musik nur dankbar ist.

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