Montag, 30. Mai 2011

CD-Tipp Mai: Anna Prohaska - Sirène



Das ist das Debut-Album der jungen Sängerin Anna Prohaska, unbedingter und einziger großer Hörtipp des Monats Mai. Wer auf die Zusammenstellung der Lieder schaut, könnte irritiert sein: Debussy, Dowland, Szymanowski, Dvorak? Wie passt das zusammen? Es passt, nicht nur thematisch mit dem Motto "Sirène", sondern auch gerade in der Abwechslung und im Kontrast der Stile und Geschichten, die Anna Prohaska uns hier plastisch und mit ihrem strömend warmen Sopranklang ausbreitet. Eric Schneider am Klavier begleitet ebenso zauberhaft - und wer meint, da nebenbei anderen Beschäftigungen nachgehen zu können, irrt - hier ist Zuhören gefragt, die Belohnung folgt auf dem Fuße (DGG)

Neues auf dem Plattenmarkt:
* Tolle Idee: The Art of the Cigar - Das Huelgas-Ensemble widmet eine ganze CD dem Thema Tabak. Wie geht das? Es geht, und es klingt auch noch spannend mit recht unbekannten Bonbons der Musikgeschichte (DHM)
* Noch ein Lied-Album: Sandrine Piau widmet sich wunderschönen Liedern von Fauré, Strauss, Mendelssohn, Chausson. Wer weiß, wie groß diese Sängerin im barocken Repertoire ist, wird schätzen, wie glasklar und ausgeformt sie sich in der Romantik bewegt.
* Die "LiegtwieBlei"-CD des Monats: Erwin Schrott mit Tangomusik, etwas wüst zusammengepresst aus den letzten Sony-Tangoveröffentlichungen (Sony)

Am Schnittpunkt der Kulturen

Asiatische Streichquartette bei "Global Ear" im Rahmen der Musikfestspiele

Wer, wenn nicht die schon seit Jahren in Dresden aktive Konzertreihe "Global Ear", hätte zum aktuellen Thema der "Fünf Elemente" der Dresdner Musikfestspiele einen spannenden Beitrag zu leisten? Der Blick nach Asien ist hier zeitgenössisch, keines der Werke war älter als 30 Jahre. Das renommierte Faust-Quartett stellte Kammermusik zweier Komponisten vor, die am Schnittpunkt verschiedener Kulturen arbeiten. Die kulturellen Wechselwirkungen im Schaffen östlicher wie auch westlicher (deswegen war Hans Zender im Programm präsent) Komponisten erschaffen mittlerweile eine ganz eigene Musikgeschichte im 20. und 21. Jahrhundert.

Der Chinese Tan Dun und der Japaner Toshio Hosokawa weisen zwar unterschiedliche Biographien auf, vereint sind sie aber in dem Aspekt, westliche Erfahrung und kultureller Verwurzelung in der Heimat spielerisch zu verbinden. Das führte im Konzert zu außergewöhnlichen Hörerlebnissen, die das Faust-Quartett hervorragend darbot: Tan Duns Streichquartett "Eight Colors" arbeitet mit bewusst gesetzten Gesten aus dem vokalen und instrumentalen Vorrat der chinesischen Musik und wirkte dabei seltsam zwiespältig auf einem Grat zwischen Folklore und Avantgarde.

Auf diese Miniaturen folgte Hosokawas Streichquartett "Eight Flowers", das stärker westlichen Strömungen verpflichtet ist. In der Modellierung der vielen einzelnen Gesten und Situationen war zwar das Faust-Quartett unglaublich gut, jedoch konnte dies nicht über eine Spannungsschwäche beider Stücke hinwegtäuschen, die an der Orientierung der Komponisten im (oft entwicklungslos konstruierten) Momenthaften lag.

Zenders Streichquartett "Hölderlin lesen I" verlegte die kulturellen Synthesen auf die Zeitachse: Klassisches Zeitalter traf auf Gegenwart und Zender scheute sich nicht, die Epochen musikalisch hart aufeinanderprallen zu lassen. Das führte zu einem zerrissenen Klangergebnis, bei dem am Ende trotz des dramatisch auffahrenden Schlusses musikalische Emotionen zugunsten der vom Komponisten intellektuell beleuchteten Hölderlin-Thematik zurücktraten. Das Faust-Quartett zeigte sich den hohen Ansprüchen der Stücke komplett gewachsen und präsentierte sich einem sehr konzentriert folgenden Publikum mit kenntnisreicher und klanglich höchst flexibler Spielkultur.

Sinnlichkeit und Mut

Ye-Eun Choi und Yu Kosuge auf Schloss Wackerbarth

Dass "Asiens Stars von morgen" innerhalb der so bezeichneten Reihe bei den Dresdner Musikfestspielen gleich fünf Mal im Weingut Schloss Wackerbarth auftreten, macht Sinn, wenn man die historischen Gebäude und Weinberge im Kontrast zur modernen Manufakturhalle betrachtet, die für diese Reihe als - auch akustisch sehr angenehmer - Konzertsaal fungiert. Hier verbinden sich Tradition und Gegenwart und in der Musik des ersten Konzertes war das nicht anders.

So erschienen nahezu alle Werke nicht als verstaubte Exemplare ihres Genres, sondern als schöpferische Gegenwartsaussage ihrer jeweiligen Zeit. Zum Auftakt der Reihe hatte sich die - von Anne-Sophie Mutter früh entdeckte und geförderte - junge koreanische Geigerin Ye-Eun Choi ein großes Programm vorgenommen: Sonaten von Beethoven, Mendelssohn Bartholdy und Strauss, dazu ein Solowerk von Isang Yun.

Dies sprengte etwas den Rahmen eines Kammerkonzertes, und am Ende reichten Kraft und Konzentration nicht mehr ganz für die Sonate Es-Dur, Opus 18 von Richard Strauss. Nun ist dies ohnehin ein nicht ohne Stirnrunzeln zu rezipierendes Werk, dessen noch jugendlicher Schöpfer kraftvoll hinlangte und man sich fragt, ob die Sonate nicht doch einem bearbeitetes Particell einer opulenten sinfonischen Dichtung entspringt. Dieser Schlusspunkt des Konzertes, in dem die vom Komponisten ausgebreitete Unruhe eine gelassene Sicherheit der Interpreten erfordert, konnte nicht recht befriedigen, da Choi und ihre Partnerin am Klavier Yu Kosuge (die Japanerin genießt auch hohes Renommee als Solistin) den enormen Energiewellen des Stückes einen interpretatorischen Eifer hinzufügten, der das Stück nahezu zum Überlaufen brachte.

Zuvor hatten die beiden aber schon hohen Ansprüchen entsprechende Interpretationen gezeigt. Das begann mit der ausgereiften Darstellung von Beethovens Sonate c-Moll Opus 30/2, bei der Choi schlanken Ton und kluge Phrasierung zeigte und die Sonate auf Kontraste anlegte. Choi zeigte Mut für eine innig-schwebende Gestaltung des zweiten Satzes und packende Impulse in den Ecksätzen, niemals aber überspannte sie den Bogen der Interpretation, so dass man die Geschliffenheit der Komposition sorgsam nachvollziehen konnte. Yu Kosuge begleitete hier wie auch in der Mendelssohn-Sonate F-Dur souverän und mit komplett überzeugender, intensiver Gestaltung. Auch der romantische Ton Mendelssohns lag Choi, immer behielt sie dabei Form und Fluss im Blick.

Das überzeugendste Werk war jedoch ausgerechnet Isang Yuns fünfsätzige Solophantasie "Li-Na im Garten", die keineswegs als ins Programm eingestreute Miniatur der Moderne wirkte, sondern als ein ausgewachsenes, virtuos gespicktes und doch eigenwillig kantables Solowerk erschien. Die Violinvirtuosin Ye-Eun Choi ist jung und zeigte in diesem Konzert bereits eine erstaunliche Reife - behält sie ihre erstaunliche Sinnlichkeit in der Formung der Töne und den gleichzeitigen Mut zum Eigenen, Außergewöhnlichen, werden wir noch viel von ihr hören.

Im Schatten des Repertoires

Rott, Mahler und Bartók im 9. Zykluskonzert der Philharmonie

In verschiedenen Konzerten der laufenden Saison heißt es bei der Dresdner Philharmonie "Mahler, der Lyriker". Zwar könnte man dieses Attribut auch auf die Sinfonien des in diesem Jahr zu seinem 100. Todestag gewürdigten Komponisten anwenden, doch die Themenreihe ist vorrangig dem vokalen Schaffen gewidmet. Während man im Juli bei einem Konzert der Philharmoniker in der Frauenkirche den interessanten Kontrast zu Werken von Arvo Pärt erleben kann, stellte das 9. Zykluskonzert am vergangenen Wochenende den "Rückert-Liedern" ein sinfonisches Werk von einem Mahler-Zeitgenossen zur Seite, der erst in den letzten Jahren wiederentdeckt wurde:

Dem Komponisten Hans Rott (1858-1884), Kommilitone Gustav Mahlers und Schüler unter anderem von Anton Bruckner war nur ein kurzes Leben bedacht und anstelle von Erfolgen, die sein unbestrittenes musikalisches Talent befördert hätten, stand bereits in jungen Jahren eine psychische Erkrankung. Eine klare persönliche Handschrift ist indes schon in Rotts 1. Sinfonie E-Dur und auch in dem von der Philharmonie aufgeführten "Pastoralen Vorspiel F-Dur" zu spüren. Der spanische Gastdirigent Juanjo Mena - designierter Chefdirigent des BBC Philharmonic Orchestra - wusste gut mit diesem im Tonfall zwischen Brahms und Reger changierenden Werk umzugehen. Die Besonderheiten, etwa harmonische Überraschungen oder plötzliches Versiegen des Verlaufes, wurden auch als solche inszeniert; somit bekam das Werk eigene, starke Qualität, die über die von Rott gewählte lapidare Betitelung hinauswies.

Das komplette Zykluskonzert hätte auch eine weitere Thematik bedienen können: Entdeckungen im Schatten des Repertoires - denn das traf mit sicher unterschiedlichen Begründungen auf alle drei Werke des Konzertes zu. Dass die Neugier auf ungehobene Schätze immer weniger den Kulturpalast zu füllen vermag, ist leider kein Geheimnis mehr, doch ob innere Bereicherung durch stetiges Wiederkäuen des Bekannten erreicht wird, sei dahingestellt. Die Schattenposition in der Rezeption gilt merkwürdigerweise auch für Gustav Mahlers "Rückert-Lieder", die vermutlich wegen ihrer zerbrechlich anmutenden, direkten Intimität den Standards der Popularität kaum folgen wollen. Die Philharmoniker zeigten dabei kammermusikalischen Geist und Raffinesse, konnten aber in Nuancen der Übergänge und Tempi gemeinsam mit dem Bariton Michael Volle nicht immer zur letzten Hingabe gelangen - dann nämlich wäre "Ich bin der Welt abhanden gekommen" zum luziden Diamanten geraten. Volles ausführliche Diktion bremste in "Ich atmet einen linden Duft" den Fluss etwas ab, doch im bitteren "Um Mitternacht" fand er wunderbaren, unwidersprechbaren Ausdruck.

Nach der Pause wartete dann in Gestalt des ebenfalls selten aufgeführten Tanzspiels "Der holzgeschnitzte Prinz" von Béla Bartók echte Schwerstarbeit auf die in voller Besetzung angetretenen Philharmoniker. Mena nahm die Orchestermusiker mit auf die Reise in die zerklüftete und farbenreiche Klangwelt des Märchens, das in einigen der Tänze nahezu taktweise komplett den Charakter wechselt und dabei in immer neuen kleinen und großen Wellen pulsiert. Alle Musiker schufen gemeinsam eine gute, von Intensität und mutigem Herangehen geprägte Interpretation; für das sorgfältige, stets energiegeladene Dirigat durfte Mena am Ende auch den Dank des Orchesters entgegennehmen.

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