Montag, 25. April 2011

Passionsmusik mit Pettersson und Liszt

“Vox Humana” und “Via Crucis” im Konzert der Sing-Akademie zu Berlin

Außergewöhnlich bewegend geriet das Passionskonzert am Karfreitag in der vollbesetzten Gethsemane-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg durch die Auswahl der musikalischen Werke – keine der großen bekannten Passionsmusiken erklang, die Sing-Akademie zu Berlin unter Leitung von Kai-Uwe Jirka widmete sich stattdessen zwei Jubilaren des Jahres 2011: Franz Liszt und Allan Pettersson. Während man dem durch seine Klavierkompositionen im Konzertleben verankerten Liszt Raum für seine kaum bekannte späte, geistliche Vokalmusik gab, ist der Schwede Allan Pettersson (1911-1980) in unserer Konzertlandschaft völlig unterrepräsentiert – und das bei einem gewaltigen sinfonischen Werk, das er der Nachwelt hinterließ – die letzte deutsche Komplett-Aufführung der “Vox Humana”-Kantate datiert aus dem Jahr 1995 und es gibt eine einzige Plattenaufnahme, die kurz nach der Uraufführung entstand.

Die genaue Kenntnis des OEuvres dieser beiden Komponisten ließ wohl die Idee aufkommen, Liszt und Pettersson zu kombinieren. Jirka formte das Konzert als Kreuzweg in 14 Stationen und ließ sogar die einzelnen Werkteile beider Komponisten aufeinander prallen. Das Konzept ging vor allem deswegen auf, weil die verinnerlichte, manchmal kryptische Sichtweise von Liszt auf eine hochemotionale, offen die nackte, oft erbarmungslose Welt zeichnende Musik von Pettersson traf. Zudem konnte sich Jirka so im Liszt-Werk vor Längen bewahren, bei Pettersson hatte die Entscheidung zur Einbettung in ein Passionskonzert weitaus heftigere Folgen: Oft wurde dessen kompositorisches Werk als seine eigene Passion bezeichnet und das Bild vom leidenden Künstler bemüht. Jirka und auch der gute Programmhefttext gingen dieser unzureichenden Darstellung nicht nach, stattdessen wurden die Vertonungen der Kantate “Vox Humana”, die Pettersson 1974 nach seiner ebenfalls chorsinfonischen 12. Sinfonie schrieb, in den christlichen Passions-Kontext integriert.

Die Texte lateinamerikanischer Dichter und aus Inka-Gesängen erhielten so eine tiefere Bedeutung, wirkten fast wie ein zeitgenössischer Spiegel der Christus-Geschichte. Pettersson selbst hatte übrigens vorgesehen, dass die insgesamt 18 Teile der Kantate auch nichtzyklisch aufgeführt werden können – umrahmt von Liszt wirkten sie als geschlossene Bildwelten – Leif Aare beschrieb sie schon 1976 als “vokalmusikalisches Fresco”.

Der Sing-Akademie zu Berlin, vereint mit dem Staats- und Domchor kam die umfangreiche Aufgabe zu, die musikalischen Welten adäquat darzustellen und das gelang vortrefflich, mit wacher Konzentration und Durchdringung der Partituren. Rhythmischen Ausdruck wie in “Lynch” oder ungewohnte harmonische Fortgänge wie in “Der Unbussfertige” meisterte der Chor mühelos. Die Symphonische Compagney lieferte im Streichorchester nicht nur Orientierung, sondern bot starke eigene Farben dieser Musik an. Einige Pettersson-Stücke wurden vor der Aufführung auf deutsch rezitiert, dies vertiefte das Verständnis; Altistin Hilke Andersen überzeugte in den Solostücken mit flexiblem Ausdruck.

Im Kontrast zu dieser zeitgenössischen Sicht standen die Liszt-Stücke aus “Via Crucis”, dem “Tristis Anima Mea” und dem abschließenden “Stabat Mater”. Während die Kreuzweg-Stücke mit Orgelbegleitung fast meditativen Charakter zeigten (mit dem Gerhardt-Choral “O Haupt voll Blut und Wunden im Mittelpunkt), war die Wahl des “Stabat Mater” das einzige Wagnis des Konzertes, denn das fast vierzigminütige Stück am Ende des Konzertes verwischte ein den Kontrastreichtum des bereits Gehörten und konnte auch im Zusammenspiel zwischen Harmonium und Solisten – hier dazu Julia Giebel (Sopran), Ferdinand von Bothmer (Tenor) und Nikolay Borchev (Bariton) – nicht immer überzeugen. Der Chor konnte hier noch einmal ein großes romantisches Klangbild anlegen.

Dieses Passionskonzert war mutig, erzeugte großen Beifall vom Publikum und regte zum Nachdenken an, zudem wurde eine der wenigen Jubiläums-Aufführungen eines Werkes von Allan Pettersson in Deutschland überhaupt realisiert, dafür darf man gratulieren.

Unvergessen

Sächsische Staatskapelle erinnert an Giuseppe Sinopoli

Gedenken und Erinnern muss nicht immer zwingend mit Trauer und Bedrücktheit einhergehen - Erinnerung hält einen verstorbenen Menschen lebendig und man umgibt sich gerne mit dem, was ihn ausgemacht hat. Einig waren sich alle Beteiligten und die Sächsische Staatskapelle Dresden als Veranstalter des Benefizkonzertes zum 10. Todestag von Giuseppe Sinopoli, das am Gründonnerstag in der Lukaskirche stattfand, in dem Willen, eben diese Lebendigkeit der künstlerischen Persönlichkeit in den Vordergrund zu stellen. Wort und Musik füllten dieses - von MDR Figaro live übertragene - Gedenkkonzert an den großen, am 20. April 2001 während einer Aida-Aufführung in Berlin verstorbenen Maestro und Chefdirigenten der Sächsischen Staatskapelle auf eine würdige Weise.

Sinopolis Familie und zahlreiche Weggefährten vor allem aus der Dresdner Zeit wohnten dem Konzert bei, dessen Erlös der nunmehr in "Giuseppe-Sinopoli-Akademie" umbenannten Orchesterakademie der Staatskapelle zugute kommt, die 1993 auf Initiative Sinopolis gegründet wurde und praxisnah hervorragende Nachwuchsmusiker im Orchester ausbildet. Der künftige Chefdirigent der Staatskapelle, Christian Thielemann übernahm die Leitung dieses Erinnerungskonzertes; er selbst arbeitete schon 1980 an der Deutschen Oper Berlin mit Sinopoli bei dessem umjubeltem Debut mit Verdis "Macbeth" zusammen.

Orchesterdirektor Jan Nast und Kapellmusiker Frank Other berichteten über den umfassend gebildeten, mehrere Wissenschaften parallel studierenden Künstler. Ihre Worte umrahmten die Aufführung der "Klangfarben" für Streichquintett des Komponisten Sinopoli: vier ausdrucksstarke Miniaturen fundamentiert auf strenger struktureller Basis. Eine Ansprache des ehemaligen Klassik-Chefs der Deutschen Grammophon Ewald Markl rückte vor allem Sinopolis umfangreiche Tonträger-Produktionen in den Fokus, zumal man sich in der Lukaskirche - seit den 60er-Jahren Studio unzähliger DDR-Klassikschallplattenaufnahmen - an dem Ort befand, wo Sinopoli 1987 bei einer Aufnahme der 4. Sinfonie von Anton Bruckner erstmals mit der Kapelle zusammenarbeitete. Leider verlor sich Markl in wortreichen Beschreibungen der Produktionen und ließ zudem Feinfühligkeit in seinem kaum den Dirigenten treffend würdigenden Beitrag vermissen.

Christian Thielemann folgte dann aber mit einer musikalischen Glanzleistung. Zwar kann man die Streicher der Kapelle nachts anrufen und sich die "Metamorphosen" von Richard Strauss vorsingen lassen, so sehr haben sie nach vielen Aufführungen gerade auch unter Sinopolis Leitung dieses Werk verinnerlicht. Doch die Kunst besteht aus dem Miteinander der 23 Solostreicher und Thielemann schaffte es kongenial, Führung und Freiheit in seinem Dirigat zu einem unaufhörlichen Spannungsfluß der Musik zu verbinden - Trauer war nicht das Motto dieser Interpretation, sondern eine konstruktive, fast positiv schimmernde Art von Wandlung. So waren die Themen hier auch nicht als filmmusikalische Seufzer geformt, sondern als Mittel zum Zweck einer höheren musikalischen Ebene, die viel weiter ging.

Einen fast ähnlichen Ansatz wählte Thielemann auch für Robert Schumanns 1. Sinfonie B-Dur, der "Frühlingssinfonie", das letzte Werk, das Sinopoli in einem Kapellkonzert dirigierte. Thielemann arbeitete starke Kontraste in dem oft als romantischem Schmuckstück unterschätzten Stück heraus und brillierte mit einem fast verhalten genommenen Scherzo und einer rasanten Stretta im Finale. Am Ende vereinten sich in diesem Konzert auf wundersame Weise Erinnerung, Gegenwart und Zukunft in der Musik - dem Philosophen Sinopoli hätte diese Einheit der fließenden Zeit gefallen - er bleibt unvergessen.

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