Mittwoch, 26. Mai 2010

Extrem leidenschaftlich - Russische Romanzen mit Mischa und Lily Maisky in der Semperoper

Am Morgen des Pfingstmontages begaben sich die Zuhörer des Musikfestspielkonzertes in der Semperoper auf eine Reise in die wohl authentischsten Klangwelten Russlands. Denn ähnlich wie das deutsche Kunstlied mehrere Epochen der Musik geprägt und entwickelt hat, ist die russische Romanze eine eigene Kunstform, die sogar bis in die Gegenwart von Sängern und Komponisten gepflegt wird. Unzählige Romanzen wurden im 19. Jahrhundert gedichtet und vertont, Liebeswonne, -leid und intimster Klagegesang bilden darin eine Einheit und schwingen sich in den Kompositionen von Tschaikowsky und Rachmaninov zu höchster Meisterschaft auf.

Bereits vor vier Jahren hat der große Cellist Mischa Maisky einige dieser Romanzen eingespielt, er widmete sich ihnen auch im ersten Teil seines Konzertes in der Semperoper. Flüssige Übergänge zwischen den einzelnen Stücken schufen quasi ein großes russisches Liebeslied mit vielen Strophen und Facetten, wobei Maisky jedes Lied behandelte, als ginge es um sein persönliches Schicksal, das mit zumeist ersterbenden Schlußtönen seine Besiegelung fand. In atemberaubender Schlichtheit gestaltete Maisky die zarten Anfänge vor den oft gewaltigen Steigerungen in den Mittelteilen der Romanzen, so dass man trotz fehlender Texte die jeweiligen Gefühlswelten direkt von den von Maisky extremst gestalteten Tönen abnehmen konnte, es waren eben "Lieder ohne Worte" par excellence.

Am Klavier begleitete seine Tochter Lily kundig und aufmerksam, aber manchmal zu farblos, das änderte sich auch bei den pianistisch anspruchsvolleren Rachmaninov-Romanzen nur wenig. Mischa Maisky hingegen steigerte sich hier zu intensivster Klangmodellierung und ließ die Elegie, Opus 3/1 vor der Pause zum Höhepunkt werden.

Ein einziges Werk stand danach auf dem Programm: Dmitri Schostakowitschs Cellosonate d-Moll erhielt schon allein eine spannende Qualität durch die Nachbarschaft zu den Romanzen. Maisky wurde denn auch nicht müde, die melodischen Linien mit unbändiger Kraft des Bogens auszusingen. Allerdings legte sich die Dominanz der Interpretation oft so stark über die Partitur, dass - verbunden mit etlichen zum Teil unerklärlichen Freiheiten, die sich die Musiker in Tempogestaltung und Agogik nahmen - die Stimme Schostakowitschs vor allem im ruppigen Scherzo kaum noch zu erkennen war. Hier hätten beide zugunsten von klarer Tongebung und formaler Transparenz ihre Über-Leidenschaft etwas zurückfahren können, die trocken-lakonische Atmosphäre, die vor allem die Ecksätze bestimmt, wollte sich nicht einstellen. Zudem enttäuschte Lily Maisky hier auch mit einem kaum souverän bewältigten Klaviersatz. Das Publikum erklatschte sich noch weitere drei Romanzen, in denen Solisten und Zuhörer gemeinsam schwelgen durften, allerdings setzte ein Defekt der Klimaanlage in der dritten Zugabe einen unrühmlichen Schlußakzent unter ein ansonsten vor Spannung und Leidenschaft berstendes Konzert.

Mahlers Schatztruhen - Pittsburgh Symphony Orchestra unter Manfred Honeck gastierte in der Semperoper

Das kam genau richtig. Mitten in einem "Russlandia"-Programm gastierte das Pittsburgh Symphony Orchestra bei den Dresdner Musikfestspielen in der Semperoper. Damit gelingt den Festspielen nicht nur der orchestrale Seitenblick "übern Teich", man bekommt in diesem Jahrgang zudem einen tiefen Einblick in die Orchesterkultur diverser Länder. Im Programm gab es ein Paradestück für Sinfonieorchester - aber eben auch einen bekannten Prüfstein: Gustav Mahlers 1. Sinfonie D-Dur. Zudem gesellte sich den Amerikanern der Intendant der Musikfestspiele, Jan Vogler, als Solist zur Seite und musizierte das Schumannsche Cellokonzert.

Schön und fortführungswürdig ist, dass im Programmheft einige persönliche Worte des Solisten zum Interpretationsansatz zu finden waren - auf diese Weise erhellten sich einige musikalische Aspekte, die ansonsten möglicherweise fraglich geblieben wären: denn was Schumann selbst als "durchaus heiteres Stück" anpries, bürstete Vogler ordentlich gegen den Strich. Da musste im ersten Satz auch im Zusammenspiel mit dem Orchester erst ein gemeinsamer Klang gefunden werden und Vogler formte aus dem unaufhörlichen Notenstrom eine große Rede, in der es um Behauptung, vielleicht auch Befreiung ging. So blieb die Cellostimme auch im langsamen Satz groß und erhaben, wirklich intime Elementen fand Vogler eigentlich erst im letzten Satz, in welchem auch von der Komposition her mehr Licht durchschimmert. Diese Interpretation lief sicher konträr zu bekannten romantischen Sichtweisen, als intensiv-temperamentvolle Auseinandersetzung mit den Schumannschen Charakteren erschien sie in summa überraschend legitim.

Manfred Honeck, seit zwei Jahren Chefdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra, konnte bereits in der Begleitung den silbrigen Glanz seines Ensembles hervorlocken und spielte dann in der Mahler-Sinfonie die Stärken des Klangkörpers voll aus. Die Aufführung geriet für Honeck zum Triumph, laut jubelte das Festspielpublikum und erklatschte sich drei Zugaben: neben dem unvermeidlichen ungarischem Tanz und einer echten Wiener "Libelle" fehlte auch nicht der augenzwinkernde Walzergruß an den Hauskomponisten der Semperoper. Mahlers sinfonischer Erstling jedoch ist lediglich im finalen Satz ein phonstarker Garant für Applausstürme - das Stück birgt einige Schatztruhen in sich, die Honeck eine nach der anderen liebevoll öffnete und mit präzisen Impulsen zum Klingen brachte.

Fantastisch sitzende Harmonik im Blech war ebenso zu bewundern wie eine in allen Sätzen fast lasziv ausmodellierte Piano-Melodik in den Streichern. Auf der Stuhlkante sitzen ohnehin alle Musiker; Freude und Hochspannung sind da in den Gesichtern abzulesen, just als würde man das Stück gerade aus der Taufe heben. Satter Zugriff im Scherzo und fahl schimmernde Nachtmusik im langsamen Satz - diese Kontrastpaare kumulierten im letzten Satz an der spannungsgeladenen Nahtstelle aller Motive der Sinfonie. Manfred Honeck krönte die Europa-Tour seines Orchesters mit einem umjubelten Gastspiel in Dresden und ist mit dieser hinreißenden Interpretation ohne Zweifel in der Reihe der ganz großen Mahler-Dirigenten angekommen.

Kurzweilige Moderne - Enno Poppe, Liza Lim und George Crumb im KlangNetz-Konzert

Beim an der Musikhochschule beheimateten KlangNetz Dresden konnte man am Mittwoch vor Pfingsten wieder einmal einem Konzert des Projektensembles lauschen. Der Fokus des Ensembles liegt auf den großen und dennoch wenig bekannten Meisterwerken, die für Kammerensemble im 20. und 21. Jahrhundert geschaffen worden sind - ein mittlerweile unüberschaubares Füllhorn zeitgenössischer Musik, aus dem manchmal einige Perlen auftauchen.

Die Kooperation mit der Philharmonie erfuhr im Projekt ebenso eine Fortsetzung wie der Vermittlungsgedanke, der sich in Einführung oder Interview wiederfindet. Die Wiederholung des Hauptwerkes am Ende des Konzertes führt indes zu einer veränderten Hörwahrnehmung und sollte eigentlich Pflicht für viele ähnliche Darbietungen werden. Doch der Normalfall eines Neue-Musik-Konzertes sieht zweieinhalb Stunden Überfall mit mindestens fünf Uraufführungen vor, kein Wunder, wenn da das Publikum gerne das Weite sucht. Man muss selbiges immer noch suchen, auch in der Hochschule für Musik fanden sich leider viele Reihen leer.

Wer anwesend war, konnte ansprechenden Interpretationen folgen: Enno Poppe dirigierte zweimal sein eigenes Werk "Öl 1" und verwahrte sich nicht gegen entstehende Assoziationsräume. Der Fluss der Töne und ihre Vielgestalt in der Beziehung zur Natur waren hier überzeugende Kompositionsmerkmale, die einen Spannungsbogen bis hin zum verschwindenden Schluss entstehen ließen. Anders die australische Komponistin Liza Lim (*1966), deren Programmheftnotizen von Spiritualität und Farbenschimmern wie auch der Werktitel "Songs found in a Dream" den Hörer völlig in die Irre führten. Was Poppe dort gerade noch im Interview als "expressive Qualität" herausfilterte, kam als höchst abstraktes, skulpturales Kunst-Werk daher - eine Annäherung im ersten hörenden Nachvollzug misslang. In beiden Werken mühten sich die Musiker keinesfalls an den außerordentlich tückischen Partituren ab, es herrschte im Gegenteil eine verstehende Leichtigkeit vor. Dabei wurde im Ensemble gut aufeinander gehört, fast erschien mir das "Öl 1" gar zu sensibel in der Klanggebung der Steigerung, dies verbesserte sich aber in der etwas griffigeren zweiten Aufführung.

In der Mitte stand einsam und allein die frühe Cellosonate des Amerikaners George Crumb. Genausogut hätte man Lachenmanns Schubert-Variationen kommentarlos dorthin setzen können - Frühwerke ohne Kontext entbehren nicht eines gewissen Amusements. So wagte sich diese Cellosonate kaum aus dem Schatten etwa von Bartók oder Britten heraus. Ihre Berechtigung hatte sie aber dennoch: zum einen weiß man nun, wie Crumbs spätere spannungsgeladenen Klangfarbenexperimente ihren Anfang nahmen. Und zum anderen freute man sich über eine vollkommen souveräne, spielerische Interpretation von Matthias Bräutigam.

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