Mittwoch, 2. Juli 2008

Hojotoho !!

Sie waren besser angezogen. Sie waren einfach alle besser angezogen als er. Er hielt wenig von Konventionen, er wusste wie man sich in der Oper zu verhalten hatte, das reichte ihm. Und er war den Bonbonpapierzertrümmerern und Hypochonderasthmatikern im Geiste voraus: er war doch lediglich zum Hören dieser wunderbaren Musik gekommen, hatte lange auf die Karte im Parkett gespart. Das Kleid der Dame da neben mir hat bestimmt mehr als 500 Euro gekostet, dachte er. Aber von der Oper verstehen wird sie vermutlich nichts. Seine Theorie wurde bestätigt, als die Dame in dem Moment, wo der Dirigent im Orchestergraben erschien, sich nervös ihre Fingernägel besah und anhauchte. Es wurde ruhig in der Oper, alle Lichter verloschen. Die Dame neben ihm stellte eine leichte Imperfektion im Nagelbett ihres Zeigefingers fest und öffnete ihre Lederhandtasche, um nach einem Taschentuch zu nesteln. Erst beim Klicken des Verschlusses merkte sie die Stille um sich herum und wandte sich mit einem unsicheren "hü"-Laut ihrem Gatten zu, im Blick lediglich die leere Dummheit klimpernd: "sorry Hase, aber der Nagellack..." sagten die Augen stumm. - Er konzentrierte sich nun auf die Oper. Es-Dur...leise Girlanden durchzogen die Streicher, ein feiner gewebter Teppich aus akustisch glitzerndem Gewässer, das sich wie eine wohltuende Decke im Opernbau ausbreitete. Der Herr rechts neben ihm starrte nach oben und studierte den Kronleuchter. Das Ehepaar vor ihm hatte offenbar kein Programmheft mehr erhalten, weshalb die Ehefrau nicht mehr an sich halten konnte und ihrem Gatten die hochnotpeinliche Situation ins Ohr zischte: "ichhabkeinentext", wobei das Ende dieses Satzes in einem winzigen hysterischen Piepser endete. - Es-Dur. Er versuchte die Konzentration wieder auf die Bühne zu lenken, wo gerade der Vorhang aufging und das Orchester zu immer lauterem Wogen anschwoll. Nachdem der Herr neben ihm offenbar festgestellt hatte, dass der Kronleuchter etwa vier Tonnen wog und aus 3153 Glühlampen bestand, gähnte er herzhaft und besah sich als nächstes die Logen. Weit über 100 Takte Es-Dur waren ihm wohl zu fad, die Genialität dieses Beginns blieb ihm verborgen. Mittlerweile hatte die Dame links mit einem Tempotuch ihr Nagellackmalheur entfernt. "Rheeeeeeeiiiiiinnnnnngold" flöteten die Rheintöchter auf der Bühne, Harfen und Becken gesellten sich ins Orchestertutti. Hinter ihm fiel mit leisem Dok-dokdokdok ein Handy zu Boden, gefolgt vom Fußscharren des Besitzers unter dem Sitz, es wieder in seine Nähe zu manövrieren. Als die Ehefrau vor ihm sich gerade bei ihrem Gatten erkundigte, ob der Babysitter auch gekommen sei, in Luftline 2m links hinter ihm und 4m rechts vor ihm die ersten einwandfrei als solche identifizierten Wick-Blau entfaltet wurden und der Herr hinter ihm zwar sein Handy wiedergefunden hatte, wohl aber auch den Weckruf vom vorigen Tag vergessen hatte abzuschalten, betrat Alberich die Bühne.
Wagner kann so schön sein.

[mein Juni-Beitrag zur Schreibwerkstatt - Mitmachen macht Spaß!]

Abstraktes im Keller

Akademieprojekt "Mobile" wurde in Hellerau uraufgeführt

Normalerweise, so besagt ein Spruch, geht man zum Lachen in den Keller. In Hellerau stieg man jedoch am vergangenen Freitag die Stufen hinab, um ein Experiment zeitgenössischer Musik mitzuerleben, bei dem nicht nur das sinnliche, befreiende Lachen am Ende ein wenig gefehlt hat. Aber der Reihe nach: In der letztjährigen Hellerauer Sommerakademie des Europäischen Zentrums der Künste wurde bereits das sogenannte "Akademieprojekt" angestoßen, das mangels Bespielbarkeit des Festspielhauses in den Hellerauer Werkstätten Premiere hatte. "Junge Künstler und Wissenschaftler sind hier eingeladen, unter der Leitung eines renommierten Künstlers an einem freien, kreativen Entwicklungsprozess aktiv teilzunehmen", so beschreibt sich das Projekt selbst. Ein Satz, der alles sein kann und nichts. Die Begriffe "Freiheit" und "Kreativität" entleeren sich recht schnell, wenn man ihnen nicht Sinn und Richtung verleiht. Insofern war unter dieser Einführung kaum etwas vorstellbar, sie blieb aber auch die einzige, wenn man von wenigen Worten zu "Mobile" (so der Name des Akademieprojektes) in einem Flyer absieht. Ähnlich wie die rund zwanzig Stipendiaten unter der künstlerischen Leitung des Komponisten Manos Tsangaris im Bühnenraum des Kellers agierten, so könnte man hier auch Begriffe in den Raum werfen, die allesamt an dem Abend Verwendung fanden, sich aber nicht zu einem rezipierbaren Ganzen formten: Improvisation, Kontakt, Kontrast, Experiment, Balance, Chaos. Woran dieses Missverhältnis zwischen Absicht und Wirkung der Aufführung lag, ist kaum erklärbar, möglicherweise waren die Rahmenbedingungen des Projektes - ein komponiertes Werk war ja nicht Ziel der Bemühungen - zu locker gesteckt. Immer wieder geschahen im "Mobile" Klang- und Bewegungsballungen, die zwar Masse und Aktion bedeuteten, aber über die reichlich abstrakte Mobile-Idee kaum einmal hinausgingen. Vor allem der Umgang mit musikalischem Material war zu frei, als dass ein Zuhörer wirklich an die Hand genommen werden konnte oder sich emotional tiefgehende Eindrücke einstellten. Nach zwanzig Minuten Laufen, Kratzen, Quietschen und Textplappern nebst einer schon nur noch peinlich zu nennenden Einbeziehung von Videoelementen, die dazu bestimmt waren, dass man sie kaum sah, stellte sich nicht nur Müdigkeit ein, sondern auch die Sinnfrage. Ja, alles ein Spiel - aber zur Selbstgefälligkeit der Interpreten dürfte wohl kaum ein Akademieprojekt mit drei Aufführungen zustande kommen. Auch der Lerneffekt für die Stipendiaten während der Entstehung ist unbedingt ernstzunehmen, aber eine Aufführung (zumal innerhalb des "KlangNetz Dresden" positioniert) sollte die Vermittlung und Kommunikation mit dem Publikum einbeziehen, hier waren deutliche Defizite zu bemerken. So saßen die Zuhörer im vorangestellten "Nachtstück mit Fenster" von Tsangaris so ungünstig positioniert, dass man von vielen Aktionen nur einen geschleuderten Arm, einen Gesichtsausschnitt oder fortwährendes Lichtspiel zu sehen bekam. Die Behandlung von Raum, optischen und akustischen Wirkungen sowie die Rolle des Publikums ist jedoch im zeitgenössischen Musiktheater immanent, so dass man hier unbefriedigt blieb. Deutlicher Vorteil dieses Prologs war jedoch die viel stringentere Form, die Klangsituationen und -konstellationen deutlich voneinander abhob, während das "Mobile" in seiner unpräzisen Bilder- und Klangflut zum Scheitern verurteilt war. Das Akademieprojekt warf auf diese Weise viele Fragen auf, vermutlich auch gewollt, aber dann sollte man zukünftig den offenen und eben stark akademischen Charakter des Aufführungsergebnisses viel besser im Voraus kommunizieren.

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