Dienstag, 8. Oktober 2013

Zerrspiegel des Entsetzens

Zum 70. Geburtstag von Udo Zimmermann: "Weisse Rose" in Hellerau

Der Komponist Udo Zimmermann ist am Sonntag 70 Jahre alt geworden. Ihm zu Ehren gestaltete das Europäische Zentrum der Künste Hellerau eine Jubiläumsveranstaltung aus. Hellerau ist mit dem Namen Zimmermann untrennbar verbunden - es war ein weiter Weg vom Studio Neue Musik, das Zimmermann 1974 gründete, über das Dresdner Zentrum für Zeitgenössische Musik an der Schevenstraße bis nach Hellerau, das 2004 seinen heutigen Namen bekam. Immer war dem Intendanten, Komponisten, Visionär Udo Zimmermann die lebendige Pflege der Gegenwartskunst und vor allem der zeitgenössischen Musik und des Musiktheaters in allen Facetten ein Anliegen.

Politische oder finanzielle Barrieren schienen ihm erst recht Herausforderung zu bedeuten - wider die Bequemlichkeit, wider Scheuklappen und allzu leichtem Verharren in gewohnten Bahnen. Im Herzen stets Komponist geblieben, überwog doch immer die Neugier und Freude am Wirken der anderen - unzählige Uraufführungen beförderte er in seiner Zeit in Hellerau, als Opernintendant in Leipzig und Berlin und als Leiter der "musica viva" in München.

Im Zentrum der Ehrung in Dresden stand die Aufführung von Udo Zimmermanns wohl erfolgreichstem Werk, der Kammeroper "Weisse Rose", entstanden 1968 und mit dem Librettisten Wolfgang Willaschek textlich überarbeitet als "Szenen" 1986 uraufgeführt - seitdem erfuhr das Stück über 200 Inszenierungen in aller Welt. Das Stück thematisiert das Schicksal der antifaschistischen Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl, ist aber weit mehr als eine dokumentarische Aufarbeitung der Ereignisse im Musiktheatergewand. Briefzitate, Gedichte und Tagebuchaufzeichnungen formieren sich zu einem Zerrspiegel des Entsetzens, bei dem jede normale Empfindung fehl am Platze ist, das Unaussprechliche sich maximal in instrumentalen Splittern äußern kann und Haltung dort entsteht, wo man Gefühlen einen Raum zur Entfaltung gibt.

Wenn Willaschek von "existenziellen Zwischenräumen" spricht, derer man sich vergewissen soll, so waren diese angesichts der äußerst intensiven Interpretation der "Weissen Rose" durch die Musiker der Dresdner Philharmonie fast körperlich erfahrbar. Mit einem großen Ausdrucksspektrum versahen Sarah Davidovic (Sopran) und Christian Oldenburg (Bariton) die Partitur, stellten insistierendem Gespräch, Rufen und Schreien einen innigen Gesang gegenüber, der in seiner Natürlichkeit der Äußerung sofort das "Müssen" einschloss.

Vor allem gelang es den beiden Sängern eine Ebene der Interpretation zu erreichen, die keine zu eng festgelegte Identifikation mit den Personen proklamierte und damit zu emotionaler Übersteigerung geführt hätte. Der junge Dirigent Dominik Beykirch, derzeit als Assistent bei der Dresdner Philharmonie tätig, vollbrachte eine Meisterleistung mit dem 15köpfigen Ensemble. Ihm gelang es außerordentlich, jede der Szenen mit einer charakteristischen Innenspannung zu versehen. Das führte in den verzerrten Märschen zu (notwendiger) Klanggewalt; ebenso gut gestaltet war das ineinander verschlungene Raunen der Streicher, der wie eine flüchtige Erinnerung an das Leben aufscheinenden Walzer oder das unnachgiebige Pochen einer stets gegenwärtigen Angst, die Reaktion erfordert.

Dass Zuhörer wie Interpreten sich diesem Werk stellen müssen, Position beziehen müssen und jeder unabhängig von seinem Geschmack und seiner Ahnung etwas mitnimmt aus diesem hochemotionalen Erlebnis, dies war eine wichtige Erkenntnis dieser Aufführung und zeigt gleichzeitig den Respekt, den man vor dem humanistischen Ansatz der "Weissen Rose" haben muss. Für den Jubilar, der gerührt den starken Applaus aller Anwesenden entgegennahm, war dieser Abend eine sehr würdige Ehrung am Orte seines langjährigen Wirkens - ihm sei auch von dieser Stelle gratuliert und von Herzen Gesundheit und Schaffenskraft gewünscht.

Trackback URL:
https://mehrlicht.twoday.net/stories/498222279/modTrackback

mehrLicht

Musik Kultur Dresden

Aktuelle Beiträge

Sie haben ihr Ziel erreicht.
Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, sie haben...
mehrLicht - 20. Jul, 12:04
Ein Sommer in New York...
Was für eine Überraschung, dieser Film. Der Uni-Professor...
mehrLicht - 19. Jul, 21:53
Sturmlauf zum Schlussakkord
Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche Auch...
mehrLicht - 14. Jul, 18:54
Wenn der "innere Dvořák"...
Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert Mit...
mehrLicht - 14. Jul, 18:53
Ohne Tiefgang
Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des...
mehrLicht - 14. Jul, 18:51
Sich in Tönen zu (ent-)äußern
Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader"...
mehrLicht - 14. Jul, 18:50
Chopins Cellowelten
Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta Für...
mehrLicht - 14. Jul, 18:48
Fest der Klangfarben
Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum Verklungen...
mehrLicht - 14. Jul, 18:46

Lesen!

Hören!

van anderen

Zusammenpassende Schneckenhäuser
These two snails live in different oceans, but their...
Kreidler - 27. Jul, 05:07
Erdspalte
The rift valley is located in Pinglu, Shanxi on the...
Kreidler - 26. Jul, 05:06
5,4 Mio. Euro für drei Jahre: SLM setzt Medienkompetenzförderung.. .
Der Medienrat der Sächsischen Landesmedienanstalt...
owy - 25. Jul, 14:20
Als das iPhone nach Deutschland kam (2007)
Die jüngere Geschichte wird immer vernachlässigt. Dabei...
Kreidler - 25. Jul, 05:56
Drohnenflug um den Mount Everest
(Ohne Ton anschauen)
Kreidler - 24. Jul, 05:52
Meine Arbeiten bei Ghost Notes Stuttgart, 2022
"Ghost Notes" exhibition at Gustav Siegle...
Kreidler - 23. Jul, 05:51

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

stuff

PfalzStorch Bornheim Pinguin-Cam Antarktis
Conil de la Frontera
Kram Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Status

Online seit 6791 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


Dresden
hörendenkenschreiben
nuits sans nuit
Rezensionen
Weblog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren