Montag, 7. April 2008

Entstehen und Vergehen

Yuri Bashmet interpretiert Giya Kancheli

Eigentlich hätte die Dresdner Frauenkirche bis auf den letzten Platz gefüllt sein müssen. Schließlich gastierte einer der weltbesten Musiker beim Frauenkirchenkonzert der Dresdner Philharmonie: der russische Bratscher Yuri Bashmet. Er inspirierte zahlreiche zeitgenössische Komponisten, darunter Edison Denisov, Alfred Schnittke und Sofia Gubaidulina, zu annähernd 50 neuen Konzertwerken und ist als Kammermusikpartner wie als Dirigent außerordentlich geschätzt. Mit dem georgischen Komponisten Giya Kancheli verbindet Bashmet eine lange Zusammenarbeit, aus der u.a. das Violakonzert "Vom Winde beweint" entstand. "Abii ne viderem" ("Ich wandte mich, um nicht zu sehen") aus dem Jahr 1994 stellt die Solobratsche neben ein kleineres Ensemble - Bashmet rückte das Stück in den Mittelpunkt seines Konzertes. Diese Platzierung wäre auch der einzige mögliche Kritikpunkt eines ansonsten äußerst intensiven Konzertes: nach Kanchelis unglaublich bewegender "Tonfindung" an den Rändern der Stille hätte kein Werk mehr folgen dürfen. Mutig war Bashmets Entscheidung, sowohl den Solopart zu spielen als auch das Ensemble zu leiten - das Ergebnis war ein selbstverantwortliches, aufmerksames Zuhören und Reagieren im Orchester mit größtmöglicher Sorgfalt für die so wichtigen Pulsationen, Pausen und Klangflächen dieses Werkes. Gleich ob sich ein dunkler Akkord in den Vordergrund schob oder brutale Attacken des ganzen Ensembles auf Bashmets zumeist introvertierte Äußerungen antworteten, die Aufführung dieses Werkes war ein packendes Ereignis. Mit zur Schau gestellter Virtuosität hat Kanchelis Werk nichts zu tun, ebenso wenig mit avantgardistischen Kopfexperimenten. Hier wird Musik zu sich selbst zurückgeführt, entsteht, braust auf, befragt sich selbst, vergeht. Diese Erkenntnis gewann, wer Bashmets großen und ruhigen Ton bewunderte - erstaunlich war überdies, wie passend sich ausgerechnet diese Musik im Raum der Kirche entfalten konnte. Die akustische Situation war eingangs im 3. Brandenburgischen Konzert von Johann Sebastian Bach schwieriger, Bashmet meisterte aber mit deutlicher Kontrastsetzung und dynamischer Differenzierung die Polyphonie des Werkes. Zudem klang das Werk unter seinen Händen außerordentlich frisch, aber niemals überhastet. Ebenso klug wurde die 44. Sinfonie e-Moll von Joseph Haydn am Ende des Konzertes musiziert, wenngleich man sich von den starken Klängen des Kancheli-Werkes kaum lösen mochte. Den Beinamen "Trauersinfonie" kann man angesichts der Faktur und der Interpretation getrost vergessen, einzig Haydn selbst wünschte sich den langsamen Satz der Sinfonie zu seiner eigenen Trauerfeier. Ausgerechnet dieser steht jedoch in Dur und das ganze Stück vermittelt eigentlich mehr Trost denn Traurigkeit. Die Dresdner Philharmonie spielte hier erneut in kleiner Besetzung hervorragend und folgte Bashmets effizienter Zeichengebung konzentriert. Schade, dass das (touristische) Publikum für die Kancheli-Darbietung nur wenig übrig hatte. Erwünscht wären endlich einmal Dresdner Aufführungen der herausragenden Sinfonien dieses immer noch viel zu wenig gespielten Komponisten.

Trackback URL:
https://mehrlicht.twoday.net/stories/4843499/modTrackback

mehrLicht

Musik Kultur Dresden

Aktuelle Beiträge

Sie haben ihr Ziel erreicht.
Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, sie haben...
mehrLicht - 20. Jul, 12:04
Ein Sommer in New York...
Was für eine Überraschung, dieser Film. Der Uni-Professor...
mehrLicht - 19. Jul, 21:53
Sturmlauf zum Schlussakkord
Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche Auch...
mehrLicht - 14. Jul, 18:54
Wenn der "innere Dvořák"...
Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert Mit...
mehrLicht - 14. Jul, 18:53
Ohne Tiefgang
Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des...
mehrLicht - 14. Jul, 18:51
Sich in Tönen zu (ent-)äußern
Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader"...
mehrLicht - 14. Jul, 18:50
Chopins Cellowelten
Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta Für...
mehrLicht - 14. Jul, 18:48
Fest der Klangfarben
Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum Verklungen...
mehrLicht - 14. Jul, 18:46

Lesen!

Hören!

van anderen

Erstes KI-Musikvideo
Gemacht mit Sora, wobei die Musik selber nicht KI generiert...
Kreidler - 17. Mai, 05:17
A Beginner’s Guide To Breakcore, Drum & Bass, Jungle &...
#Bildung #Auftrag Siehe auch: (via kfm)
Kreidler - 16. Mai, 05:43
Diskussion über besseren Schutz für Mandatsträger: ECPMF und...
Das Europäisches Zentrum für Presse- und...
owy - 15. Mai, 17:07
Sound waves sketchbook pXXX87v3
Kreidler - 15. Mai, 05:42
MDR-Intendant Ralf Ludwig: “Wir müssen den Dialog intensivieren”
MDR-Intendant Ralf Ludwig im Vorraum seines Büros...
owy - 13. Mai, 09:12
Kreidler-Portraitsendung auf Deutschlandfunk Kultur
Deutschlandfunk Kultur hat eine neue Portraitsendung...
Kreidler - 13. Mai, 05:41

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

stuff

PfalzStorch Bornheim Pinguin-Cam Antarktis
Conil de la Frontera
Kram Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Status

Online seit 6720 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


Dresden
hörendenkenschreiben
nuits sans nuit
Rezensionen
Weblog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren