Montag, 30. November 2015

Adventskalender 2015

Dann starten wir mal den Thread und hoffen, er füllt sich über die Adventstage, denn die Online-Kalender in meinem Blog haben ja Tradition. Ein erster Blick auf bekannte Seiten offenbart aber: so üppig wird es in diesem Jahr nicht, bei Philharmonie und Semperoper etwa sind noch keine Links vorhanden, viele werden sicher auch morgen erst ihr Kalendergeheimnis lüften. Für alle, die meine Liste noch nicht kennen: ich habe mal irgendwann ausschließlich mit Kalendern von Fluggesellschaften angefangen und natürlich nie etwas gewonnen. Daher dehne ich die Kalenderseite nunmehr auf meine Blog-Basics aus: Kultur im weitesten Sinne und alles, was Dresden betrifft.

Los geht's:

Kultur
* Der Adventskalender der Semperoper Dresden
* Staatsoperette Dresden (na, wer hat denn da einen Tag zu früh schon alles public gestellt?)
* concerti - Adventskalender, in diesem Jahr mit Bonusverlosung bei facebook!
* Das Ensemble musikfabrik bedankt sich mit einer kleinen Lotterie an den vier Adventssonntagen und verlost CDs

Dresden
* Dresden for Friends
* der Flughafen Dresden startet erstmalig einen Adventskalender bei facebook
* Laufszene Sachsen
* Bei der SLUB ist der Adventskalender ein Azubiprojekt.

special
* Mal was anderes: PIA - Physik im Advent lädt zu Experimenten ein. Aber nicht den Christbaum auf den Mond schießen!
* Unter dem Titel "Accidental Advent" präsentiert das Ensemble für nicht gekonnte Musik einige Überraschungen.
* Klar: der Tatort-Adventskalender darf hier nicht fehlen.
* beim Vogelarten-Adventskalender (Blog oder facebook) der UN-Dekade Biologische Vielfalt kann man etwas über unsere gefiederten Freunde lernen!

offline
* Neustadt-Adventskalender, erhältlich beim Kirchspiel DD-Neustadt
* Adventskalender im Hechtviertel - jeden Tag eine andere Darbietung!
* etwas verspätet: Advenster Neustadt

(t.b.c.)

Sonntag, 29. November 2015

Sinfonische Sonderfälle

Dresdner Philharmonie und Sol Gabetta veröffentlichen neue CD-Aufnahmen

Zum guten Ton eines städtischen Orchesters gehört neben der Absolvierung von Konzerten und Tourneen auch die Aktivität im Tonträgermarkt, nicht zuletzt für den heimischen Fan, der die Musik des Orchesters auch mit nach Hause nehmen oder verschenken will. Nach dem auf CD bei Genuin erschienenen Antrittskonzert von Michael Sanderling bei der Dresdner Philharmonie im Jahr 2011 gab es eine längere Pause, nun startet das Orchester durch: In den Konzerten der letzten Jahre war bereits der Augenmerk auf Sinfonik von Ludwig van Beethoven und Dmitri Schostakowitsch gelenkt - jetzt werden die Sinfonien in einem großangelegten Projekt bei Sony auf CD gepaart.

Stellt schon jeder der beiden Komponisten für sich genommen eine Herausforderung dar, sowohl als unbestrittenes Hauptrepertoire aller Orchester wie auch mit einiger Konkurrenz auf dem CD-Markt, so ist die Kombination von Beethoven und Schostakowitsch ebenso ungewöhnlich wie ohrenöffnend. Altes Neu hören wird da ebenso möglich, wie das Neue mit der Tradition zu hinterfragen. Die Kombination ermöglicht Kontrast und Widerspruch, was ohnehin dem Werk beider Komponisten originär innewohnt und bei dem CD-Erstling der Reihe, der die 6. Sinfonie der beiden vereint, in besonderer Weise zum Hauptthema wird. Denn diese Stücke sind sinfonische Sonderfälle: hier die in sich im Tempo steigerungsmäßig angelegte, seltsam kopflose dreisätzige Sinfonie von Schostakowitsch, die ein Werk des Zwischenraums scheint und mehr Fragen aufwirft als Antworten zu geben scheint.

Dort die "Pastorale", die wie ein naturalistisches Exerzitium erscheint, legt man die gleichzeitig entstandene 5. Sinfonie daneben. Sanderling und die Dresdner Philharmoniker überzeugen in beiden Stücken mit dem aus den Konzerten wohlbekannten, warmen Sound - das wirkt nicht nur für beide Komponisten adäquat und kompetent, sondern läßt als Grundhaltung auch viel Flexibilität in verschiedene Richtungen zu. Beiden Stücken ist in der Interpretation gemeinsam, dass Sanderling nicht ins Extrem geht: Beethoven kommt in schlankem Gewande und außerordentlich kantabel daher, sein ländliches Gewitter schockt weniger als dass die langsamen Sätze beredt sind von einer ruhig dahinfließenden Zufriedenheit. Im Klangcharakter weist das interessanterweise weit in Richtung Schumann - die Empfindung, der persönliche Ausdruck als Träger der musikalischen Idee wird ernstgenommen.

Dmitri Schostakowitschs Sinfonie hingegen erhält Wucht und tiefe Emotion, der lange erste Satz ist voller Spannung und überragend ausgespielter musikalischer Details, das Allegro beeindruckt mit der von Sanderling fokussiert angelegten Steigerung zum Höhepunkt. Die Tempo-Zurücknahme des Presto-Finales überrascht und legt Groteskes frei - die Anmerkungen Sanderlings über Schostakowitschs "bewusst falsche Metronomangaben" im Booklet reichen da allerdings nicht aus. Hier sollte man interessierten Hörern mehr an die Hand geben. Das gilt übrigens auch für das Cover: wer eher visuell beim CD-Kauf ausgerichtet ist, wird das altbackene Titelbild übersehen und damit kaum die vorgefundenen, anregenden Interpretationen in Verbindung bringen.

Bereits im August erschien eine weitere Veröffentlichung der Dresdner Philharmonie, hervorgegangen aus einem Nachwuchskünstler-Förderprogramm, das Konzerte und Aufnahme mit dem jungen Pianisten Alexander Krichel ermöglichte. Krichel gastierte im März 2015 im Schauspielhaus mit dem 2. Klavierkonzert c-Moll von Sergej Rachmaninov, das live eingespielt wurde. Diese Einspielung ist wohltuend klar und überhaupt nicht vordergründig auf Virtuosität gebürstet. Orchester und Solist folgen hier dem Prinzip einer sorgfältigen Klanggestaltung, was zu einem selbst im dritten Satz recht entspannten Hörerlebnis gerät. Als Zugabe sind die sechs "Moments Musicaux" überaus hörenswert und machen Lust, die Entwicklung des jungen Pianisten weiter zu verfolgen - Krichel steuert außerdem ein selbstkomponiertes "Lullaby" bei. Dass das Booklet weder den Pianisten noch das Dresdner Orchester biografisch würdigt, enttäuscht vor allem, da Hörer, die auf Entdeckungsreise gehen wollen, sich hier woanders weiterbilden müssen.

Sol Gabetta ist in dieser Saison Artist-in-Residence bei der Dresdner Philharmonie. Da sie erst im Frühjahr 2016 wieder im Konzert zu erleben ist, erscheint ihre soeben erschienene CD mit Werken von Peteris Vasks nicht nur als zeitliche Überbrückung geeignet. Die Musik des 1946 geborenen lettischen Komponisten ist den Dresdnern auch durch das Engagement der Philharmonie und ihres Konzertmeisters Wolfgang Hentrich, der etwa Vasks Violinkonzert "Fernes Licht" und andere Werke aufführte, bestens bekannt. Sol Gabetta stellt nun das 2. Cellokonzert "Presence" sowie zwei kammermusikalische Werke vor, die mit viel inniger Emotion gespielt und auch komponiert sind, stilistisch aber mit einfach behandelter Tonalität nicht konfliktfrei sind und den Hörer in eine überwiegend melancholische Stimmung bringen (sollen?). Wer sich darauf einläßt, wird aber mit Sol Gabettas überragendem Einsatz für diese Stücke belohnt. Sie singt (mit und ohne Bogen), tanzt, klagt und spricht mit ihrem Instrument und gibt diesen Stücken ein herzwärmende Klangcharakteristik - dies vor allem in den vielen solistischen Passagen, die im hier erneut auf CD aufgelegten "Buch für Cello Solo" am zwingendsten erscheinen.
Alexander Keuk

* Ludwig van Beethoven / Dmitri Schostakowitsch: 6. Sinfonien, Dresdner Philharmonie, Michael Sanderling
* Sergej Rachmaninov: 2. Klavierkonzert c-Moll Opus 18, Moments Musicaux Opus 16, Alexander Krichel (Klavier), Dresdner Philharmonie, Michael Sanderling
* Peteris Vasks: 2. Cellokonzert "Presence", Musique du Soir, The Book for Cello Solo, Sol Gabetta (Cello), Amsterdam Sinfonietta, Candida Thompson
(alle Sony Classical)

Aufregendes Debüt

Die italienische Pianistin Beatrice Rana gastierte bei der Dresdner Philharmonie

Verdient macht sich die Dresdner Philharmonie, wenn sie nicht nur Bekanntes und Bewährtes programmiert, sondern auch nicht entdeckten Werken oder jungen Künstlern ein Podium anbietet. Gleichzeitig kann uns als Zuhörer ein junges Talent vermitteln, wie zeitlos große Musik erscheinen kann. Mit eigener, noch junger Lebenserfahrung und frischen Sichtweisen versehen werden die Werke neu beleuchtet, erweitert sich der eigene Hörhorizont. Auf eine solche Entdeckungsreise gehen konnte, wer am Wochenende die Dresdner Philharmonie im Schauspielhaus besuchte.

Der große britische Cembalist und Dirigent Trevor Pinnock leitete das Orchester und hatte die 22-jährige italienische Pianistin Beatrice Rana mitgebracht, die bereits beim hochangesehenen "Van Cliburn Wettbewerb" Preise erhielt und weltweit zu Konzerten eingeladen wird. Nun ist das 1. Klavierkonzert e-Moll, Opus 21 von Frédéric Chopin sicherlich ein für junge Pianisten in seiner offen daliegenden Virtuosität dankbares Konzert, weitaus schwieriger ist es, die darunterliegende Empfindung zu treffen und der Versuchung zu widerstehen, es lediglich als Soloprélude mit Orchesterbegleitung zu verstehen. Nach der von Pinnock außerordentlich differenziert angelegten Orchestereinleitung wurde bereits mit dem ersten Akkord von Beatrice Rana klar, dass Überlegung, Können und Sinnlichkeit bei dieser Aufführung eine selten zu erlebende Liaison eingehen würden.

Rana gestaltete ihre Solopassagen mit einer tollen körperlichen Erdung, aus der heraus sie perlende Brillanz und einen noblen, nuancenreichen Anschlag entwickelte, was Chopin nahezu vergoldete, ihn aber nicht als bloß abzustaubendes Denkmal hinstellte. Selbstbewusstsein und Sicherheit waren hier Grundlage, nicht Äußerlichkeit. So entstanden in den Ecksätzen wunderbare Bögen, hatte die Romanze im Zentrum gerade genau das Quentchen Melancholie, das eben nicht in schweißtreibendes Pathos umschlägt, und war umgekehrt die Fröhlichkeit im dritten Satz nicht exaltiert, sondern von Esprit bestimmt. Mit einem Satz: Beatrice Rana ist eine aus dem Gros vieler guter, junger Pianistinnen und Pianisten herausragende Persönlichkeit, die ihren Weg machen wird, denn sie erreicht durch eine schon jetzt deutlich entwickelte eigene Handschrift mühelos tiefe Schichten der Musik. Trevor Pinnock begleitete mit den Philharmonikern dieses im besten Sinne aufregende Spiel der Solistin nicht nur höchst aufmerksam, sondern fand eine eindrucksvolle Balance der Klangverschmelzung.

Das machte großen Appetit auf die so genannte "Große" Sinfonie C-Dur von Franz Schubert nach der Pause. Und man wurde nicht enttäuscht: Pinnock legte mit unglaublicher Genauigkeit die Stärken dieses Werkes bloß, indem er Verläufe transparent machte, harmonisch und rhythmisch Prägnantes hervorholte und dabei das Ganze auch noch in den historischen Kontext holte: da klang der zweite Satz wirklich nach einem klassischen Marsch, und da war Beethoven nicht immer nur das vielzitierte Vorbild, sondern das Eigene, Unverwechselbare wurde klar herausgearbeitet und erschien plötzlich modern, gar revolutionär.

Die bei Schubert so wichtigen Posaunen sorgten hier etwa für eine warme Grundierung; Phrasierungen und Übergänge blieben bei aller Genauigkeit im musikalisch natürlich schwingenden Charakter. Bei solch einer überragenden Ausgestaltung war faszinierend zu beobachten, wie flexibel alle Orchestergruppen diesen Ideen folgten, und das Ergebnis war ein neuer, schlanker und sehr überzeugender Schubert-Klang.

Romantik pur in Radebeul

Parry, Schumann und Brahms im 2. Philharmonischen Konzert der Elblandphilharmonie

Als der junge Cellist Isang Enders noch vor ein paar Jahren als Solocellist der Sächsischen Staatskapelle Dresden tätig war, fühlte man als Zuhörer bereits, dass da ein besonders intelligenter, hochmusikalischer Geist am Instrument saß - Kammermusiken und Soloauftritte bestätigten diesen Eindruck. Nun hat sich Enders als Solist beeindruckend entwickelt, seine Einspielung der Bach-Suiten etwa ist hochgelobt und der Cellist spielt weltweit mit bedeutenden Orchestern und Kammermusikpartnern. Um so glücklicher darf man sich schätzen, dass Enders gerne in sächsische Gefilde zurückkehrt und aktuelle Erkundungen im Solokonzert vorstellt.

Bei der Elblandphilharmonie Sachsen war er zuletzt 2013 mit Edward Elgars Cellokonzert zu hören, im 2. Philharmonischen Konzert der laufenden Saison interpretierte er am Mittwoch im Stammhaus der Landesbühnen Sachsen das Cellokonzert a-Moll von Robert Schumann. Passend eingebettet in ein sinfonisches Programm mit Hubert Parry und Johannes Brahms geriet das Solokonzert zum Höhepunkt des Abends. Keineswegs ist die Hochromantik der Musik ein unproblematischer Fall, fliegen einem die Melodien nur so zu und fällt das Zurücklehnen leicht.

Romantik, das zeigt dieses Spätwerk von Schumann exemplarisch, bedeutet auch Ringen um Ausdruck und Form und ein am Gemüt und der Seelenlage des Schöpfers ausgerichtetes Kunstwerk beständig neu zu erfinden. Diese Gemengelage war bei Enders in besten Händen aufgehoben, denn gerade die Kontraste zwischen Melancholie und Temperament, zwischen Lyrik und elegischer Aufwallung gerieten vortrefflich. In allen drei Sätzen wusste der Cellist zwischen kontrollierter Phrasierung und freiem, beseelten Spiel nicht nur sauber zu unterscheiden, er brachte den stets neu auszufechtenden innermusikalischen Konflikt auch deutlich zur Geltung. So konnte man sich auch der Einmaligkeit der Interpretation und damit der Betonung des - immer flüchtigen - musikalischen Augenblicks sicher sein. Die Elblandphilharmonie begleitete mit GMD Christian Voß am Pult sicher und auf Enders Impulse gut reagierend.

Brahms bildete den Rahmen: Hubert Parrys 1897 entstandene "Elegy for Brahms" als Hommage an den im gleichen Jahr verstorbenen Komponisten ist keine pure Trauermusik, sondern eher ein raffiniert instrumentierter sinfonischer Satz, in dem Parry eine zwischen Brahms und Strauss changierende, aparte Klangwelt entwirft - für viele britische Zeitgenossen wurde Parry bald zur Leitfigur. Diese einleitende Musik gestaltete Voß mit Hingabe und das Orchester folgte mit warmer, gedeckter Klangfarbe. Die 3. Sinfonie F-Dur, Opus 90 von Johannes Brahms bildete den Abschluss des im Programm sehr stimmigen Konzertes. Christian Voß manchmal etwas zu behagliche Leitung des Klangkörpers verführte diesen in den ersten beiden Sätzen trotz vieler schöner Momente in den Bläsern und der klangschön und selbstbewusst musizierten Einleitung zu einer gewissen Trägheit. Auch dem 4. Satz hätte ein mutigerer, befreiender Drang zum Vorwärtsmusizieren gutgetan, doch Voß besann sich insgesamt mehr auf Details und genaues, schönes Ausmusizieren der reichen Melodik. Damit behielt diese Sinfonie stets ihren besonderen, lyrischen Charakter, in der Bandbreite des Ausdrucks wäre jedoch mehr zu entdecken gewesen.

Montag, 23. November 2015

Traum CXII

Bruchstücke nur noch, aber diesmal bin ich froh, dass es nur fragmentarisch ist: ein Massaker vor meinen Augen, am Kreuzgang eines Klosters oder einer Kirche, die Zahl 254 (Opfer?), Bildwechsel dann und voller Angst im Elternhaus auf der Suche nach einem Versteck, weil irgendwelche Täter noch kommen und mich/uns suchen. Ich renne auch außenherum um das Haus, hinten in den Garten. Szenerie verwandelt sich dort aber und keine fassbare Erinnerung mehr vorhanden.

Donnerstag, 19. November 2015

Keimende Zukunft und traditionelle Gesänge

Musikprojekt "Mekomot - Orte" gastierte mit Uraufführungen in der Neuen Synagoge Dresden

Ein außergewöhnliches Musikprojekt befindet sich seit Anfang Oktober auf einer Reise durch Mitteleuropa: "Orte - Mekomot" erkundet ehemalige und neue Synagogen in Deutschland und Polen und möchte diese Orte nicht nur in Erinnerung rufen, sondern sie auch mit neuer Musik erschließen, die eigens für das Projekt von fünf jüdischen Komponisten geschrieben wurde. Beziehungsreich und ungewöhnlich ist dieser Zugang, der aber für Besucher und Zuhörer viele Türen öffnet: zur jüdischen Kultur allgemein, zur Auseinandersetzung mit Tradition und Gegenwart, mit Sprache, Gottesdienstgebräuchen und vielem mehr.

Am Dienstag traf "Mekomot" zu seinem bereits dritten Konzert in der Dresdner Synagoge ein. Dieses Haus ist eine der wenigen neu gebauten und aktiven Synagogen in Deutschland, an anderen Orten sind die 1938 in der Pogromnacht zerstörten Gebäude anderen Nutzungen zugeführt worden oder bestehen als Mahn- und Gedenkmal und Begegnungsstätte. Eingebettet in die 19. Jüdische Woche Dresden fanden sich viele interessierte Zuhörer ein, die diese Inklangsetzung des Gottesdienstraumes miterlebten. Da alle Werke exklusiv für das Projekt entstanden und zudem ein Kantor (Assaf Levitin - der in beeindruckender Weise auch umfangreiche Gesangsaufgaben in den neuen Stücken bewältigte) mit dem Nachmittagsgebet "Minchah" im Synagogalgesang die Stücke einrahmte, entstand trotz der unterschiedlichen Handschriften ein gemeinsamer, intensiver Ausdruck.

Eine internationale Schar hervorragender Musiker hatte sich zusammengefunden, das Instrumentalensemble selbst war an den schon in der Bibel erwähnten Instrumenten ausgerichtet. Dies schuf einen spannenden Klangraum einer Archaik, die zeitenumspannend in ihrer großen Achtung der kulturellen Wurzeln erschien. Gleichzeitig werden die Musiker auf ihrer "Mekomot"-Reise viele unterschiedliche Räumlichkeiten erfahren und die - gleichen - Stücke so auch jedes Mal anders interpretiert werden und widerhallen. Bnaya Halperin-Kaddaris "El" setzte sich zu Beginn mit den Namen Gottes auseinander, drei Widderhörner (Schofar) formten den Nachhall dieser litaneiartigen Anrufung. Eres Holz beschäftigte sich mit dem Kaddisch-Gebet und setzte dem die Fassung des Amerikaners Allen Ginsberg gegenüber - Trauer als Grundzustand brach sich hier in einer nur als - authentische - Zumutung empfindbaren Klangeruption Bahn und ließ den Zuhörer einigermaßen atemlos zurück. Einen völlig anderen Zugang wählte Amit Gilutz, der den vierten Satz aus der 3. Sinfonie von Gustav Mahler Angela Merkels umstrittenen Äußerungen bei der Begegnung mit einem Palästinenserkind in Rostock im Juli 2015 unterlegte. "O Mensch gib acht!" contra "Politik ist manchmal hart" - dieser kompositorisch absichtsvolle Auffahrunfall war gelungen.

Amir Shpilman steuerte dann eine sinnliche Komponente mit "Resisim" bei, Zerbrochenes und Fragmentarisches in der Komposition wies in unterschiedlicher Beleuchtung des Gegenstandes eben auch auf Reste, auf "Verwertbares" oder neues Wachstum hin. Schließlich äußerte sich Sarah Nemtsov, gleichzeitig künstlerische Leiterin des Projektes, in einer Auseinandersetzung mit dem "Ashrei"-Gebet, einer Lobpreisung, die aber hier in rhythmisch entfesselter Art gebrochen erscheint. Das Stück war ein Lebenstanz, der für eine wechselvolle jüdische Geschichte ebenso stehen mag, wie für die Hoffnung, aus dem Neuen und Neuartigen Zukunft keimen zu lassen.


http://www.mekomot.de

Tiefgründiges "Happy Birthday"

Geburtstagskonzert des Dresdner Streichtrios im 2. Kammerabend der Staatskapelle Dresden

Als Musikstudent findet man schnell heraus, wer in seinem Studienjahr gerade ähnlich "tickt" und wer am Notenpult nebenan der musikalisch interessanteste Partner ist - daraus bilden sich oft vielversprechende Kammermusikformationen. Zu oft verstreut man sich jedoch dann in alle Winde, hat der Zauber des Beginns selten Bestand. Ob die drei jungen Musiker des Dresdner Streichtrios sich bei den ersten Konzerten 1995 vorgestellt haben, wie es wohl in 20 Jahren sein wird? Jörg Faßmann (Violine), Sebastian Herberg (Viola) und Michael Pfaender (Cello), schon 1995 in Solistenpositionen bei der Staatskapelle Dresden und beim MDR Sinfonieorchester tätig, hatten damals die Idee, die Gattung des Streichtrios mit ihrem gemeinsamen Spiel wiederzubeleben - und sie hatten einen langen und inspirativen Atem, der bis heute und hoffentlich noch weitere Jahre reicht.

So bildete das 2. Kammerkonzert der Staatskapelle Dresden einen würdigen Rahmen für das Geburtstagskonzert des Dresdner Streichtrios, mit dem die Musiker sich und die Zuhörer beschenkten. Statt einem opulent-partywürdigem Spektakel standen lediglich zwei Werke von Alfred Schnittke und Wolfgang Amadeus Mozart auf dem Programm, die aber sinnbildlich für den Charakter des Ensembles stehen und jedes für sich ohne Zweifel meisterlich zu nennen sind. Zwar war der Bezug auch gerade in Schnittkes 1985 entstandenen Streichtrio durch die Verarbeitung der Melodie von "Happy Birthday" gegeben, aber eine tiefgründigere, zuweilen auch dramatischere Würdigung eines Geburtstages ist kaum denkbar, ist doch dieses Werk in seiner Zerrissenheit zwischen Tradition und Gegenwart, zwischen Persönlichkeit und etwas, was als "common sense" vielleicht kulturelles Gemeingut darstellt, ein Dokument einer auch verzweifelten Suche nach Identität.

Das Dresdner Streichtrio brach hier mit den ersten Tönen eine Distanz zum Werk auf, schaffte es gar, dass man den großen Raum der Semperoper für Momente vergaß, weil man über die fragilen Linien sehr nah an den Kern der Musik vorgelassen wurde. So konnte sich sowohl die schubertsche Verlorenheit des 2. Satzes entfalten wie auch die plötzlichen, ebenso herausbrechenden wie versiegenden Höhepunkte: kurze Eruptionen, die im Brachialwalzer alles vom Tisch fegten, was mühevoll bis zu diesem Punkt erdacht wurde. Diese "Gratulation", die gleichzeitig ein starkes Statement für die faszinierende Musik des seit seinem Tod 1998 merkwürdigerweise von den Konzertplänen fast verschwundenen Schnittke war, beeindruckte sehr und hinterließ Interpreten wie Zuhörer bewegt in die Pause.

Dass auch monetäre Spannungszustände bei Künstlern oftmals besondere Werke hervorriefen, dafür gibt das Divertimento Es-Dur KV 563 von Wolfgang Amadeus Mozart ein Beispiel. Es ist ein Gipfelpunkt seiner Kammermusik, in welchem der Komponist in allen sechs Sätzen Reife und Persönlichkeit, aber eben auch die Fähigkeit zu genussvoller Unterhaltung demonstrierte - um letztlich seine Gönner zu überzeugen. Wenn bei Schnittke die Reife der Interpretation im stetigen Nachvollzug der zerklüfteten Partitur bestand, war es hier die ausufernde, aber niemals ins Parlieren geratende Leichtigkeit der Musik - mit deutlichem Schwerpunkt etwa auf den mit kaum Vibrato etwas entrückt vorgetragenen Moll-Variation des Andante oder der Dur-Spielfreudigkeit der Ecksätze.

Die besondere Klanglichkeit des Dresdner Streichtrios war an diesem Abend viel mehr als die Summe des individuellen Könnens - das Aufgehen in der gemeinsamen Sache erzeugt schlicht einmalige musikalische Erlebnisse. Statt Blumen gab es am Ende Johann Sebastian Bach - die Aria aus den "Goldberg-Variationen" war als Zugabe ein überaus klangschöner, beruhigender Ausklang.
(3.11.2015)

Donnerstag, 5. November 2015

Erlebnis Raumklang und Poesie

José María Sánchez-Verdú ist Composer-in-Residence der Dresdner Philharmonie

In Dresden ist der spanische Komponist José María Sánchez-Verdú (*1968) noch weitgehend unbekannt, bisherige Aufführungen seiner Werke hier sind nicht verzeichnet. Um so mehr ist man gespannt auf seine Musik, seit die Dresdner Philharmonie bekanntgegeben hat, dass der Künstler composer in residence der Saison 2015/2016 sein wird. In dieser Woche besucht der Komponist anlässlich der ersten Philharmonie-Aufführung am 7. November Dresden - und er nutzt diesen Besuch, um sich auch an der Musikhochschule Dresden vorzustellen: in Kooperation mit dem KlangNetz Dresden arbeitet er mit Kompositionsstudenten, ist Gast eines Workshops an der Hochschule und die Studenten werden ein Konzert mit Kammermusik von Sánchez-Verdú am Mittwochabend im Konzertsaal der Hochschule ausgestalten.

Der Komponist, der in Madrid und Frankfurt studiert hat und heute in Spanien und Deutschland lebt und lehrt, freut sich besonders auf seine Residenz in Dresden: "Kreative Projekte mit der Dresdner Philharmonie zu entwickeln ist für mich eine große Ehre. Die Arbeit verspricht eine sehr spannende Erfahrung zu werden, denn als Künstler versuche ich immer, eine musikalische Verbindung zwischen der Tradition und dem Neuen und Unbekannten herzustellen. Das ist ein Abenteuer, das uns gemeinsam in unerwartete poetische Sphären bringen wird." - Am Sonnabend steht die Deutsche Erstaufführung von Sánchez-Verdús "Libro del frío" (Buch der Kälte) auf Texte des spanischen Dichters Antonio Gamoneda (*1931) an, Simone Young wird die Aufführung leiten, Solist ist der spanische Countertenor Carlos Mena.

Das 2008 entstandene, etwa dreiviertelstündige Stück kann als Lied-Kantate beschrieben werden, doch der Komponist, dessen Interesse in der Vergangenheit vor allem musikalischen und szenischen Projekten mit Licht- und Raumdramaturgien galt, hebt noch weitere Ebenen der Komposition hervor: "Die Interaktion zwischen Raum, Musik, Akustik und Poesie (Stimme) sind Hauptbestandteile des "Libro del Frío", das für Countertenor, Orgel und 5 Orchestergruppen im Raum verteilt komponiert ist. Es ist ein musikalisches Experiment, den Raum, die Akustik und die poetischen Inhalte der Gedichte von Antonio Gamoneda (1931) zu erfahren." - So gibt sich die Frauenkirche, in der das "Libro del Frío" aufgeführt wird, als ein sehr passender Ort für das Werk - die Uraufführung fand in der Kathedrale von Léon in Spanien statt. Der Raumklang wird hier zu einer neuen Inschrift des Gedichtes werden und den Wortklang, den Nachhall und die Atmosphäre des Textes vervielfachen und spiegeln. Das Interdisziplinäre und das Erforschen neuer Ebenen mittels der Verbindung des bereits (scheinbar) Bekannten scheint ein roter Faden in Sánchez-Verdús OEuvre zu sein: "Immer mehr bilden Raum und Architektur, zusammen mit Geometrie, Abstraktion und gleichzeitig Energie und Tiefe die Hauptlinien meiner Arbeit. Eigentlich finde ich keinen Unterschied in der tieferen Substanz von Poesie, Musik, Malerei und Architektur."

Am Pulsschlag der Rezitation also wird sich das "Libro del Frío" verorten lassen und mit der Aufführung in Dresden einen neuen Ort erkunden. Mit der Dresdner Philharmonie sind noch zwei weitere, ganz neue Werke geplant, die Basis eines Diptychons (Doppelbildes) sein werden - die Titel KEMET "Schwarze Erde" und DESHERET "Rote Erde" weisen bereits darauf hin, aber auch auf die Beschäftigung des Komponisten mit arabischen und altägyptischen Kulturen. Diese Stücke werden von der Dresdner Philharmonie dann im Juni 2016 uraufgeführt.


José María Sánchez-Verdú in Dresden
Mittwoch, 4.11., 11.15 Hochschule für Musik, Kompositionsworkshop Raum W4.07

Mittwoch, 4.11., 19.30 Gesprächskonzert im Konzertsaal der Hochschule für Musik
10. Streichquartett "Barzaj", Hekkan I + II, Arquitecturas del límite
Studenten der Hochschule für Musik, Ltg. Jura Kravets, Moderation: Jörn Peter Hiekel

Sonnabend, 7.11., 20 Uhr Frauenkirche, "Libro del Frío"
Dresdner Philharmonie, Carlos Mena, Leitung: Simone Young

3. und 4.6.2016, Schlosskapelle "KEMET - Schwarze Erde" (UA), Dresdner Philharmonie, Leitung Andreas Spering

18. und 19.6.2016, Albertinum "DESHERET - Rote Erde" (UA), Dresdner Philharmonie, Leitung Michael Sanderling

Messerscharf und im Kern erfasst

Alan Gilbert und Frank Peter Zimmermann begeistern im 3. Kapellkonzert

Ganze sechs Jahre hat es gedauert, bis das Dresdner Publikum am Wochenende den amtierenden Chefdirigenten der New Yorker Philharmoniker, einem der besten Orchester der Welt, zum Debut bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden erleben durfte. Sicher waren die Terminkalender da im Spiel und die Wunschliste der Kapelle läßt sich bei den begrenzten Möglichkeiten der Sinfoniekonzerte nur langsam abarbeiten. Ganz unbekannt ist Gilbert indes in Dresden nicht, er gastierte mit seinem Orchester bereits zweimal zu den Musikfestspielen. Im 3. Sinfoniekonzert widmete er sich zunächst einer Komposition des aktuellen Capell-Compositeurs György Kurtág.

Ähnlich wie kürzlich im Aufführungsabend machte sich hier bemerkbar, dass die Wirkung dieser oft kaum zehnminütigen, aphoristischen Stücke angesichts der anschließenden Umbaupausen und einem folgenden sinfonischen Kontrastprogramm von ungleich größerer zeitlicher Gewichtung problematisch ist. Kurtág hilft dem Zuhörer da nicht - die Momentaufnahme gilt, und wer da noch nicht mit der Konzentration dabei ist, hat verloren.

Nicht ganz optimal gelang die Anordnung der Orchestergruppen von "Grabstein für Stephan" an verschiedenen Plätzen in den Rängen der Semperoper, ein wirklicher Raumklang stellte sich nicht ein. Dem Stück hätte ein deutlicher Wille zur Langsamkeit gutgetan - Gilbert setzte mehr auf Puls denn auf Meditation, und daher standen die einleitenden Gitarrenakkorde (Uwe Fink) eher verloren im Raum, als dass sie sich eindringlich entfalten durften. Trotzdem stellte sich vor allem durch die klangfarblich sensible Arbeit im Orchester nach einem explosiven Ausdruck des (Todes-)Entsetzens bald eine spannende, melancholisch-nachsinnende Aura ein.

In interessanter Nachbarschaft stand 2. Violinkonzert von Dmitri Schostakowitsch - dieses Spätwerk ist ein wenig der ungeliebte Bruder des so erfolgreichen 1. Konzertes, und doch ist es ein phänomenales Stück in seiner kargen, durchweg intensiven Klangsprache, die keinerlei Pomp und Äußerlichkeiten heranzieht. Dafür braucht es einen besonderen Solisten und kein besserer konnte gefunden sein als Frank Peter Zimmermann, dessen Blick auf die Noten von Anfang an verriet, dass hier ein unumkehrbarer, existenzieller Weg bis zum letzten Takt beschritten werden würde. So gab sich auch sein Spiel: mit unglaublich intensiver Steigerung im ersten, fahl-einsamem Gesang im zweiten und einer willensstarken, prägnanten Gestaltung im dritten. Das mahnte fast an die Oistrachsche Kultur der Unnachgiebigkeit des musikalischen Flusses und führte auch im von Gilbert aufmerksam bedachten Orchester zu einem Nachvollzug, der begeisterte.

Weil jede noch so kurze Phrase, jeder Einwurf und Dialog mit dem Orchester von Zimmermann und Gilbert im Kern erfasst waren, gelang eine Interpretation mit Höchstspannung, die vom Publikum bejubelt und von Frank Peter Zimmermann mit einer messerscharfen Bach-Zugabe beantwortet wurde. Mit Peter Tschaikowskys 4. Sinfonie f-Moll stand nach der Pause ein im Ausdruck insgesamt lichteres, wenngleich nicht weniger dramatisches Werk an. Alan Gilbert stellte das Stück vor allem als mitreißendes Meisterwerk heraus, indem er ein tolles Timing für die Tempoentwicklung in allen Sätzen zeigte. Ohne Stab und auswendig formte er mit den Händen immer wieder flexibel und mit viel Kontakt zu den einzelnen Musikern, was er hören wollte - besonders weiche kantable Linien und ein exakter, impulsgenauer Zugriff im Tutti waren die Folge. Gilberts spielfreudige Lesart verleitete die Kapelle zu Höchstleistungen, und im neuen Konzertzimmer der Oper gab es keinerlei Probleme, auch beim größten fortissimo im vierten Satz strahlenden Klang hervorzurufen: Debut gelungen, baldige Wiederkehr erhofft!

Traum CXI

Doppeltraum
1) ich spiele in einem Opernhaus "Eugen Onegin" mit, es ist Bühnenprobe, ich bin im Chor, wir sind Polizisten und haben nur einmal die Bühne zu überqueren. Ich habe eine russische Polizistenmütze auf. In der Garderobe begrüße ich Freude aus dem Opernchor. Die Probe gerät zu einem Desaster, nicht nur weil der Dirigent ausrastet ("Sind denn hier alle verrückt geworden?"), mir wird auch geraten, aufgrund der besonderen Akustik den letzten Ton wegzulassen. Meine Rolle weitet sich dann doch aus: ich sitze dann auf einem Publikumssitz, die Dame der weiblichen Hauptrolle ist Evelyn Herlitzius, die von einem Häscher gejagt wird. Sie kommt angelaufen, setzt sich neben mich, sie flüstert mir zu, "jetzt den linken Arm", ich lege den linken Arm um sie, daraufhin verschwindet sie, wird unsichtbar.
2) mal wieder ein Hotel, mal wieder Chor, irgendwas mit Abfahrt und Kofferpacken. Ich befinde mich im Zimmer von G. und seiner Freundin, der Raum ist von oben bis unten an allen vier Wänden mit Abwasch zugestellt, die Stimmung ist dennoch gelassen. Ich kündige an, mich noch eine halbe Stunde zurückzuziehen - in ein nun aufgeräumtes Zimmer, wo ich mich hinlege. Ich bin nicht alleine im Raum, kann aber nicht erkennen, wer die zweite Person ist.

Samstag, 24. Oktober 2015

Blick nach Rumänien

Uraufführungen von Doina Rotaru und Violeta Dinescu im Sinfonietta-Konzert

Bei der Fülle an Musik auf dieser Welt erscheint es seltsam, dass sich in den Konzertsälen ein Kanon mitteleuropäischer Musik herausgebildet hat, bei dem nur selten - und dann meist mit dem wörtlich zu nehmenden Begriff des Außergewöhnlichen einhergehend - Grenzen gesprengt und Horizonte erweitert werden. Für das Ensemble Sinfonietta Dresden ist das Besondere selbstverständlich - seit Jahren erkunden die Musiker nicht nur die zeitgenössische Musik in unserer direkten Umgebung, sondern widmen sich auch den musikalischen Landschaften in Osteuropa. Innerhalb der Reihe KlangNetz-Konzertreihe "An die Freunde" kam es am Donnerstagabend in Kooperation mit dem Deutschen Hygiene-Museum zu einer intensiven Begegnung mit der Musik in Rumänien.

Sinfonietta Dresden beschränkte sich nicht auf die bloße musikalische Darbietung - die beiden rumänischen Komponistinnen Doina Rotaru und Violeta Dinescu steuerten je eine Uraufführung bei und standen auch vor und nach dem Konzert zum Gespräch zur Verfügung - dazu lud Dirigentin Judith Kubitz am Ende des Konzertes zu rumänischem Rebensaft ein. Das war am Ende eine willkommene Abrundung eines musikalischen Abends, der sich auch musikalisch vollmundig und apart gab: George Enescus in seiner radikalen Einstimmigkeit einzigartiges "Prélude à l'unisson" aus dessen 1902 entstandener 1. Orchestersuite rahmte das Konzert, im Mittelpunkt stand Debussys berühmtes "Prélude à l'après-midi d'un faune" (1894) - Stücke, die für die beiden rumänischen Komponistinnen, die derselben Generation angehören, einen besondere Rolle in ihrem Schaffen spielen.

Doina Rotaru (*1951) lebt noch heute in Bukarest, während Violeta Dinescu (*1953) in den 80-er Jahren nach Deutschland übersiedelte. Was alle Kompositionen einte, war eine faszinierende Farbigkeit und Sinnlichkeit im Umgang mit sehr verschiedenen Orchesterbesetzungen - von der aus Bautzen stammenden Dirigentin Judith Kubitz wurde das höchst sorgfältig und mit viel Lebendigkeit zu überzeugendem Klangcharakter angeleitet. Doina Rotarus Ensemblestück "Centrifuga" etwa verlor auf diese Weise nie den leichten, spielerischen Charakter im Umgang mit Geschwindigkeiten und rotierenden Rhythmen.

Violeta Dinescus "Akrostichon" hingegen bildete sofort einen Kontrast in einer fast episch zu verstehenden, zerklüfteten und auch zeitlich gedehnten Klanglandschaft, deren Zusammenhang sich schwieriger erschloss. Stetig sah man sich mit neuen Tongebirgen konfrontiert, in der die phantasievoll auskomponierte Klangfläche dominierte. Wiederum erfrischend anders gab sich Dinescus Filmmusiksuite zu Friedrich Wilhelm Murnaus "Tabu" als Beweis, dass sich zeitgenössisches Musikdenken und eine handwerklich sauber zu absolvierende Begleitmusik nicht ausschließen. Im an Höhepunkten reichen Konzertabend war das in seinen Zeitmaßen sehr kompakt komponierte Klarinettenkonzert von Doina Rotaru "Fragile II" eindrucksvoll in einer stark emotionalen Interpretation, die vom Solisten Emil Visenescu ausging und sich sofort auf das feinsinnig musizierende Ensemble übertrug.

Danach hatte es Enescus wiederholtes "Prélude" leicht und klang plötzlich ganz anders als bei der ersten Runde: Was zu Beginn noch neu und fremd war, klang auf den gleichen Saiten gespielt anderthalb Stunden später viel vertrauter. Man hatte Freundschaft geschlossen mit der erfindungsreichen, den Melos und die eigene Tradition nie vergessenden rumänischen Musikkultur.

Musik bewahren und zugänglich machen

Das Deutsche Komponistenarchiv in Hellerau wird zehn Jahre alt

"Meine Zeit wird kommen." formulierte Gustav Mahler einst und er hatte Recht behalten. Ob sich Mahler beim Verfassen dieses Satzes in einem Brief an seine Frau Alma darüber Gedanken gemacht hat, was mit seinen vielen Noten und Skizzen, Briefen und Entwürfen einst geschehen wird? Er dürfte Glück gehabt haben - das Zusammenspiel von Verlagen, Archiven und Bibliotheken ermöglicht heute den tiefen Einblick in sein Musikdenken. Doch nicht jeder Fall ist so einfach: oft landen Nachlässe auf Dachböden, hat sich der Komponist selbst gar nicht zu Lebzeiten um seine kiloschweren Partituren gekümmert und eine Aufbereitung fällt erst recht schwer, wenn Rechte, Erben und ein in alle Welt verstreutes Material zu berücksichtigen sind.

Den Handlungsbedarf für die Gründung eines Deutschen Musikarchives sah Komponist Harald Banter, Mitglied des GEMA-Aufsichtsrates, als er selbst Materialien seines Freundes Georg Haentzschel, einem der großen Komponisten im UFA-Filmgeschäft in den 30er- und 40er-Jahren, erhielt. Es sollte ein Archiv entstehen, das allen bedeutenden deutschen Komponisten offensteht, gleich in welchem Genre sie tätig waren oder sind. Das Deutsche Komponistenarchiv wurde 2005 mit Förderung der GEMA-Stiftung gegründet - und befindet sich in institutionell fester Eingliederung im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau in Dresden. Wenn jetzt das zehnjährige Bestehen gefeiert wird, ist der Blick auf die vergangene Zeit relativ zu sehen, denn ein solches Archiv, das in der Bewahrung der Komponistennachlässe sozusagen eine Art musikalisches Gedächtnis bildet, hat natürlich immer die Ewigkeit im Blick.

Danach richtet sich auch die professionelle Ausrichtung, die in Hellerau verfolgt wird, denn die Handschriften und Noten sollen natürlich auch in ferner Zukunft noch verfügbar sein. Um die Aufnahme, Archivierung und Pflege kümmert sich die Leiterin des Archivs, Julia Landsberg. Vor Ort nimmt sie Wünsche der Einsicht in die Manuskripte, Tonträger, Rezensionen und Korrespondenzen entgegen - es stehen auch kontinuierlich zu übergebende, künftige Nachlässe auf der Warteliste. Das Interesse wiederum wächst mit der Bedeutung des Archivs, das aber schon jetzt wichtige Anlaufadresse für Musikwissenschaftler, Biografen oder Dirigenten ist: Nachlässe von über 30 Komponisten lagern im Archiv, darunter Filmmusikkomponisten wie Hans-Martin Majewski ("Menschen im Hotel") oder Rolf Alexander Wilhelm, der die Musik zu Filmen von Loriot schrieb. Der erst kürzlich verstorbene, im Osten berühmte Musical-Komponist Gerd Natschinski übereignete seine Kompositionen dem Archiv ebenso wie der Geiger Helmut Zacharias oder die Komponisten Ernest Sauter und Karl-Gottfried Brunotte.

Am heutigen Montag wird in Hellerau gefeiert: in der Festveranstaltung zum Zehnjährigen Bestehen wird nicht nur in Beständen gestöbert und die Bedeutung des Archivs gewürdigt, sondern es werden auch Werke von Ernest Sauter, Karl-Gottfried Brunotte, Norbert Schultze und Gerd Natschinski erklingen - so erfüllt das Deutsche Komponistenarchiv an diesem Abend eines seiner wesentlichen Ziele: die Musik zu bewahren, und sie wieder zum Klingen und damit in die Erinnerung zu bringen.
(19.10.2015)

Poetisches Gedenken

Landesjugendorchester Sachsen im Konzert mit Werken von Paul Aron, Iris ter Schiphorst und Robert Schumann

Zweimal im Jahr lädt das Landesjugendorchester Sachsen in Dresden zum Konzert ein und stellt die zuvor in einer Projektphase erarbeiteten Werke vor. Doch was sich dann im zweistündigen Konzertabend manifestiert, geht weit über das bloße Präsentieren eines Ergebnisstandes hinaus. Der künstlerische Leiter Milko Kersten prägt seit fünfzehn Jahren das Ensemble und zeichnet verantwortlich für Projekte mit alter und neuer Musik - das Sprengen der Grenzen zwischen den Künsten und Stilen ist ihm nicht nur vertraut, die Offenheit und der Bezugsreichtum zeigt sich auch immer wieder im Enthusiasmus der Jugendlichen - die Projektwochen vor den Abschlusskonzerten geraten intensiv.

Auch das Konzert am Sonnabend war eines, das an keiner Stelle das bloße Musizieren und Repertoireaneignen zum Ziel hatte. Die Musik wies direkt in unsere Gegenwart hinein und die Konfrontation mit aktuellen Themen, die uns in Dresden und in Europa derzeit bewegen, war unumgänglich und beabsichtigt. Sie geschah auf eine künstlerische Weise, die das Experiment in den Vordergrund stellte und damit auch nicht von vornherein bestimmte Antworten zu geben bereit war. Im Mittelpunkt stand bei "In Memoriam" ein poetisches Gedenken an die Pogromnacht 1938, die sich am 9. November jährt. Mit diesem Motto gestaltete das Landesjugendorchester Sachsen einen offenen, interdisziplinären Raum zwischen Musik, Theater und Poesie.

Beispielhaft für die Schicksale der NS-Zeit stand in diesem Konzert die Erinnerung an den 1886 in Dresden geborenen Musiker und Komponisten Paul Aron, der zwischen den Weltkriegen über 200 Werke zeitgenössischer Komponisten in seiner eigenen Konzertreihe aufführte und maßgeblich zum Musikleben der Stadt beitrug, eher er bereits 1933 ins Exil in die Tschechoslowakei und später in die USA gehen musste. Man muss dem Landesjugendorchester höchst dankbar sein, dass es gleich zwei Werke des Komponisten wieder zu Gehör brachte - die "Four Ostinatos" (in der Orchestrierung von Milko Kersten) erwiesen sich in der stilistischen Farbigkeit der dreißiger Jahre ebenso als Entdeckung wie die drei Lieder auf Texte von William Butler Yeats, die die Sopranistin Salome Kammer mit warmem Timbre in ihrem poetischen, oft kammermusikalisch anmutenden Raum beließ. Poesie oder der Versuch, sich mit Worten dem oft Unaussprechlichen zu nähern (was eben auch die Musik zu leisten vermag, darin besteht ihre faszinierende Nähe), bildete einen roten Faden des Konzertes.

Von der in diesem Jahr mit dem Ingeborg-Bachmannpreis ausgezeichnete Lyrikerin Nora Gomringer sprach die Schauspielerin Karina Plachetka (Staatsschauspiel Dresden) Texte, die der Musik eine weitere Ebene hinzufügte, Nachdenken und Nachsinnen ermöglichte, ohne bloß das Erklungene verbal zu bebildern. Hinzu kam eine Uraufführung der Komponistin Iris ter Schiphorst mit dem Titel "An den Stränden der Ruhe..., wo die Sonne untergeht". Auch dies war Wort-Klang-Collage, die sich hier explizit auf die politische Gegenwart der Flüchtenden im Mittelmeerraum bezog - die nun mit Masken spielenden Orchestermusiker spiegelten Schicksale der Unbekannten, wie überhaupt hier mit von den Jugendlichen hervorragend umgesetzten, bedrohlichen Klängen und theatralischen Aktionen bald eine Atmosphäre entstand, die vom Kunstmachen bald in die Dramatik einer Dokumentation des Tatsächlichen kippte. Das war als Konzerterlebnis gleichzeitig eine einzigartige, vielleicht widersprüchliche, aber vor allem aufwühlende Erfahrung. Wenn ein Wunsch offenblieb, dann der, dass man die Texte Gomringers oder die in ter Schiphorsts Werk skandierten, akustisch nicht verständlichen Worte gerne noch einmal nachgelesen hätte, was das Programmheft nicht anbot.

Dass im zweiten Teil des Konzertes Robert Schumanns 1. Sinfonie B-Dur, die "Frühlingssinfonie", nun mit deutlich helleren Texten von Gomringer verknüpft, erklang, war nach diesem aufrüttelnden ersten Konzertteil ein schroffer Kontrast. Hier war noch einmal hohe Konzentration gefragt, denn auch dieses scheinbar bekannte Werk will erst einmal zusammengesetzt sein. Doch weniger als die letzte Präzision gelang ausgerechnet mit diesem von den jungen Musikern mit viel Kraft und Lebendigkeit angefüllten Stück der Blick nach vorn, der bei allem Erinnern unabdingbar ist. Und dieser Blick darf auch ruhig einmal das Wagnis, die Vorwitzigkeit, das kleine Scheitern und den maximalen, überraschenden Erfolg beinhalten - sonst wäre die Kunst kalt und tot.
(18.10.2015)

Traum CX

Bin in einem Haus mit 10 anderen und einem Killer. Dieser hat angekündigt, sechs von uns erschießen zu müssen. Große Angst bei allem, der Typ prüft von jedem Unterlagen und Papiere und legt fest, wer erschossen wird. Als Grund gibt er z. B. an, dass in den Unterlagen Plakate mit Autogrammen dabei sind. Die Signaturen sind kyrillisch, es ist neben einer Choristin auch jemand aus Russland dabei. Ich sorge mich zunächst, dass es das wohl war mit mir, das wandelt sich aber im Laufe des Traums und ich bin mir sehr sicher, dass ich überleben werde. In den letzten "Einstellungen" des Traums schaue ich von außen auf das Haus, es ist ein freistehendes, etwa vierstöckiges Gebäude aus Backsteinen. Mir ist unklar, wie wir dort rauskommen sollen, es scheint aber verborgene Gänge zu geben. Die Erschießung selbst ist nicht Bestandteil des Traums.

Montag, 12. Oktober 2015

Traum CIX

zweiteiliger Traum (10. auf 11.10.): zunächst eine Orchester-Uraufführung von T.A., von M.K. dirigiert, in einem Konzert auf einer Open-Air-Bühne. Im Wortsinne ver-rücktes Setting der Veranstaltung: die Bühne befand sich (innerhalb einer Stadt auf einem Platz) weiter unten, dazwischen kam ein große Straßen-Baustelle mit Zäunen und Erde, weiter oben eine Zuschauertribüne, die rechtwinklig zur Konzertbühne aufgebaut war, man musste also den Kopf schräg nach links drehen, um hinten in der Ferne hinter der Baustelle die Bühne wahrzunehmen. Als wir alle saßen, nahmen wir erst wahr, dass irgendwas nicht stimmen könnte (neben mir saß U.-M.) und ich machte mich auf zur Bühne und stolperte durch die Baustelle hinunter. Hier aber Ende dieses Teils.
Im zweiten Teil bin ich beim Arzt und es gibt eine Untersuchung, die in einem Labor auf der anderen Seite des Hausflurs stattfinden soll. Alle zu untersuchenden Patienten gehen hinein, doch der Boxer, der am Ende der Schlange auch hineinwill, muss leider draußenbleiben. Es ist unklar, ob ich einer der Patienten bin oder der Arzt, was wahrscheinlicher ist, weil ich nicht in das Labor hineingehe, sondern alle Patienten samt (meinem?) Hund dabei beobachte.
In dieser Nacht muss ich gesprochen haben (nicht bewusst mit einem der beiden Träume), und zwar in Hochdeutsch - also klar und deutlich - den Satz "Lass uns jetzt nach draußen gehen."

Dienstag, 6. Oktober 2015

Alles kreist

Opera Spaziale "Copernicus" von Oliver Korte in Hellerau uraufgeführt

Der Astronom Nikolaus Kopernikus tat vielleicht gut daran, erst kurz vor seinem Tod 1543 seine Schrift "Über die Umläufe der Himmelskreise" zu veröffentlichen, nicht nur, weil einige Gedanken zu der Zeit noch hypothetischer Natur sein mussten, sondern weil ihm möglicherweise die Erschütterung des bis dahin vorherrschenden geozentrischen Weltbildes bewusst war. Galileo, Kepler und Newton setzten die naturwissenschaftlichen Annahmen fort, mittlerweile untersuchen wir schwarze Löcher und Unendlichkeiten.

Und immer noch enthält uns das Universum viele Antworten vor. Der Ansatz der neuen Oper von Oliver Korte, die am Sonnabend von den Landesbühnen Sachsen in Kooperation mit dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau im Festspielhaus Hellerau uraufgeführt wurde, liegt aber vor allem in der Gemengelage der Wissenschaften in der Renaissance, in der sich Geistes- und Naturwissenschaften durchdrangen und von verschiedenen Anknüpfungspunkten aus eine Neuzeit proklamiert wurde, deren Dynamik bis heute nichts von ihrer Faszination verloren hat.

Weniger als retrograde Renaissance-Oper gemeint konzentrierte sich Oliver Korte auf himmlische Sphären und den Statements großer Denker dazu: seine "Opera Spaziale" nimmt den Raum wörtlich: als Himmelsraum, als Gedankenraum, als musikalischen Raum. In der zweistündigen, fünfaktigen Darstellung beeindruckte die konsequente Umsetzung dieses Ansatzes. Das Orchester nimmt elliptisch um das Publikum angeordnet planetäre Aufgaben war, die Bläser werden gar zu Wandelsternen und tönen mal von Nordost, mal von Südwest. Eine Handlung findet nicht statt, vielmehr stellt Korte Kopernikus' Thesen im ersten Akt in den - wörtlichen - Raum und konfrontiert sie mit den Folgen.

Eine wesentliche Problematik des Stückes entsteht daraus, dass Korte in fast allen Akten das Publikum mit einer wenig reflektierten und auch kaum bearbeiteten Textmasse konfrontiert, die zwar einen netten Renaissance-Bilderbogen mit Einschüben von Shakespeare über Einstein bis zu Thomas Bernhardt anbietet, aber den Zuhörer ansonsten hoffnungslos alleine läßt. Man vergräbt sich gleichsam einen Abend lang in einer riesigen Bibliothek weiser Worte aus allen Zeiten, die Korte dann auch noch dupliziert: Was der Sänger lateinisch singt, wird deutsch nachgesprochen. Ein tieferer Sinn dieser Untertitelung ergibt sich nicht. Szenisch werden die von Korte sorgsam angebotenen kompositorischen Formen auch nicht gerettet.

Jan Michael Horstmann dirigiert sonnengleich vom Zentrum aus die hervorragend musizierenden Elblandphilharmonie-Himmelskörper und hat auch die Regie übernommen. Doch die beiden Gesangssolisten (Stephanie Krone und Kazuhisa Kurumada mit überzeugend dargebotenen, umfassenden Hauptpartien) muss mit Sprechern (Sarah Bauer, Utz Pannike, Manuel Schöbel) und Chorquartett ein ums andere Mal in der Mitte der Bühne um Laute, Harfe und Dirigent auf einem engen Podest herumschleichen, um Pest, Inquisition, Liebesduett und Madrigal zu deklamieren. Handlung, Geste und Bedeutung wurde dem Stück immer wieder aufgepfropft, wo man sich doch als Zuhörer eigentlich irgendwo in den Textblättern so schön seltsam verloren findet und eine traumwandlerische, zutiefst künstlerische Abstraktion dieser vielen Überlegungen und Prophezeiungen viel mehr dran wäre als ein bemühtes Theaterspiel.

An den Wänden laufen dazu Videos, besser: es ist eine Art uninspiriertes VJing, was erst im 5. Akt mit dem Sphärenhimmel der Villa Stuck eine gewisse phantastische Ebene erreicht - davon, und vor allem von Gefühl, Visionen und einer Botschaft kam zu wenig an. Trotz der wandelnden Bläser herrschte durchweg eine Arbeitsatmosphäre, und wenn im Text von Blut die Rede war, kam der rote Scheinwerfer zum Einsatz. Die visuellen Möglichkeiten blieben in Hellerau seltsam ungenutzt, und es entstand der Eindruck, dass der wohl immense musikalische Aufwand der Vorbereitung bei anderen Ebenen zu zu einfach gedachten Lösungen führte. Wegträumen durfte man sich hingegen bei Kortes teilweise kongenial komponierter Musik, etwa dem Madrigal (Antje Kahn, Patrizia Häusermann, Peter Diebschlag und Bojan Heyn) zur Inquisition des Giordano Bruno am Ende des vierten Aktes. Manches ist in Kortes Musik polystilistisch, erinnert an Messiaen oder Schostakowitsch, bekommt aber eine starke eigene Handschrift, weil Korte sich in den durch das Thema vorgegebenen Formen diszipliniert und dadurch spannende Raum-Musiken erfindet, die die Musiker höchst aufmerksam im ganzen Saal verteilt umsetzen.

Wenn Korte die Musik am Ende in pulsarisches Pochen auflöst (und selbst die akustischen Signale der Mondlandung erscheinen im Kontext historistisch), verschwinden all die in Jahrhunderten mit großen Gedanken erstellten schweren Bücher, Pamphlete und Thesen im All. Eine plausible, schöne Vorstellung, die uns aber das weitere Nachdenken nicht nehmen sollte. Allein das 21. Jahrhundert, die Gegenwart, blieb in dieser vornehmlich akademisch wirkenden Himmels- und Erdenschau seltsam unberücksichtigt - vielleicht sind die Kopernikusse unserer Zeit rar geworden?

Weitere Termine: 9., 10.10., 5. und 6.3. -> Hellerau

Samstag, 3. Oktober 2015

Traum CVIII

Meine Gesprächspartner liegen bereits unter dem Tisch. Alkohol und Schweiß. -- Wir ziehen um.

Traum CVII

Auf Reisen mit S. und dem Chor (was nicht zusammengeht). Glückliche Zeit. Verirrungen lösen sich auf (ich helfe).

Dienstag, 29. September 2015

Konsequent kompromisslos

Gustav Mahlers 6. Sinfonie a-Moll im 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle

Sicher, dieser Sonntagvormittag im September besaß - zumindest vor dem Konzertbeginn um elf Uhr - einen anderen, lichteren Grundklang und man benötigte eine gewisse Offenheit, um im Konzert einem Werk wie der 6. Sinfonie von Gustav Mahler zu begegnen, die einem schonungslos in vier Sätzen in Musik gegossene Abgründe menschlichen Daseins präsentiert - auch 109 Jahre nach der Uraufführung ist die Modernität und Emotionalität dieses Werkes schon nach wenigen Takten evident. Dennoch erklärt dies nicht die etwas gelichteten Reihen beim 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden, über die man sich nur wundern muss.

Der Erste Gastdirigent des Orchesters, der koreanische Dirigent Myung-Whun Chung, setzte mit der Sechsten seinen über mehrere Jahre angelegten Mahler-Zyklus fort und schuf auswendig dirigierend eine nachhaltig bewegende Interpretation. Nach der 4. Sinfonie in der letzten Saison hätte man vermuten können, auch dieses Werk bekäme von Chung einen weltlich-gnädigen Tupfer, doch hier regieren andere Mächte: der zwingende und energische Beginn Chungs mit dem Marsch-Thema des 1. Satzes legte die Gangart für die gesamte Sinfonie fest. Flexibilitäten im Tempo erlaubte sich Chung nur auf der Basis des einen großen Zusammenhang stiftenden, stets leicht nach vorne drängenden Grundtempos. Die wenigen piano-Stellen des 1. Satzes mit ihrer Kuhglocken-Fernwelt erreichten so einen hohlen, von bizarrer Einsamkeit geprägten Ausdruck.

Gerade die klangfarbliche Ebene spielt in der 6. Sinfonie eine besondere Rolle, und Chung schaffte es hier und in dem an zweiter Stelle platzierten Scherzo, mit den spielerischen Qualitäten der Kapellmusiker vor allem die scharf geschnittenen Übergänge zwischen gegensätzlichen Stimmungswelten wie Marsch und Ländler überzeugend zu zeichnen - die beiden ersten Sätze wirkten so wie aus einem Guss und gleichermaßen kraftvoll wie unglücksahnend. Eine Sonderstellung nimmt im Werk und auch in Chungs Interpretation der 3. Satz ein. Sorgsam wurden in diesem Andante Moderato die Streicher geführt; warme und dunkle Farben überwogen in diesem nicht beruhigenden, sondern eher gedanklich wegschweifendem Satz, den Chung in den Höhepunkten im letzten Drittel zu einem in einem einzigen Bogen schwingenden ernsten Gesang ausformte. Die hier zu bewundernde Homogenität des gesamten Ensembles wurde zu einem Höhepunkt der Aufführung und von Chung auch bewusst geformt als kantable, dennoch mit schmerzlichem Ausdruck versehene Insel innerhalb der sinfonischen Höllenfahrt.

Letztere wurde mit dem Finale fortgesetzt, das eine Geröllwüste aus musikalischen Fetzen aller Sätze darbietet. In der Rezeption ist dieser Satz wie die ganze Sinfonie bis heute mit teils wunderlichen Geschichten aus Mahlers Psyche, philosophischen Exkursen und Deutungen umgeben, um am Ende doch bei der Musik selbst und der schlichten Frage, was ihn da bloß geritten hat, zu landen - das Ende aller Deutungsversuche scheint erreicht, die Musik ist ohnehin wichtiger, sie bohrt sich ins Ohr. Neben der Satzreihenfolge, die Mahler selbst länger beschäftigte, wird auch die Diskussion über die Anzahl der Hammerschläge im letzten Satz mit jeder neuen Aufführung fortgesetzt. Chung entschied sich für die Version mit dem dritten, "vernichtenden" Schlag in der Coda - andere Dirigenten bevorzugen zwei Hammerschläge, aus Urschriften werden gar fünf herauszitiert. Doch weniger als Chiffren und Rätsel zeigte Chung den Zuhörern schlicht das sinfonische Meisterwerk, das offen vor uns liegt und in kompromissloser Konsequenz sowie mit blitzartiger Aufmerksamkeit von den Kapellmusikern umgesetzt wurde. Gewohnt bescheiden und freundlich seinen Musikern dankend, nahm Chung nach diesem viele Dimensionen sprengenden Werk einen sehr verdienten, großen Applaus entgegen.

Fragmente, Schattierungen und ein sinfonisches Kleinod

Kurtág, Ligeti und Haydn im 1. Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle

György Kurtág ist der neue Capell-Compositeur der gerade begonnenen Saison der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Der 1926 geborene ungarische Komponist gilt als eine der großen Stimmen des 20. Jahrhunderts, und doch ist er vergleichsweise selten in Konzerten zu hören. Trotz eines umfangreichen OEuvres stellt es auch eine Schwierigkeit dar, diese besondere Musik anderer gegenüberzustellen, einen passenden Rahmen zur Entfaltung zu wählen, wo doch - das wurde auch im 1. Aufführungsabend der Staatskapelle am Mittwoch deutlich - die Stücke sich üblichen Kategorien entziehen. Kurtágs Werke sind beziehungsreich, manchmal gar verrätselt miteinander verbunden, sie verbleiben oft im Fragmentarischen, Aphoristischen und stellen einen flüchtigen Gedanken, einen Moment in den Vordergrund.

Selbst dieser ist oft mehrschichtig, schattiert oder von derart pastellener Farbe, dass sich das Ohr in einem Zwischenraum des Hörens und Verstehens bewegt. Das vierminütige Stück "Merran's Dream" aus den "Neuen Botschaften" für Orchester ist so ein Werk, das wie ein verwirbeltes Notenblatt kurz eine - allerdings enorme - Aufmerksamkeit benötigt, aber dann schon wieder verweht wird. Ungünstig wirkte sich aus, dass das danach folgende Stück eine ganz andere Besetzung hatte, somit die Umbaupause gleichsam zeitlich ähnlichen Umfang wie das Werk selbst besaß und jegliche Art von Atmosphäre, die schon der leider obligate Schmuckvorhang der Oper für dieses Konzert nicht ausstrahlt, zunichte machte. Ein Konzentrationsraum für diese Spuren von Vergänglichkeit wäre schön gewesen, ebenso eine ganze Konzerthälfte Kurtág, um zunächst mit der Musik und dem Komponisten vertraut zu machen.

Mit den "Brefs Messages" erklangen im neunköpfigen gemischten Ensemble dann vier ebenso kurze Sätze, die etwas mehr strukturelle Entwicklung, gar Abwechslung aufwiesen - mehr als ein kurzer Lichtstrahl auf den kurtágschen Kosmos gelang hier aber nicht; freundlichen Applaus für die Kapellisten, kompetent und klar angeleitet vom neuen Musikdirektor des Orchestre Philharmonique de Luxembourg, Gustavo Gimenez, gab es trotzdem.

Dieser steigerte sich beim folgenden Konzertwerk, dem "Hamburgischen Konzert" für Horn und Kammerorchester von György Ligeti, deutlich, und das war einer hervorragenden Leistung des Ensembles, dem in allen Registern und Spielarten äußerst versiert agierenden Solisten Jochen Ubbelohde (Horn) und den vier unterschiedlich gestimmten Naturhörnern im Orchester zu verdanken - daraus erwuchs beinahe ein Hornquintettkonzert. Deutlicher spürbar als bei Kurtág setzt Ligeti hier in seinem im Jahr 1999 geschriebenen Werk auf traditionelle Kompositionsformen, die in komprimierter Setzweise zumeist heftig ins Extrem getrieben werden. Mit einer klassischen Sinfonie im zweiten Teil des Konzertes deutete sich Kontrast an, doch die 94. Sinfonie "Mit dem Paukenschlag" von Joseph Haydn war in diesem Zusammenhang klug gewählt, stellen die einzelnen Satzformen bei Haydn doch wahre Kleinode dar, die ebenso punktgenau gespielt werden müssen, um die optimale Wirkung zu erzielen.

Das gelang Gimeno vortrefflich, nach dem borstigen ersten Satz besaß der berühmte Paukenschlag-Satz ein gutes Maß an eleganter Naivität, und Menuett und Finale wirbelten eher im Presto denn Allegro vorbei, was aber die Spielfreude und Wirkung erhöhte. Gimeno brauchte hier wenig tun, denn die Kapellmusiker übernahmen dankbar seine Anleitung und badeten sich im Esprit dieser meisterlichen Sinfonie.

Samstag, 26. September 2015

Traum CVI

Fahre Auto. Und zwar schlafend, in genau dem Zustand, in dem ich dies träumte - mit geschlossenen Augen, wissend, dass man schläft, unmöglich, die Augen zu öffnen. Ich fahre meinen alten Audi, ein Beifahrer neben mir, ich kann nicht erkennen, wer. Die Strecke kenne ich "im Schlaf", dennoch fahre ich am Ende einer Straße auf einen Bürgersteig und höre ein "Pass auf!!" neben mir. Mehr passierte nicht.
[vor-3-Uhr-Traum]

Donnerstag, 17. September 2015

Traum CV

Ich war eine Woche lang Innenminister. Mir war schlecht. Das gefiel mir alles nicht. Schreibe ich ihr in einer SMS. Chorprobe. Pause. Wir stehen draußen rauchend. Sie auch. Sie ist ohnehin die ganze Zeit dabei. Ich krabbel in meinen von M.K. kurzgeschlossenen Audi, suche irgendwas, der Fond ist entsetzlich unaufgeräumt. Sie fährt auch einen Audi, einen sehr alten. Ich helfe ihr, sie kennt sich nicht aus im Hinterzimmer/Kiosk ? Um mich herum hupt alles. Es wird stiller, die Probe geht weiter. Ich stecke S. einen Bleistift zu.

Freitag, 11. September 2015

Traum CIV

[lange Phase -fast- ohne erinnerte Träume]

eigene Uraufführung geträumt, die aber einer Performance glich, möglicherweise vorher mit Orchester, dann aber drapierte ich Dinge auf der Bühne, ein Brot auf einem Sockel beispielsweise. Vier Kinder bat ich am Ende nach vorne, es kamen nur Erwachsene, die bekamen Schokoriegel. Parallel (?) habe ich noch zwei Frauen im Auto den Weg zur Polizei gezeigt, einmal über die Schulhöfe meiner alten Schule, dann saß ich selbst im Auto und lotste sie durch eine Großstadt (Köln?).

Donnerstag, 10. September 2015

Schmerzliche Nostalgie und Fragezeichen

Elgar und Schostakowitsch zur Saisoneröffnung der Dresdner Philharmonie

Eine in in Töne gesetzte, nachdenkliche Rückschau auf eine vergangene Ära, auch auf Krieg und Unterdrückung, verband die beiden Werke des Saisoneröffnungskonzertes der Dresdner Philharmonie im Albertinum am vergangenen Wochenende. Trotzdem liegen Welten zwischen dem 1919 entstandenen Cellokonzert von Edward Elgar und der 10. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch, im Todesjahr Stalins 1953 entstanden. Beide Werke - hier das unbestritten auch durch Interpretinnen wie Jacqueline du Pré bekannteste Cellokonzert des frühen 20. Jahrhunderts, dort die mit den Initialen D-Es-C-H offen und gleichzeitig verstörend daliegende Bekenntnismusik - konnten vor allem durch eine jeweils herausragende Interpretation nebeneinander bestehen.

Die argentinische Cellistin Sol Gabetta, Artist-in-Residence dieser Saison bei der Dresdner Philharmonie, ließ vom ersten Ton an keinen Zweifel daran, dass dieses Konzert eine schmerzlich-nostalgische Komponente birgt, die Gabetta mit vollem Klang der kantablen Linien hervorbrachte: dunkelgrau und warm in der Tiefe, und deutlich formulierend, aber niemals grell in der Höhe. Zwei Ausnahmequalitäten in Gabettas Spiel erzeugten eine große Spannung über alle vier Elgar-Sätze: da ist zum einen ihre imponierende Palette klangfarblicher Register, die sie in den accompagnati im Dialog mit dem Orchester hervorzauberte, zum anderen ein unaufgeregter Atem, mit dem sie die richtige Zeit für einen großen Melodiebogen findet. Fast fremdartig, wenngleich von Gabetta völlig mühelos bewältigt, wirken bei diesem emotionalen Höhenflug hingegen die virtuos-trubeligen Passagen im zweiten und vierten Satz, doch hier ist maximal Elgar selbst zu kritisieren, dessen sorglose Ornamentik einige Male für Verwirrung im Stück sorgt.

Die reife, klangsatte Interpretation von Sol Gabetta wurde vom Orchester unter Leitung von Chefdirigent Michael Sanderling sehr kontrolliert begleitet, die Priorität von Aufmerksamkeit und Präzision war fast ein wenig zu viel spürbar, doch so konnte die Solistin sich vertrauensvoll und frei entfalten. Mit Pablo Casals "El cant des ocells" (Der Gesang der Vögel) beantwortete sie den großen Applaus und versicherte sich einer stimmungsvollen Begleitung durch die Cellogruppe der Philharmonie.

Dmitri Schostakowitschs Sinfonien spielen in den Programmen Sanderlings eine große Rolle - nicht nur wegen einer starken persönlichen Affinität. Man spürte auch an diesem Abend deutlich, wie die wiederholte Annäherung an diese Partituren die Philharmoniker zusammenschweißte, wie Verständnis und Klangartikulation eine nur mehr staunenswerte Kompetenz bildeten. Sanderling beließ es nicht bei Details (und selbst die sind aufregend, wie etwa die hier klasse gestalteten Soli der Fagottgruppe), sondern erfasste die ganze zehnte Sinfonie in ihrer spezifischen Art. Dazu gehört eine Atmosphäre des "zu schön, um wahr zu sein", die er mit ahnungsvoller Natürlichkeit im ersten Satz ausbreitete. Der zweite Satz jagte ohne jeglichen Gedanken an ein Zurück vorbei, dieser Aufschrei - auch das gelang überzeugend - kann nicht in stechender Präzision daherkommen.

Flüssig und mit deutlicher Zeichnung einer pastosen Zwischenwelt nahm Sanderling den dritten Satz, das Finale hingegen hat eine zwingende Kraft, wobei die stärksten Momente aber nicht im Schluss lagen, sondern in dem musikalische Fragezeichen aufstellenden Übergang zwischen Andante und Allegro. Dass ein solches Werk Spuren hinterläßt, wurde deutlich, als Sanderling sich beim donnernden Schlussapplaus zum Publikum umdrehte: ein leichtes Entsetzen war noch in seinem Gesicht geschrieben - Zeichen für eine bedingungslose Hingabe an dieses Werk, Schichten hervorholend, die keineswegs zum Zurücklehnen einladen, sondern Teilnahme und Nachvollzug erfordern. Dieser Anspruch macht sehr gespannt auf die reichhaltige neue Konzertsaison.

Wimmelbilder und Lockpfeifen

Zeitgenössisches mit dem elole-Trio im Coselpalais

Nicht jeder von uns hat immer die Gelegenheit, diejenigen Musikfestivals in Europa zu besuchen, bei denen zeitgenössische Musik im Vordergrund steht. Im Medienzeitalter haben wir die Möglichkeit, die neuen Werke per Übertragung oder Stream mitzuerleben, doch eine Live-Aufführung ist ein anderes Erlebnis. Insofern kann man dem Dresdner elole-Klaviertrio dankbar sein, dass es nicht nur zum wiederholten Male bei den Tagen für Neue Musik in Ostrava aufgetreten ist, sondern die dort vorgestellten und zum Teil erstaufgeführten Werke nun auch in Dresden im Konzert gespielt hat. Das Konzert im Pianosalon im Coselpalais am Donnerstag war zwar nicht übermäßig gut besucht, dafür aber schätzten die Besucher die vom Trio ausgehende konzentrierte Spannung, die das ganze Konzert durchzog.

Vier Kompositionen aus Tschechien, Italien und Japan hatte elole ausgewählt, die - das konnte man am Ende nach dem Hörerlebnis aller Stücke feststellen - als gemeinsames Element das konsequente Durchführen einer Idee im Stück aufwiesen. Dennoch konnten die Kompositionen unterschiedlicher nicht sein: Petr Bakla, ein 1980 in Prag geborener Komponist, verbindet und verstrickt in seiner Musik Elemente, die zunächst nackt und unentwickelt erscheinen. Das Schlimme an der Musik ist das Tolle an der Musik: sie erreicht nie den Punkt, wo es von der scheinbaren Beliebigkeit in das "so und nicht anders" wechselt. Bei dieser Gratwanderung befindet man sich im Hören in einem spannenden Grenzbereich, wobei die Abstraktion eine große Rolle spielt. Dass der Werktitel "Dog Variations" auf die Kompositionsmethode des Erschnüffelns von Strukturen hinweist, erscheint dabei nur sympathisch. Schwer zugänglich war dann Makiko Nishikazes "trio - stella": die Komponistin erkundet in piano-Räumlichkeiten immer neu entstehende Klänge, ohne dass ein Ziel erkennbar ist. Zeit verstreicht, Aufmerksamkeit schwindet und die überwiegend vibratolos gestrichenen Töne wirken seltsam kernlos, nahezu musikalisch unterernährt. Es ist fraglich, ob diesem etwas saftlosen Stück eine Interpretation noch mehr Leben einhauchen könnte, als sich elole darum schon merklich bemühte.

Ganz anders gab sich Salvatore Sciarrinos Trio aus dem Jahr 1975: ein hochvirtuosen Wimmelbild, in dem Töne wie Schlingpflanzen wucherten und ein sinnliches, vom Rhythmus getriebenes Klangbild entstand. Hier begeisterte das elole-Trio schon mit Sinn für eine überaus plastische Wiedergabe, und dies setzte sich mit Theatralik im letzten Werk des Abends fort: dass zeitgenössische Musik mit feinem Humor und einem unkonventionellen Zugang ebenfalls Spaß machen kann, zeigte Petr Ciglers "Jagdtrio", das kürzlich in Ostrava uraufgeführt wurde. Erfrischend anders ist schon der grundsätzliche Zugang zur Musik des Komponisten, der als weitere Berufe übrigens Hornist, Chemiker und Molekül-Designer angibt - Neugier und Wissenschaft verbinden sich hier auf überraschende Weise. Die wilden Klaviertrio-Szenen mit Lockpfeifen waren dann auch weit von einer puren Albernheit entfernt, denn die durchaus ernste Interpretation von elole wies auf das Ritual hin, auf Abmachungen und festgelegte Abläufe, denen man nur mit Enten- oder Bauernschläue entkommen kann - eine Art moderne "Pet(e)r und der Wolf"-Szenerie entstand, die, das sei dem Trio als Idee einer Besucherin gerne mitgegeben, auch in einem Kinderkonzert begeisterte Ohren fände.

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