Sonntag, 29. November 2015

Sinfonische Sonderfälle

Dresdner Philharmonie und Sol Gabetta veröffentlichen neue CD-Aufnahmen

Zum guten Ton eines städtischen Orchesters gehört neben der Absolvierung von Konzerten und Tourneen auch die Aktivität im Tonträgermarkt, nicht zuletzt für den heimischen Fan, der die Musik des Orchesters auch mit nach Hause nehmen oder verschenken will. Nach dem auf CD bei Genuin erschienenen Antrittskonzert von Michael Sanderling bei der Dresdner Philharmonie im Jahr 2011 gab es eine längere Pause, nun startet das Orchester durch: In den Konzerten der letzten Jahre war bereits der Augenmerk auf Sinfonik von Ludwig van Beethoven und Dmitri Schostakowitsch gelenkt - jetzt werden die Sinfonien in einem großangelegten Projekt bei Sony auf CD gepaart.

Stellt schon jeder der beiden Komponisten für sich genommen eine Herausforderung dar, sowohl als unbestrittenes Hauptrepertoire aller Orchester wie auch mit einiger Konkurrenz auf dem CD-Markt, so ist die Kombination von Beethoven und Schostakowitsch ebenso ungewöhnlich wie ohrenöffnend. Altes Neu hören wird da ebenso möglich, wie das Neue mit der Tradition zu hinterfragen. Die Kombination ermöglicht Kontrast und Widerspruch, was ohnehin dem Werk beider Komponisten originär innewohnt und bei dem CD-Erstling der Reihe, der die 6. Sinfonie der beiden vereint, in besonderer Weise zum Hauptthema wird. Denn diese Stücke sind sinfonische Sonderfälle: hier die in sich im Tempo steigerungsmäßig angelegte, seltsam kopflose dreisätzige Sinfonie von Schostakowitsch, die ein Werk des Zwischenraums scheint und mehr Fragen aufwirft als Antworten zu geben scheint.

Dort die "Pastorale", die wie ein naturalistisches Exerzitium erscheint, legt man die gleichzeitig entstandene 5. Sinfonie daneben. Sanderling und die Dresdner Philharmoniker überzeugen in beiden Stücken mit dem aus den Konzerten wohlbekannten, warmen Sound - das wirkt nicht nur für beide Komponisten adäquat und kompetent, sondern läßt als Grundhaltung auch viel Flexibilität in verschiedene Richtungen zu. Beiden Stücken ist in der Interpretation gemeinsam, dass Sanderling nicht ins Extrem geht: Beethoven kommt in schlankem Gewande und außerordentlich kantabel daher, sein ländliches Gewitter schockt weniger als dass die langsamen Sätze beredt sind von einer ruhig dahinfließenden Zufriedenheit. Im Klangcharakter weist das interessanterweise weit in Richtung Schumann - die Empfindung, der persönliche Ausdruck als Träger der musikalischen Idee wird ernstgenommen.

Dmitri Schostakowitschs Sinfonie hingegen erhält Wucht und tiefe Emotion, der lange erste Satz ist voller Spannung und überragend ausgespielter musikalischer Details, das Allegro beeindruckt mit der von Sanderling fokussiert angelegten Steigerung zum Höhepunkt. Die Tempo-Zurücknahme des Presto-Finales überrascht und legt Groteskes frei - die Anmerkungen Sanderlings über Schostakowitschs "bewusst falsche Metronomangaben" im Booklet reichen da allerdings nicht aus. Hier sollte man interessierten Hörern mehr an die Hand geben. Das gilt übrigens auch für das Cover: wer eher visuell beim CD-Kauf ausgerichtet ist, wird das altbackene Titelbild übersehen und damit kaum die vorgefundenen, anregenden Interpretationen in Verbindung bringen.

Bereits im August erschien eine weitere Veröffentlichung der Dresdner Philharmonie, hervorgegangen aus einem Nachwuchskünstler-Förderprogramm, das Konzerte und Aufnahme mit dem jungen Pianisten Alexander Krichel ermöglichte. Krichel gastierte im März 2015 im Schauspielhaus mit dem 2. Klavierkonzert c-Moll von Sergej Rachmaninov, das live eingespielt wurde. Diese Einspielung ist wohltuend klar und überhaupt nicht vordergründig auf Virtuosität gebürstet. Orchester und Solist folgen hier dem Prinzip einer sorgfältigen Klanggestaltung, was zu einem selbst im dritten Satz recht entspannten Hörerlebnis gerät. Als Zugabe sind die sechs "Moments Musicaux" überaus hörenswert und machen Lust, die Entwicklung des jungen Pianisten weiter zu verfolgen - Krichel steuert außerdem ein selbstkomponiertes "Lullaby" bei. Dass das Booklet weder den Pianisten noch das Dresdner Orchester biografisch würdigt, enttäuscht vor allem, da Hörer, die auf Entdeckungsreise gehen wollen, sich hier woanders weiterbilden müssen.

Sol Gabetta ist in dieser Saison Artist-in-Residence bei der Dresdner Philharmonie. Da sie erst im Frühjahr 2016 wieder im Konzert zu erleben ist, erscheint ihre soeben erschienene CD mit Werken von Peteris Vasks nicht nur als zeitliche Überbrückung geeignet. Die Musik des 1946 geborenen lettischen Komponisten ist den Dresdnern auch durch das Engagement der Philharmonie und ihres Konzertmeisters Wolfgang Hentrich, der etwa Vasks Violinkonzert "Fernes Licht" und andere Werke aufführte, bestens bekannt. Sol Gabetta stellt nun das 2. Cellokonzert "Presence" sowie zwei kammermusikalische Werke vor, die mit viel inniger Emotion gespielt und auch komponiert sind, stilistisch aber mit einfach behandelter Tonalität nicht konfliktfrei sind und den Hörer in eine überwiegend melancholische Stimmung bringen (sollen?). Wer sich darauf einläßt, wird aber mit Sol Gabettas überragendem Einsatz für diese Stücke belohnt. Sie singt (mit und ohne Bogen), tanzt, klagt und spricht mit ihrem Instrument und gibt diesen Stücken ein herzwärmende Klangcharakteristik - dies vor allem in den vielen solistischen Passagen, die im hier erneut auf CD aufgelegten "Buch für Cello Solo" am zwingendsten erscheinen.
Alexander Keuk

* Ludwig van Beethoven / Dmitri Schostakowitsch: 6. Sinfonien, Dresdner Philharmonie, Michael Sanderling
* Sergej Rachmaninov: 2. Klavierkonzert c-Moll Opus 18, Moments Musicaux Opus 16, Alexander Krichel (Klavier), Dresdner Philharmonie, Michael Sanderling
* Peteris Vasks: 2. Cellokonzert "Presence", Musique du Soir, The Book for Cello Solo, Sol Gabetta (Cello), Amsterdam Sinfonietta, Candida Thompson
(alle Sony Classical)

Aufregendes Debüt

Die italienische Pianistin Beatrice Rana gastierte bei der Dresdner Philharmonie

Verdient macht sich die Dresdner Philharmonie, wenn sie nicht nur Bekanntes und Bewährtes programmiert, sondern auch nicht entdeckten Werken oder jungen Künstlern ein Podium anbietet. Gleichzeitig kann uns als Zuhörer ein junges Talent vermitteln, wie zeitlos große Musik erscheinen kann. Mit eigener, noch junger Lebenserfahrung und frischen Sichtweisen versehen werden die Werke neu beleuchtet, erweitert sich der eigene Hörhorizont. Auf eine solche Entdeckungsreise gehen konnte, wer am Wochenende die Dresdner Philharmonie im Schauspielhaus besuchte.

Der große britische Cembalist und Dirigent Trevor Pinnock leitete das Orchester und hatte die 22-jährige italienische Pianistin Beatrice Rana mitgebracht, die bereits beim hochangesehenen "Van Cliburn Wettbewerb" Preise erhielt und weltweit zu Konzerten eingeladen wird. Nun ist das 1. Klavierkonzert e-Moll, Opus 21 von Frédéric Chopin sicherlich ein für junge Pianisten in seiner offen daliegenden Virtuosität dankbares Konzert, weitaus schwieriger ist es, die darunterliegende Empfindung zu treffen und der Versuchung zu widerstehen, es lediglich als Soloprélude mit Orchesterbegleitung zu verstehen. Nach der von Pinnock außerordentlich differenziert angelegten Orchestereinleitung wurde bereits mit dem ersten Akkord von Beatrice Rana klar, dass Überlegung, Können und Sinnlichkeit bei dieser Aufführung eine selten zu erlebende Liaison eingehen würden.

Rana gestaltete ihre Solopassagen mit einer tollen körperlichen Erdung, aus der heraus sie perlende Brillanz und einen noblen, nuancenreichen Anschlag entwickelte, was Chopin nahezu vergoldete, ihn aber nicht als bloß abzustaubendes Denkmal hinstellte. Selbstbewusstsein und Sicherheit waren hier Grundlage, nicht Äußerlichkeit. So entstanden in den Ecksätzen wunderbare Bögen, hatte die Romanze im Zentrum gerade genau das Quentchen Melancholie, das eben nicht in schweißtreibendes Pathos umschlägt, und war umgekehrt die Fröhlichkeit im dritten Satz nicht exaltiert, sondern von Esprit bestimmt. Mit einem Satz: Beatrice Rana ist eine aus dem Gros vieler guter, junger Pianistinnen und Pianisten herausragende Persönlichkeit, die ihren Weg machen wird, denn sie erreicht durch eine schon jetzt deutlich entwickelte eigene Handschrift mühelos tiefe Schichten der Musik. Trevor Pinnock begleitete mit den Philharmonikern dieses im besten Sinne aufregende Spiel der Solistin nicht nur höchst aufmerksam, sondern fand eine eindrucksvolle Balance der Klangverschmelzung.

Das machte großen Appetit auf die so genannte "Große" Sinfonie C-Dur von Franz Schubert nach der Pause. Und man wurde nicht enttäuscht: Pinnock legte mit unglaublicher Genauigkeit die Stärken dieses Werkes bloß, indem er Verläufe transparent machte, harmonisch und rhythmisch Prägnantes hervorholte und dabei das Ganze auch noch in den historischen Kontext holte: da klang der zweite Satz wirklich nach einem klassischen Marsch, und da war Beethoven nicht immer nur das vielzitierte Vorbild, sondern das Eigene, Unverwechselbare wurde klar herausgearbeitet und erschien plötzlich modern, gar revolutionär.

Die bei Schubert so wichtigen Posaunen sorgten hier etwa für eine warme Grundierung; Phrasierungen und Übergänge blieben bei aller Genauigkeit im musikalisch natürlich schwingenden Charakter. Bei solch einer überragenden Ausgestaltung war faszinierend zu beobachten, wie flexibel alle Orchestergruppen diesen Ideen folgten, und das Ergebnis war ein neuer, schlanker und sehr überzeugender Schubert-Klang.

Romantik pur in Radebeul

Parry, Schumann und Brahms im 2. Philharmonischen Konzert der Elblandphilharmonie

Als der junge Cellist Isang Enders noch vor ein paar Jahren als Solocellist der Sächsischen Staatskapelle Dresden tätig war, fühlte man als Zuhörer bereits, dass da ein besonders intelligenter, hochmusikalischer Geist am Instrument saß - Kammermusiken und Soloauftritte bestätigten diesen Eindruck. Nun hat sich Enders als Solist beeindruckend entwickelt, seine Einspielung der Bach-Suiten etwa ist hochgelobt und der Cellist spielt weltweit mit bedeutenden Orchestern und Kammermusikpartnern. Um so glücklicher darf man sich schätzen, dass Enders gerne in sächsische Gefilde zurückkehrt und aktuelle Erkundungen im Solokonzert vorstellt.

Bei der Elblandphilharmonie Sachsen war er zuletzt 2013 mit Edward Elgars Cellokonzert zu hören, im 2. Philharmonischen Konzert der laufenden Saison interpretierte er am Mittwoch im Stammhaus der Landesbühnen Sachsen das Cellokonzert a-Moll von Robert Schumann. Passend eingebettet in ein sinfonisches Programm mit Hubert Parry und Johannes Brahms geriet das Solokonzert zum Höhepunkt des Abends. Keineswegs ist die Hochromantik der Musik ein unproblematischer Fall, fliegen einem die Melodien nur so zu und fällt das Zurücklehnen leicht.

Romantik, das zeigt dieses Spätwerk von Schumann exemplarisch, bedeutet auch Ringen um Ausdruck und Form und ein am Gemüt und der Seelenlage des Schöpfers ausgerichtetes Kunstwerk beständig neu zu erfinden. Diese Gemengelage war bei Enders in besten Händen aufgehoben, denn gerade die Kontraste zwischen Melancholie und Temperament, zwischen Lyrik und elegischer Aufwallung gerieten vortrefflich. In allen drei Sätzen wusste der Cellist zwischen kontrollierter Phrasierung und freiem, beseelten Spiel nicht nur sauber zu unterscheiden, er brachte den stets neu auszufechtenden innermusikalischen Konflikt auch deutlich zur Geltung. So konnte man sich auch der Einmaligkeit der Interpretation und damit der Betonung des - immer flüchtigen - musikalischen Augenblicks sicher sein. Die Elblandphilharmonie begleitete mit GMD Christian Voß am Pult sicher und auf Enders Impulse gut reagierend.

Brahms bildete den Rahmen: Hubert Parrys 1897 entstandene "Elegy for Brahms" als Hommage an den im gleichen Jahr verstorbenen Komponisten ist keine pure Trauermusik, sondern eher ein raffiniert instrumentierter sinfonischer Satz, in dem Parry eine zwischen Brahms und Strauss changierende, aparte Klangwelt entwirft - für viele britische Zeitgenossen wurde Parry bald zur Leitfigur. Diese einleitende Musik gestaltete Voß mit Hingabe und das Orchester folgte mit warmer, gedeckter Klangfarbe. Die 3. Sinfonie F-Dur, Opus 90 von Johannes Brahms bildete den Abschluss des im Programm sehr stimmigen Konzertes. Christian Voß manchmal etwas zu behagliche Leitung des Klangkörpers verführte diesen in den ersten beiden Sätzen trotz vieler schöner Momente in den Bläsern und der klangschön und selbstbewusst musizierten Einleitung zu einer gewissen Trägheit. Auch dem 4. Satz hätte ein mutigerer, befreiender Drang zum Vorwärtsmusizieren gutgetan, doch Voß besann sich insgesamt mehr auf Details und genaues, schönes Ausmusizieren der reichen Melodik. Damit behielt diese Sinfonie stets ihren besonderen, lyrischen Charakter, in der Bandbreite des Ausdrucks wäre jedoch mehr zu entdecken gewesen.

mehrLicht

Musik Kultur Dresden

Aktuelle Beiträge

Sie haben ihr Ziel erreicht.
Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, sie haben...
mehrLicht - 20. Jul, 12:04
Ein Sommer in New York...
Was für eine Überraschung, dieser Film. Der Uni-Professor...
mehrLicht - 19. Jul, 21:53
Sturmlauf zum Schlussakkord
Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche Auch...
mehrLicht - 14. Jul, 18:54
Wenn der "innere Dvořák"...
Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert Mit...
mehrLicht - 14. Jul, 18:53
Ohne Tiefgang
Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des...
mehrLicht - 14. Jul, 18:51
Sich in Tönen zu (ent-)äußern
Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader"...
mehrLicht - 14. Jul, 18:50
Chopins Cellowelten
Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta Für...
mehrLicht - 14. Jul, 18:48
Fest der Klangfarben
Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum Verklungen...
mehrLicht - 14. Jul, 18:46

Lesen!

Hören!

van anderen

Was rundes auf 2D ziehen
Mercator projection: a simple analogy pic.twitter.com/BoAQHKpicX —...
Kreidler - 21. Apr, 05:35
Passfarben
Was da wohl für eine Psychologie dahintersteckt. Colors...
Kreidler - 20. Apr, 05:34
Niedergang auf dem Buchrücken
The expressive design of the 1946 edition of Gibbon's...
Kreidler - 19. Apr, 05:34
Rhythmen aus alten Zeiten
Zürich HB Flap (at MuDA)2016(Sound on!) pic.twitter.com/wZWdRI6AaP —...
Kreidler - 18. Apr, 05:33
Origamitanz
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram...
Kreidler - 17. Apr, 05:04
Vom Glasstapel
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram...
Kreidler - 16. Apr, 05:04

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

stuff

PfalzStorch Bornheim Pinguin-Cam Antarktis
Conil de la Frontera
Kram Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Status

Online seit 6701 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


Dresden
hörendenkenschreiben
nuits sans nuit
Rezensionen
Weblog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren