Freitag, 9. Januar 2015

Näää...?

Im Nachgang zu einer kleinen Twitter-Diskussion gestern abend muss ich doch kurz mal bloggend die Gedanken ordnen. Man lebt ja nun in einer Stadt, in der seit Wochen die Pegida-Demonstrationen stattfinden. Stets gibt es Gegendemonstrationen, es ist auch schon viel geschrieben und diskutiert worden. Eine wirkliche Lösung scheint nicht anzustehen, zumal es auch verständlicherweise unterschiedliche Reaktionen gibt: Auf Beschimpfungen und Verunglimpfungen (Volksverräter, Lügenpresse) kann mit Beschimpfung und Verunglimpfung (Nazis, Idioten) reagiert werden oder auch gar mit Ignoranz, viele analysieren nun gründlich und versuchen das in den Brunnen gefallene Kind wieder herauszuziehen. Gegen Verschwörungen helfen nur Fakten, eine verquere Gesinnung beseitigt man sicher nicht per Handstreich. Es bilden sich nun jede Woche Demonstrationsfronten - bei der letzten Pegida-Demo stand ein einsamer Wagen, der zum Dialog einlud, mit wenig Resonanz. Die Gegendemonstrationen sind zahlenmäßig unterlegen, nicht jeder bekommt in Dresden den Hintern hoch, aber offenbar fehlt es auch an klaren Ansagen und Bekenntnissen.

Letzte Woche habe ich mir von Dresden-Nazifrei anhören müssen, dass die Demo vom "Neujahrsputz" eben nicht #nopegida sei (Besitzansprüche auf einen Hashtag?), das sei ja lediglich das Bündnis von "Dresden für alle", man würde sich eigene Aktionen für den 12.1. aufsparen. In einem weiteren Kommentar, die Quelle finde ich gerade nicht, las ich noch, der Neujahrsputz, sei ja eher von den "braven Lichterkettenbürgern" durchgeführt. Demo ist offenbar nicht gleich Demo, lerne ich.

Die Staatskanzlei verkündete diese Woche, man wolle nun am Samstag demonstrieren, nicht "gegen" etwas, sondern für "Weltoffenheit, Menschlichkeit und Dialog", aufgerufen haben dazu Land und Stadt - in persona Tillich und Orosz (CDU). Gleich meldeten sich da einige zu Wort und bedauerten, der Aufruf wäre ein Alleingang von Orosz ohne Mitteilung an Stadtrat und Bündnisse.

Ein klares #nopegida fehlt in der Ankündigung der Veranstaltung am Samstag, mehr noch: am Mittwoch sprach der CDU-Politiker Frank Kupfer in die Sachsenspiegel-Kameras, die 18000 Demonstranten der Pegida seien am Samstag ausdrücklich eingeladen. Daraufhin haben sich in der gestrigen kleinen Twitterdiskussion einige abgewendet und meinten, damit sei die Teilnahme hinfällig. In dem Sachsenspiegel-Beitrag gibt es unterschiedliche Haltungen der Parteien zu Organisation und Teilnehmern von Pegida. Während man sich uneins ist, ob man Gespräch sucht, die Menschen anhört oder sich abwendend die "Wutbürger" verteufelt, zeigt der Beitrag auch, dass die Organisatoren der Pegida sicher nicht am Samstag zu den so betitelten "Volksverrätern" gehen werden, sondern sich bereits in die offenen Arme der AfD geworfen haben. (hier komplett).

So schreien sie denn alle "Nää, wenn der x kommt, geh ich da nicht hin", jeder pocht auf seine eigene Haltung und guckt sorgfältig, wer da neben ihm demonstriert. Die wöchentliche Neuorganisation der Bürgerschaft zu den Demos ist schwierig, nicht jeder hat jeden Montagabend Zeit - die Großdemo am Samstag könnte ein Zeichen sein, dass einmal alle Bündnisse, Parteien, Bürger zusammenfinden, andere Städte haben es ja schon vorgemacht.

Heute titelt die DNN übrigens "Dresden steht morgen gegen Pegida gemeinsam auf dem Neumarkt" - nicht als Zitat, sondern als Überschrift. Fernab von Parteigeningel meine ich, der Anlass der Demo ist wichtig. Genau hinhören und hinhören sollte man trotzdem, vor allem sollte der kleinste gemeinsame Nenner in den Grundwerten der Demokratie liegen. Wer diese mit Füßen tritt, sollte auch nicht eingeladen werden.

Donnerstag, 8. Januar 2015

9 Sinfonien

Die Blogidee von classicallife bzw. all is yar nehme ich mal auf, merke aber gleich, dass ich an den Regeln scheitere. Es sind 9 Sinfonien für die "einsame Insel" zu nennen, jeder Komponist darf nur einmal vorkommen, Nummerierung entspricht dem jeweiligen Stück (also 1 = 1. Sinfonie von ...), Beethoven ausgeschlossen - die neun gehen sowieso extra mit. Ich musste bei einigen kämpfen, um den Favoriten zu nennen. Dass Bruckner und Mahler nicht auftauchen, ist meiner Liebe für Entlegenes geschuldet. Aber alle diese Stücke finde ich auf ihre Weise großartig.
1 - Alfred Schnittke
2 - Ralph Vaughan Williams
3 - Avet Terteryan
4 - Franz Schmidt
5 - Carl Nielsen
6 - Karl Amadeus Hartmann
7 - Jean Sibelius
8 - Dmitri Schostakowitsch
9 - Allan Pettersson

Kurzer Kommentar dazu: Bei den ersten vier habe ich mich schwergetan, weil natürlich da noch sehr viele Komponisten zu berücksichtigen sind, die überhaupt nur 1-4 Sinfonien geschrieben haben. Aber dennoch (o weh) kein Hans Rott, kein Brahms, Martinu, Szymanowski, Roussel, kein Havergal Brian, auch Gubaidulinas Sinfonie oder Berios Sinfonia mussten hier entfallen. Großartiger finde ich die 1. Sinfonie von Schnittke, die mit allem "aufräumt", was sich jemals Sinfonie geschimpft hat. Dafür ist die "Zweite" ganz traditionell. Die Dritte von Terteryan ist mir noch als Live-Erlebnis in Erinnerung, ähnlich wie Kanchelis Sinfonien, die hier auch nicht auftauchen, ein nachdrückliches Klangereignis. Nielsens 5. liebe ich ebenso wie Hartmanns 6. (sorry, Gustav Mahler) und Sibelius' 7. - hier hätte ich aber beinahe Hans Werner Henze den Vorzug gegeben. Die Acht war schwierig, sehr schätze ich Dvoraks Geniestreich, aber auch Bruckners Achte. Die Neun gehört ganz klar Allan Pettersson, den ich hiermit auch wieder einmal zum Hören empfehle - vorsicht, das ist nichts zum Zurücklehnen, gerade die 9. Sinfonie ist ein Riesensatz von 75 Minuten Dauer.

Hier sind noch Listen anderer Blogger zu finden:
* Alex Ross
* Scott Chamberlain (mit Videos)
* Emily Hogstad (mit Videos)

Samstag, 3. Januar 2015

Traum XCV

kurze in Erinnung behaltene Szenerie aus mehreren "Tableaus" gestern nacht: ich wohne einem Konzert eines der El-Sistema-Orchester bei, es ist zu Ende, Zugabe. Ich erwarte Marquez' Danzon Nr. 2, aber das Orchester entscheidet sich für Rachmaninows "Toteninsel". Das Publikum klatscht den 5/8-Takt mit...

Dienstag, 30. Dezember 2014

In behaglicher Grundstimmung

Weihnachtskonzert der Dresdner Philharmonie mit Werken von Strauss und Tschaikowsky

Was die kulinarischen Genüsse angeht, dürfte Einigkeit herrschen: es mag zwar Abwandlungen in den Rezepten und manche Kreativität im Detail geben, aber zwischen Braten, Gans und Kartoffelsalat bleibt die Konstante: festlich soll es sein, und munden soll es wie jedes Jahr. In der Weihnachtszeit werden selten Traditionen auf den Kopf gestellt, das gilt auch für die musikalischen Gewohnheiten. Bleibt man beim kulinarischen Vergleich, so stellt sich die Rezeptvielfalt der Dresdner Philharmonie im Weihnachtskonzert am 1. Feiertag zwar erfreulich dar, die durch die Werkauswahl über dem ganzen Abend schwebende Behaglichkeit war dann doch für denjenigen zu präsent, der im Konzert nach Abwechslung und Anspruch suchte.

Denn mit Sicherheit ist Richard Strauss' Orchestersuite nach Molière "Der Bürger als Edelmann" eben nicht eines seiner fortschrittlichsten Werke, zudem gerät man beim Hören innerlich in den Konflikt, zwischen der Gegenwart der Aufführung, der Zeit der Entstehung (1918) und der Bezugnahme auf das 17. Jahrhundert umherzuirren - und das bei einem heutzutage kaum vom Sessel reißenden Sujet, an dem sich Strauss selbst eher museal abarbeitete. Trotzdem gelang der Philharmonie dank der umsichtig-liebevollen Leitung durch Chefdirigent Michael Sanderling eine gute Darbietung im von Strauss kammermusikalisch ausgereizten Ensemble. Auch die solistischen Parts von Geige (Heike Janicke) und Cello (Ulf Prelle) waren sorgsam ausgeführt, so dass man sich durchweg am Schönklang weiden konnte.

Der zweite Teil des Konzertes war Werken von Peter Tschaikowsky gewidmet: mit der Onegin-Polonaise, den Rokoko-Variationen und der Fantasie-Ouvertüre "Romeo und Julia" wagte man sich auch hier in nicht allzu schwere Dimensionen - verglichen etwa mit den Zuspitzungen von Berlioz und Prokofjew positioniert Tschaikowsky das Shakespeare-Drama in eine eher märchenhafte Klangumgebung - zu sehr rüttelten da auch die Forderungen der an einer nationalen Musik bastelnden Gruppe des "Mächtigen Häufleins" um Balakirew an Tschaikowskys Kreativität. Sei's drum, an Weihnachten darf man sich auch mal im Klang baden: Michael Sanderling sorgte für einen satt-voluminösen Streicherklang und legte fast ein bißchen zu forsche Dramatik in die schnellen Passagen. Auf diese Weise gelang aber wiederum ein guter Kontrast zu den schön ausgehörten Bläserthemen des Beginns.

Der Höhepunkt des Konzertes war zweifellos der - das Werk gibt leider keine längere Präsenz her - kurze Auftritt des Cellisten Julian Steckel mit den "Rokoko-Variationen". Steckel schaffte es, mit außerordentlich leicht klingender Präzision und tollem Sinn für unterschiedlichste Tongebungen auf dem Instrument die Variationen - so naiv deren Thema auch zunächst daherkommt - wieder im Hörerlebnis spannend zu machen ohne in Sentiment oder dem Werk unangepasste Dramatik zu verfallen. Da hatte jemand schlicht Spaß am Stück, spielte in gewisser Weise ehrlich und konnte diese Spielkultur in höchst überzeugender Manier auch zum Zuhörer transportieren - bravo.
(27.12.)

Romantisches für die Bratsche

Vladimir Buka? in der Hochschul-Reihe "Professoren im Konzert"

Nähert man sich dem Neumarkt aus Richtung des Pirnaischen Platzes, so fällt das Objekt zwischen Tiefgarage, Polizei und Albertinume vielleicht nicht sofort auf. Bei näherem Hinsehen stellt man aber schon von außen fest, dass das schmale Gebäude Rampische Straße 29 liebevoll rekonstruiert wurde und dem westlichen Teil des Gebäudeensembles angemessene Würde verleiht. Bis 2010 aufgebaut, dient es heute - so eine Vorgabe der Stifter und Spender dieses Hauses - unter anderem als Studentenwohnheim für die Musikhochschule Dresden.

Damit der Unterhalt gesichert werden kann, musizierte man am Donnerstagabend im Konzertsaal der Musikhochschule mit dem Benefizgedanken für das Bürgerhaus, für das eine eigene Kulturstiftung existiert. Zu hören gab es eine neue Ausgabe der Reihe "Professoren im Konzert". Zwar sind viele Lehrende der Musikhochschule ohnehin im Kulturleben der Stadt verwurzelt, doch zum einen betrifft das nicht alle Professoren - manche, wie etwa Vladimír Buka?, haben ihren Lebensmittelpunkt in Prag oder an anderen Orten. Außerdem bietet die Reihe auch den reizvollen Anlass, dass die Studierenden ihren Lehrer bei der künstlerischen Artikulation im Konzert erleben können. Vladimír Buka?, der seit 1993 im legendären tschechischen Talich-Quartett spielt, lehrt sein Instrument, die Bratsche, seit 2002 am Institut und spielte ein Programm, das selbst dem bratschenliteraturvertrauten Hörer einige interessante Entdeckungen feilbot. Mit dem Scherzo c-Moll von Johannes Brahms wurde gleich ein nicht ganz einfacher Einstieg gewagt, bei der auch Marie-Anna Buka?ova am Klavier gleich gefordert wurde. Erst bei der folgenden, unvollendeten Sonate von Michail Glinka fanden die beiden zu verständigem und spannendem Spiel zusammen.

Die Werkauswahl, ausgehend von der Romantik bis zu tonalen Vertretern des 20. Jahrhunderts, sorgte nun für eine stetige Spannungssteigerung in den Interpretationen. Sogar die Themen der oft sich virtuos der Geigenliteratur ihrer Zeit anlehnenden Stücke waren sich im aufschwingend-ornamentierenden Charakter ähnlich, einen "Ausreißer" fand man da eher nicht. George Enescus Konzertstück für Bratsche und Klavier meisterte Buka? ebenso vortrefflich wie die "Zwei Stücke" des britischen Komponisten Frank Bridge - beide Komponisten sind in Konzertprogrammen nur selten anzutreffen, überraschen aber durch eine starke eigene Handschrift. Buka?s Bratschenklang gibt sich in all diesen Werken weniger romantisch-süffig, sondern stattdessen angenehm klar und unprätentiös. So verleiht er dem Instrument gehöriges Volumen, wenn der Klaviersatz vollgriffig zu übertönen versucht und gibt den kantablen Linien eine überzeugende, zielgerichtete Führung und Prägung.

Erst in einer Bearbeitung dreier Stücke aus dem Ballett "Romeo und Julia" von Sergej Prokofjew wurde die Stilistik auch auf die Tongebung erweitert - die Tragödie des Liebespaars erforderte einen sinnlich-narrativen Zugang und Buka? fand dazu etwa bei "Julias Tod" glasig-schöne Töne auf seinem Instrument. Wenn man am Ende des Konzertes - nach zwei Zugaben - konstatiert, dass man gerne noch mehr gehört hätte, was möglicherweise auch noch andere Facetten von Instrument und Interpretation eröffnet hätte, so ist dies durchaus als inspirative Ermunterung zu verstehen.
(13.12.)

Mittwoch, 24. Dezember 2014

Traum XCIV

Recital. Kommst Du morgen mit nach Bielfeld (sic!) mit den Ungarn? Publikum stummgeschaltet. Hinübergerettet ins Reale. Turin immer noch im Kopf. "Come on" und sie macht es.

Donnerstag, 18. Dezember 2014

Traum XCIII

Dreiteiliger Traum: 1) ich bin in einem Kaufhaus und werde von Sicherheitsbeamten befragt, angeblich hätte ich etwas gestohlen. Ich kann alles erklären und darf gehen. Ob die Gegenstände (2x Parfum, die sich in meiner Tasche befinden) wirklich von mir gestohlen wurden, wird nicht klar. Neben sitzt die ganze Zeit der nächste aufgegriffene "Kandidat", der meine Unschuldsbeteuerung mit einer Mischung aus Angst und Bewunderung verfolgt. 2) ich gehe an vielen Hallen mit vielen Menschen vorbei - eine Art Messe oder Oktoberfest o.ä. und laufe bis zum Ende der Straße, wo ich an einem Verkaufswagen eine Currywurst bestelle. J. kommt mit Hund vorbei.
3) Ich habe im Garten Pflaster für eine Terrasse gelegt und gieße den Sand und Lehm mit Wasser fort. Auf den Pflastersteinen kommen Buchstaben zum Vorschein - eine Botschaft, die ich aber im Traum nicht entschlüsseln kann.

Sonntag, 14. Dezember 2014

Traum XCII

Ich bin mit anderen in einem steppenähnlichen Land unterwegs, wobei sich ab und zu verlassene Gleise und Schuppen in das Panorama mischen. Auf meinem Arm landet ein Gänsegeier, er ist offenbar abgerichtet. Das passiert in diesem Traum mehrfach, einmal hat er einen Zeitungsartikel dabei, in dem etwas über Gänsegeier steht. Atmosphäre insgesamt sehr gelassen und positiv.

Montag, 8. Dezember 2014

Traum XCI

Mehrteiliger Traum, aber ich weiß nur noch diesen Teil:
Bin draußen mit M. unterwegs, wir sehen Flugzeuge landen, eines vollführt einen waghalsigen Anflug auf den Flughafen durch Häuserschluchten - die Tragflächen verschwinden um die nächste Hausecke wenige Meter über der Straße. Ein weiteres Flugzeug nähert sich, es hat einen großen Korpus mit etwas "daruntergebautem" dran und dreht sich ein wenig in der Luft. Wir sehen, dass es die "Airforce One" ist, in meiner Traumfassung allerdings mit vier überdimensionalen gelben Enten (ducks) auf dem Rumpf. Das Flugzeug ist noch einige Meter entfernt, als wir mit Schrecken vernehmen, dass daraus geschossen wird - Maschinengewehrsalven in Richtung der Menschen am Boden, die schreiend auseinanderrennen. Auch wir rennen und können uns unter der aufgeklappten Ladefläche eines Lieferwagens verstecken.
(an dieser Stelle aufgewacht)

Hallelujah!

Strawinsky, Pärt und Adams im Philharmonie-Konzert

Das 5. Abendkonzert in der Dresdner Philharmonie am Sonnabend war in jeder Hinsicht außergewöhnlich, denn es standen drei sehr anspruchsvolle Werke auf dem Programm, die verschiedene musikalische Strömungen des 20. Jahrhunderts beleuchteten - keinesfalls gängiges Repertoire und faszinierend in der Zusammenstellung. Der Titel des Hauptwerkes, "Harmonielehre" des US-Amerikaners John Adams, wäre auch als Motto gut geeignet gewesen, denn der kreative Umgang mit Klangverbindungen in der Horizontale der Musik zeichnete alle Stücke aus, wenngleich diese sehr unterschiedlich wirkten.

Für Strawinsky, Pärt und Adams war mit Dennis Russell Davies ein Experte für diese Klangwelten eingeladen worden - nimmt man die Zugabe und den kammermusikalischen Epilog hinzu, gelang ein sehr intensiver Einblick in die Welt der "Minimal Music". Igor Strawinskys "Sinfonien für Bläser" (1947) standen beziehungsreich am Beginn des Programms, man kann dem leicht unterkühlt wirkenden Bläsersatz durchaus unterstellen, dass die hier angewendete blockhafte Montagetechnik ein Vorbild für spätere Minimal-Experimente war. Das kurze Stück wurde von den Bläsern der Philharmonie prägnant und mit klangsinnigem Choralschluss interpretiert, sodann gingen die Philharmoniker zu Arvo Pärts 2003 entstandenem "Lamentate" für Klavier und Orchester über.

Schade, dass Pärts Inspirationsquelle, die monumentale Skulptur "Marsyas" von Anish Kapoor, nicht wenigstens im Programmheft abgebildet war. Beim Zuhören konnte man sich zudem vorstellen, wie der Raum und die Musik gewirkt hätte, würde "Marsyas" im großen Lichthof des Albertinums über den Zuschauern schweben - hineinpassen würde die 150 Meter lange Skulptur wohl eher nicht. Dennis Russell Davies mit dem Orchester und die japanische Pianistin Maki Namekawa fanden im Laufe des "Lamentate" immer besser zusammen, wenngleich gerade die forte-Passagen etwa des "Spietato" mit säulenartigen Akkorden schwer in der Akustik umzusetzen waren. Doch nach und nach standen die Töne gleichsam beziehungslos und geschliffen im Raum; es breitete sich die bekannt ruhige Atmosphäre aus, die Pärts Musik zu eigen ist und die dennoch Raum läßt für die "Bilder im Kopf".

Maki Namekawa, die Pärt gut artikulierend interpretierte, gab eine Klavier-Etüde von Philip Glass als Zugabe - damit wurde auch ein guter Übergang zu John Adams geschaffen. Dessen 40-minütiges Orchesterwerk "Harmonielehre" (der Titel bezieht sich auf Arnold Schönbergs gleichnamiges Lehrwerk) aus dem Jahr 1985 war für den Komponisten ein künstlerischer Befreiungsakt, eine Art komponierte Katharsis. Wer sich diese Partitur auf's Pult legt, sollte wissen was er tut: in riesigen, rhythmisch höchst vertrackten Wellen rollen da entfesselte Klänge auf den Zuhörer zu, und wer dachte, der Stil des Minimalism würde lediglich Reduktion und Wiederholung bedeuten, irrte.

Komplex und mit einer gewaltigen inneren Kraft gibt sich die "Harmonielehre"; die Interpretation war für die Philharmoniker eine große Herausforderung, die aber unter Dennis Russell Davies erfahrenen, die übereinandergelegten Rhythmen klar ordnenden Händen zu einem grandiosen Spektakel geriet, bei dem man von dem vor allem im letzten Satz in den vom Dirigenten gut organisierten Klangsog mitgezogen wurde. Zuhörer wie Musiker mussten nach den letzten in den Lichthof katapultierten Akkorden erst einmal durchatmen, großer Applaus folgte und sodann gab es zum Ausklang eine ebenso schwindelig machende Hörerfahrung mit John Adams "Hallelujah Junction" (1996), die Dennis Russell Davies und Maki Namekawa mit sichtlicher Freude an zwei Flügeln darboten.

Montag, 1. Dezember 2014

Adventskalender 2014

Es ist ja schon Tradition auf diesem Blog - die kleine Adventskalenderschau am 1. Dezember. Dabei stelle ich einige Links zu online-Adventskalender zusammen, vornehmlich aus dem Kulturbereich, manches aus Dresden. Vielleicht kommen auch noch einige hinzu, die ich erst im Laufe der Tage entdecke.

Als ich mit der Adventskalenderschau startete, hatte ich mich auf Airlines konzentriert, weil es da meist tolle Reisen und andere Preise zu gewinnen gab, leider gibt es bei tui, germanwings & Co. keine Kalender mehr. Daher dehne ich meine Links auf Reise-Seiten allgemein aus und da wird man doch noch fündig:
* hotel.de-Kalender - gleich am ersten Tag gibt es Übernachtungen in Wien zu gewinnen!
* ein schöner Kalender von dfds-seaways
* die bestwestern-Hotels locken mit Gutscheinen
* pünktliche Züge findet man im Kalender der Deutschen Bahn nicht, stattdessen darf man einen vereisten ICE durch eine Winterwelt lotsen und Gewinne abräumen.
* airberlin bietet keinen Kalender an, nur ein Weihnachts-Special an einigen Tagen.
* KLM hat zwar einen schönen Adventskalender, der allerdings bei mir noch nicht funktioniert :(
* das fliegermagazin arbeitet wieder mit dem "Zeitfenster" im Adventskalender. Klickglück gibts also nur selten, ansonsten: "Leider kein Glück."
* opodo hat einen einarmigen Banditen geschaltet und verlost vier große Reisen.
* und einer noch: Hapag-Lloyd-Kreuzfahrten - ob da Träume wahr werden? Zumindest eine Vergünstigung gibts am ersten Tag.
Süchtig geworden? Hier sind noch mehr Links zu Kalendern zum Thema Reise&Co.

Kultur & Co:
* Semperoper-Adventskalender - um diese nächtliche Uhrzeit noch nicht online, aber es soll Türchen geben... UPDATE: Ja, es gibt Türchen, die sich aber zu den üblichen Bürozeiten öffnen...
* die Dresdner Philharmonie öffnet jeden Mittwoch ein Türchen, es gibt Konzertkarten zu gewinnen. Leider ist zum Zeitpunkt dieses Postings die erste Verlosung schon vorbei, denn bis Sonntag muss man geantwortet haben... Auch hier der Hinweis: Nachts gucken bringt nichts.
* ach guck: auch die Staatsoperette Dresden ist dieses Jahr dabei. Am ersten Tag gibt es gleich mal einen leckeren Christstollen zu gewinnen. UPDATE: Oh, am 3. Dezember gibt es - Tadaa - einen Christstollen!
* der crescendo-Adventskalender
* einen sehr kreativen Kalender (wöchentlich) bietet der rundfunkchor berlin auf seiner facebook-Seite an

Dresden:
* der LOEMUWEIKA - klar, der LOEbtauer MUsikalische WEIhnachtsKAlender. Nix online, dafür Musik im Viertel.
* Advent auch in Laubegast - mit Kalender! (danke an Stephan)
* schon Tradition: Advenster in der Neustadt
* und zum sechsten Mal ist auch im Hechtviertel wieder einiges los beim Hecht-Adventskalender
* im Barockviertel Königstraße gibt es wieder den Adventsgeschichtenkalender mit Lesungen von Dresdner Prominenten.
* online gibt es beim Oberelbemarathon 24x was zu gewinnen - heute gleich einen Freistart für den Marathon 2015. Laufen muss man allerdings selbst ;)

miscellaneous:
* Der Sonntagskrimi-Adventskalender: tolle Preise von Tatort & Polizeiruf!
* Kalender von jetzt.de (u. a. mit einer Reise nach Dresden als Preis :D )
* Kalender von chip.de

Habe ich interessante Kalender vergessen? Bitte ergänzt gerne in den Kommentaren!

Facetten des Todes

MDR-Orchester und Chor im Frauenkirchen-Konzert zum Ewigkeitssonntag

Konzerte in den Novembertagen lehnen sich in Dresden vielfältig dem Kirchenjahreslauf an. So kann man in den eher dunkleren Tagen einer Annäherung oder Auseinandersetzung mit Themen nachkommen, bei denen die Musik eine Brückenfunktion einnimmt und uns auch die Freiheit gibt, die Nähe oder Distanz selbst zu bestimmen. Ein von der Frauenkirche veranstaltetes Konzert zum Ewigkeitssonntag versammelte die Klangkörper des MDR unter der Überschrift "Requiescat in pace" innerhalb der Konzertreihe "Aufbruch und Ewigkeit".

Chor und Sinfonieorchester des MDR unter der Leitung von Chefdirigent Kristjan Järvi hatten sich aber nicht für eine einzelne abendfüllende Requiem-Komposition entschieden, sondern stellten einem 1994 entstandenen, kompakteren Werk dieser Gattung des estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür (geboren 1959) zwei spätromantische Stücke gegenüber, die nicht mit dem liturgischen Text operierten, sondern eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Gestalt des Todes boten. Arnold Böcklins berühmtes Gemälde "Die Toteninsel" gerät durch Sergej Rachmaninows plastische Umsetzung in der gleichnamigen Tondichtung gleichsam in Bewegung.

Kristjan Järvi schuf sowohl in der Einleitung als auch in den am Schluss fast unauffällig aufscheinenden "Dies Irae"-Zitaten am Schluss eine sanft wogende Atmosphäre. In klaren dynamischen Grenzen musizierte er mit dem Orchester die Höhepunkte, so dass die Insel hier weniger den pathetischen Höllenanstrich bekam als vielmehr als phantastische Naturzeichnung wirkte.

Den großen Bariton Sergej Leiferkus, der just an der Semperoper in Leoš Janáčeks "Das schlaue Füchslein" brilliert, mit Modest Mussorgskijs "Liedern und Tänzen des Todes" erleben zu dürfen - das kann man allein schon als besonderes Geschenk betrachten. Leiferkus ging völlig in der Partie auf und fand genau den Gänsehaut verursachenden Tonfall, mit dem der tanzende und singende Tod - unterstützt von Dmitri Schostakowitschs vorsichtig untermalender Instrumentierung - die Menschen umgarnt. Kristjan Järvi begleitete dies so behutsam, dass Leiferkus sich ganz frei entfalten konnte und alle Farben in den Strophen des Zyklus intensivst auskostete.

Mit einem "echten" Requiem war dann nach der Pause ein perspektivischer Wechsel verbunden - statt der künstlerischen Betrachtung stand nun der innere Dialog mit den Worten der Totenmesse im Mittelpunkt. Erkki-Sven Tüürs Ansichten auf dieses Thema sind in einer extrem dem Ausdruck verpflichteten Musiksprache verfasst. Schmerz und Verlorenheit bilden sich in rotierenden Dissonanzen oder Clustern ab, Stärke und Zuversicht der Aussage finden zur Einstimmigkeit oder zu minimal changierenden Klangbildern - in solch einer "sprechenden" Partitur konnte sich Kristjan Järvi sehr zu Hause fühlen und differenziert in der Aufführung selbst quasi "registerziehend" mit Orchester und Chor arbeiten.

Gerade die "einfach" wirkenden Abschnitte sind dabei in der Schwierigkeit der Ausführung nicht zu unterschätzen. Nur in wenigen Teilen, die im Orchester von bewegten Flächen dominiert waren (etwa im "Agnus Dei"), geriet der Chor etwas in den Hintergrund - die Kirchenakustik hilft einem solchen Stück leider nicht zu völliger Transparenz. Doch mit dem Raum ist der stets hervorragend artikulierende MDR-Chor (Einstudierung Bart van Reyn) gut vertraut und auch die beiden Soli wurden aus dem Chor heraus von Antje Moldenhauer-Schrell und Falk Hoffmann versiert vorgetragen. Interessant an Tüürs Werk ist nach dem "Dies Irae" ein weiterer Höhepunkt am Ende des "Domine Jesu" - der Übergang in die anderen Sphären des "Sanctus" gerät hier als Rückschau auf das Chaos der vergangenen Welt. Dies zeigte eindringlich, dass der alte Text der Totenmesse in immer neuen Bildern interpretiert werden kann, das "komponierte Gedenken" auch je nach Anlass und eigener Erfahrung neu und sehr anregend sein kann.

Viel Beifall für Strauss' Kammermusik

Sonaten und Lieder erklangen im 2. Kapell-Kammerabend

Der Nachruhm des Komponisten Richard Strauss gründet sich vornehmlich auf seine Opern und Orchesterwerke - der Kammermusik hat sich Strauss über Jahrzehnte fast gar nicht gewidmet. Sieht man sich den Werkkatalog an, so dürften es pragmatische Gründe für die Vernachlässigung dieses Genres - mit Ausnahme des Liedschaffens - gewesen sein. Während Strauss in seiner Jugend Kammermusik vornehmlich für Familienmitglieder und Freunde komponierte und sich mit diesen Werken auch in Dresden einen Namen machte, gibt es erst wieder im Alterswerk einige wenige Stücke - doch selbst die "Metamorphosen" für 23 Solostreicher bezeichnete er als "Handgelenksübung".

Innerhalb der Richard-Strauss-Tage der Semperoper durfte dennoch ein Kammermusikabend nicht fehlen, denn viele dieser Werke wurden im Tonkünstlerverein der Staatskapelle uraufgeführt und werden bis heute gepflegt. Beim 2. Kammerabend der Staatskapelle konnte man auch weniger bahnbrechende Stücke erleben und quasi in die Wohnstube schauen, wo Strauss zwischen Abendessen und Skat vermutlich seine "Daphne-Etüde" für des Enkels Violinstunde geschrieben hat - selbstverständlich wurden diese paar Notenzeilen ebenso mit Inbrunst vorgetragen wie das "Ständchen" für Violine, Viola, Cello und Klavier, das, im familiären Rahmen aufgeführt, sicher Beifall für den 18jährigen Komponisten eintrug.

Von anderem Kaliber sind da schon seine Sonaten für Cello und Violine - ersteres ein deutlich Johannes Brahms verpflichtetes, auch zuweilen etwas brav und redselig daherkommendes Stück, dem Konzertmeister Norbert Anger gemeinsam mit Gunther Anger am Klavier aber gehörig Temperament einhauchte. Zudem, und das war eine Konstante an diesem Abend, konnte man im Gegensatz zu den oft opulenten Orchesterwerken hier den leisen Tönen nachlauschen, die Strauss ebenso intensiv auskomponierte: der zweite Satz der Cellosonate, der sich in nachdenklicher Manier kaum von der Stelle bewegt, gelang den beiden Interpreten meisterlich.

Solcherlei Zurückhaltung ist auch in der Violinsonate gefordert, die man von der Proportionierung her auch getrost als "Sonate für Klavier mit Violine" bezeichnen könnte. Doch Musiker wie Matthias Wollong (Violine) und Paul Rivinius (Klavier) wissen mit einer solchen mit Läufen und Ornamenten "geschwärzten" Partitur umzugehen: Rivinius bewahrte Wollong mit noblem Anschlag vor dem Untergang im vollgriffigen Klaviersatz, und mit schönem kantablen und stets souverän artikulierendem Spiel befreite Wollong die Sonate sofort von allem Unbill technischer Schwierigkeiten, der ihr nachgesagt wird.

Im Zentrum des Konzertes stand eine Auswahl des Strauss'schen Liedschaffens. Die Sopranistin Camilla Nylund war kurzfristig für die erkrankte Carolina Ullrich eingesprungen und brillierte mit einer schönen Zusammenstellung, quasi einem "Best of" der Klavierlieder. Klug disponierte sie die Höhepunkte, ließ ihren warmen Sopran verströmen und fand in den leisesten Stimmungen etwa in "Befreit" und "Morgen!" auch kongenial mit ihrem Begleiter Jobst Schneiderat zusammen, der die Melodielinien auf den Tasten differenziert aushorchte. Nach dem zuversichtlichen Schluss der "Zueignung" zeigten sich die Zuhörer begeistert - das hohe Niveau des gesamten Abends fand reichlichen Beifall.

Tschechische Sinfonik im Mittelpunkt

Stipendiatenkonzert mit der Philharmonie Teplice in der Musikhochschule

Manchmal wird Dresden gerne an einen wie immer auch zu definierenden "Rand" sortiert. Das mag von den Grenzen des Landes her stimmen, ansonsten sollte man dieser meist hingeworfene Bemerkung deutlich widersprechen, zumal das Überspringen kultureller Grenzen nicht nur in heutigen Zeiten meist mühelos zu vollziehen ist, sondern meistens auch zur Erweiterung und Bereicherung des eigenen Horizonts führt. Am Mittwoch wähnte man sich beim Stipendiatenkonzert der Brücke/Most-Stiftung, die sich genau diesem Kulturaustausch widmet, im Zentrum Europas.

Das im Rahmen der Tschechisch-Deutschen Kulturtage veranstaltete Konzert erhielt durch seine Solisten und Dirigenten aus Tschechien, Japan und Korea zudem internationales Flair. Seit 2011 führt die Stiftung Orchesterkonzerte mit Stipendiaten durch, die Dresdner Musikhochschule darf sich hier der Partnerschaft mit der Nordböhmischen Philharmonie Teplice versichern, die nun schon zum vierten Mal im Konzertsaal der Musikhochschule gastierte. Rektor Ekkehard Klemm zeichnete zu Beginn die koreanische Cellistin Sang Wha Kim mit einem DAAD-Stipendium aus, bevor das tschechisch-französisch geprägte, umfangreiche musikalische Programm startete.

Fünf Solisten, drei Dirigenten und insgesamt elf Kompositionen erforderten von den Musikern viel Aufmerksamkeit, was angesichts kleiner Piècen von Camille Saint-Saëns oder Antonín Dvořák zwar gut gelang, aber eben auch trotz guter Darbietung beim Zuhörer sehr leichtgefügt durchs Ohr rauschte - außer einem schönen Geigenklang, den Lenka Matejáková sofort ihrem Instrument entlockte, bietet Dvořáks Romanze eben nicht viel Tiefgang. Stilistisch etwas einsam im Programmzusammenhang wirkte auch das Altposaunenkonzert von Georg Christoph Wagenseil, das Klemm vom Cembalo aus leitete und das Michal Cerný mit warmtimbriertem Klang der Soloposaune ausstattete. Kristýna Landová (Querflöte) widmete sich drei kurzen Kompositionen von Saint-Saëns, die sich auf diese Weise fast zu einem Konzert fügten. Hier wie auch in manchen anderen Werken des Abends war bei den Solisten und den beiden jungen Dirigenten (Yukari Saito und Manyou Choi) eine leichte Nervosität zu beobachten, die zu einem vorsichtigen, abgesicherten Spiel führte.

Daher erhielten etwa Bedřich Smetanas Tondichtungen "Vyšehrad" und "Aus Böhmens Hain und Flur" aus dem Zyklus "Mein Vaterland" eine ziemlich geradlinige Interpretation, erst bei der berühmten "Moldau" spielten sich die Musiker mit dem Dirigenten frei. Gleich zu Beginn musste man sich über unscharfe Konturen in der Ouvertüre zur Oper "Die verkaufte Braut" wundern - obwohl Yukari Saito sich vom Pult aus mit recht klarer Gestik artikulierte, fehlte dem Stück vor allem die rhythmische Spannung. Im Orchester wechselten sich tolle Klangmomente mit Unstimmigkeiten doch zu oft ab, sodass ein insgesamt nicht ganz überzeugendes Bild entstand. Beispielsweise war die Begleitung der beiden hervorragenden Solisten Jana Kubíková (Querflöte) und Petr Kubík (Klarinette) in Saint-Saëns "Tarantella" sehr einfühlsam gelungen, doch mit der Akustik im Konzertsaal kam nicht nur der überartikulierende Harfenist in "Vyšehrad" nicht gut zurecht, dessen bis in den Rang hörbare Nachstimmaktion des Instrumentes in seinen Pausentakten ebenfalls keinen guten Eindruck machte.

Vielleicht hat hier die Masse des zu Präsentierenden und der stetige Wechsel von Solisten und Dirigenten die Intensität des Konzertes etwas gemindert. Im vollbesetzten Konzertsaal war viel Dankbarkeit für die kulturelle Begegnung mit Tschechien zu spüren. Ganz klar zu unterstützen ist die Initiative, mit der Musik unserer Nachbarn in jungen, frischen Interpretationen Grenzen gar nicht erst entstehen zu lassen.

Freitag, 28. November 2014

Traum XCI

Im Konzert. Jemand eilt zum Dirigenten (M.S.), der dirigierend an den Pauken sitzt und teilt mit, die Flötistin sei zusammengebrochen. Konzertabbruch.

Mittwoch, 5. November 2014

Traum LXXXIX und XC

1. ich fahre Hochbahn in Köln.
2. ich dirigiere ein Orchesterkonzert, vor mir ist ein Werk von Zelenka, dass jemand anders dirigiert, es artet aber mehr in eine Probe aus, weil der Dirigent abbricht und den Solotenor der Schreierei bezichtigt. Danach bin ich dran und dirigiere die Drei Orchesterstücke, Opus 6 von Alban Berg. Abgesprochen ist, dass ich nach etwa zwei Dritteln des ersten Stücks abbreche und S., ein anderer Dirigent, einen kurzen Vortrag hält, er meint zu mir er könne das erste Stück dann auch zu Ende dirigieren, danach kann ich ja für die anderen beiden Stücke wieder übernehmen. So geschieht es, der Traum verschwimmt in einigen Passagen des 2. und 3. Stücks.
Ein anderer Traum übernimmt etwas später: ich sitze in einem Konferenzraum mit mehreren mir unbekannten Komponisten, jeder stellt ein eigenes Stück vor, die anderen jungen Komponisten präsentieren "typische" zeitgenössische Musik, die mir schon zum Hals heraushängt. Einer der Komponisten stürzt sofort zur Tafel, um seine Strukturen zu erklären, ich frage aber erstmal in die Runde, ob für solcherart Wortbeiträge überhaupt noch Zeit ist - ja, leider. Nachdem der Komponist sein Stück vorgestellt hat, wird mein eigenes Stück von einem anderen auseinandergenommen. Ich wehre mich mit ziemlich scharfen Worten, bin aber gleichzeitig recht überzeugt, dass ich mit dieser Runde (in der zwischendurch auch laut Kinder spielen und hin und herrennen, eine Spielplatzszene mischt sich in den Raum) nichts anfangen kann und distanziere mich daher recht selbstbewusst.

Ukrainisches durch die Tschaikowsky-Brille

3. Sinfoniekonzert der Elblandphilharmonie Sachsen

Nur auf den ersten Blick hätte das Motto des 3. Sinfoniekonzertes der Elblandphilharmonie Sachsen Irritierung verursachen können, denn gemeinhin verbindet man mit Peter Tschaikowsky Orte wie St. Petersburg oder Moskau und ordnet ihn schlicht der "russischen Musik" zu, was allerdings bei vielen Komponisten östlicher Provenienz des 19. und 20. Jahrhunderts eine die genaue Herkunft und Biografie vernebelnde Kategorisierung ist. Das Motto hieß jedoch "Ukraine" - damit wurde ein musikgeschichtlich interessantes Kapitel aufgeschlagen, zog sich Tschaikowsky doch im Sommer regelmäßig in die Künstlerkolonie Kamjanka - im Südosten der heutigen Ukraine gelegen - zum Komponieren zurück.

Jedoch war das gesamte Programm Peter Tschaikowsky gewidmet, damit konnte vom Motto her kein direkter Faden zur Gegenwart gezogen werden, und der Blick auf die Ukraine geschah an diesem Abend lediglich durch die sinfonische Tschaikowsky-Brille. Wohl aber geriet man ins Nachdenken über das musikalische Kulturgut, an dem Tschaikowsky etwa mit der Verwendung ukrainischer Volksmelodien einen Anteil hatte. In diesem Kontext etwas unglücklich schien die Programmierung des "Slawischen Marsches" Opus 31 zu Beginn des Konzertes - handelt es sich dabei doch um ein offen kriegssympathisierendes Stück, das Tschaikowsky für eine Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten verwundeter Serben im serbisch-osmanischen Krieg komponierte. Ob das Marschgetöse im Publikum einen faden Beigeschmack hinterließ, bleibt fraglich. Eher schien große Zustimmung für die volltönende Darbietung zu herrschen, Dirigent Jan Michael Horstmann hatte das Orchester auch optimal vorbereitet, der Altarraum der Lutherkirche Radebeul sorgte zudem für saftige Verstärkung im Tutti.

In ruhigere Gefilde ging es mit den beiden konzertanten Werken, dem "Andante Cantabile" aus dem ersten Streichquartett und den bekannten "Rokoko Variationen". Hier setzte sich das Motto auch bei der Interpretin fort: sicher kann man der aus Kiew stammenden Cellistin Anna Nuzha keinen "ukrainischen Ton" andichten, doch gerade die Wärme und leidenschaftliche Intensität der kantablen Passagen in der für leiseste Nuancen des Solocellos dankbaren Akustik ließen die Interpretation vorzüglich, in gewisser Weise eben auf natürliche Weise heimatverbunden erscheinen. Jan Michael Horstmann hatte mit dem Orchester keinerlei Probleme, Anna Nuzha gut zu folgen und das Orchester auf die kleine Variationenreise mitzunehmen. Die Cellistin bedankte sich für den herzlichen Applaus mit einer intimen "Improvisation" von Oleksandr Znosko-Borovsky (1908-83), einem hierzulande gänzlich unbekannten ukrainischen Komponisten.

Als "Kleinrussland" wurde im russischen Kaiserreich die Ukraine bis ins späte 19. Jahrhundert bezeichnet und der Name hat sich in Tschaikowskys Untertitel der 2. Sinfonie erhalten - es ist ein sehr freundliches, melodienseliges und zuweilen dramatisch herausfahrendes Stück, das auch den Applaus der als "Mächtiges Häuflein" bekannten Komponistenkollegen Balakirew und Mussorgskij hervorrief. Jan Michael Horstmann und die Elblandphilharmonie Sachsen kümmerten sich mit großer Genauigkeit, aber auch gehörigem Schwung um das Werk - das gelang in dieser Lesart in allen vier Sätzen sehr überzeugend.

In den Strudel der Musik gezogen

Hochschulsinfonieorchester Dresden in der Semperoper-Matinee

Vermutlich ist es zuviel verlangt und dennoch muss der Wunsch geäußert werden angesichts einer umwerfenden Hörerfahrung im Konzert der Musikhochschule Dresden: In unserer reichhaltigen Kultur erliegen wir zu oft einem Kanon, der uns unwidersprochen präsentiert wird - da zählen Quote und Wiederholung des Genehmen, Bekannten mehr als die Neugier und das Experiment. Auf diese Weise werden aber ständig wichtige Kunstwerke einfach unter den Teppich gekehrt, bleibt der Mut und der Wille zur Auseinandersetzung Mangelware: Uraufführung genügt, Pflicht vollbracht.

Diese Gedanken müssen einem beim Hören der 3. Sinfonie von Wilfried Krätzschmar kommen, denn dieses Werk erlebte am Sonntag, 22 Jahre nach der Uraufführung in Berlin,seine fällige Dresdner Erstaufführung, den 70. Geburtstag seines Schöpfers würdigend. Es ist keine Übertreibung zu konstatieren, dass diese Komposition in ihrer Wucht und Vehemenz der Aussage längst einmal und wiederholt zu Gehör hätte gebracht werden müssen. Nicht nur bricht Wilfried Krätzschmar die Traditionen der Sinfonie hier erfrischend auf und deutet sie neu, er zieht den ganzen Ballast einer Musikerfahrung einer erdrückenden wie volltönenden Musikhistorie auch noch im Stück mit - das hat maximal Vorbilder in der ebenso handstreichartigen Musik eines Alfred Schnittke oder Bernd Alois Zimmermann.

Der Strudel indes ist nötig, um neue Türen zu öffnen: hier sind es Adagio-Ideen, die sich in aller Ruhe ihren Weg bahnen, ist es ein verstimmtes Klavier, das einen modernen Leiermann in seiner ganzen Einsamkeit mimt. Und das Ganze hervorragend gespielt von Musikstudenten, die Krätzschmar, dem früheren Rektor der Hochschule, auf diesem fast musiktheatralischen Weg mit Hingabe folgen. Ekkehard Klemm ist die Wiedererweckung des Werkes zu danken, das viel Nachdenklichkeit hinterließ. Zuvor hatte Klemm als amtierender Rektor sowohl den neuen Hochschulrat berufen als auch zwei Professuren - an Christiane Bach-Röhr (Gesang) und Hendrik Gläßer (Schlagzeug) verliehen. Kontrastreich ging es nach der Krätzschmaraufführung weiter - Béla Bartóks Violakonzert ist ein verklärtes Spätwerk, bei dem viel Sinn für Zwischentöne entstehen muss. Es war bei der Solistin Hui Ma (Klasse Pauline Sachse) zwar in technisch versierten Händen, dennoch war die Interpretation nicht durchweg befriedigend - einige Unsicherheiten der Solistin waren ebenso zu beobachten wie eine nicht intensiv genug gestaltete Faktur der drei Sätze.

In puncto Intensität und vor allem Spielfreude gab es aber nach der Pause jede Menge Erfreuliches zu berichten: dass Franz Schuberts "Große" Sinfonie eigentlich genug Material für mehrere Sinfonien bietet und genüsslich die Formen nicht nur exerziert sondern auch beständig hinterfragt, machte Klemm mit seinem Hochschulorchester in einer lebendigen, pointierten Lesart deutlich. Bläser und Streicher gingen da begeistert mit und motivierten sich auch gegenseitig zu einer Höchstleistung, die sowohl harte Arbeit einschloss als auch jede Menge musikalischen Genuss beim Spielen, der sicht- und hörbar wurde.

Brahms als Urerfahrung

Krystian Zimerman gastierte bei im Sinfoniekonzert der Staatskapelle

Die Vorfreude auf das 3. Sinfoniekonzert der Staatskapelle Dresden war kaum zu fokussieren - man war extrem gespannt auf die Begegnung mit dem großen Pianisten Krystian Zimerman, der vor 30 Jahren das letzte Mal in Dresden auftrat - da hatte er kurz zuvor den Chopin-Wettbewerb in Warschau gewonnen. Gespannt war man auch auf den ehemaligen Chefdirigenten der Staatskapelle, Herbert Blomstedt, der mit regelmäßigen Konzerten in Dresden dem Orchester die Treue hält. Dabei beschränkt sich der 87-jährige keinesfalls auf ein enges Repertoire; dieses Mal beschenkte er die Dresdner mit einem Werk eines schwedischen Landsmanns - der 2. Sinfonie g-Moll von Wilhelm Stenhammar.

Denken wir an nordische Musik, so haben wir sofort die Namen Grieg, Sibelius und Nielsen im Sinn, leider kümmern sich nur wenige Orchester außerhalb Skandinaviens um die reichhaltige Musik neben diesen Lichtgestalten. Die Aufführung der gewichtigen Sinfonie des Spätromantikers Stenhammar war jedenfalls ein gutes Plädoyer. Im Stück lassen sich etliche Verbindungslinien zu Kontinentaleuropa und verschiedenen romantischen Schulen ziehen. Man würde Stenhammar allerdings unrecht tun, ihn zu stark damit zu konnotieren - die eigene Handschrift kam in der Interpretation durch Blomstedt sehr gut heraus und manifestierte sich vor allem in vielen ungewöhnlichen Formverläufen, eigener Instrumentation und manchen naiv anmutenden Themengestalten, die aber ihren Ursprung im schwedischen Volkslied und in geistlichen Gesängen haben. Auch die strenge, akademische Seite arbeitete das Orchester im Finale heraus, wobei man trotz Blomstedts höchst kundiger Leitung nicht das Gefühl bestreiten konnte, dass hier sinfonisches Neuland betreten wurde - die sofortige Lockerheit aus Erfahrung trat natürlich im Spielton nicht immer ein.

Nach dieser Neuentdeckung ging es in bekannte Gefilde zurück - an der Qualität von Johannes Brahms 1. Klavierkonzert d-Moll zweifelte wohl der Komponist selbst am meisten, heute ist es ein gewichtiges, dankbares Werk für alle Pianisten und Orchester. Krystian Zimerman sog schon im Vorspiel die Energie aus dem Orchester auf und gestaltete dann ein Musikerlebnis, dass man so leicht nicht vergessen wird. Grund dafür war sein Charisma, das von großem Ernst und Anspruch an das Werk bestimmt war und sich sofort dem Publikum mitteilte, dass fortan in den Bann gezogen wurde. Schwerlich lassen sich Worte finden, die Anschlagskultur, Phrasengestaltung und Übersicht über das gesamte Werk beschreiben - das wohl Geniale der Klavierkunst Zimermans manifestiert sich nicht in ausgestellter Perfektion, sondern in einer unglaublich energiereichen Selbstsicherheit, die Brahms Noten zu einer Urerfahrung werden ließ. Damit wurde auch Kategorien wie Geschmack oder Gefallen hinfällig, denn man geriet ins Staunen und folgte Zimerman willig auf dieser Reise durch die Schluchten dieses Klavierkonzertes, fühlte gar selbst die Sicherheit beim Hören, die der Pianist in jeder Phrase ausstrahlte.

So an die Hand genommen, konnte man die lyrischen Verästelungen des zweiten Satzes als auch Zimermans Temperament und Unerbittlichkeit in den Ecksätzen intensiv erleben, wobei Zimerman immer Maß und Überlegung, ja fast sogar eine edle Überlegenheit walten ließ. Herbert Blomstedt und die Staatskapelle verinnerlichten Zimermans Intentionen und konnten daher weit mehr als eine Begleitung verkörpern. Während man sich im ersten Satz in den Ausschlägen der Emotionen noch etwas abtastete, gelangen die anderen beiden Sätze im Dialogisieren außerordentlich gut. Eine Zugabe gab Krystian Zimerman nicht, es wäre in diesem Fall auch eine merkwürdige Überhöhung des Glücks gewesen, das am Ende auf der Bühne wie im Auditorium fühlbar war - es war alles gesagt.
(27.10.)

Katz und Maus mit neuen Instrumenten

Katz und Maus mit neuen Instrumenten
Kontraforte, Lupophon und eine Musikfabrik-Performance in Hellerau

Neue Instrumente und ihre Klangwelten standen vor allem am Dienstag und Mittwoch in Konzerten beim "Tonlagen"-Festival in Hellerau im Mittelpunkt. Darüber hinaus tönt aber das ganze Festspielhaus mit Instrumenten-Installationen etwa von Jan Heinke oder Hans van Koolwijk.
Dabei spielen nicht nur Kunstobjekte ein Rolle, sondern es wurden auch Instrumente vorgestellt, die im klassischen Musikleben ganz normal integriert werden sollen. So etwa Lupophon und Kontraforte, beides Instrumente, die ihre Familie im tiefen Klangregister ergänzen: das Lupophon ist eine sonore, warm klingende Bassoboe, das Kontraforte eine Weiterentwicklung des Kontrafagotts. Beide Instrumente wurden vom Instrumentenbauer Wolf in Kronach in enger Zusammenarbeit mit Musikern gebaut - das Kontraforte findet schon Eingang in die Sinfonieorchester, während das Lupophon eher in Spezialensembles für Neue Musik zu finden ist, hier sind auch die Komponisten gefragt, solche Oboenbasspartien als Klangfarbe zu verwenden.

Insofern war das Konzert am Dienstag in Kooperation mit dem Sächsischen Musikbund mit Élise Jacoberger (Kontraforte) und Martin Bliggenstorfer (Lupophon) nicht nur eine schöne Gelegenheit für die Zuhörer, die "neuen Tiefklänge" einmal im Kammermusikkonzert zu entdecken, sondern gleich acht junge Komponisten der hiesigen Hochschulen durften sich damit schöpferisch beschäftigen. Weil deswegen nur recht kurze Stücke heraussprangen, sich der Komponist also nicht nur am neuen Instrument, sondern auch an der schwierigen Form der Miniatur oder Studie abarbeiten musste, blieben manche der Kompositionen beinahe schon im Ansatz stecken. Interessanterweise erfahren die neuen Instrumente ja keine jahrhundertelange, behutsame Erweiterung der Spieltechniken, sondern die zeitgenössischen Komponisten stürzten sich sogleich auf Geräusch-, Luft- und Spektralklänge. Am Ende kam so eher ein klingender Katalog heraus. Nur wenige Komponisten wie Ji Youn Doo oder Faida Chafta-Douka spielten wirklich mit Ton-Artikulationen oder verfolgten eine einmal gefundene Idee konsequent weiter, wie etwa Jacques Zafra mit seinen saftigen Spektralklängen in "Übergestern". Tobias Eduard Schicks Versuch einer Evolution der Klänge zu Beginn war zwar eine überzeugende Idee, das versuchten dann aber zu viele der folgenden Komponisten ebenfalls. Unbedingt zu loben ist die Intensität und Sorgfalt, mit der beide Musiker sich den neuen Stücken widmeten und fast schon liebevoll die Multiphonics und Schwebeklänge untersuchten. Erfreulich ist ebenfalls zu vermelden, dass sich für diese neuen Klänge ein großes, das Ganze aufmerksam verfolgendes Publikum einfand.

Das war auch am Mittwoch der Fall, wo allerdings der Bekanntheitsgrad des Ensembles Musikfabrik in Verbindung mit der Thematik von Comic und Film für Zuspruch gesorgt haben dürfte. Auch Katzenliebhaber dürften sich wohlgefühlt haben in der einzigartigen Performance - ging es doch um "Krazy Kat" - den legendären Comic des Amerikaners George Herriman, der in 3000 Variationen zwischen 1913 und 1944 die Geschichten der in den Mäuserich Ignatz verliebten Katze zeichnete - als Amorpfeil diente immer ein nach der Katze geworfener Stein. Das klingt nach einre simplen Story, doch Herriman stattete den Comic mit anarchischen und surrealen Elementen aus; Hintergrundsetting und Sprechblasen künden von einem experimentellen, avantgardistischen Zugang. In einer Filmdoku bekamen die Zuhörer zunächst die Geschichte des Comics und seines Schöpfers erzählt, dann ging es in den großen Saal des Festspielhauses, wo die Musikfabrik ein Gesamtkunstwerk als Tribut an "Krazy Kat" schuf.

Der englische Trickfilmkünstler Paul Barritt kreierte aus dem Comic elf neue Animationsfilme, ein Bühnenbild verband sich märchenhaft mit Ensemble und Leinwand und die Musiker waren singend, spielend und szenisch in die Geschichten eingebunden. Dafür eignete sich auch die Integration der Musik und der Instrumente des amerikanischen Klangtüftlers Harry Partch ideal - Schlagzeuger Matthias Meixner hatte für ein eigenes Partch-Projekt der Musikfabrik die großdimensionierten, faszinierenden Instrumente (etwa eine Bassmarimba, Flaschengongs oder "stehende Gitarren") nachgebaut - sie kamen jüngst beim Edinburgh Festival erstmalig zum Einsatz. Für die Hellerauer Performance wurden Partchs "Eleven Intrusions" integriert, elf Miniaturen für Stimme und - außergewöhnlich klingende - Instrumente, in der Indianermusiken, griechische Skalen und vor allem fremd und neuartig anmutende Klangfarben zu hören waren, die man nur assoziativ etwa mit dem asiatischen Raum aufgrund ihres Obertonspektrums zu verbinden mag. David Lang und Oscar Bettison steuerten weitere Kompositionen ("Hammerspace" bzw. "Animate Objects") zu dem Krazy-Kat-Erlebnis bei, ersterer mit minimalistischen, meist instrumental kammermusikalisch besetzten Klangbildern, letzterer mit das Stück umrahmenden, flächig-volltönenden Kompositionen, die sich wunderbar mit dem sich in geometrisch-fraktale Bilder auflösenden Comic verbanden. In der filmischen Umsetzung gab es eine neue Dimension: weniger waren da lustige kurze Strips zu sehen als vielmehr Katzen und Mäuse, die nach der Weltherrschaft griffen und am Ende sogar auf dem elektrischen Stuhl gerichtet wurden - damit wurden die Cartoons mit aktuellen Botschaften und Gesellschaftskritik aufgeladen, was allerdings gerade auf der visuellen Ebene zu stark inszeniert war.

Trotzdem ergaben alle Elemente ein großes Ganzes, man konnte zwischen Schauen, Hören, Staunen und Reflektieren perfekt hin und her "switchen" - am Ende stand auch die Erkenntnis, dass nicht eine Wiedererweckung oder Kopie der Herriman-Kunst erreicht werden sollte, sondern eine sinnlich-phantasievolle Neuschöpfung, die von ihren Erfindern vor allem musikalisch sehr eindrucksvoll umgesetzt wurde.
(23.10.)

Donnerstag, 23. Oktober 2014

Anmusizieren gegen Unfassbares

Helmut Oehring in der Reihe "Komponisten zum Frühstück" im Hygiene-Museum

Im Rahmen des Tonlagen-Festivals Hellerau finden in diesem Jahr auch wieder einige Kooperationsveranstaltungen statt. So konnte man am Sonntag im Dresdner Hygienemuseum einen "Komponisten zum Frühstück" genießen. Trotz aller surrealen Bemühungen in diesem Jahrgang: das Motto dieses Konzertes muss nicht wörtlich genommen werden, es gab lediglich Croissants und Kaffee. Wohl aber war ein Komponist zum Frühstück geladen, das spezielle Format wurde von "courage", dem Dresdner Ensemble für zeitgenössische Musik initiiert und fand - im erfreulich gut besuchten Marta-Fraenkel-Saal - bereits zum zweiten Mal statt, diesmal mit dem Berliner Komponisten Helmut Oehring.

Und wirklich: die lockere Atmosphäre eines Frühstücks verband nicht nur die Konzertbesucher, sondern konnte auch atmosphärisch die Trennung zwischen Bühne und Auditorium überwinden. Helmut Oehring und Wolfgang Lessing konnten im Gespräch mit die Zuhörer behutsam und gleichzeitig pointiert an die Musik heranführen. Oehring ist als hörendes und sprechendes Kind gehörloser Eltern aufgewachsen und kam erst im Alter von 25 Jahren als Autodidakt zum Schreiben von Musik, wurde dann Meisterschüler von Georg Katzer - im Gespräch benutzte er das Wort "Unselbstverständlichkeit" für diesen nicht geraden Weg von Ausbildung und Lernen innerhalb der Kunst.

Seine Musik ist wie kaum eine andere stark vom Spracherlebnis, von visuellen und akustischen Ereignissen geprägt, fast möchte man meinen, nach der "visuellen Muttersprache" der Gebärdensprache und der gesprochenen Sprache entdeckt Oehring auf dem Gebiet der Musik eine weitere, die er sich neugierig zu eigen macht - bescheiden klingt es, wenn Oehring selbst diesen Vorgang mit Worten wie "Transfer" oder "Klangfotograf" beschreibt. Wenn er sich dabei als Bekenntnismusiker sieht, drückt dies vor allem das künstlerische Müssen als "Einnehmen einer Haltung zu meiner Realität auf der Welt" ein. Dabei legt Oehring den Finger in die Wunden und benennt eine Kunsttradition von Eisler, Dessau oder auch Jimi Hendrix, in der auch der Rezipient Auseinandersetzungen fernab des Zurücklehnens zu führen hat.

In den musikalischen Beiträgen kam diese zur (Re-)Aktion herausfordernde Haltung gut heraus: "Leuchter" und "Melencoia I" boten mit Heine, Dürer und der Holocaust-Leugnung des Amerikaners Fred A. Leuchter jede Menge "harte Kost" - in beiden Stücken bahnt sich von Erschütterung getönte Sprache nur schwer einen Weg durch einen ganzen Scherbenhaufen von Gewalt und wörtlich zu nehmenden "Beats". Vertonung und Komposition erscheint hier als Verantwortung, aber auch Anmusizieren gegen Unfassbares. Eine ganz andere Musikwelt bietet "Mischwesen" (1998), eine Gemeinschaftskomposition mit Iris ter Schiphorst - das Poem "Silence" von Anne Sexton wird hier auf fast liebevolle Weise untersucht und stellt die Artikulation, das Mitteilen in verschiedenen Klanglichkeiten in den Vordergrund.

Hervorragend interpretierten Christina Schönfeld (Gebärdensolistin) und die Courage-Mitglieder - allen voran Antje Thierbach (Oboen), die in allen drei Stücken atemberaubende Präsenz und Nachvollzug der Intentionen zeigte - die Oehring-Kammermusiken, die vor allem die Existentialität künstlerischen Tuns verdeutlichten. Keinesfalls wurden da beim Kaffee die Elfenbeintürme betrachtet, sondern die Musik betraf uns direkt und vermochte auch betroffen zu machen und stark nachzuwirken.
(21.10.14)

Spagat auf dem Seil der Utopie

François Sarhans "Lâchez tout!" bei den Tonlagen Hellerau

Als "Film und Musikperformance" war die Abendveranstaltung am Freitag bei den TonLagen in Hellerau angekündigt. Doch fernab einer klaren Definition war es vor allem eines dieser Konzerte, nach denen man erst einmal sehr bewegt oder/und irritiert den Saal verläßt und versucht, das Gehörte und Gesehene zu verarbeiten. "Lâchez tout!" schrieb der französische Komponist François Sarhan 2013 - in Hellerau fand nun die deutsche Erstaufführung statt. Berücksichtigt man, was Sarhan alles zur Aufführung beisteuert, bekommt der Begriff Komponist ganz neue Dimensionen: in die Noten für das interpretierende "Red Note Ensemble" (mit Geige, Gitarre, Schlagzeug, Klarinette/Sax und Synthesizer) aus Glasgow sind Sprechpartien integriert, die den ebenso vom Komponisten produzierten Film begleiten, dazu agieren noch zwei Geräusch-Schauspieler.

Sarhan ist zudem Enzyklopädiker, Stop-Motion-Künstler, Schriftsteller und alles in allem wohl im besten Sinne ein Phantast, der sich mit "Lâchez tout!" einen kleinen, aber übervollen surrealen Kosmos erschaffen hat mit Figuren, die mittels Elixieren, aber auch Bomben irgendwie die Welt verbessern wollen und permanent an der Verbindung zwischen Innen und Außen, Realität und Fiktion scheitern. Bobok, der Protagonist des Films, wandelt mit monströsen Kopfhörern durch eine halbwegs reale Welt mit Arien schmetternden Bänkern (sic!), rückwärts fahrenden Autos, Escher-Treppenhäusern und Paternostern - er trägt dabei die Enzyklopädie unter dem Arm, deren Auslegung ihn kontinuierlich in Konfliktsituationen bringt.

Dadurch entsteht ein seltsam fragiler Humor, eine Weltkritik, die aber im fiktiven Rahmen verbleibt und in dieser Künstlichkeit poetische Züge hat. Sarhan könnte dieser Spagat auf dem Seil des Surreal-Utopischen gelingen, wenn nicht seine eigene Akribie dem ganzen Vorhaben mehrfach im Wege stehen würde, er aber am Ende auch die Übersicht über die Proportionen verliert. Zuviele Traditionen werden hier zitiert und bemüht, die zwar nicht absichtsvoll ineinanderpassen wollen, aber oft zu stark als Referenz wirken. Da lupfen Monty Python in den Stop-Motion-Teilen des Filmes ebenso den Hut wie andernorten Jacques Tati, André Breton oder Jean-Pierre Jeunet; Literatur (Sade) und Bildende Künste (der vollgestopfte Installationsraum des Künstlers Hans Langner etwa) werden ebenso liebevoll wie beiläufig eingeflochten.

Sarhan ist ein Candide der modernen Welt und scheitert ein wenig an seinen eigenen gehegten Traditionen - fast schon bieder wirkt die Filmszene, in welcher Sarhan seinen Quijote endlich zu seiner Dulcinea finden läßt, die sich in der Folge dann allerhand wild kostümierten Geistern und Schatten in einem tschechischen Bahnhofsgebäude stellen müssen. Geht es vielleicht doch um eine immer gleiche Geschichte, durch die Jahrhunderte mit wechselnden Mitteln der Zeit erzählt? Die Wecker-Lunten-Bombe im Handtäschchen löst schließlich das proportional etwas kurze und abrupte Ende mit einer Flut aus, die alles verschlingt. Sicherlich sind die vielen Widersprüche der Film-Musik-Performance insofern verständlich, da sie uns Sarhan als einen wachen Geist vorstellen, der uns dieses Satyrspiel zur Erbauung mitgibt - gerade aber in der Wirkung, um die ein Komponist nie verlegen sein sollte, war vor allem die stilistisch selten eine persönliche Handschrift oder auch eine Metaebene zeigende Musik, die in den Sprechgesangpassagen zu viele deskriptiven Anteile aufwies, zu schwach, als dass das Gesamtkonzept länger tragfähig gewesen wäre.
(20.10.14)

Starke Handschriften vom Nachwuchs

"Klassenarbeiten" mit dem Ensemble Recherche bei den Tonlagen Hellerau

Hefte raus, Klassenarbeit! Bei diesem Ausruf zuckt man innerlich kurz zusammen, wenn man nicht gar der ganz große Streber in der Schule war. "Klassenarbeit" als Titel für ein Konzert mit Werken von Kompositionsstudenten öffnet allerdings den Assoziationsraum. Hier geht es nicht um eine zu bewertende Abfrage von Wissen, eher um die Abbildung des Spektrums einer Kompositionsklasse - der Konzertzeitpunkt spitzt die oft über einen langen Zeitraum wirkende musikalisch-stilistische Entwicklung der Studenten auf ein klingendes Ereignis zu.

Also doch eine Klassenarbeit im Wortsinne - deren zählbare Bestandsaufnahme dem Rezensenten verbleibt: 12 Komponisten aus vier verschiedenen Hochschulen in Helsinki, Stockholm, Bern und Dresden, in zwei Konzerten von neun Musikern gespielt, die ihrerseits seit 29 Jahren zusammenspielen und gut 600 Uraufführungen bestritten haben - damit ist das Projekt "Klassenarbeit" des Ensemble Recherche beim Tonlagen-Festival Hellerau zumindest zahlenmäßig beschrieben. Hinterfragen wollten sich die Initiatoren auch selbst - neben der unschätzbaren Möglichkeit, dass die Studenten über einen längeren Zeitraum intensiv für und mit dem renommierten Ensemble zusammenarbeiten konnten, wurde die Frage gestellt, wie im jeweiligen Kämmerchen der Hochschule gearbeitet wird und ob es zwischen den einzelnen Klassen ästhetische Gemeinsamkeiten oder Unterschiede gibt.

Letztlich gelang so ein hervorragender Einblick in das Laboratorium der aktuell entstehenden zeitgenössischen Musik und die Antwort kann gleich gegeben werden: die Musik war so vielfältig und individuell wie die Menschen, die sie geschrieben haben eben auch ihre persönlichen, kulturellen Einflüsse mitbrachten. Eine Zahl muss ergänzt werden, nämlich ausgerechnet die Null als Anzahl der im zweiten Konzert am Donnerstag vorliegenden Werkeinführungen. Somit kann nur im freien Assoziationsraum spekuliert werden, worauf es den Komponisten in den einzelnen Stücken ankam. Sicher erscheint, dass die sechs Darbietungen allesamt starke Handschriften aufwiesen und zum Hinhören zwangen.

Von Joe Lake (Dresden) hörte man eingangs eine schöne Studie in leisesten Dynamikbereichen, wobei präpariertes Klavier und Schlagzeug fast zu einem einzigen glockenartigen Instrument verschmolzen. Deokvin Lee (Dresden) wartete in "Prufrock" für großes Ensemble mit einem recht steinigen Kompositionsweg auf - das sehr lange Werk verschleuderte einiges an Material, ließ eine wirklich "rockige" Phase erkennen, aber keine wirkliche Zielrichtung. Nicolas von Ritter (Bern) hatte sich für eine Streichtriobesetzung entschieden - "Light and Fog" fand zu einer interessanten Sprache fortschreitender Bewegung mit einer Art Selbstverlust des Stückes am Ende. Rosalie Grankull (Stockholm) konfrontierte eine saftige Pulsation mit zerbrechlicher Harmonie im Wortsinne - das war ebenso mutig wie überzeugend. Bei Sebastian Hillis (Helsinki) "Hypha" standen sehr klar formulierte Abläufe und Algorithmen im Vordergrund, hier fehlte aber eine sinnliche Ebene fernab der mit zahlreicher Ornamentik ausgestatten "Aufstiegsarbeit" der Tonhöhen.

Anthony Tan (Dresden) blieb der Schluss vorbehalten: "Observing the Ph(r)ase" war ein sehr schönes Stück mit viel Binnen(be)handlung, das unterschiedliche Zustände musikalischer Dichte beleuchtete. Schlicht faszinierend war es, dem Ensemble Recherche bei der Formung dieser musikalischen Welten zuzusehen und zuzuhören - für einen solchen Ensembleklang und Nachvollzug der Ideen und Ansprüche wird auch jeder der gespielten Komponisten höchst dankbar sein.
(18.10.14)

Wie klingt China?

Eröffnung des Tonlagen-Festivals in Hellerau

Ein "universelles Klang-Environment" sei in diesem Jahr zu begehen und akustisch wie visuell wahrzunehmen - so kündigten die Veranstalter, das Europäische Zentrum der Künste Hellerau, einen Schwerpunkt des gestern eröffneten Tonlagen-Festival an. Einfacher gesagt: es geht in dieser Ausgabe um Klang und Klanglichkeit, um neue Instrumente, Klangkombinationen und auch vermehrt um Installationen, die ja bisher in Hellerau eher als Randerscheinung wahrgenommen wurden.

Dem universellen Anspruch darf man gerade in Hellerau durchaus Vertrauen schenken, denn Künstler aus mehr als 19 Nationen sind beteiligt. Das Festival wird mit Sicherheit bunt und interdisziplinär und in der Fülle der präsentierten künstlerischen Aussagen und Stile ist Kontroversität schon fast eine erwünschte Ausgangslage. Der Start wurde mit einem Blick gen Osten vollzogen - dieser bildet ebenfalls einen Schwerpunkt im diesjährigen Programm. Mit "China Sounds" wurden vier verschiedene sinfonische Blicke auf und aus China vom MDR Sinfonieorchester unter Leitung von Kristjan Järvi vorgestellt. Intendant Dieter Jaenicke und Bürgermeister Jörn Marx zeigten sich zuvor in ihren Eröffnungsreden gespannt auf das Festivalprogramm und hoben deutlich hervor, dass Kunst eben auch den Nerv treffe, weh tun müsse und zu vielfältiger Auseinandersetzung reize.

Ein nachhaltiges Kunsterlebnis stellte sich beim folgenden musikalischen Exkurs allerdings eher als schwierig herzustellen dar, so sehr man auch einen distanzierten Blick auf die China-Experimente bemühte. Werken eines finnischen und eines amerikanischen Komponisten, die im Rahmen eines Programms des "National Centre for the Performing Arts" in Peking weilten und ihre Eindrücke in ihren Werken 2013 zusammenfassten, wurden zwei chinesische Preisträger eines Kompositionswettbewerbs des gleichen Institutes gegenübergestellt.

Was der Amerikaner Michael Gordon in "Beijing Harmony" unternahm, war nurmehr eine platte Echo-Studie im Minimal-Sound, der nur die verbalen Bekundungen des Komponisten zu einer Beziehung zur Tempelarchitektur in Peking verhalfen. Die chinesischen Kompositionen von Xiao Ying ("The Cloud on the wishful Side" - mit Dong Ya, Pipa und Klaudia Zeiner, Mezzosopran) und Ye Yanchen ("The Morning of Bita Lake") waren farbiger ausgestaltet, als klangliches Resümee nahm man mit, dass diese beiden Komponisten in ihren Partituren sowohl wild in der westlichen Musikgeschichte wuchern als auch sich thematisch sehr von naturalistischen, einfachen Tableaus als Grundlage für die Musik leiten lassen. Für die Beschreibung von Nebel und tanzendem Regen gibt es in den letzten Jahren etliche sinfonische Beispiele aus Fernost, die aber allesamt in ihre neoromantischen Stilistik recht austauschbar scheinen.

Am Ende des Konzertes gab es aber doch eine Überraschung: der Finne Kalevi Aho schuf mit der Komposition "Gejia - Chinese Images" ein opulentes, komplexeres Klanggemälde, das virtuos mit westlichen und östlichen Materialien spielte und konsequent damit eine neue, fiktionale Ebene schuf. Kristjan Järvi und sein mittlerweile in der universellen musikalischen Neugier extrem geschultes MDR-Sinfonieorchester waren für diese ungewohnten und dann teilweise eben doch sehr gewöhnlichen Klänge außerordentlich konzentrierte und auch in vielen schön ausgeführten solistischen Passagen begeisterte Sachwalter und empfingen von den vollbesetzten Rängen starken Applaus.
(17.10.14)

Mozart, Dresden und die "Italianità"

Giuliano Carmignola und die Dresdner Philharmonie in der Frauenkirche

Attribute für einen Künstler sind oft unzureichend oder plakativ - aber was soll man machen, wenn einem angesichts eines fabelhaften Konzertes das Wort "Teufelsgeiger" auf der Zunge liegt? Natürlich denken alle an den großen Virtuosen Niccolò Paganini, doch auch heute gibt es legitime Nachfahren, die mit ihrem Geigenspiel die ganze Welt verzaubern. Dass es dabei manchmal mehr auf Frisuren und eine perfekte PR-Maschinerie ankommt, ist wohl der Geist unserer Zeit. Doch es gibt gottlob noch einige Künstler, die sich - mit einem begnadeten Talent versehen - so sehr der Musik verschrieben haben, dass sie dies gar nicht nötig haben.

Dazu gehört Giuliano Carmignola, der in den letzten Jahrzehnten vor allem mit die Solokonzerte des Barock, der Wiener Klassik und der Sturm-und-Drang-Zeit mit frischen, historisch informierten Interpretationen und einem unwiderstehlichen klanglichen Zugriff aufgeführt und auch eingespielt hat. Für die Dresdner Philharmonie ist die Zusammenarbeit mit solch einem Künstler ein Glücksfall, nicht nur weil sie einmal andere Musik als das meist das 19. und 20. Jahrhundert bevorzugende Repertoire der Orchesterliteratur spielen dürfen, sondern weil Carmignola - als Solist und Leiter des Konzertes am Freitag - ein "spiritus rector" im Wortsinne ist.

Im Programm gingen drei barocke Handschriften einem Violinkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart voraus - es war spannend wahrzunehmen, wie auf diese Weise das Mozart-Konzert in den Kontext der Musikgeschichte eingebettet wurde, es durchaus auch "italienisch" wahrgenommen werden durfte. Die Dresdner "Italianità" war ebenfalls im Konzert vertreten: Antonio Vivaldis Ehrerbietung an die Dresdner Hofkapelle, das "Concerto per l'orchestra di Dresda" g-Moll, eröffnete das Konzert schwungvoll und eine Sinfonia in derselben Tonart von Johann Adolph Hasse war gleichsam die Dresdner Antwort darauf. Auch das Konzert d-Moll für Violine, zwei Hörner und basso continuo von Carl Philipp Emanuel passte gut in diese Umgebung, bildete es doch mit seinem empfindsamen Stil eine Brücke zu Mozart.

Die Interpretationen waren mitreißend: in allen Werken ging es um weitaus mehr als bloße Tempoabsprachen und Grundphrasierungen. Der ganze Organismus Orchester - in der kleinen Besetzung natürlich auch viel filigraner und daher sehr um farbiges Spiel bemüht - fing unter Carmignolas Leitung an gehörig Leben zu versprühen, und man konnte mitverfolgen, wie solch eine musikalische "Arbeit" binnen siebzig Minuten Konzertdauer die Protagonisten außerordentlich zusammenschweißt. Carmignola selbst faszinierte mit einem forschen, manchmal gar garstigen Ton, der aber niemals Grenzen überschritt und selbst in rasanten Passagen noch Schlankheit und edlen Klang aufwies - das begeisterte die Zuhörer derart, dass eine Zugabe unumgänglich war.
(28.9.14)

Montag, 29. September 2014

RettetJana in Mittweida & ein neuer Online-Tatort!

Es gibt zwei Neuigkeiten in Sachen Online-Tatort: "unser" Rettetjana-Tatort "Dein Auftrag" wird beim 18. Medienforum Mittweida vorgestellt. An der Hochschule Mittweida findet jährlich ein von Studenten organisierter Medienkongress statt, bei dem an zwei Tagen ein volles Programm mit Workshops und Vorträgen geboten wird. Teja Adams von RadioBremen wird "Dein Auftrag" am 18. November um 16.15 vorstellen. Wer nicht vor Ort teilnehmen kann, kann das Medienforum auch komplett im Stream verfolgen (Link folgt)

Derweil wird schon von der SWR-Redaktion "tatortplus" der nächste interaktive Tatort zum Mitspielen vorbereitet. Der Tatort "Blackout" kommt aus Ludwigshafen (Lena Odenthal/Ulrike Folkerts - sie feiert mit dieser Folge ihr 25jähriges Jubiläum) und wird am 26.10. ausgestrahlt - bereits am 19.10. beginnen die Online-Ermittlungen. Alle Infos gibt es auf tatortplus.de

Trailer Tatort "Blackout"



Weitere Links und Infos folgen.

Donnerstag, 25. September 2014

Traum LXXXVIII

Mit dem Chor bin ich auf der Rückreise von einer Tour. Unser Bus wird von der deutschen Polizei angehalten - Kontrolle von jedem und allem. Wir sollen uns "in dreiergruppen" zur Kontrolle im Revier anstellen. Die Schlange der Choristen reicht durch die Gänge und auch durch eine Mensa der Polizisten, in welcher ausschließlich Maggi-Gerichte angeboten werden, demnach auch der Geruch dieses Zeugs im Raum hängt. Die Kontrolle selbst geht "bis auf die Haut", irgendwann sind wir durch und sind selbst beim Essen, allerdings in einer normalen Kantine/Restaurant. Ein Mitglied hatte wohl Drogen dabei, irgendein Beutel mit weißem Inhalt ist sichergestellt worden. Beim Essen wandelt sich die Rückreise in einen Aufbruch, mir wird gesagt, es bliebe noch eine Stunde Zeit zum Kofferpacken, was angesichts eines chaotischen Hotelzimmers, das ich ein paar Etagen über der Kantine weiß, knapp wird. Ich stürze also vom Tisch, lasse mir zwei Bratenscheiben einpacken "für unterwegs" und packe meine Sachen.

Spätromantische Leidenschaft

Saisoneröffnung der Dresdner Philharmonie im Albertinum

Saisoneröffnung! Den freudigen Ruf durfte man im September schon einige Male in Dresden vernehmen, allein die Dresdner Philharmonie hatte es zunächst in ferne Länder verschlagen: eine zweiwöchige Südamerikatournee wurde gerade beendet. Letzte Woche stand zudem die Grundsteinlegung für den neuen Konzertsaal im Kulturpalast an. Letzteres mag als "Anfang vom Ende" der Reisetätigkeit des Orchesters hoffnungsvoll stimmen und Chefdirigent Michael Sanderling war es daher auch ein Anliegen, zum Saisoneröffnungskonzert im Albertinum persönlich dem Publikum für seine Treue zu danken.

Programmatisch begann die Dresdner Philharmonie mit spätromantischer Musik und einmal mehr mit Jubilar Richard Strauss. Im ersten Teil des Konzertes stellte sich der neue "Artist in Residence", der Pianist Martin Helmchen vor, der bereits mehrfach mit der Dresdner Philharmonie konzertierte und in dieser Saison Konzerte von Brahms und Prokofjew sowie Kammermusik spielen wird. Sein Residenz-Debüt gab er am Sonnabend mit Peter Tschaikowskys 2. Klavierkonzert G-Dur, einem energiegeladenen und im Vergleich zum bekannteren Vorgänger in b-Moll durchaus epischeren Werk.

Über die gewählte, konzertübliche Fassung von Tschaikowskys Schüler Alexander Siloti darf man geteilter Meinung sein, geben die starken Kürzungen im 1. und 2. Satz doch sicher nicht des Komponisten Willen wider. Bis auf wenige Wackler zu Beginn des 1. Satzes, die damit zu tun hatten, dass Helmchen gleich von den ersten Takten an "aufs Ganze" ging, war das eine spritzige und emotionale, aber auch umwerfend präzise Interpretation. Keine spätromantische Überhitzung machte sich breit, und doch konnte man sich beim Hören sehr sicher sein, dass Helmchen viel Klangsinn für die verschiedenen Themen und virtuosen Passagen bewies. Besonders beeindruckend war die Übersicht, mit der Helmchen weitläufigere Wegstrecken im Stück zurücklegte - gleich in den ersten Takten jeder Phrase war das Ziel vorformuliert erkennbar. Die in der Partitur angelegte Extrovertiertheit der Musik setzte Helmchen mit einer Menge Spielfreude um, was bei diesem technisch anspruchsvollen Stück keineswegs selbstverständlich ist. Weitgehend einig waren sich Solist und Orchester im gemeinsamen Spiel, lediglich im 1. Satz fiel auf, dass Helmchen eine prägnantere Agogik bevorzugte, während das Orchester in den Streichern zu breiterer und weicherer Gestaltung neigte.

Nach der Pause hatte Witold Lutoslawskis "Kleine Suite", eine noch in mäßig moderner Tonsprache angelegte "Gelegenheitsmusik", einen etwas schweren Stand zwischen den wuchtigen Rahmenwerken, bildete aber einen reizvollen Kontrast und forderte vor allem rhythmische Energie von den Musikern, die Michael Sanderling auch problemlos freisetzte. Richard Strauss' Tondichtung "Also sprach Zarathustra" bleibt ein irritierend-faszinierendes musikalisches Bilderbuch von der Freiheit der Kunst und philosophischen Anwandlungen über Mensch, Natur und Glaube - zumindest die ersten 22 Takte taugten auch für Bierwerbung und als Trailer für diverse Filme und Bands. Dabei gibt es gerade jenseits dieser ersten Partiturseiten viel zu entdecken. Michael Sanderling stellte vor allem ein leidenschaftliches Musizieren in den Vordergrund der Interpretation, sorgte für einen volltönenden Sound und viel, manchmal zuviel Lebendigkeit: einige vorbeistürmende Passagen konnten (das betraf auch einige der Streicher-Soli im Grablied und Walzer) nicht mehr allzuviel Innenleben entfalten. Dafür schlug die Mitternachtsglocke wuchtig an, die Bläserhomogenität im Tutti konnte man nur bestaunen und der ruhige Ausklang gelang im silbrigen H-Dur-Register vortrefflich.

Deutliche Worte, klare Töne

Gidon Kremer und die Kremerata Baltica mit "Mein Russland" in der Semperoper

"All about Gidon" - das Konzert der Kremerata Baltica in der Semperoper hätte eigentlich eine klingende Biografie des großen Geigers Gidon Kremers, seit Beginn dieser Saison Capell-Virtuos der Sächsischen Staatskapelle Dresden, werden sollen. Doch angesichts der aktuellen dramatischen Lage des Russland-Ukraine-Konfliktes änderte Kremer das Programm und stellte das Motto "Mein Russland" voran. Es blieb dennoch ein "All about Gidon" in der Hinsicht, dass Kremer ein Musiker ist, der sich nicht in den Elfenbeinturm der Partituren und Töne einschließt, sondern seismographisch auch die Welt, in der er und wir alle leben, aufnimmt.

Schweigen ist seine Sache nicht, denn "wenn wir wegschauen, sind wir bereits mit dem Gewissen beteiligt." Mit Tönen auf das Grauen antworten - geht das? Der Abend in der Semperoper bewies, dass Kultur und erst recht die Musik eine Sprache zu sprechen imstande ist, in der zumindest ein Bewusstsein und eine Sensibilisierung entstehen kann. Mit den Tönen kann sich jeder persönlich auseinandersetzen, sich nah oder mit Distanz positionieren und überlegen, was die bessere Variante ist: "falsche Töne" gibt es in der Musik nicht, so Kremer - man spiele jede Musik mit authentischem Anspruch. Das sei in der Politik mit ihren Floskeln leider anders.

Eine Gesprächsrunde war in das Konzert integriert, in der Gidon Kremer sein Herzensanliegen unterstrich: "Kunst hat die Aufgabe, uns von der Gleichgültigkeit, die wir über die Massenmedien und durch Entertainment entwickelt haben, abzuwerben." Kremer ist baltischer Herkunft, hat aber prägende Jahre seines Lebens in Moskau verbracht. Mit dem Konzertprogramm wolle er die schwermütige, nachdenkliche, auch ethische Seite von Russland vorstellen. Als im Gespräch der Satz fiel "Es gibt keinen Weg, aber wir müssen ihn gehen." wurde offensichtlich, dass es keiner weiteren Worte bedurfte, dass die vorgestellte Musik am Ende stärker war, wo sich im Gespräch eine erschütterte Sprachlosigkeit anbahnte. "In der Musik ist kein Haß", konstatierte Kremer und trotz aller stilistischen und thematischen Unterschiede und der unterschiedlichen Wurzeln der Komponisten konnten die vier vorgestellten Werke auch in friedlicher Koexistenz bestehen und gegenseitige Bereicherung erfahren.

Ein Werk der aktuellen Capell-Compositrice Sofia Gubaidulina eröffnete den Abend und schärfte gleich die Konzentration: ihre Reflexionen über "B-A-C-H" sorgten in kompromissloser Reduktion des Materials für eine Klarheit des Geistes, mit dem man erst einmal aufnahmefähig wurde. Der Komponist Leonid Desyatnikov ist Ukrainer und lebt in St. Petersburg - seine "Russischen Jahreszeiten" für Sopran, Violine und Streichorchester sind ein faszinierendes Konglomerat aus Volksmusik, geistlichem Melos und bildhafter Zeichnung ursprünglicher Gefühle und Stimmungen - von Kremer, der Sopranistin Olesya Petrova und der Kremerata Baltica wurde das intensivst ausgekostet.

Mieczyslaw Weinberg (1919-96) ist ein erst in den letzten Jahren wiederentdeckter russischer Komponist mit polnischen Wurzeln - seine späte 2. Kammersinfonie beeindruckt durch eine tiefernste Haltung, die sich nur ab und an zu einem freundlichen Lächeln oder untergründigem Humor lichtet. Kremer, zuvor noch solistisch aktiv, übernahm hier das Konzertmeisterpult - sein Orchester zeigte hier wie in allen Werken des Abends einen packenden Zugriff bis hin in die hintersten Geigenpulte. Klanglich verstehen sich diese Musiker blendend und die Führung durch Gidon Kremer ist ebenso konzentriert wie kreativ-spontan.

Dass Russland einen besonderen Sinn für Humor und Satire hat, zeigte das letzte Werk des Abends, das etwa in der Tradition der "bissigen" Werke Dmitri Schostakowitschs oder Alfred Schnittkes steht: mit unverhohlenem Spaß nimmt Alexander Raskatov in "The Seasons' Digest" Peter Tschaikowskys Klavierzyklus "Die Jahreszeiten" auseinander, ohne dabei den Respekt zu verlieren: da wird getanzt, gejohlt, gepfiffen und über Väterchen Frost geklagt, dass es eine Wonne ist; die russische Seele bleibt dabei authentisch, selbst wenn sie über die Stränge schlägt. Den großen Jubel des Publikums beantworteten Kremer und die Kremerata Baltica mit einem echten "Rausschmeißer", wiederum von Mieczyslaw Weinbergs. Von ihm wird noch viel zu hören sein. Und Gidon Kremers Konzert in der Semperoper hat deutlich gezeigt: es tut gut, wenn auch der klassische Musikbetrieb sich nicht in Selbstrotation des ewig gleichen Repertoires erschöpft. Wir brauchen die Auseinandersetzung mit Musik, mit Kunst dringender denn je.
(20.9.)

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