Donnerstag, 19. Mai 2016

Mit Erfahrung und schlichter Noblesse

Debut des "Dresdner Oktetts" im 8. Kammerabend der Staatskapelle Dresden

Einen großen Atem brauchte, wer am Dienstagabend den 8. Kammerabend der Staatskapelle Dresden in der Semperoper besuchte. Dabei standen nur zwei Werke von Ludwig van Beethoven und Franz Schubert auf dem Programm, doch mit deren jeweils sechssätzigem Septett und Oktett, die überdies in enger Verbindung stehen, war eine Konzertlänge außerordentlich ausgefüllt. Der Publikumszuspruch war für einen Kammerabend ungewöhnlich groß, und damit bescherten die Zuhörer dem Dresdner Oktett, einem in diesem Jahr neu gegründeten festen Kapellensemble, eine schöne Atmosphäre zum Debutkonzert.

Das Ensemble besteht mit Matthias Wollong und Jörg Faßmann (Violine), Sebastian Herberg (Viola), Norbert Anger (Cello), Andreas Wylezol (Kontrabass), Wolfram Große (Klarinette), Joachim Hans (Fagott) und Robert Langbein (Horn) ausschließlich aus Konzertmeistern der Sächsischen Staatskapelle. Es wäre überflüssig, den "großen Atem" noch einmal aufzugreifen, denn genau das beherrschen diese hervorragenden Musiker wie kaum andere: Charakter und Form eines Werkes schnell zu erfassen und gemeinsam mit anderen im stetigen Neu-aufeinander-einlassen große Musik zu erschaffen ist ihr täglich Brot. Doch keineswegs wurden die beiden bedeutenden Kammermusikwerke unterschätzt, im Gegenteil. Jeder der acht Musiker brachte hörbar seine eigenen Erfahrungen, sein Temperament und den indididuellen Tonfall ein, ohne das gesamte Gerüst zu gefährden. Die gemischte Besetzung aus Bläsern und Streichern geriet für beide Komponisten gleichermaßen inspirierend.

Beethoven bevorzugte im Septett einen leichten, dem klassischen Divertimento nahen Tonfall. Als würden die sieben Musiker Beethoven - der sein Werk später nicht sonderlich mochte - widersprechen wollen, so frisch wirkte die Interpretation mit bukolischem Menuett, ausgekostetem Variationensatz und einem zupackend angegangenen Finalsatz-Presto. Noch stärker als in diesem Werk kommt es in Franz Schuberts Oktett auf Nuancen an, auf eine gemeinsam zu findende Klangfarbe und Richtung der Musik. Das gelang sensationell gut im Adagio und im überaus farbigen, in den Instrumentenkonstellationen abwechselnden "Thema mit 7 Variationen". Vielleicht geriet das Menuetto als retardierendes Moment vor dem mit Tremoli dramatisierend anhebenden Finale mit Absicht im Ton konventioneller.

Auch der erste Satz war von schlichter Noblesse bestimmt, was aber eben für den großen Atem bei Schubert wichtig ist - das permanente Tangieren des Äußersten würde dem Werk mehr schaden als die hier erlebte Betonung einer Zurücknahme, die viel Transparenz und wunderbare Linienführung ermöglichte. Immer wieder konnten Violine, Bratsche, Cello und Horn dabei solistische Akzente setzen und schon nach Beethovens Septett brandete großer Beifall auf. Auf die weiteren Konzerte, die, so Kontrabassist Andreas Wylezol, dann auch das Repertoire stetig erweitern und das Oktett auch in kleineren Besetzungen vorstellen wird, darf man also gespannt sein.

Kontrastreicher Quartettabend

Kuss-Quartett bei den Musikfestspielen in der Annenkirche

Sicherlich ist eine kurzfristige Absage bei einem Konzert schmerzlich, doch Musikfestspielintendant Jan Vogler konnte am Sonnabend in der Annenkirche beruhigt verkünden, dass für das aus Krankheitsgründen nicht antretende Hagen-Quartett das renommierte Kuss-Quartett aus Berlin eingesprungen war. Damit war es auch gelungen, ein Ensemble zu verpflichten, das sich seit Jahren Weise dem Werk des ungarischen Komponisten György Kurtág widmet, dessen Musik auch beim Hagen Quartett auf dem Programm stand.

Statt der "12 Mikroludien" erklang nun sein "Officium Breve" aus dem Jahr 1989, eine fünfzehnteilige Hommage an den Freund Erne Szervánszky, deren Sätze auch weiteren Personen "in memoriam" zugedacht sind. Schön, dass Oliver Wille, der zweite Geiger des Quartetts, die Zuhörer auf diese außergewöhnliche Musik mit einigen Worten vorbereitete. Anschließend kümmerten sich Jana Kuss, Oliver Wille, William Coleman und Mikael Hakhnazaryan mit aller Sorgfalt um die Entstehung und das Vergehen des Einzeltons, seiner Position in der Gruppe und vor allem dem wichtigen spezifischen Farbton der Musik, der in jeglicher, eben vergehender und verstreichender Zeit neu zu mischen ist.

Dieses intensiv dargebotene, von tiefem Ernst sprechende Werk war ein deutlicher Kontrast zum zu Beginn des Konzertes vorgestellten Quartetts Es-Dur "Der Scherz" von Joseph Haydn. Abgesehen von der puren technischen Neuerung, dass Haydn hier den Menuettsatz durch ein Scherzo ersetzte, ist der später beigefügte Titel wörtlich zu nehmen, denn Haydn sitzt besonders im Finalsatz der Schalk im Nacken und führt seine Zuhörer mit dem hinausgezögerten Schluss auf's Glatteis. Das Kuss-Quartett zeichnete dies höchst lebendig nach, fand aber auch Sinnlichkeit für den ariosen dritten und die italienisch anmutende Atmosphäre des ersten Satzes - das klang locker und unbeschwert.

Das Hauptwerk des Abends war das Streichquartett "Der Tod und das Mädchen" von Franz Schubert. Dieses von Dramatik, Melancholie und viel empfindsamer Moll-Welt bestimmte, großartige Werk war beim Kuss-Quartett in kundigen Händen. Die Interpretation barg manche Überraschung, was im Grunde erst einmal die Sinne für das Neu-Hören schärfte. Sehr überzeugend gelang der zweite Satz mit den Liedvariationen vor allem, weil das "con moto" ernstgenommen wurde und nicht auf der Stelle trat. Hingegen war die Klangkultur im Scherzo und im Finale von selten atmendem, in Tempo wie Dynamik eher geradeaus durchgezogenem Spiel bestimmt - man kam Schubert im übereilten Presto, in dem auch das Timbre unangenehm geräuschvoll und in der hohen Lage der Violinen oft scharf anmutete, nicht mehr so nahe wie zuvor.

Feuerwerk der Stimmen, Farben und Formen

Pierre-Laurent Aimard mit dem "Catalogue d'Oiseaux" von Olivier Messiaen bei den Musikfestspielen

Bereits Claude Debussy befand, dass es "nichts Musikalischeres als einen Sonnenuntergang gebe" - schon vor ihm hatten sich Komponisten immer wieder mit der Darstellung der Natur befasst. Kaum einer ist aber so akribisch vorgegangen wie der Franzose Olivier Messiaen (1908-92), zu dessen lebenslangen Passionen die Vogelkunde gehörte, die spätestens ab den 40-er Jahren in viele seiner Werke einging. Seiner Frau Yvonne Loriod, einer hervorragenden Pianistin, und "den Vögeln Frankreichs" ist der umfangreiche und exorbitant schwierige Klavierzyklus "Catalogue d'oiseaux" gewidmet - komplette Aufführungen dieses fast dreistündigen Werkes sind eine absolute Rarität schon allein deswegen, weil die Beschäftigung mit dieser Musik für den Interpreten eine ebensolche Passion darstellen muss, von den technischen Fähigkeiten ganz zu schweigen.

Der Franzose Pierre-Laurent Aimard ist eine Kapazität auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik und begeisterte bereits 2012 mit einem Ligeti-Konzert bei den Musikfestpielen. Aimard arbeitete intensiv mit Olivier Messiaen zusammen und studierte bei Yvonne Loriod, die den "Catalogue d'Oiseaux" 1959 erstmalig vollständig aufführte. Der Konzertabend im Großen Garten am Pfingstsonntag begann schon einzigartig, da Aimard es sich nicht nehmen ließ, vor dem pianistischen Marathon auch noch eine brillante Konzerteinführung zu halten. Eine Besonderheit waren die 13 Präludien des Komponisten Bernard Fort, die den Stücken vorangestellt waren. Eine erste Sorge, die Komponente der elektronischen Musik würde von den naturalistischen Forschungen Messiaens zu sehr ablenken, erledigte sich umgehend, da Fort in äußerst sensibler Weise lediglich die Vogelarten der einzelnen Stücke in behutsam zusammengefügten Originalaufnahmen vorstellte.

So stiegen die Zuhörer im Palais im Großen Garten Stück für Stück tiefer in die faszinierende Welt der Vogelstimmen ein. Komponist und Interpret schafften es, dass man die Zeit vergaß, die ohnehin von Messiaen in den Stücken besonders behandelt wird - selbst für mit Messiaens Musik vertraute Hörer ist dieser Zyklus eine Herausforderung. Pierre-Laurent Aimard konnte allerdings restlose Begeisterung der am Ende doch etwas reduzierten Zuhörerschaft empfangen. Timbre ist das Zauberwort seines Spiels, das in den drei Stunden von absoluter Konzentration und vor allem kluger Disposition der wechselnden Stimmungen bestimmt war. Aimard trug den Zuhörer durch ein immenses Feuerwerk der Farben und Formen, die eben genau so überraschend auf den Zuhörer einwirken wie ein Waldspaziergang mit offenen Ohren: Messiaen bettet den Pirol, den Bussard und vor allem den Teichrohrsänger, dessen Ehrerbietung allein eine halbe Stunde in Anspruch nimmt, in die Umgebung ein und lässt Winde, Vögel im Nachbarbaum, Nacht und Tag sprechen - in eigener, unverkennbarer Tonsprache, die von Rhythmus und Kontrast lebt, und sich immer wieder auch zu atemberaubend schönen, choralartigen Episoden beruhigt.

Im dritten Block des Konzertes, in dem Messiaen mit Stücken über den Steinrötel und den Trauersteinschmätzer nahezu hymnische Töne anstimmt, staunte man nur noch, wie sich Aimard noch emotional steigerte und mit ruhig gefasstem Anschlag und sogar dankbarem Lächeln für Messiaen in einigen Passagen dem Steinway-Flügel nie zuvor erlebte Klänge entlockte - am Ende dankte er in bescheidener Weise dem Publikum für die spannungsvolle Aufmerksamkeit über die gesamte Konzertzeit. Durch diese Geste wurde die einzigartige, über den ganzen Abend währende gemeinsame Stimmung der sinnlich-respektvollen Annäherung und Beschreibung der Natur, in der man sich befand, noch einmal gegenwärtig. Würde Olivier Messiaen noch leben, er hätte vermutlich mit dem Notizblock durch die Umgebung streifend das Konzert verpasst - im Großen Garten sind immerhin 72 Brutvogelarten nachgewiesen.
(16.5.2016)

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