Mittwoch, 22. August 2012

Zwei Seelen in der Brust

Jörg Widmann als Komponist und Interpret beim Moritzburg Festival

Eine abwechslungsreiche Darbietung konnten die Zuhörer am Mittwochabend im Schloss Moritzburg erleben. Neben den "Klassikern" der Kammermusik gönnt sich das Moritzburg Festival jedes Jahr einen Composer-in-Residence. Dieses Jahr sind es gleich mit Sofia Gubaidulina, Olli Mustonen und Jörg Widmann gleich drei. Allerdings sieht eine echte Residenz anders aus und wäre sicher auch mit Uraufführungen profilierter, dennoch ist die Werkauswahl sorgfältig und bildet auch immer spannende Korrespondenzen zur Musiktradition.

Jörg Widmann konnte aus beruflichen Gründen - er arbeitet derzeit an einem großen Opernwerk lediglich einen Tag dem Festival beiwohnen; dies erfuhr das Publikum im lockeren Gespräch der Komponistenbegegnung, die vor dem eigentlichen Konzert stattfand. Widmann war auch nicht zum ersten Mal in Moritzburg, kehrt aber gern zurück und ist sowohl als erstklassiger Klarinettist und Komponist eine Bereicherung für die Konzerte. Da war es keine große Anstrengung, schlusszufolgern, welchem gemeinsamen Sternzeichen Olli Mustonen (ebenfalls Komponist und Interpret) und Widmann angehören: zwei Seelen wohnen in der Brust des Zwillings und diese leben sie genüßlich aus, das zeigte Widmann auch in Einblicken in seine Kompositionswerkstatt.

Nachdem Widmann im Porträt seine eigene, sowohl poetische als auch dramatisch aufwallende Fantasie für Klarinette vorgestellt hatte, widmete er sich im Konzert zunächst den bekannten "Fantasiestücken", Opus 73 von Robert Schumann. Widmann und Mustonen verstanden sich gemäß der schon im Gespräch gemachten Ankündigung auch durchaus prächtig, allerdings hatte Mustonen einige Probleme, die stetig rollenden Wellen des Stückes so klar und weich zu gestalten, wie Widmann es souverän auf der Klarinette beherrschte, insofern befriedigte diese Interpretation in dieser etwas eckig hervorgebrachten Romantik nicht.

Rodion Shchedrins "Three Shepherds" standen etwas einsam in der Mitte des ersten Teils, und die Qualität der Komposition vermochte trotz netter Raumwirkung mit zu- und auseinanderstrebenden Musikern nicht zu überzeugen. Sabine Kittel (Flöte), Sole Mustonen (Oboe) und Harri Mäki (Klarinette) zeigten sich jedoch sehr engagiert für das Werk, das in der Langatmigkeit mit kaum entfaltetem Material gewöhnungsbedürftig schien. Widmanns eigene Komposition "Fieberphantasie" für Klavier, Streichquartett und Klarinette war da, obgleich in radikal harter, moderner Klangsprache gesetzt, viel zugänglicher, da sie an keiner Stelle emotionalen Zugang und impulsiven Fortgang verneinte. Das zeichneten auch die Interpreten - nun wieder mit Widmann selbst an den Klarinetten - in faszinierender, mit äußerstem Willen zupackenden Weise nach. Schumann erschien hier nur noch als kurzer Schatten, in rhythmischem Bohren eingepfercht.

Nach über einer Stunde Parforceritt im ersten Teil hatten sich die Zuhörer im zweiten Teil "ihren" Dvořák verdient: Das Streichquintett G-Dur führte Arnaud Sussmann mit feiner Gestaltung als Primarius an; Kai Vogler, Lise Berthaud, Jan Vogler und Janne Saksala bildeten das Ensemble, das mit guter dynamischer Balancierung und spielerischem "Zuwurf" der Themen untereinander aufwartete. Und für solcherlei Höchstspannung in einem Konzert dankte das Publikum derart dankbar, dass zu vorgerückter Stunde die Zugabe natürlich unausweichlich war.

Begeisternde Intensität

Beethoven, Ravel und Tanejew im Schloss Moritzburg

"Moritzburg mobil", so könnte man eine neue Sparte des Kammermusikfestivals benennen, denn nicht nur innerhalb des Schlosses erkunden die Musiker mit dem Monströsensaal nun sperrungsbedingt eine neuen Spielort, bei dem ein Viertel des Publikums in einen zweiten Saal ausgelagert werden muss und man je nach Sitzposition interessante Halleffekte entdeckt. Längst haben die Künstler aber auch außerhalb des Schlosses ihr Netz aus feiner Musik über Schloss Proschwitz bis nach Dresden ausgebreitet und geben ja auch Gastspiele, um für die "Sommerpartie" zu werben.

Glücklich kann sich schätzen, wer einen solch sonnigen Sonntag in der Landschaft in vollen Zügen genießen kann; pünktlich zur Dämmerung am See lockte dann der Kulturgenuss ins Schloss: Werke von Ludwig van Beethoven, Maurice Ravel und Sergej Tanejew standen auf dem Programm des Konzertes, das ziemlich genau zur Halbzeit des Festivals stattfand. Von Müdigkeit ist nichts zu spüren, weder bei den Interpreten noch beim Publikum. Eher ist in der Atmosphäre des Konzertes der Suchtfaktor Kammermusik fast als Wölkchen greifbar.

Selten etwa dürfte der Rundfunk, der am Sonntag live übertrug, ein derart mucksmäuschenstilles Auditorium erlebt haben. Und die Mikrofone sorgten natürlich auch für besondere Spannung auf dem Podium. Allerdings waren alle Werke des Abends dazu geeignet, emotionale und durchaus auch effektvolle Momente hervorzubringen, das begann schon in Beethovens Streichtrio Opus 9/1, das Kai Vogler, Ulrich Eichenauer und Alban Gerhardt mit dem Wissen um diesen garstigen "Abschiedsgruß" an die leicht bekömmliche Welt eines Haydn oder Mozart interpretierten: da saß jede harmonische Überraschung, war die Dreistimmigkeit klug ausbalanciert.

In der durchaus intellektuellen Konzentration der Komposition, die subtil ihre Grenzen fasst, lag auch eine Gemeinsamkeit mit der Sonate für Violine und Violoncello von Maurice Ravel, die immerhin einen inspirativen Bogen von Schönberg über Poe zu Mozart fasst und in der Zweistimmigkeit vor allem in Rhythmik und Form virtuos spielerisch erscheint. Die Aufführung fand "in Familie" statt: Mira Wang (Violine) und Jan Vogler (Cello) ergänzten sich prächtig, hier und da hätte Mut eine gewisse Vorsicht in einigen - sicher waghalsig komponierten - Übergängen ersetzen dürfen. Den Hauptgang der Kammermusikspeise gab es in der zweiten Konzerthälfte, allerdings - um beim Thema zu bleiben - nicht "wie bei Muttern", sondern mit einer exquisiten Entdeckung: Das Streichquintett in G-Dur von Sergej Tanejew zeigt einen heute fast vergessenen Komponisten auf dem Gipfel seiner Kompositionskunst.

Mühelos zieht Tanejew alle Register von Kontrapunkt und Instrumentation: das Scherzo ist gewohnt russisch-dramatisch, der Variationensatz als Finale birgt ein vollmundiges Cello-Duo und natürlich eine Fuge in sich. Erstklassig kitzeln Baiba Skride, Gergana Gergova, David Aaron Carpenter, Jan Vogler und Alban Gerhardt mit all ihrem Können aus dieser Partitur die Leidenschaft heraus, die diesem verkannten Meisterwerk der russischen Spätromantik innewohnt. Mit dieser Entdeckung ging ein rundes, stimmiges, in seiner Intensität begeisterndes Konzert zu Ende.

Tour de Force auf 88 Tasten

Eldar Djangirov Trio - Klavierjazz beim Moritzburg Festival

Wenn man im Zusammenhang mit jungen, noch unbekannten Künstlern überproportional oft die Attribute Genie und Wunderkind wahrnimmt, wird man schnell vorsichtig mit seiner Begeisterung: zu oft waren es Persönlichkeiten, deren Stern am Musikerhimmel ganz schnell wieder verblasste. In der von solchen Geschichten nicht so oft erschütterten Jazz-Szene, wo das Publikum sehr sensibel auf diese seismologischen Schwankungen reagiert, zählt Können und eine entwickelte Persönlichkeit. Und da braucht man bei Eldar keine Sorge tragen.

Der in der kirgisischen Republik geborene Künstler zog samt Familie 1998 ins Mutterland des Jazz, um dort in Ruhe studieren zu können - da war er elf Jahre alt. Mit 18 spielte er auf namhaften Festivals und veröffentlichte sein erstes Album. Mit 25 ist er nun eine höchst anerkannte Größe im weltweiten Reigen der Jazzpianisten und vertritt durch seine markante, virtuose Spielweise zwischen Blues und Bebop (die Grenzen hebt er selbst mehrfach in den Stücken auf) seine eigene Handschrift. Auf Einladung von Jan Vogler gastierte er in einer Trio-Besetzung am Sonnabend beim Moritzburg Festival in der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen.

Für einen nicht so geübten Jazzhörer war dieses Konzert sicher eine Grenzerfahrung, denn die 80-minütige Tour de Force über 88 Tasten erforderte auch eine Höchstgeschwindigkeit im hörenden Nachvollzug. Djangirov perlt sich derartig fix durch die Arrangements, dass man mehrfach rätselt, wie er überhaupt die Übersicht über Rhythmen, Hände, Freies und Festgelegtes behält. Der Stil der Arrangements ist durchweg modern; dass neben vieler kreativer Eigenkompositionen auch Standards von George Gershwin und Cole Porter gespielt wurden, ist fast nur durch die kurzen Moderationen spürbar - ist ein Thema angespielt, verschwindet es auch schon in einem Tunnel aus pianistisch aberwitzigen Kaskaden, an denen selbst Sergej Rachmaninow seine helle Freude gehabt hätte. Womit auch eine wichtige Basis für Djangirovs Spiel genannt wäre: Immer wieder schimmert tiefes Verständnis für die Klassiker des Klaviers durch, bezieht er doch aus diesem Repertoire eine unglaubliche Variantenvielfalt.

Bei aller Virtuosität des Pianisten fehlten mir persönlich im Konzert aber dennoch einige Nuancen: dass den beiden hervorragenden Musiker Armando Gola (Bass) und Ludwig Afonso (Drums) in den ersten vier Stücken lediglich die Aufgabe des Schattenkabinettes zukam und auch später wenig Atmosphäre einer wirklichen Session entstand, liegt an der kaum verneinten Klavier-Dominanz und den in der Summe doch zu brav heruntergespielten Arrangements. Da wirkten am Ende auch die dynamischen Hochschraubungen zu vorhersehbar, hätten Witz und überraschende Momente noch das i-Tüpfelchen gesetzt. Und schließlich ist eine Landschaft doch oft mit viel mehr Details zu betrachten, wenn man - und sei es auch nur ab und zu - das Tempo ein wenig zurücknimmt. Dass Eldar nämlich die Qualitäten besitzt, auch im Nachsinnen, in der Anschlagskultur Großartiges zu gestalten, zeigte er in diesem Konzert viel zu wenig.
[13.8.12]

mehrLicht

Musik Kultur Dresden

Aktuelle Beiträge

Sie haben ihr Ziel erreicht.
Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, sie haben...
mehrLicht - 20. Jul, 12:04
Ein Sommer in New York...
Was für eine Überraschung, dieser Film. Der Uni-Professor...
mehrLicht - 19. Jul, 21:53
Sturmlauf zum Schlussakkord
Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche Auch...
mehrLicht - 14. Jul, 18:54
Wenn der "innere Dvořák"...
Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert Mit...
mehrLicht - 14. Jul, 18:53
Ohne Tiefgang
Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des...
mehrLicht - 14. Jul, 18:51
Sich in Tönen zu (ent-)äußern
Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader"...
mehrLicht - 14. Jul, 18:50
Chopins Cellowelten
Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta Für...
mehrLicht - 14. Jul, 18:48
Fest der Klangfarben
Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum Verklungen...
mehrLicht - 14. Jul, 18:46

Lesen!

Hören!

van anderen

Radiosendung über Musik, die nur im Kopf erklingt
Darin werden auch meine Sheet Music Arbeiten besprochen. https://www.de utschlandfunkkultur.de/mus s-musik-klingen-dlf-kultur -af311058-100.html?fbclid= IwZXh0bgNhZW0CMTAAAR1gukU1 amxtLwWbiPxNhxdVCM977eywjf 8TH7ENGamlB60GL7TpK5pqCrY_ aem_Aas_oUIX6V1yGiBFpKKDxE mEaNZUWV82XFXWTczRhCYe_9nX Y2S0GX8UHQUD8R8WBLNAmCNmT3 PeF0ekBqS14Yqu Vorstellung skraft...
Kreidler - 19. Mai, 05:22
Mit der Cello-Gruppe des Sinfonieorchester Wuppertal beim “Ohrenöffner”...
Bis auf den letzten Platz gefüllt, gekonnt und...
M - 18. Mai, 11:54
E-Drumkit wie echt
Und wieder bisschen Techno-News: Ein E-Drumkit, das...
Kreidler - 18. Mai, 05:19
Erstes KI-Musikvideo
Gemacht mit Sora, wobei die Musik selber nicht KI generiert...
Kreidler - 17. Mai, 05:17
A Beginner’s Guide To Breakcore, Drum & Bass, Jungle &...
#Bildung #Auftrag Siehe auch: (via kfm)
Kreidler - 16. Mai, 05:43
Diskussion über besseren Schutz für Mandatsträger: ECPMF und...
Das Europäisches Zentrum für Presse- und...
owy - 15. Mai, 17:07

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

stuff

PfalzStorch Bornheim Pinguin-Cam Antarktis
Conil de la Frontera
Kram Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Status

Online seit 6723 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


Dresden
hörendenkenschreiben
nuits sans nuit
Rezensionen
Weblog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren