Mittwoch, 6. Juni 2012

Glänzender Abschluss

Filarmonica della Scala mit Verdi, Strauss und Dvořák in der Kreuzkirche

Über zweieinhalb Wochen haben sich die Dresdner Musikfestspiele auf die Suche nach dem "Herz Europas" begeben. Sind wir ehrlich: in dieser Zeit tickte das musikalische Herz zweifelsfrei in Dresden selbst. Und welche großartigen Interpreten und Ensembles sich hier die Klinke in die Hand gab und vorrangig Musik aus dem Dreieck Wien-Prag-Budapest präsentierte, war staunenswert.

Je nach Position und Randverständnis reichte die Mitte von Frankreich bis nach Rumänien und auch mal "über den großen Teich", erst beim Abschlusskonzert zeigte die Kompassnadel deutlich nach Süden. Die Mailänder Scala darf man in diesem Kontext als eines der wichtigsten schlagenden Herzen Europas bezeichnen - das Gastspiel der Filarmonica della Scala in der Kreuzkirche wurde zu einem glänzenden Abschlussfest der Musikfestspiele.

Unter Leitung des Briten Daniel Harding geriet die Giuseppe Verdis Ouvertüre zur Oper "La Forza del Destino" zu einer superben Demonstration der feinen Klangkultur des Orchesters. Anstelle in der Kreuzkirche mit der Akustik zu hadern, gab Harding Blechbläser- und Schlussakkorden Raum zur Entfaltung, beeindruckten die Streicher mit gutem legato-Spiel und das Blech mit Wärme. Den emotionalen Höhepunkt des Konzertes bildeten die "Vier letzten Lieder" von Richard Strauss mit der Sopranistin Christine Schäfer. Ihre Mischung aus Unabänderlichkeit und sanfter Reflektion erzeugte einen so natürlichen Fluss der Musik, dass man jede Liedzeile nahezu mitatmen konnte. Harding nahm das Orchester sehr zurück und folgte Schäfers komplett lyrischer Interpretation aufmerksam, so dass insbesondere die Schlusstakte der Lieder als empfundene Ruhepunkte wahrnehmbar waren.

Mit Antonín Dvořáks 8. Sinfonie grüßten die Italiener nach Tschechien. Harding suchte hier genau den Zwischenton zwischen Melancholie und Musikantentum zu treffen. Gerade die beiden Mittelsätze hätten aber, so schön jeder Bogenstrich auch ausgeführt wurde, mit weniger Gestaltung mehr "böhmische" Natürlichkeit der Musik erzeugt, da wollte Harding einfach zuviel. Das rasante Finale lag dem engagierten Scala-Orchester dann wieder bestens, und so war es selbstverständlich, dass nach dem großen Applaus Puccini und Rossini zugegeben wurden - mit der Wilhelm-Tell-Ouvertüre klang das Konzert schwungvoll aus.

Intendant Jan Vogler zeigte sich nach den 35. Dresdner Musikfestspielen mit rund 50 Veranstaltungen angesichts eines Rekord-Einspielergebnisses und einer Auslastung von 94% sehr zufrieden: "Die musikalische Dichte und Qualität der Aufführungen schuf im Dialog mit dem wunderbaren Publikum jene Festivalatmosphäre, die noch lange in den Herzen der Zuhörer nachklingen wird."

Scharfe Gegensätze

Debussy, Chausson und Strauss im 8. Zykluskonzert der Philharmonie

Still wurde es im Rund des Kulturpalastes zu Beginn des 8. Zyklus-Konzertes der Dresdner Philharmonie. Auch als die Musik spielte, blieb es lange still, und dennoch ging es um ein Drama, an dessen Ende der Satz steht "lautlos hat sie uns verlassen" - Die Ruhe, mit der die Charaktere und Szenen entwickelt werden, und die lyrische Qualität der Musik ist ein Hauptmerkmal von Claude Debussys Oper "Pélleas et Mélisande". Darauf muss man sich als Hörer erst einmal einlassen, entdeckt dann aber nach und nach die Schönheit, die ihre eigene Zeit benötigt.

Von der Dresdner Philharmonie wurde die von Marius Constant arrangierte Symphonie aus der Oper zu einem ungewöhnlichen Klangbild jenseits von Pomp und Extrovertiertheit geformt. Der französische, lange Zeit in Wien wirkende Dirigent Bertrand de Billy hatte hier die richtigen Ideen, um eine schöne Piano-Kultur des Orchesters zu zeigen.

Ähnlich verhielt es sich bei Ernest Chaussons Liederzyklus "Poème de l'amour et de la mer", der eine interessante symmetrische Anlage aufwies und auch - oft an Wagner orientiert - die Gefühlslagen offener darlegte. Dass dieser Zyklus zu einem musikalischen Juwel geriet, lag an der hervorragenden Solistin, der Sopranistin Véronique Gens, die sich in dieser farbig schimmernden Musik ihrer Heimat vollkommen zu Hause zeigte und deren in schönstem Legato vorgetragenem Leid und Liebeskummer man sofort nachvollzog, sich gar infizierte an der Szene, die am Ende in erschütternder Bitternis keine Lösung fand.

Der dramaturgische Schnitt der Pause geriet hart, hier sogar recht unversöhnlich, denn man konnte und wollte Richard Strauss' Tondichtung "Also sprach Zarathustra" nicht wirklich mit der entstandenen Gefühlswelt des ersten Teils in Beziehung setzen. Doch Kontraste beleben den Geist und die Musiker hatten hier plötzlich ganz andere Aufgaben vor sich. Der Eindruck indes blieb zwiespältig:

Bertrand de Billy ritt derartig schonungslos durch die Partitur, dass sich der Sinn und Zweck dieser Interpretation nicht mehr mitteilte, die Intensität zugunsten der Geschwindigkeit nachließ. An einigen Stellen mochte die flotte Lesart dieses Lobliedes auf Nietzsche und den intellektuellen Menschen angehen, doch die harmonisch komplexen Themen verloren ihre Kontur, der Walzer samt dem feinen Violin-Solo von Heike Janicke stürzte vorbei. Tapfer hielten die Philharmoniker mit und zeigten damit ihre Klasse und Flexibilität, fanden sogar am Ende noch zu einem empfundenen und - nicht selbstverständlich - sauber intonierten Schluss.

Pianistischer Höhenflug

Grandioses Recital mit Hélène Grimaud

Das Klavierrecital mit Hélène Grimaud in der Semperoper galt schon im Voraus als ein sicherer Höhepunkt der Dresdner Musikfestspiele, weiß man doch um das Können dieser sensiblen wie charismatischen Künstlerin, die zweifelsfrei stets ihren eigenen Weg gesucht und beschritten hat. Über die Jahre hinweg kann sie so dem Zuhörer zum freundschaftlichen Begleiter werden - in der ausverkauften Semperoper erlebte das Publikum nicht weniger als einen grandiosen Klavierabend, in dem Hélène Grimaud an ihre eigenen Grenzen ging und dabei Energien freisetzte, die den Hörer nicht mehr von der Musik losließen.

Einmal eingestiegen in das jeweilige Werk, arbeitete sich Grimaud wie in einem zu behauenden Steinbruch durch die Noten, als gelte es sich mit den letzten Takten daraus wieder zu befreien. Das traf zu Beginn Wolfgang Amadeus Mozart, für dessen Sonate a-Moll KV310 Grimaud ein grimmiges beethoveneskes Plädyer ablieferte: mit eigenwilliger Charakterisierung im zweiten, kaum Ruhe anbietenden Satz; rasant, mit viel Risiko und einer beängstigend souverän durchgehaltenen Unruhe in den Ecksätzen, die aber so wie aus einem Guss gerieten.

Der so gegen den Strich gebürstete Wolferl verzieh gnädig, und Hélène Grimaud setzte das einmal angefachte pianistische Feuer dann in der Sonate von Alban Berg Opus 1 in einen Flächenbrand um: so ruppig und mit extremen Steigerungswellen hat man dieses Werk selten wahrgenommen. Statt in einer zerbröselnden Fin-de-Siècle-Skizze fand man sich hier inmitten von Aufbegehren und Wüten wieder, trotzdem wirkte Grimauds großbögige Anlage der Sonate verstanden und in ihren Energieschüben schlüssig.

Das Konzept einer durchaus risikoreichen Herangehensweise an die Werke des Abends hatte allerdings einen klaren Zielpunkt: Franz Liszts h-Moll-Sonate schien wie eine dunkle Wolke bereits über dem ersten Programmteil zu liegen. Der wohl aus akustischen Gründen in der Pause heruntergelassene Eiserne Vorhang verstärkte die Aura des Unwirklichen, Weltentrückten noch mehr und Grimaud setzte nun zu einem Höhenflug besonderer Art an: Atmend geriet die Themengestaltung, risikoreich und kraftstrotzend stürzten die Arabesken vorwärts, glasklar setzte sie das Fugato an - diese Sonate gestaltete Grimaud überragend als ein pianistisches Drama ohne Rückkehr, in dem es nichts zu verbergen, nichts zu vergeheimnissen gab.

Wollte hier schon der Applaus kein Ende nehmen, so erst recht nach den fast als eine tänzerisch-derbe Entspannung nachgegebenen "Rumänischen Volkstänzen" von Béla Bartók. Dieses Recital zeigte Hélène Grimaud auf einer neuen, Höhe ihrer Kunst - und diese atmet Reife und ist höchst attraktiv.

Den meisten Zuhörern blieb allerdings verborgen, dass sie der diesjährigen Preisträgerin des mit 25 000 Euro dotierten Glashütte-Original-Musikfestspiel-Preises gelauscht hatten - die Preisverleihung fand erstmalig nicht im Konzert, sondern anschließend während eines Gala-Diners für Musikfestspielgäste und Sponsoren in der VW-Manufaktur statt. Grimaud erhielt den Preis für ihr soziales Engagement für das Internationale Kindercamp Sans Souci in Mecklenburg-Vorpommern und spendete den Preis auch für diese Einrichtung. Bereits im Dezember wird die Pianistin wieder in der Semperoper zu Gast sein - dann bei einem Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle.

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