Dienstag, 17. Januar 2012

Nicht ganz geerdet

Messiaen, Prokofjew und Strawinsky im 5. Sinfoniekonzert der Staatskapelle

Drei Klassiker des 20. Jahrhundets - so wurde das 5. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle angekündigt und umschrieben. Das mag für Igor Strawinskys "Le Sacre du Printemps" auf jeden Fall zutreffen, doch im ersten Konzertteil ist die Titulierung allenfalls auf die Komponisten anzuwenden, nicht auf die Werke. Denn Olivier Messiaens sinfonische Meditation "Les Offrandes Oubliées" ("Die vergessenen Opfergaben") taucht dafür doch zu wenig in den Konzertprogrammen auf. Eine wirklich dramaturgische Motivation fehlte denn auch in diesem Konzert; dem Frühwerk des Franzosen kann man eigentlich nur gerecht werden, wenn man weitere Messiaen-Werke dazugesellt oder die religiöse Thematik im Rest des Konzertes intensiver beleuchtet.

So stand Messiaen diesmal in der unrühmlichen "Ouvertürenecke" des Sinfoniekonzertes und da gehört er wahrlich nicht hin, daran konnte Gastdirigent Yannick Nézet-Séguin, designierter Chefdirigent des Philadelphia Orchestra wenig ändern. Die Interpretation hätte zudem in den Eckteilen noch mehr Ruhe und Innigkeit vertragen, die Strahlkraft der Klangideen des Komponisten war im Ergebnis nicht beim Optimum angelangt.

Völlig unbeeindruckt von den Neuerungen junger Kollegen zeigte sich Sergej Prokofjew ein Jahr vor seiner Rückkehr in die Sowjetunion mit seinem 2. Violinkonzert derart traditionsbewusst, dass man sogar heute noch mit leichtem Schrecken vor manchen Banalitäten dieses Werkes steht. Doch das Geheimnis dieses Konzertes liegt im opulenten Solopart, dessen Vergoldung nur exzellenten Virtuosen zusteht. Dafür war im 5. Sinfoniekonzert die Holländerin Janine Jansen zuständig, längst den "jungen Talenten" entwachsen und weltweit für ihr charaktervolles, reifes und vielseitiges Spiel gelobt. Und sie legte Blattgold auf dieses Konzert, das ja schon mit einer kleinen Horrorsituation beginnt: Alleine anfangen, und dann auch noch mit dieser harmlosen Melodie! Jansen bewährte sich im Märchenerzählen, im Drama, im verinnerlichten Selbstgesang und im 3. Satz im von ihr rhythmisch an die Zügel genommenen hispanisierten Holzschuhtanz. Wunderbar legte sie einen Spannungsbogen über das ganze Werk, der sich auch auf das Orchester übertrug, das nur im ersten Satz etwas Probleme hatte, den richtigen Ton für dieses Werk zu finden - später gab es hier samtige Streicher und rassige Bläsereinwürfe zu bewundern.

Zum Finale gab es das - etwas verfrühte - Frühlingsopfer "Le Sacre du Printemps" von Igor Strawinsky zu Gehör, das in knapp 100 Jahren vom Skandalstück zum Publikumsliebling mutiert ist. Leider gab sich Yannick Nézet-Séguin hier zu sehr der Showtime hin, als dass wirklich eine spannungsgeladene Interpretation heraussprang. Wenn man dieses Stück nicht metrisch erdet (was übrigens auch jeder Tänzer tun würde, will er Ausdruck erzeugen), entstehen gefährlich unpräzise Passagen. Das war das Manko des kompletten ersten Teils, der schon in der (von den Bläsersolisten der Kapelle dennoch hervorragend ausmusizierten!) Einleitung schlicht zu schnell gedacht war und später oft sinnfrei nach vorne stürzte. Dadurch erhielt das Stück nicht die nötige Intensität und Wucht, die möglich gewesen wäre. Auch der zweite Teil wog das nicht mehr auf, dem in seinen langsamen Teilen eine zielgerichtete Grundspannung fehlte. Hier wäre Nézet-Séguin künftig ein wenig mehr gelassene Coolness zu wünschen - das Werk beherrscht er zweifelsfrei.

Stimme, Taschenlampe, Holzhammer

"Briefmarkenopern" an der Musikhochschule Dresden

Bereits zum zweiten Mal präsentierte die Kompositionsklasse von Prof. Manos Tsangaris an der Musikhochschule Dresden "Briefmarkenopern". Auch wer nicht dabei gewesen ist, wird anhand des Begriffes entschlüsseln, was sich auf der Bühne des Konzertsaales abgespielt haben könnte: Briefmarken zwingen zum genauen Hinsehen, zur Wahrnehmung der Kunst in der Miniatur.

Nun mag zwar die Oper als abendfüllendes, alle darstellenden Künste in Beschlag nehmendes Genre dem widersprechen, doch auf dem Gebiet des zeitgenössischen Musiktheaters ist hier manches möglich: schon das kleine Programmheft spricht von "Akteuren" und "Passanten" spricht, wenige Akteure und Musiker schweißen klare Situationen zusammen, die mit der Stimme, der Taschenlampe oder eben dem sprichwörtlichen Holzhammer erzeugt werden. Manos Tsangaris wunderte sich in der Begrüßung über den regen Publikumszuspruch zur Kaffeestundenzeit am Sonnabendnachmittag - nach dem Konzert darf man feststellen, dass die 50 Minuten Briefmarkenopern mindestens zwei Kännchen aufwiegen - frisch und wach fühlt man sich nach diesen kurzweiligen Szenen. Es sind Musikwerke, die offensiv das Skizzenhafte ausstellen, im Experiment oder im Offenen feststecken, sich dabei im Einzelfall sogar zum geglückten musikalischen Ausrufezeichen wandeln.

Völlig ohne Belang war dabei, ob die Stücke alleine für sich im Kämmerlein entstanden sind oder Bezüge zueinander aufwiesen, allein die entschiedene Anordnung schuf Kontraste, Dramatik oder Beruhigung. Inwendige Kunstbetrachtung ("ART-IST in everyday life...") von Lorenz Grau stand hineingenommener Außenwelt ("Straßenmusik" von Martin Baumgärtel) ebenso unvereinbar gegenüber wie wirkliche Mini-Oper ("The Cask of Amontialldo" nach Edgar Allan Poe von Michael Hiemke) und falsche Idylle ("Da Tebel is gewest") von Nicolas Kuhn.

Dazwischen gab es Licht-Spiele in den Bullaugen des Konzertsaales, einen von Klavier-Clustern regelrecht geohrfeigten Monolog von Eleftherios Veniadis und - plötzlich - ein Kammermusikwerk, das sich schüchtern wie aus dem Ei pellt und Hinhören verlangt: Neele Hülckers "Kleine Dinge", gespielt von Susanne Stock am Akkordeon. war der feine konzertante, vielleicht auch augenzwinkernd reflektierende Seitenblick in die Nebenwelt des Konzertsaales, der hier so wunderbar aufgelöst und neuerfunden schien - Fortsetzung erwünscht!

Traum XXXIX

dreiteilig:
1) ich fahre bei einem Radrennen mit, allerdings auf einer Art Autobahn mit ziemlich viel Verkehr. Am Ende der ausgebauten Straße hält mich die Polizei an und zeigt mir ein Video meiner Fahrt. Ich sei 155km/h gefahren. Ich entgegne, das sei physisch nicht möglich.
2) Ein Freund von mir erschießt amokartig meinen kompletten Freundeskreis. Ich sitze mit ihm auf einem flachen Hausdach, tröste, verabschiede mich.
3) Ich warte auf die Bahn (Linie 8), die nicht kommt. Schnee. Kälte. Andere Linien kommen vorbei, meine nicht. Eine Haltestelle zurück befindet sich das Bahndepot, dort laufe ich hin, in einer Pförtnerloge schläft jemand, ansonsten ist die Halle leer. Ich rufe, niemand antwortet.

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