Montag, 6. Juni 2011

Starke Kontraste

Christian Münchs Requiem-Uraufführung "bleiben" in der Auferstehungskirche Dresden-Plauen

Musik erklang beim Kirchentag in Dresden bereits an vielen Orten, unzählige Chöre und Instrumentalisten zeigten die breite Vielfalt geistlicher Musik in organisierten und spontanen Konzerten. Die Auseinandersetzung mit dem Glauben oder einer weit gefassten Spiritualität interessiert auch zeitgenössische Komponisten, umgekehrt gibt es gerade zu ambitionierten kirchlichen Musikveranstaltungen ein offenes Publikum, das bereit ist, sich auch mit neuen, ungewöhnlichen Klängen auseinanderzusetzen.

So war es auch in der Auferstehungskirche Dresden-Plauen am Donnerstagabend, Ort der Uraufführung eines neuen Werkes des Dresdner Komponisten Christian Münch. Das Vokalensemble "AuditivVokal" (Leitung Olaf Katzer), diesmal mit sechs Frauenstimmen besetzt, Blechbläser überwiegend aus der Musikhochschule Dresden, sowie Reimund Böhmig-Weißgerber an der Orgel sorgten für eine eindringliche Interpretation des Stückes - zuvor hatte Lydia Weißgerber mit George Crumbs Orgelwerk "Pastoral Drone" (1982) quasi ein musikalisches Vorwort gegeben - klar umrissene Klangflächen und bewegte Splitter über gehaltenen Fundamentaltönen formten eine volltönende Einleitung.

Christian Münchs Komposition "bleiben" läßt sich als moderne Requiem-Variante verstehen - das Festhalten an der Liturgie und den althergebrachten Formen ist da obsolet, wo Münch durch eindeutige Strukturierung und eine emotional stark wirkende Musiksprache sich der Region der Totenmesse neu annähert und sie persönlich interpretiert. In wechselnden Besetzungen mit dem kleinen Frauenchor (der fast ausschließlich auf textlos auf Vokalisen sang und somit zu einem eigenen Instrument verschmolz), den Bläsern und der Orgel, dazu in changierenden Raum- und Lichtanordnungen entstanden abgegrenzte, blockhafte Abschnitte, die eher diskurshaft eine Klanglichkeit umkreisten, oft mit Wiederholungen oder Zu- und Abnahme der musikalischen Dichte versehen.

Zu Boden fallende schwere Eisenkugeln waren das wohl bildhafteste Element des Werkes und erzeugten in der Parallelität mit den fast körperlos schwebenden Frauenstimmen eine ungeheure Wirkung. Insgesamt entstanden extreme Wahrnehmungen von Länge, Lautheit und Intensität und damit genau eine "bleibende" Erinnerung starker Kontraste. Und um nichts anderes ging es Münch: Musik zu schaffen, die über Zeiten und Befindlichkeiten hinaus gilt und tönt. Letztlich war diese von allen Musikern mit höchstem Können ausgeführte Interpretation auch eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit Kunst und Gegenwart im geistlichen Raum, die Freiraum ließ für eigene Gedanken, dafür gab es am Ende großen Beifall.

Festlich gestimmt

Musikhochschul-Matinee mit Beethoven, Liszt, Yun und Mozart

Am Himmelfahrtstag lud die Musikhochschule in die Semperoper Dresden ein - die Matineekonzerte am Vormittag mit dem Hochschulsinfonieorchester haben schon eine lange Tradition. Der Termin parallel zum Kirchentag und im Rahmen der Musikfestspiele verführte Rektor Ekkehard Klemm zu einer besonderen Programmkonzeption, die weniger eine Quadratur des Kreises vollführte als vielmehr stimmig auf die Grundgedanken der umgebenden Festivitäten musikalisch einging.

Kurzum: der Gedanke der Freiheit war wie eine Klammer um das Konzert gelegt, umfasste Beethovens Leonoren-Ouvertüre ebenso wie Isang Yuns Kammersinfonie und auch Mozarts musikalische Freiheit in der knapp gehaltenen "Krönungsmesse". Dazu wurde dem Jubilar Liszt gehuldigt, asiatische Solisten und Dirigenten vorgestellt und Jörg Faßmann (Violine), Michael Schütze (Vokalkorrepetition) und Henry Philipp (Klarinette) bekamen Honorarprofessuren verliehen.

Solchermaßen festlich gestimmt startete das Orchester auch mit der selbstbewusst und klangstark musizierten dritten "Leonoren-Ouvertüre" (Leitung Cheng Jie Zhang). Anschließend bewunderte man die Koreanerin Seul Ah Youn auf ihrem durchweg sicheren, manchmal freilich noch etwas zu korrektem Weg durch das Klavierkonzert A-Dur von Franz Liszt. Auch Soo-Yeoul Choi am Dirigentenpult setzte mehr auf geradliniges Temperament - hier sei hervorzuheben, dass der junge Dirigent schon mehrfach zeitgenössische europäische Werke in Südkorea zur Aufführung brachte, der lebendige Kulturaustausch in alle Richtungen war also hier besonders spürbar.

Nach der Pause übernahm Ekkehard Klemm die Leitung in Isang Yuns umfangreicher "Kammersinfonie II - Den Opfern der Freiheit", die der politisch selbst verfolgte Komponist angesichts der Entwicklungen in Europa 1989 schrieb. Eindringlich, fremdartig und sehr persönlich geriet die Begegnung mit Yuns klar gesetzten Klangwelten - virtuos und zuverlässig auf den Punkt interpretierte das hier stark solistisch eingesetzte Orchester die keinesfalls leichte Partitur.

Die "Krönungsmesse" am Schluss wirkte dann wie eine freundlich-frische Bestätigung des Lebens und Klemm hatte keinerlei Mühe, diesen Affekt der Singakademie Dresdens zu entlocken, die mitsamt dem Orchester und einem vorzüglichen Solistenquartett der Hochschule (Sulki Chung, Henriette Gödde, Benjamin Glaubitz und Gunyong Na) für einen positiven und in den Tempi auch ordentlich flotten Ausklang sorgte.

Alle Register gezogen

Bejubeltes Recital von Arcadi Volodos in der Semperoper

Man vergleicht ihn gerne mit Horowitz und unbestritten ist, dass der 38jährige Pianist Arcadi Volodos zur Weltelite seiner Zunft gehört. Dabei ist Volodos keinesfalls der Tastenlöwe, der durch die Konzertsäle der Welt gereicht wird und im Vierteljahresrhythmus die Plattenindustrie mit Aufnahmen versorgt. Seine Beschäftigung mit den großen Klavierkomponisten der Vergangenheit benötigt Zeit und Intensität, und die Ergebnisse sind einzigartige Konzerterlebnisse mit einem Künstler, der eine schier unglaubliche Technik, Intellekt und Persönlichkeit zu verbinden weiß.

So geriet das Recital in der Semperoper am Mittwochabend auch zu einem Höhepunkt der Musikfestspiele und ganz ohne es zu betonen standen die "Fünf Elemente" auch hier im Mittelpunkt. Volodos versteht es, nicht nur Feuer, Wasser, Erde, Luft und den Äther in seinem Spiel hervorzuzaubern, er erfindet auch mühelos noch weitere Elemente, kleine und große Klangwunder, von denen man nie glaubte, dass sie einem Konzertflügel entlockbar seien. Doch wie geht der Virtuose Volodos mit Franz Schubert um, einem Komponisten, dessen oft introvertierte Kantabilität gerade am Klavier einen fast objektiven Zugang verlangt?

Volodos beherrscht diese respektvolle Annäherung und so geraten die drei "Moments Musicaux" zu wertvollen Perlen, glasklar wie eine Wasseroberfläche, mit fast dokumentarischem Anspruch. Auch die Sonate f-Moll D625 atmet diese Ruhe: ökonomisch und doch mit impulshafter Kraft zeigt Volodos exemplarisch die Kanten und Risse dieses Werkes - nicht in offen virtuoser Manier, sondern immer mit Atmung und Zeitgefühl. Doch in diesem lyrischen ersten Teil spürte man bereits das Brodeln - Volodos fuhr den Schubertschen Weg ruhig und besonnen wie ein Lamborghini in einer 30er-Zone.

Himmel und Hölle waren durch die Konzertpause getrennt; im zweiten Teil stand nur ein Werk auf dem Programm: die h-Moll-Sonate von Franz Liszt, Gipfelpunkt und Markstein der romantischen Klaviermusik schlechthin. Volodos versank fast in der Lento-Einleitung, nahm das "Grandioso" wörtlich und zeigte ein entfesseltes Presto mit Oktavläufen, die den Resonanzkorpus des Steinways bis in die Grundfesten forderten. Und doch war alles Toben, alles Innehalten unter einen großen Bogen gesetzt, Volodos verlor niemals die innere Spannung für das gesamte Werk.

Atemlos folgte das Publikum im Semperbau dem Pianisten bis hin zu den letzten satt und leise gesetzten Tönen, dann brach sich begeisterter Jubel Bahn. Volodos dankte mit insgesamt sechs Zugaben, in welchen er zwischen intimstem Albumblatt und rasanter Paraphrase noch einmal alle Register zog - Standing Ovations bildeten das Finale dieses großartigen Konzertes.

"Arabian Nights" - grenzenlos modern und turbulent

Absolute Ensemble (New York) bei den Dresdner Musikfestspielen

Wo liegt eigentlich dieses "Arabien"? Wenn schon auf diese Frage die Antwort schwer fällt, weil man hierfür je nach Kriterium eine gedachte Linie von Westafrika bis in den Irak ziehen könnte, so muss man bei der Antwort auf die Frage, was denn dann arabische Musik sei, ganz tief Luft holen, denn das oft gehörte Statement "das klingt doch arabisch" ist lediglich eine idiomatische Wendung.

Das Interesse Europas und Amerikas an der traditionellen arabischen Musik hat zudem in den letzten Jahrzehnten zu reichlich Forschung und Erhellung beigetragen, aber auch zur kreativen Weiterentwicklung dieser Musik. Da passt dann erst recht keine Schublade mehr und so ist es folgerichtig, dass sich das amerikanische "Absolute Ensemble" genau auf dem Grenzgrat zwischen World, Jazz und Klassik bewegt - bei den präsentierten Stücken gaben sich Joe Zawinul, Abdullah Ibrahim und Marcel Khalife (dessen Sohn Bachar im Ensemble mitspielte) die Ehre.

Möglicherweise hat das Ensemble bei seinem Gastspiel bei den Dresdner Musikfestspielen in der VW-Manufaktur am Sonnabend ein ganz neues "Arabien" geschaffen, was es so noch auf keiner Landkarte gibt. Verrückt genug, dass die Herkunft der drei Solisten ein Dreieck zwischen Nordwestafrika, der Schweiz und dem Libanon bildet: hier Bassam Saba, der mit Nay (arabische Flöte) und Oud (Kurzhalslaute) das Publium verzauberte, dort Aziz Sahmaoui aus Marokko, der vielen der präsentierten Stücke eindringlichen Gesang zugab. Dazwischen ein Schweizer - aber das spielt nun wahrlich keine Rolle mehr, denn der Saxophonist Daniel Schnyder ist auf allen Pfaden ein Vollblutmusiker, so entstammte etwa das rhythmisch pulsierende Nay-Konzert in vier Sätzen seiner Feder.

Im "Absolute Ensemble", das charismatisch und natürlich auch mit ein bißchen Showfeeling von seinem Leiter und Gründer Kristjan Järvi geführt wurde, ist aber jeder Platz ein kreativer, und so staunte man über die völlig selbstverständliche Komplexität der Arrangements. Deren Beats schrammten frecherweise oft gefährlich nah an Rap oder Clubsounds vorbei, so dass das Füßestillhalten schwerfiel. Bei allem rhythmischen Drive, blieb aber eine Frage offen: sind denn "Arabian Nights" denn wirklich so gar von stetig vorwärtsdrängender Motorik geprägt? Gerne hätte man dem Ensemble die Stille und Weite arabischer Landschaften auch musikalisch entnommen, doch dafür hätte der opulente Satz mancher doch sehr amerikanisch aufgefrischter Arrangements erheblich ausgedünnt werden müssen. Es entstand ein Klangbild des turbulenten, vielleicht modernen Arabiens, das auch in der Geschwindigkeit längst mit der westlichen Welt Schritt hält. Nach Mitternacht war der hochinteressante Ausflug beendet, der Derwisch hielt inne, eine Khalife-Zugabe wurde noch einmal innig.

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