Dienstag, 19. Oktober 2010

Nicht von dieser Welt

Artist in Residence Håkan Hardenberger bei der Dresdner Philharmonie

Einen "Artist in Residence" gönnt sich die Dresdner Philharmonie in dieser Spielzeit, wobei drei über die Saison verstreute Konzertbegegnungen nicht zwingend den Titel erklären. Doch für Dresden sollte auch ein seltener Besuch des Weltklasse-Trompeters Håkan Hardenberger eine Ehre sein, denn solch einem vielseitigen Virtuosen hört man gerne und wiederholt zu. Doch nicht jedes Programm lockt den gemeinen Dresdner vom Sofa runter: wo kein Brahms, da kein Publikum und so versammelten sich nicht allzuviele neugierige Zuhörer in der Mitte des Parketts um dem wirklich Neuen und Spannenden zu lauschen.

Schließlich gab es ja auch ein Debüt zu goutieren: der jungt russische Dirigent Dima Slobodeniouk, der hauptsächlich in Finnland arbeitet, dirigierte erstmals das Orchester und überzeugte durchaus mit engagiertem und zumeist präzisem Dirigat. Im ersten Teil des Konzertes bereitete man sich mit leichter Klassik auf den Hauptgang nach der Pause vor: Respighi und Mozart hießen die Komponisten - des einen "Antiche Danze ed Arie" (Alte Arien und Weisen, Suite Nr. 1) kamen griffig und musikantisch daher. Für Respighi muss diese künstlerische Beschäftigung mit der Barockmusik ein Ärmelschütteln gewesen sein - die Philharmoniker schlossen sich dieser Leichtigkeit an und präsentierten luftigen Klang.

Nicht ganz so einfach stellt sich der Fall Mozart dar: die g-Moll-Sinfonie KV 183 ist zwar formal einfach gebaut, aber reizvolle Instrumentation mit vier Hörnern und Details wollten herausgearbeitet werden. Das gelang Slobodeniuok mit weiterhin flotten Tempi und schlanker Tongebung gut, vielleicht war manchmal sogar etwas zuviel Aktivität im Spiel.

Nach der Pause hätte man dem leider nicht anwesenden HK Gruber auch gleich noch einen Titel namens "Autumn Composer in Residence" verleihen können - hatten doch die Philharmoniker samt dem Konzert vor Wochenfrist bei den Tonlagen Hellerau nicht weniger als drei anspruchsvolle Partituren des Österreichers zu spielen. Das Trompetenkonzert "Aerial" wurde 1998/99 geschrieben und stellte sich als phantasie- und kraftvolles Konzertwerk dar, bei dem Gruber sowohl einen virtuosen Orchesterpart ausnotierte als auch den Solisten genussvoll an die Grenzen seines Instrumentes führte. Dabei blieb das Stück immer zugänglich: der erste Teil beeindruckt durch sein langsames, fortwährendes Kippen in eine Kadenzlastigkeit, aus der plötzlich jazzartige Schwebungen auftauchten, dazu formulierte Hardenberger Trompetenklänge, die nicht von dieser Welt schienen, so glasig-schön und sanft webte er den Klangteppich mit dem Orchester.

Im 2. Teil dann Getümmel, der Blick aus der Luft schien von Windstößen durchzogen, man meint im Orchester fast das Papier auffliegen zu sehen. Immer wieder jedoch fand das Werk dann seine Basis in einem nur Groove zu nennenden rhythmischen Wogen, aus dem auch der Solist seine halsbrecherischen Passagen formte. Das beeindruckte am Ende auch das Publikum und für die Naturalisten gab es noch eine wunderschöne Zugabe auf dem Kuhhorn. So spannend kann Neue Musik sein.

Mashup aus der Zukunft

Jennifer Walshes Performances bei den Tonlagen Hellerau

Der Dienstagabend stand beim Festival Tonlagen Hellerau, das noch bis zum Wochenende andauert, ganz im Zeichen des Stuttgarter Ensembles Ascolta und der irischen Komponistin Jennifer Walshe. Die Konzertüberschrift "Ascolta goes popular" war nicht wirklich wörtlich zu nehmen, denn bei Jennifer Walshe stolpert man dann schnell in eine ästhetische Schieflage: sie benutzt die Popkultur als virtuosen Parameter ihrer Performance-Kompositionen. Was daraus neu entsteht, wird niemand als "populär" bezeichnen, war aber auch offenbar im Vorhinein schwierig zu vermarkten: nur wenige Zuhörer entschlossen sich zum Besuch dieser Darbietung.

Walshes Uraufführung für Hellerau "The Church of Frequency and Proteine" wartet mit einem gedanklichen Überbau auf, der mindestens in moderne Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Bereiche von Science-Fiction und Zukunftstheorien vorstößt. Wer sich zufällig mit Memetik schon einmal beschäftigt hat, dem dürfte der Nachvollzug der künstlerischen Betrachtung Walshes etwas leichter gefallen sein. Wer sich in diesem Bereich gar nicht auskannte und auch nicht der Aufforderung nachkam, den Programmhefttext zu studieren, wohnte einer Performance bei, die möglicherweise Kopfschmerzen statt Erleuchtung verursachte.

In der bildenden Kunst haben wir mit Verschachtelungen der Ebenen, Anhäufungen und Diskussionen unterschiedlichster Ästhetiken weniger Probleme - Zeitfluss und Hörkonzentration sind zumeist ausgeblendet. Was Walshe uns hier als Mashup (Neu-Kombination oder Vermischung von Bestehendem) einer Science-Fiction-Story mit Meme-Theorien, Donkey Kong-Videospielen samt Killscreen sowie Klavierstücken, Popsongs und Aktionstheater entgegenschleudert, wirkt in der Summe, als hätte man zwölf Fernsehprogramme gleichzeitig gesehen (was moderne Zapper heutzutage auch durchaus hinbekommen).

Eine innere Bewegung blieb jedoch aus, seltsam kalt fühlten sich am Ende diese Stapel von pseudo(?)-philosophischen Formulierungen, Liedern und gehackten Kräutern, die im Publikum verstreut wurden, an. Emotionale Ebenen wirkten oft schematisiert, Stoppuhr und heftiges Skandieren bestimmte den Fortgang. Zudem gab es eine Disproportion der Musik in diesem Werk: neben wabernden Klängen aus dem Lautsprecher fungierte das Ensemble Ascolta willig und wandlungsfähig lediglich als Instrumentaltheatertruppe - kompositorisch erklang kaum originäre Walshe-Musik, denn wurde zumeist zitiert, collagiert und improvisiert. Angesichts der reinen Reproduktionsfunktion von Memen darf man über den Sinn von an sich feinen und souverän ausgeführten Einzelaktionen (blinde Schlagzeuger, die im Publikum Bilder knipsen) und der Besessenheit, mit der Walshe die Materialien anhäuft, getrost streiten.

Vielleicht hätte der wissenschaftlich gefärbte Blick aus der Zukunft künstlerisch mit etwas weniger Masse und stärkerer Focussierung an Kontur gewonnen. So wirkte auch das vorangestellte Werk "meanwhile, back at the ranch" mit der verblüffend einfachen Konzeption, aus Comicbildern live eine spielbare Musikpartitur zu erzeugen, ungleich erfrischender.

Poesie der Vokalkunst

Neue Vocalsolisten Stuttgart mit Fedele und Sciarrino in Hellerau

Aus der zeitgenössischen Musik dieses Landes sind sie kaum wegzudenken, denn überall, wo neue Vokalmusik geschrieben und aufgeführt wird, sind sie zugegen, und die Liste der uraufgeführten Werke ist lang: die "Neuen Vocalsolisten Stuttgart" sorgen für eine stetige Belebung des Genres, gleich ob in theatralischer Einbindung, mit Elektronik oder Verstärkung durch Instrumentalensembles. Beim Tonlagen-Festival in Hellerau waren sie a cappella zu hören, und die räumliche Konzentration auf einen Teilbereich des Saales im Festspielhaus sorgte für eine intime Atmosphäre.

"Madrigale" war dieses Konzert überschrieben und nahm damit begrifflich Bezug auf die Tradition des mehrstimmigen weltlichen Gesanges. Doch die direkte Gegenüberstellung wurde vermieden, vielmehr sorgten die zwei umfangreichen Stücke des Abends für eine sehr spezielle, zeitgenössische Deutung des Genres - wer wollte, konnte in vielen Details jedoch auch die Rückblicke der Komponisten auf die Vokalpolyphonie der Renaissance bemerken. Die Entscheidung für Werke der italienischen Komponisten Ivan Fedele und Salvatore Sciarrino hatte allerdings auch zur Folge, dass hier die Vielfalt etwa im Vergleich mehrerer Komponistenhandschriften, Stile und Herangehensweisen an das Vokale unterblieb.

Fedele und Sciarrino sind obendrein ästhetische Nachbarn: "Animus Anima" von Fedele gibt sich reichlich virtuos, und auch im Nachklang bleibt das Ornament im Vordergrund, eine griffige Tonsprache stellt sich nicht ein. Die Frage nach dem - verschwenderischen - Umgang mit dem Material stellt sich auch bei Sciarrionos "12 Madrigali", bei denen ein naturalistischer Eindruck beabsichtigt ist und sich auch prompt einstellt: Zikaden zirpen und werden staccato dargestellt, der Wind weht durch die Vokale und die hohe Sonne erhält einen markant stechenden Rhythmus. Die verdoppelte Vertonung der sechs Gedichte ist eine interessanter Kniff, allerdings wird die ohnehin vage Aussage dadurch nur noch verstärkt: es könnte so sein, aber auch anders. Die Aussage wird verlängert, aber vertieft wird sie kaum, denn wenig Neues kommt hinzu.

Auch bei Sciarrino bleibt also nur die Hingabe an die Sinnlichkeit der Ereignisse, und im Momenthaften, Augenblicklichen liegt dann auch die Stärke dieser Stücke. Was die Vocalsolisten hier an Facetten hervorzaubern, immer im gegenseitigen Einklang und in höchster Konzentration auf Stimmverschmelzung und Homogenität bedacht, das ist schlicht fabelhaft. Wenig verlangt waren Akzente und forte-Passagen, diese hätten noch präsenter geformt werden können. Beide Partituren quillen indes über vor Verzierungen, Schwelltönen und illustren Farbspektren, denen sich die Vocalsolisten mit Genuss widmen. Am Ende verbleibt ein poetischer Eindruck: den Texten und Kompositionsabsichten nähern sich die sieben Sänger mit Sorgfalt und betten diese stilsicher auf ihr Können. Zu Recht hat auch die CD-Einspielung der Sciarrino-Madrigale jüngst durch die Bestenliste des Preises der Deutschen Schallplattenkritik eine Auszeichnung erfahren.

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