Montag, 6. September 2010

Im Rausch der Geschwindigkeit

Hisako Kawamura im Abschlusskonzert des Pianoforte-Fest Meißen

Das diesjährige Pianoforte-Fest-Meissen ist seit Mittwoch beendet. Im Gymnasium St. Afra fand das Abschlusskonzert statt. Seit Juni hatte es insgesamt 10 Abende mit Klaviermusik gegeben. Fünf dieser Abende wurden von Pianisten asiatischer Herkunft gestaltet, was zumindest zu interessanten Vergleichen einlud, nicht aber zwingend zu einem Urteil über den "Markt" führt. Feststellen läßt sich, dass die meisten dieser Musiker hervorragen in Ost und West ausgebildet wurden und zumeist eine illustre Biografie vorweisen.

So auch die Japanerin Hisako Kawamura, die etwa den ARD-Musikwettbewerb und den Clara-Haskil-Concours gewonnen hat. Am Ende zählen jedoch nicht die erworbenen Meriten, sondern das Erlebte im Konzertsaal - Hisako Kawamura spielte in der Aula des Landesgymnasiums ein klassisch-romantisches Programm und löste hohe Erwartungen leider kaum ein. Dabei begann sie mit zwei dynamisch gut ausbalancierten Choralvorspielen von Bach in der Busoni-Bearbeitung, wobei der ruhige Choralfluss noch intensiver, auch barocker gestaltet vorstellbar wäre. Eine Beethoven-Sonate folgte, später Brahms und Chopin, somit gleich drei berühmte Säulen der Klavierliteratur.

Beethovens Sonate Es-Dur Opus 31/3 gilt als vermeintlich "kleine" Sonate und anfangs ging Kawamuras Konzept auf, das Stück in eine Haydnsche Leichtigkeit zu versetzen. Das jedoch hätte zumindest Graziösität und Farbenreichtum verdient, was Kawamura ebensowenig anbot wie Beethovens Hakenschläge in der Harmonik auszugestalten. Stattdessen setzte sie auf Virtuosität und einen Tempoturbo, der bald das ansonsten liebenswerte Stück aus den Fugen geraten ließ: nach-hören, atmen, inszenieren, empfinden, all diese pianistischen Tugenden ließ sie in der hitzigen Hast von Allegro, Scherzo und Finale außer acht, nur das Menuett nutzte sie zum (notwendigen) Innehalten.

Ähnlich gleichgeschaltet wirkten die vier späten Klavierstücke Opus 119 von Johannes Brahms. Auf guter rhythmischer Basis angelegt, versagte die Interpretation dort, wo die eigentliche Kunst des Brahms-Spiels beginnt: in der Anschlagskultur. So wurden etwa die Final-Akkorde gründlich als äußerlicher Kraftakt missverstanden. Wo aber Kraft keinerlei Spannung überträgt, Haupt- und Nebenstimmen nicht getrennt sind und nur Ton neben Ton planvoll gesetzt ist, teilt sich der Zauber dieser Stücke nicht mehr mit.

Im zweiten Teil des Konzertes gab es jedoch eine Steigerung, offenbar lagen der Japanerin die Werke von Frédéric Chopin mehr: die b-Moll-Sonate konnte im Largo durchaus klangschön überzeugen, während Kawamura die Außensätze wieder ihrer technischen Brillanz widmete. Damit lag sie hier zumindest nicht falsch, jedoch teilte sich ein tieferes Interpretationsverständnis der Sonate nicht mit: der Trauermarsch "passierte" einfach ohne weitere Nachwirkungen zu verursachen. Schönster Beitrag des Konzertes waren dann ausgerechnet die Drei Mazurkas Op. 59 in leichtfüßiger Schlichtheit und kantabler Auszeichnung. Beim abschließenden Scherzo Op. 39 war die Konzentration überbeansprucht, Fehler schlichen sich ein, die die Pianistin mit wuchtigen Passagen auszugleichen versuchte. Angesichts der bereits demonstrierten Klasse des Festivals war dieses Konzert nicht der qualitativ hochwertige Abschluss, den man sich erhofft hatte.

Ein knallbunter Elfenbeinturm - Hellerau stellt Programm für die "Tonlagen" 2010 vor

Das "Tonlagen"-Festival der zeitgenössischen Musik Hellerau geht im Oktober in sein zweites Jahr - insgesamt wird seit nunmehr 24 Jahren immer im Herbst die Neue Musik in den Vordergrund des kulturellen Interesses in Dresden gerückt. Intendant Dieter Jaenicke hat innerhalb von zwei Jahren das Festspielhaus neu profilieren können und dabei bereits bestehende Tendenzen fortentwickelt - zeitgenössische Musik ist längst angekommen im bunten Mix der Kunstausübung.

Jaenicke stellt sich der Auseinandersetzung mit dem provokanten (und dabei uralten) Thema "Populär versus Elitär" und wird diese Fragestellung sowohl im Symposium als auch in einer Diskussionsreihe "Hellerau Talks" aufwerfen, doch die Besucher der Tonlagen werden sich in rund 24 Veranstaltungen vom 1. bis zum 16. Oktober selbst davon ein Bild (und Ohr!) machen können, ob diese Gegenüberstellung in der Realität anwendbar ist. Jaenicke vermochte keinen Höhepunkt zu nennen, dafür biete das Festival in diesem Jahr "eine Fülle von musikalischen Erfahrungen und Experimenten". Die Hellerauer setzen auf reichlich Reibungs- und Kontaktflächen zwischen den Künsten, kaum ein Konzert der Tonlagen wird als klassischer "Frontalunterricht" stattfinden.

Sinnlichen Klangwirbel wird ein Prolog von Moritz Gagern verursachen: Ein Konzert für 50 Windgongs und Ensemble lädt bereits am Sonnabend, 4. September zu einem besonderen Erlebnis ein - als begeh- und bespielbare Installation sind die Gongs dann auch während der Tonlagen präsent. Schlagwerke spielen ohnehin eine besondere Rolle: dem altehrwürdigen Drumset wird (im Quartett!) ein Uraufführungskonzert am 3.10. gewidmet, bei dem Zappa, Reich und Varèse sich die Hand geben. Kooperationen mit der Dresdner Philharmonie und den Dresdner Sinfonikern dürften zwei große, aber völlig unterschiedliche Konzertereignisse bescheren: die Philharmonie lädt mit dem österreichischen Dirigenten und Chansonnier HK Gruber zu einem Pandämonium namens "Frankenstein!", während sich die Sinfoniker auf eine Klangreise nach Ost-Anatolien begeben. "Neue Musik" heißt dann vor allem unbekannte Kulturkreise zu entdecken, ebenso wie in "Waft" 500 Jahre alte Sutartiné-Gesänge aus Litauen auf eine audiovisuelle Performance trifft (11.10.). Im Projekttheater läßt sich dieser Kulturschatz einen Tag vorher pur genießen (Trys Keturiose, Gesang - 10.10., 17 Uhr).

Ensemblekonzerte bilden eine Konstante des Festivals, denn neue Kammermusik bildet ein unerschöpfliches Feld. Ensemble Resonanz, Ascolta und courage gastieren mit außergewöhnlichen Programmen zwischen Aktion und "Avantcore"; Uraufführungen wird es dabei u. a. von der Performerin und Komponistin Jennifer Walshe (11.10.), Michael Hirsch, Klaus Lang und Michael Wertmüller geben. Ein Musiktheater des amerikanischen Elektronik-Pioniers Morton Subotnick namens "Jacob's Room" nach Virginia Woolf wird die Festspiele am 1.10. eröffnen. Neben Theater und Konzert sind auch Film (Andy Warhols Screen Tests neu betrachtet und vertont, 5.10.) und Tanz (Gastspiel der kanadischen Compagnie O Vertigo am 14.10.) in das Festival integriert. Eine Neuauflage des MELT-Klubs am 16.10. dürfte ein Publikumsmagnet sein, am 2., 8. und 14. Oktober wird zudem jeweils um 21.30 intimere Elektronika-Kultur vorgestellt.

Die Musikhochschule wird nicht nur Partner für das Symposium (1. und 2.10. im Wettinum) sein, sondern auch Aufführungsort für das Jahreskonzert der Komponistenklasse Dresden (16.10., 16 Uhr). Zwei Konzerte sind der Orgel gewidmet, davon dürfte das Konzert am 8.10. in der Auferstehungskirche Plauen in Zusammenarbeit mit der Sächsischen Gesellschaft für Musik schon aufgrund einer Uraufführung von Jörg Herchet ("Namen Gottes") spannend geraten. Die Tonlagen genießen wird, wer die Bilder, Töne, Worte und Aktionen täglich mit Neugier und Offenheit empfängt - was mit einem Festivalpass ermöglicht wird. Kombitickets und ein Gruppentarif werden ebenso angeboten. Fest steht in diesem Jahr: keiner wird leer ausgehen, und den vermeintlichen Elfenbeinturm gilt es selbst knallbunt anzumalen, die Palette mit den Farben hält Hellerau bereit.

Vollständiges Programm und Kartenbestellung unter www.hellerau.org

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