Montag, 21. April 2008

Plädoyer für die leisen Töne

Peter Rösel und Andrey Boreyko im Kapell-Konzert

Wer am Sonntagvormittag in der Semperoper sinfonischen Pomp suchte, war im 9. Sinfoniekonzert der sächsischen Staatskapelle nicht gut aufgehoben. Zwar sind es gerade die klanglich massiven Werke der Spätromantik, die die Zuhörer gerne begeistern, doch die Dramaturgie dieses Konzertes widmete sich ausschließlich Kompositionen, die mit leisen Tönen spielten. Dass diese Erfahrung genauso packend sein kann wie ein orchestrales Schlachtengemälde, bewies der Gastdirigent Andrey Boreyko, der bei seinem Debut bei der Staatskapelle ein beeindruckend charaktervolles und sorgfältiges Dirigat zeigte. Dies wurde schon im einleitenden Werk deutlich. Modest Mussorgskys Vorspiel zur Oper "Chowanschtschina", orchestriert von Dmitri Schostakowitsch, ist ein sinfonisches Kleinod; die Instrumentierung des Tagesanbruchs mit einer hinreißenden Klarinettenmelodie (Solo: Wolfram Große) formt von Beginn an eine eher schattenreiche Klangwelt, die mit düsteren Glockenklängen bereits die Dramatik der Opernhandlung vorwegnimmt. Boreyko modellierte diesen Einstieg sehr sanft und klangschön. Die gesamte Oper mit all ihren großen Chorszenen wartet allerdings immer noch auf eine Wiederentdeckung. Anschließend galt es ein besonderes Jubiläum zu feiern: 40 Jahre musiziert der Dresdner Pianist Peter Rösel bereits regelmäßig in Konzerten mit der Staatskapelle Dresden, das "Jubiläumskonzert" war indes ein besonderes: Rösel wählte keines der großen Virtuosenkonzerte aus, sondern Mozarts letztes Klavierkonzert B-Dur, KV 595. Der Charakter dieses Werkes ist eher introvertiert und anstelle eines offenherziger Spielfreudigkeit treten hier formale und harmonische Entwicklungen deutlicher in den Vordergrund. Das Orchester ist in dem Konzert in besonderer Weise gefragt, denn es weist eine enge Partnerschaft zwischen Solo- und Orchesterpart auf. Das Duo Boreyko/Rösel war für die Interpretation ein Glücksfall: Rösel musizierte am Klavier aus vollkommener Ruhe heraus und Boreyko fügte in fast bescheidener Weise die klug positionierten und differenziert ausmusizierten Kommentare des Orchesters hinzu - am Ende hatte man das Gefühl, einem äußerst kultivierten Mozart-Spiel zugehört zu haben. In dieser wohlgeordneten Welt entfalteten sich die Themen auf natürlichste Weise, wurden kleinste Begleitfiguren zur Klangrede und vor allem Rösels subtile Anschlagskultur überzeugte durchweg. Diese reife Interpretation benötigte keine dynamischen Extremwerte oder Überraschungsmomente, im Gegenteil: Rösel zeigte eine gelassene Gesamtschau auf das Werk und konnte sich dabei auf das sorgsame Spiel der Kapelle jederzeit verlassen. Eine schöne Geste war es auch, dass kein Virtuosenschmankerl zugegeben wurde, sondern Rösel mit dem Orchester den 3. Satz des Mozart-Konzertes wiederholte - es war eine erneute Reise zu Mozart, wiederum geglückt und beglückend. Nach der Pause stand die 15., die letzte Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch auf dem Programm. Dass dieses Werk auch 36 Jahre nach der Uraufführung noch betroffen macht, spricht für die Größe der Komposition, die in ihrer nackten, direkten Klangsprache so gar nichts mehr mit den früheren Sinfonien zu tun hat. Boreyko schuf eine äußerst spannungsvolle Interpretation und führte die "irrenden" Melodielinien mit sicherer Hand in eine ruhige Gesamtentwicklung, von der sich nur die gewalttätige Schärfe der Eruption im 2. Satz abhob. Dieser Ausbruch wurde aber sorgfältig mit einem höchst emotionalen Cellosolo (als Gast: Peter Bruns) vorbereitet und wirkte daher schockartig. Eine lange Stille entstand im Publikum, nachdem die letzten Schlagwerkimpulse des 4. Satzes auspendelten. Die Kapelle und Boreyko formten hier ein Plädoyer für die leisen und melancholischen Töne eines der wichtigsten und immer noch äußerst spannenden Komponisten des letzten Jahrhunderts.

Freiheit? Schuld?

Premiere "Vorfall in Kwangju" von Eunsun Lee in der Kleinen Szene

Geschichtsdokumentation wollte die junge südkoreanische Komponistin Eunsun Lee mit ihrem Opernerstling, der Kammeroper "Vorfall in Kwangju", wohl nicht betreiben. Ob sie aber geahnt hat, dass ihr Stück angesichts der "Vorfälle" in Tibet eine solche Brisanz und Aktualität haben würde? Ein Stück über Menschenrechte und Vertreibung ist immer aktuell, aber in diesem Jahr ist die mediale Aufmerksamkeit besonders auf den asiatischen Raum gerichtet. Der wirkliche "Vorfall in Kwangju" in Südkorea liegt indes keine dreißig Jahre zurück. Der Premierenbesuch in der Kleinen Szene am Freitagabend auf jeden Fall eine ernste Sache, bei der die Gedanken um die Macht und Ohnmacht des "kleinen Mannes" kreisten. In der Oper war es ein Mann namens Hong-Suk Park, dessen Schicksal stellvertretend für viele Entrechtete nicht nur in Korea um 1980 stand, sondern für jede ähnliche, tagtäglich stattfindende Situation auf der Welt: ein kleines aber glückliches Leben wird gelebt, man kämpft für seine Familie, man zeigt Widerstand gegen eine Obrigkeit, schließlich begeht man - angebliches - Unrecht und am Ende steht die Frage nach Freiheit und Schuld im Raum. Diese neue Produktion der Semperoper geschah wieder in bewährter Kooperation mit der Musikhochschule, der Palucca-Schule und der Hochschule für bildende Künste; sie fand außerdem im Rahmen des Projektes "KlangNetz Dresden" statt. Mit ganzer Kraft wurde hier von Studenten eine keineswegs leicht zu erarbeitende Partitur in professioneller Weise umgesetzt, dies nötigt höchsten Respekt ab. Eunsun Lee, bis zum letzten Jahr Kompositionsstudentin in der Meisterklasse von Prof. Wilfried Krätzschmar, konzentrierte den "Vorfall", die blutige Niederschlagung von Demonstranten gegen die Diktatur 1980, auf ein Familienschicksal und splittete dies nach Motiven des zeitgenössischen Madangtheaters, einer öffentlichen Improvisationstheaterform auf. Diese Inspiration schien aber für Lee eher nur formale Linienziehung zu bedeuten, denn von Improvisation oder Konzentration auf wenige theatralische Mittel konnte in der Oper nicht die Rede sein. Sowohl die Komponistin als auch der Regisseur Hendrik Müller überfrachteten die Geschichte mit einer komplexen Mischung aus Klängen, Gesten, Aktionen, Formen und Bedeutungen. Dies alles war höchst avanciert und durchdacht, bloß emotionale Spannung, die Intensität in der Aufmerksamkeit erzeugt hätte, kam an keiner Stelle des Abends auf. Stattdessen besudelten sich die Protagonisten im Bühnensandkasten, wurde reichlich Bier verschüttet und aus dem Orchester ertönten zumeist abstrakte Strukturen, die zwar viele Einzelideen verarbeiteten, aber nie eine nachhaltige, stark wirkende Handschrift oder dramaturgische Linie formten, die dem Text, den Bildern und dem Tanz eine angemessene (aufrüttelnde!) musikalische Übersetzung gegeben hätte. Das ist angesichts eines so wichtigen aktuellen Stoffes ein trauriges Ergebnis, reiht sich aber nahtlos in die Reihe etlicher gescheiterter Versuche mit politischen Sujets auf der Opernbühne ein. Fünf Protagonisten teilten sich in immer neue Rollen auf, die aber viel weniger Theater zugunsten einer tieferen Aussage vertragen hätten. Julia Beyer (Bühne) schuf eine praktikable Wandlösung für den Raum, ihre widersprüchlichen, fehlerbehafteten Kostüme waren ebenfalls gelungen. Innerhalb der schwer zugänglichen theatralisch-musikalischen Denkfabrik wirkte Alessandra Fabbris Choreografie der Tänzer wie ein wohltuender Fremdkörper. In sechs gekachelten Zellen bewiesen Studentinnen der Palucca-Schule, wie man dem Stoff weder durch Wort, Ton oder Handlung sofort gerecht werden kann, wie Enge und Not über 80 Minuten sicht- und fühlbar wird. Es war erstaunlich, dass man angesichts dieses Elementes auf einfache Weise vorgeführt bekam, wie weit entfernt vom Sujet eigentlich die anderen Ebenen der Oper vor sich hin dümpelten. Großen Applaus gab es für die Sänger und Musiker der Aufführung, allen voran für den hell strahlenden, ruhig geführten Tenor von Alexander Schafft in der Hauptrolle des Hong-Suk Park. Maria Meckel, Franziska Neumann, Georg Finger und Matthias Kleinert überzeugten allesamt mit stimmlicher und theatralischer Vielseitigkeit, Barbara Hoene (Schamanin, Mutter) fügte zu Beginn eine eher mystische Ebene in das Werk ein, die aber keine weiteren Auswirkungen für das Werk hatte. Lennart Dohms leitete ein klug positioniertes und versiertes Kammerensemble und hatte keine Mühe, die avancierte Partitur im kleinen Raum auszubalancieren. Trotz aller Bedenken ist ein Besuch unbedingt empfehlenswert, schon allein um eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem Thema zu betrachten, das uns alle angeht, aber auch wegen einer überzeugenden Leistung eines fast durchweg studentischen Ensembles.

Vulkan mit Erdverbindung

Julia Fischer im 7. Zykluskonzert der Philharmonie

Sie ist 24 Jahre alt, Professorin an der Musikhochschule Frankfurt und begeistert ihre Zuhörer mit einem enormen Repertoire und mitreißenden Interpretationen: Die Geigerin Julia Fischer ist unglaublich gut. So gut, dass man angesichts der eigentlich notwendigen Superlative Angst bekommt und sich die Augen, nein, die Ohren reibt - gibt es sie wirklich noch, die Instrumentalvirtuosen, die keine Grenzen der Technik kennen und am Rande der Genialität tanzen? Im Kulturpalast durfte man sich beim 7. Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie erneut von Julia Fischers Fertigkeiten überzeugen. Diesmal brachte sie das 1. Violinkonzert von Dmitri Schostakowitsch mit, ein Konzert, in dem neben absoluter Beherrschung des Instrumentes eine enorme Emotionalität gefragt ist. Technische Hürden gibt es für Julia Fischer sowieso nicht, das bewies sie mit ihren furchtlosen Tempi im 2. und 4. Satz, in denen aber keine Nuance unterging. Stark war das Nocturno zu Beginn, in dem sie einen seidigen Klang und eine sehr natürliche Phrasierung ideal zu verbinden wusste. Im Scherzo zeigte sie eine unbändige, vorwärtstreibende Kraft; dieser Tanz auf dem Vulkan hatte aber trotz temperamentvoller Glut stets eine Erdverbindung und wirkte darum um so intensiver. Mit dem Gastdirigenten Yakov Kreizberg am Pult hatte sie einen erfahrenen Partner, der bereits viele CD-Aufnahmen der Geigerin betreute. Er ordnete die rasanten Bläserwirbel der Philharmoniker im Scherzo zum Solopart zu und hielt das Orchester in aufregendem, aber nicht aufgeregtem Spiel. In der Kadenz des Konzertes erzeugte Fischer mit intensivster Klanggebung eine spannungsvolle Stille im Auditorium und steigerte die Kadenz von innigster Empfindung bis hin zu jaulenden Doppelgriffen - damit fasste sie die ganze Emotionswelt des Konzertes in ihrem Solo zusammen. Für diese Darstellung wurde sie vom Dresdner Publikum ausgiebig gefeiert und bedankte sich mit einer unprätentiös gespielten Paganini-Zugabe. In der Pause fragte man sich, ob der Dirigent Yakov Kreizberg dieses Musikerlebnis noch steigern würde - Franz Schuberts "Große" Sinfonie C-Dur stand als sinfonisches Werk auf dem Programm. Doch Kreizbergs Interpretation wurde dem Werk nicht gerecht. Zwar zeigten die Philharmoniker eine souveräne Gesamtleistung, doch die durchweg übertriebene Zeichengebung vom Dirigentenpult verhinderte einen ausbalancierten Klang und beförderte an vielen Stellen lautes, undifferenziertes Spiel. Kreizberg hatte in Gestalt der Sinfonie ein wunderbares Geschenk in den Händen, allein er schüttelte das Paket anstelle es sorgsam auszupacken und die zahlreichen Schönheiten zu entdecken. In den flinken Tempi hätten Themenübergänge und harmonische Entwicklungen mehr Aufmerksamkeit benötigt, die Verdopplung der Holzbläser stand einer differenzierten Interpretation ebenfalls im Wege. Die gute Schostakowitsch-Darstellung bewies, dass Kreizberg mit modernerem Repertoire zu fesseln vermag, sein Schubert jedoch blieb insgesamt blass.

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Kreidler - 21. Apr, 05:35
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