Dienstag, 1. Januar 2008

Fliegen lernen

Simeon ten Holts "Canto Ostinato" im Coselpalais

In der Konzertreihe "Musik zwischen den Welten" kam es zu einem ganz besonderen Jahresendkonzert. Der "Ausklang" wurde wörtlich genommen und gestaltete sich über 80 Minuten Dauer in einer großen Schleife des Repetitiven: Simeon ten Holts "Canto Ostinato" ist eine Komposition, die der Minimal Music zuzuordnen ist. Wie viele andere Werke dieser Gattung spielt das Stück mit der Freiheit und der Festlegung, mit Aufführungsdauern, Mustern und der Wiederholung als Phänomen. Minimal Music ist heutzutage schon selbstverständlich geworden, viele Film-Dokumentationen nutzen die Musik von Phil Glass und Steve Reich, insbesondere der kaum geistig genutzte Bereich der "Hintergrundmusik" freut sich über repetitive Muster, die dem Hirn eine vordergründige Entspannung bieten, da leere Repetition keinerlei Botschaften vermittelt. Wohl dem, der sich bei diesen Wiederholungsgewittern also bequem zurücklehnen kann. Im Coselpalais sorgte eine fabelhafte Interpretation zweier Pianisten für den rechten Drive des Werkes, das in den Niederlanden bereits Kult-Charakter besitzt, aber kaum einmal über die Grenzen dringt. Stefan Eder (Dresden) und Johannes Wohlgenannt Zincke (Wien) ließen sich auf die Wegstrecke des ununterbrochenen Musikbandes ein, das übrigens keineswegs eintönig wirkte, die Muster changierten immer wieder leicht und bildeten so den Nährboden von dramatischen Prozessen oder Beruhigung. Dabei durchlaufen Interpreten wie Zuhörer verschiedene Phasen von Konzentration und Hin-Hören vom kompletten Sich-Beruhigen bis hin zum innerlichen Aufwühlen. Insgesamt bleibt ten Holts Stück eine Übung im Weg-Fliegen der Gedanken, denn die geistige Konzentration auf den pianistischen Vollrausch führt zu nichts außer der Erkenntnis, dass man es an den Flügeln mit zwei souveränen Sachwaltern dieser Musik zu tun hat. Die vom Veranstalter hergestellte Konzert-Situation mit Vollbestuhlung und den Flügeln in der Mitte hat Konsequenzen: die Atmosphäre bleibt "klassisch" und außer Augenschließen und Beine ausschütteln passiert in den 80 Minuten im Auditorium nicht viel. Ein vom Klavierklang und der Komposition geprägtes und daher stark begrenztes Frequenzspektrum, das über eine große Zeitspanne pausenlos ins Zuhörerohr gepustet wird, entfaltet dennoch interessante körperliche Wirkungen. Ob man dies "eigenwillige Schönheit" (Programmheft) nennen mag, sei dahingestellt. "Zutiefst bewegend" kam das Werk ebenfalls nicht an, denn eine kompositorische Aussage fehlt den nackten Klavierläufen. Melodie und Harmonik verbleiben im Banalen, sodass ab und an das bewusste Hin-Hören zur Qual wird. Dass Meditation einhergehen soll mit der Entleerung des Geistigen, bleibt insbesondere im musikalischen Bereich eine diskutierenswerte These, die sich gerade anhand dieses faszinierenden Konzertes wieder neu stellte.

Kalender mit Klängen

"Modus Vivendi" - Orgelforum in Blasewitz

Zeitgenössische Musik zu vermitteln, dieser Aufgabe stellt sich die Sächsische Gesellschaft für Neue Musik seit Jahren. In diesem Jahr gilt das Hauptaugenmerk der neuen Orgelmusik - für das Instrument werden immer wieder Kompositionen zumeist mit sakralem Hintergrund geschrieben, seltener erlebt man heutzutage weltliche Konzertstücke für die Orgel. Im "Modus Vivendi"-Konzert in der Heilig-Geist-Kirche in Dresden-Blasewitz wurden zum 2. Advent Stücke ausgewählt, die sich mit der Betrachtung Gottes beschäftigten. In Jörg Herchets OEuvre ist diese Beschäftigung gleichsam ein roter Faden - seine Marienkantaten und der Orgelzyklus "NAMEN GOTTES" entstehen seit Jahren in vielfältiger Ausprägung einer Glaubenshaltung. Das Konzert wurde von den Stücken 13 und 14 aus dem Zykus umrahmt, während das Eingangsstück eine klares Ineinanderweben und Gegenübertreten verschiedener Klangmodelle zeigte und damit in gut abgestufter Registrierung fast tröstlichen Ausdruck erhielt, bestand Nr. 14 aus deutlich voneinander abgesetzten Passagen, die individuell und kaum aufeinander bezogen wirkten. Man wurde fast an eine Art Adventskalender erinnert, in welchem hinter jeder Tür neue Klänge, neue Inspirationen warten, somit ging hier auf eine unbestimmte Entdeckungsreise. Leider war das gesamte Konzert von einer nicht ausreichend beheizten Kirche betroffen, daher fiel die ungetrübte Konzentration auf die neuen Werke schwer. Außerdem wäre den Konzerten im nächsten Jahrgang eine größere Zuhörerschaft zu wünschen. Die Art der Vermittlung der Werke ist zu überdenken, zwar war der in der Mitte platzierte Vortrag von Lydia Weißgerber sicherlich kompetent, doch das Gespräch mit dem Freiburger Komponisten Peter Förtig waberte lediglich um bekannte, eigentlich nicht bestehende Probleme in der Vermittlung Neuer Musik herum. Neue Musik sollte selbstverständlich sein, dem alten Klagelied des Ignorierens und Nichtverstehens kann man sowohl als Veranstalter als auch als Komponist durchaus widersprechen. Förtigs eigenes Werk "L'Ange de la Nativité" schließlich konnte kaum die vorher gegebene Einführung einlösen, weder hörte man den angekündigten "Engelssturz", noch erschlossen sich polyphone Linien des Werkes. Unvermittelt standen verschiedene traditionelle Techniken und ein undurchsichtiges Material nebeneinander - die Dramaturgie des Stückes überzeugte indes nicht. Als Kontrast spielte Reimund Böhmig-Weißgerber an der Eule-Orgel außerdem eine Partita von Samuel Scheidt, diese sollte den Horizont zur neuen Musik erweitern. Als typisch frühbarocke cantus-firmus-Variation war allerdings dieses "schulmäßige" Stück kaum dazu geeignet, die neuen Werke in anderem Licht erscheinen zu lassen. Gerade die vielfarbigen Stücke von Jörg Herchet hätten eines deutlichen Werkkontrastes bedurft, um das Konzert insgesamt nicht zu trocken wirken zu lassen. Lebendiger und vor allem wärmer darf es demnächst durchaus sein.

Handballspiel im leeren Schwimmbecken

Klaviertrio elole mit drei Uraufführungen in Hellerau

Nicht nur zur Weihnachtszeit erfreut das Dresdner Ensemble "elole" das Publikum mit anspruchsvoller neuer Musik für Klaviertrio. Dennoch hatte das Konzert am Vorabend des 1. Advent im Festspielhaus Hellerau durchaus eine "besinnliche" Atmosphäre. Dass dies mit gleich drei Uraufführungen gelingt, lag an der gelungenen Konzertdramaturgie und der souveränen Interpretation aller präsentierten Werke. Umrundet wurden vier größere Werke von einem Zyklus des Amerikaners Tom Johnson, die wie ein freundliches Pausenzeichen den Geist wieder reinigten und "klar Schiff" für das nächste größere Stück machten. Diese kleinen "Predictables" (Vorhersagbares) spielten in minimalistischer Struktur mit Hörerwartungen und waren dabei doch abwechslungsreich, augenzwinkernd und eben auf den Punkt gebracht, mit keiner Note zuviel.
Letzteres Merkmal trifft auf viele Kompositionen neuerer Art zu, die Dichte mancher Uraufführungen übertrifft oft das, was ein Hörer aufzufassen vermag. Wenn dies aber in konsequent explosivem Spannungsverlauf wie bei Carsten Hennigs "desire III" geschieht, merkt man auf, zumal man sich den Hintergrund des Stückes - "Die belebende Wirkung des Geldes" zunächst kaum in Musik dargestellt vorstellen konnte. Doch die Rotierungsmomente im Stück, sowohl durch Metallscheiben als auch durch die Instrumente plastisch dargestellt, wirkten dynamisch und durchdacht. Krasser Gegenpol dieses Werkes war Juan Maria Solares "EL-ES", das sich kaum einmal über nacktes Material heraushob, verhalten gestikulierte und im Programmhefttext nur mit Anspielungen kokettierte, die entweder gar nichts mit dem Werk zu tun hatten oder eins zu eins und damit langweilig umgesetzt wurden. Dies bleib aber die einzige kompositorische Enttäuschung. Hartmut Dorschner, neben Hennig ein weiterer umtriebiger Dresdner Komponist, steuerte "Tendenzen" bei. Diese Uraufführung beeindruckte durch eine packende Emotionswelt, in welcher selbst verhinderte, verzerrte, geplante und nicht ausgeführte Noten ihren Platz fanden. "Calabi-Yau" von William Pertz schließlich war ein nachgereichter Beitrag zum im letzten Jahr ausgeführten Wettbewerb "Klang-Stadt-Stille". Uta-Maria Lempert (Vl), Matthias Lorens (Vcl) und Stefan Eder (Klavier) widmeten sich auch diesem Werk mit äußerster Konzentration und schufen ein vitales Klanggemälde, das vor allem durch seine unterschiedlichen Bewegungsmuster überzeugte, nur an einigen Punkten wirkte das Stück fast überdreht, dennoch zeigte der Umgang mit dem Klangmaterial eine durchgehende Sinnlichkeit. Während andere Komponisten sich im Programmheft in der "Beschreibung des Essens" verloren, zeigte Pertz fast literarische Qualitäten und steuerte mit der Assoziation eines Handballspiels in einem leeren Schwimmbecken ein absurdes Moment bei, was zwar partout nicht in das Stück passen wollte, aber diesem auf jeden Fall eine weitere, ebenfalls freundliche Ebene hinzufügte.

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Darin werden auch meine Sheet Music Arbeiten besprochen. https://www.de utschlandfunkkultur.de/mus s-musik-klingen-dlf-kultur -af311058-100.html?fbclid= IwZXh0bgNhZW0CMTAAAR1gukU1 amxtLwWbiPxNhxdVCM977eywjf 8TH7ENGamlB60GL7TpK5pqCrY_ aem_Aas_oUIX6V1yGiBFpKKDxE mEaNZUWV82XFXWTczRhCYe_9nX Y2S0GX8UHQUD8R8WBLNAmCNmT3 PeF0ekBqS14Yqu Vorstellung skraft...
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