Dienstag, 11. September 2007

Stromerzeuger und Postkartenidylle

1. Sinfoniekonzert der Staatskapelle mit GMD Fabio Luisi

Ein frischer, neuer Wind weht durch den Semperbau, und nach dem 1. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle darf man mit Fug und Recht behaupten: dieser Wind weht von vorne. Denn der neue Generalmusikdirektor bot für sein erstes reguläres Konzert der neuen Saison für zwei Werke eine Riesenbesetzung auf, die trotz der großen Eigenstärke der Kapelle nur mit Aushilfen geleistet werden konnte. Allzuoft werden allerdings Werke mit 16 Schlagzeugern nicht aufgeführt und in diesem Fall war es sogar eine Dresdner Erstaufführung. Eine überfällige allzumal, denn "Arcana" von Edgar Varèse wurde bereits 1927 uraufgeführt. Für manchen im Publikum dürfte das Erlebnis dieses Werkes einer Schocktherapie gleichgekommen sein: wer Wohlklang und Entspannung erwartet hatte, wurde herb enttäuscht, aber zugleich auch in einen rhythmischen Sog gezogen, der eine ganz eigene Faszination entwickelte. Erstaunlich war die Leistung des Orchesters - die Musiker hatten ja gleich zwei verschiedene Konzertprogramme vorzubereiten und dieses Werk erfordert nicht nur höchste Konzentration, sondern auch absolut rhythmische Präzision und ein ständiges Anschwellen in extreme Klangballungen. Dennoch schaffte es Luisi mit übersichtlichem Dirigat, die einzelnen Schichten freizulegen, "Arcana" wirkte wie ein großer Stromerzeuger, dessen wenige leisen Abschnitte die nächsten Eruptionen bereits in der Spannung vorausnahmen. Wäre dieses Werk alleine mit Strauss' "Alpensinfonie" gekoppelt gewesen, hätte man Luisi gar philosophische Absichten unterstellen mögen: hier die zerklüftete, unbeschreibbare und quasi unmenschliche Mondlandschaft, dort das bayrische Postkartenidyll, dreizehn Jahre früher mitten in den 1. Weltkrieg hineinkomponiert. Doch in das Programm war gleichsam eine lyrische Insel eingewoben: Beethovens 4. Klavierkonzert mit der nach mehreren musikalischen Begegnungen nahezu in Dresden heimisch gewordenen Ausnahme-Pianistin Hélène Grimaud als Solistin. Gleich vorneweg: was sie an musikalischer Ausdruckskraft, Intellektualität und Sinnlichkeit in das Werk einfließen ließ, ist grandios. Im 1. Satz war ich zunächst irritiert, da Grimaud die disparate Anlage des Kopfsatzes durchaus auch eigensinnig interprierte, nämlich mit ungewohnt weicher und romantischer Emphase, die selbst das Hauptthema erfasste. Erst im Zusammenhang mit den anderen beiden Sätzen wurde völlig klar, dass Grimaud ein Gesamtkonzept zelebrierte, das den 1. Satz nunmehr als ein ausgeklügeltes Gedankenspiel, als Diskurs begriff, den 2. Satz als hundertprozentig emotionale Gegenwelt und den 3. Satz als vital-drängende Deutung von Lebensbejahung. Wenn eine Pianistin dem Zuhörer mittels variablem Anschlag, kluger Formgestaltung und vollauf atmender Phrasierung zu einem solchen tragenden und überzeugenden Gesamtergebnis fähig ist, nennt man das schlichtweg genial und ist dankbar dafür. Fabio Luisi folgte dieser Interpretation mit der Kapelle gut, mit enorm drängendem Ausdruck im 3. Satz und leichten Unsicherheiten in der Einleitung des Kopfsatzes, da war aber wohl noch die Varèse-Klangwolke zu präsent. Nach der Pause ging es in die Berge, und hier zeigte sich vor allem eine interessante Interpretation dieses vor allem in Dresden hinlänglich rezipierten Werkes: Luisi dürfte wohl eine der schnellsten Alpenübergänge geschafft haben, das deutete sich bereits beim flinken Sonnenaufgang an, setzte sich im gar nicht pathetischen Gipfelpanorama fort und auch der Schluss war kaum zu breit ausmusiziert. Eine Wertung dieser Darstellung scheint müßig, denn denkt man an gediegenere Aufführungen zurück, so erscheint einem das Werk so auch nicht gerade sinnfälliger, allerhöchstens zünftiger. So bleibt der Eindruck eines opulenten, virtuos instrumentierten Farbengemäldes, mit kaum ins Gewicht fallenden, dem Temperament geschuldeten Abstrichen in der Interpretation. Gerade Steigerungen und Tempoverschärfungen waren Luisis Stärke in den Aufführung, motivierend und mit auf den Punkt sitzenden Gesten formte er Attacken und breit strömenden Klang. Die Kapelle befand sich thematisch in diesem zweieinhalbstündigen Konzert wirklich auf einem "Klanggipfel" - man darf gespannt sein, wohin die Reise nun geht.

Tenorissimo

Eigentlich sollte die CD erst in zwei Wochen erscheinen, nun hat Universal sie vorgezogen und es ist wirklich eine wunderschöne Zusammenstellung der schönsten Arien und Lieder auf einer Doppel-CD. Irgendwie ist man ja mit dieser Stimme aufgewachsen und das Timbre ist einfach unverwechselbar.

Leidenschaftlich

Antrittskonzert von GMD Fabio Luisi bei der Sächsischen Staatskapelle

Der Beginn einer neuen Ära ist unverkennbar: allein die Präsenz des neuen Generalmusikdirektors Fabio Luisi im Semperbau an seinen ersten Amtstagen macht das deutlich. Im Orchestergraben dirigierte er gleich zwei Salome-Aufführungen, es folgte ein Antrittskonzert und das 1. Sinfoniekonzert, und schon Mitte September geht das Orchester mit Luisi auf eine Europa-Tournee. Die ersten Konzertprogramme mit der Sächsischen Staatskapelle haben es auch programmatisch in sich und die Handschrift Luisis läßt gehörig aufhorchen. Nicht mit gängigem Repertoire begrüßte Fabio Luisi das vor allem prominente Publikum im Antrittskonzert am Sonntag, sondern gleich zu Beginn des Konzertes war eine Uraufführung platziert. Vom "Capell-Compositeur" Isabel Mundry werden in dieser Saison gleich mehrere neue Werke zu hören sein, ihr für die Sächsische Staatskapelle entstandenes Orchesterwerk "Balancen" war aber keinesfalls eine Eröffnungsmusik "mit Pauken und Trompeten". Das Gegenteil war der Fall, und es bedurfte bei Zuhörern wie Interpreten einiger Konzentration, um diese fein ausgehörte Musik zu erschließen. Die von Mundry in dem Stück eingearbeiteten Zeitschwankungen kamen durch die Aufteilung des Orchesters in drei Gruppen gut zum Tragen. Mundrys musikalische Sprache ist modern, aber durchaus facettenreich. Dass man aufgrund der räumlich wechselnden aber oft ähnlichen, repetitiven Klangereignisse sich nach einigen Minuten fadensuchend im Dickicht des Orchestersatzes verlor, gehört zur Absicht der Komposition und hat seinen Bezug in der literarischen Vorlage zum Werk. Poetischen Glanz verströmte der kurze Schlussabschnitt, der melodisches Vortasten ausprobierte - insgesamt ein sehr vorsichtig suchendes Werk, dessen Bezüge durch Fabio Luisis klar organisiertes Dirigat sehr deutlich wurden, das aber die Stärken und Möglichkeiten des Orchesters kaum ausreizte. Der zweite Programmpunkt im Konzert wäre ebenfalls poetisch zu nennen, dies aber auf einer ganz anderen klanglichen Ebene: der Musiksprache von Alban Berg. Dessen "Sieben frühe Lieder" schwanken zwischen Spätromantik und in vielen Details bereits antizipierter Moderne, ausgeklügelt ist die Instrumentation und der melodische Verlauf zwischen Singstimme und Orchester. Die Sopranistin Anja Harteros fand eine atemberaubend schöne Darstellung der Lieder zwischen träumerischem, fast distanziertem Duktus und herausbrechender Leidenschaft ("Die Nachtigall"). Ihr samtenes Timbre und die voluminöse und doch warm strahlende Höhe machten diese Interpretation zu einem Erlebnis, zumal Luisi mit der Kapelle die notwendige Flexibilität des Tempos kongenial mit der Solistin umsetzte - so erreichten die Musiker eine brüchige, märchenhafte Atmosphäre. Natürlich sind die Erwartungen an den neuen GMD hoch und viele Aufgaben und Ideen benötigen Zeit der Entwicklung. Doch die Aufführung der Tondichtung "Ein Heldenleben" von Richard Strauss zeigte bereits einen wunderbaren Stand der Zusammenarbeit zwischen Dirigent und Orchester, ist doch dieses Werk bereits im Mai auf CD eingespielt worden. Ein Markenzeichen des Dirigenten scheint der maßvolle Ausgleich zwischen impulsivem, leidenschaftlichen Musizieren und dem kontrollierten Ausformen des spezifischen Orchesterklanges zu sein. Kaum ein Werk scheint für diese Art des Zuganges besser geeignet als das von Richard Strauss. Opulent strahlend und klar gezeichnet stellte Luisi die Themenkomplexe vor, bevor er in der Durchführung den Kampf des Helden nahezu körperlich mitvollzog und sich das Orchester mit konsequenter, vorwärtstreibender Dynamik- und Tempoführung des Generalmusikdirektors von Höhepunkt zu Höhepunkt arbeitete. Innig und mit besonders deutlicher Charakterzeichnung trug das Violinsolo von Matthias Wollong zum schlüssigen Gesamtbild des Werkes bei. Die Entscheidung für den sanften Originalschluss, der ungedruckt in der Handschrift von Strauss vorliegt, aber kaum je musiziert wird, mag ebenfalls ein Zeichen sein, dass mit der Ära Luisi neue Klanghorizonte eröffnet werden, die Werke in neuem Licht erscheinen lassen und die Auseinandersetzung mit Altem wie Neuem fördern werden.

[Das Konzert wird heute bei MDR Figaro (Stream möglich) um 20 Uhr gesendet]

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