Montag, 9. April 2007

Entspannung durch Überlegung

Das "Freie Ensemble Dresden" im philharmonischen Kammerkonzert

Sinfonisch ging es zu beim 4. Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie. Das mag ein Widerspruch sein, saßen doch nur vier Musiker auf der Bühne - doch nahezu alle aufgeführten Werke des Abends hatten einen stark kontrapunktischen, dichten Charakter. Nicht ohne Grund hat ja auch Schönberg das jüngst erklungene Klavierquartett g-Moll von Johannes Brahms orchestriert. Am Ostersonntag erklang das 3. Klavierquartett c-Moll Opus 60 als Hauptwerk und Höhepunkt eines hochrangigen Kammermusikkonzertes. Begonnen hatte das "Freie Ensemble Dresden" mit einem der beiden Klavierquartette von Wolfgang Amadeus Mozart. Gerade in der Kammermusik dieses Komponisten zeigt sich, dass es einen "typischen" Mozart nicht gibt, im Es-Dur-Quartett überraschen immer wieder harmonisch kühne Wendungen, dazu ein lichter Finalsatz, der eher an Haydn gemahnt. Was die vier Musiker Gaetano d'Espinosa (Violine), Christina Biwank (Viola), Daniel Thiele (Cello) und Christoph Berner (Klavier) auszeichnet, ist ein überlegter Zugang zu allen Werken des Abends. Außerdem ist eine große gemeinsame Musizierhaltung zu bemerken, kein Primarius sticht hervor, sondern die Partituren stehen im Vordergrund des Interesses. Mozarts Quartett wurde eine reine Demonstration von Entspannung, alle Abschnitte des Werkes wurden aus der Ruhe gezeichnet, ein kultivierter, ausgehörter Klang herrschte vor. Das Quartett harmoniert so gut miteinander, dass exaltierte Grenzübertritte gar nicht notwendig sind, sondern sich aus dem Miteinander eher eine zwingende Gestaltung formt, die die Linie und den Fortgang der Musik betont, dadurch wurde etwa der langsame Mozart-Satz zu einem Schmuckstück. Christoph Berner fügt sich hier in die Klangwelt der Streicher optimal ein und präsentiert ebenfalls einen leicht perlenden Mozart-Klang, der im Kronensaal im Schloss Albrechtsberg gut trägt. An zweiter Stelle stand das Klavierquartett-Fragment von Gustav Mahler, ein ebenfalls "orchestral" wirkendes Werk, in welchem das Freie Ensemble Dresden die Dramaturgie vom Anfang bis zum Ende plastisch darstellte. Zu einem packenden Ereignis geriet die Entscheidung, Mahlers Skizze des 2. Satzes in der Bearbeitung durch Alfred Schnittke folgen zu lassen. Schnittke seziert die wenigen Takte Mahlers und formt einen eigenen, heftigen Kommentar daraus, der in vollgriffigen Klavierclustern und einem klangmalerischen Aufschrei des ganzen Ensembles kulminiert - aber genau diese Ausdrucksstärke und Übertreibung findet auch in Mahlers Scherzi Raum zur Entfaltung, insofern komponierte Schnittke nur konsequent. Nach den überschwänglichen Gesten erklang das Mahler-Fragment original und verschwand sogleich - vor allem durch die starken dynamischen Kontraste der vier Musiker gelang die Interpretation vorzüglich. Die kluge Formung einer Partitur bei beherztem Zugriff der Streicher setzte sich auch in der Brahms-Interpretation fort. Da hier nirgends "die Pferde durchgingen", was bei der drängenden Faktur der Brahms'schen Kammermusik oft allzu verständlich ist, konnte der Zuhörer alle vier Sätze optimal durchdringen. Überzeugend baute sich das Scherzo bis zum Schluss-Triller auf; der langsame Satz wurde zu einem gesanglichen Ereignis mit einem wunderbarem Cello-Solo, und das Finale war mit all seinen Abbrüchen und Anläufen als überaus leidenschaftliche Szene dargestellt. Dieses überaus geschlossen und intensiv musizierte Kammermusikkonzert der Philharmonie fand großen Beifall und wirkte nach.

Scary music

Varèse und Zappa in "Philharmoniker anders"

Dass diese hervorragende Konzertreihe der Dresdner Philharmonie überhaupt noch "anders" heißt, sollte schnellstens überdacht werden, denn rein von der Atmosphäre im Saal und vom Mut und Engagement der Musiker aus gesehen hat das mit einem "Ableger" der normalen Philharmoniekonzerte nichts mehr zu tun - die Reihe hat sich längst verselbständigt, der Alte Schlachthof ist stets gut besucht. Und so avancierte dort im Konzert am Sonnabend das Orchestergemälde "Amériques" von Edgard Varèse zum Kultstück, das Strawinskys "Sacre" maximal wie eine Gute-Nacht-Geschichte aussehen läßt. Erst recht begeistert konnte man von der fabelhaften Leistung der Philharmoniker sein, die unter Leitung von Roland Kluttig - ausgewiesener Spezialist vor allem in der zeitgenössischen Musik - nicht nur Phonstärken unter die Leute brachten, sondern auch die vielen Ebenen, rhythmischen Zellen und Wellen konsequent plastisch machten. Hier sei nur das Finale von "Amériques" genannt, in welchem Kluttig einen konsequent klaren Puls als Basis der verschiedenen klangfarblichen Ebenen aufrechterhielt und so die Apotheose wirklich bis zum Schluss spannend machte. Im Mittelpunkt des Konzertes standen jedoch drei Orchesterkompositionen von Frank Zappa - die Verbindung zu Varèse ist in vielen Passagen nahezu ohrenfällig. Überliefert ist die Geschichte, dass der junge Zappa von einer Varèse-Platte so überwältigt war, dass er mit dem Komponisten per Telefon Kontakt aufnahm. Außenseiter waren beide, dem Experiment zugeneigt ebenfalls, kritisch und zum Perfektionismus neigend auch. Das ist akribische Kunst - im Fall Zappa geht das allerdings nicht ohne untergründigen, eigenen Humor ab, der, wenn er sich wie in "Bogus Pomp" (etwa: "falsche Pracht") plötzlich Bahn bricht, jenseits von Platitüden meist eine andere, tiefere Ebene erreicht - "scary music" nannte Zappa dies selbst. Hollywood zieht dort in Schräglage vorüber, so manche Volksmusik und gar serielle Passagen lassen sich ausmachen, zum Schluss versinkt das Stück in Nikotinschwaden - Musik zum Sehen und Schmunzeln. Zappas Orchesterwerke würden kaum einer speziellen Ästhetik zuzuordnen sein - Zappa ist vielseitig und die Orchestrierungen sprechen eine eigene, starke Sprache. Und wenn "Bogus Pomp" vor dem vorzüglichen Solisten-Dramolett eine Weile klanglich ausfranst und zerfasert, so ist Zappa genau an diesen Stellen Varèse in der Ästhetik reiner Klang-Musik besonders nah. Kluttig nannte den Abend im Schlachthof mit Recht "Klang-Theater", denn die vielen Farben und Gesten sowohl in "Amériques" als auch in den Zappa-Werken sprechen für sich selbst. Schön, dass "Bogus Pomp" auf der einen Seite von der eher lichten Ballettmusik (zu der niemals jemand tanzte, aus gutem Grund) "Sad Jane" umrahmt wurde, auf der anderen Seite von "Strictly Genteel", wie "Bogus Pomp" ebenfalls ein Grenz-Stück einer stets auf der Kippe befindlichen Aussage. Zappa besaß Handwerk und Ideen genug, um große Orchesterpartituren niemals ins Banale oder gar Belanglose abgleiten zu lassen, der Grenzritt gelingt durchweg. Nicht nur für eine ganze Batterie von Schlagzeugern gab es am Samstag den "großen Auftritt", die Gleichberechtigung aller Instrumentalgruppen forderte in den Stücken von der Dresdner Philharmonie Äußerstes und die Musiker legten eine Spitzenleistung hin. Dem gleichzeitig mitreißenden, fordernden und kontrollierenden Dirigat Roland Kluttigs ist eine exzellente Darstellung dieser selten zu hörenden, reichlich genial zu nennenden Werke zu verdanken.

Spannende Leichtigkeit

7. Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie in der Kreuzkirche

In aller Welt ist die Dresdner Philharmonie ein geschätztes Orchester, doch dass das Ensemble innerhalb der eigenen Stadt zum "Reiseorchester" wird, ist ein ziemlich absurder Vorgang. Des Kulturpalastes beraubt, wird die Philharmonie ihre kommenden Konzerte in der Kreuzkirche und im Congress Center Dresden stattfinden lassen. Dass das Zustandekommen der Ausweichquartiere in so kurzer Zeit möglich war, dafür dankte Intendant Anselm Rose vor dem 7. Zykluskonzert ausdrücklich. Ebenso zeigte das "mitgereiste" Publikum in der Kreuzkirche durch seine Anwesenheit, dass es in dieser schwierigen Zeit bis nach der Sommerpause dem Ensemble die Treue hält. Konzertmeister Wolfgang Hentrich betonte außerdem, dass das Orchester dem Wunsch nach einem dauerhaften, geeigneten Konzertort in Dresden nachgehen werde. Dies streift wiederum absurde Gefilde: in welcher Stadt Deutschlands ruft ein an Traditionen reiches, städtisches Orchester nach einem "Konzertort"? 800 Jubeljahre Geschichte reichen wohl in Dresden nicht aus, um mit der Gegenwart fertig zu werden. Die Kreuzkirche bot für das erste Konzert nach der Schließung des Kulturpalastes ein Asyl, und das geänderte Programm begann gleich mit einem Stück, das sehr gut in den Raum passte - Arvo Pärts "Cantus in memoriam Benjamin Britten" für eine Glocke und Streichorchester. Das Orchester gestaltete den herabsinkenden Klangstrom sehr intensiv und zeigte einen satten Streicherklang. Der estnische Gastdirigent Kristjan Järvi hätte für den Kreuzkirchenraum ohne weiteres noch extremere Dynamik und ein etwas ruhigeres Tempo fordern können - zu schnell verschwand der Eindruck dieses tönernen Denkmals für den geschätzten Komponistenkollegen. Der durch die notwendige Programmänderung erfolgte Verlust der Skrjabin-Werke wurde mit einer echten Bereicherung aufgefangen - das 2. Klavierkonzert F-Dur Opus 102 von Dmitri Schostakowitsch erklingt selten in den Konzertsälen, in des Komponisten OEuvre scheint es in seinem aphoristischen Duktus wie ein verborgener Diamant. Dass der junge Pianist Florian Uhlig als Solist gewonnen werden konnte, entpuppte sich als ein Glücksfall, denn dieser fand genau den richtigen Tonfall für das Werk, den man nur mit "spannender Leichtigkeit" beschreiben kann. So spielte Uhlig die Ecksätze mit brillanter Rhythmik, aber eben in lockerer, fast schon entspannter Agogik, während er den langsamen 2. Satz wie eine einzige große Rede formulierte. Diesem Klangkünstler am Klavier hörte man gebannt zu und durfte sich dann noch über eine intelligente Zugabe freuen: Louis Moreau Gottschalks Komposition, die augenzwinkernd zwischen Liszt, Chopin und salonartigen Albumblättern hin- und her hüpfte, dürfte manchem Appetit auf diesen interessanten Komponisten gemacht haben. Das Orchester begleitete im Klavierkonzert gut, doch waren einige kleine Unstimmigkeiten im Temperament zwischen Solist und Dirigent zu merken. Was Uhlig vorne am Klavier vor allem im Bereich der Nuancierung deutlich gestaltete, hätte Järvi stärker auf das Orchester übertragen müssen. Das Schlusswerk des Konzertes war die so genannte "Fünfte Sinfonie" von Brahms, das von Arnold Schönberg für Orchester instrumentierte Klavierquartett g-Moll. Die virtuose Komposition gestalte Järvi vor allem im stringend formulierten 3. Satz überzeugend. Hier fand die Philharmonie zu einer für den schwierigen Raum exzellenten Klangkultur und stimmte die Klangkombinationen im Orchester hervorragend ab. Dem Orchester gab Järvi ansonsten viele motivierende Hinweise, doch fehlte mir an manchen Stellen ein größerer Spannungsbogen, der zwingende Fluss der Musik stellte sich nicht überall ein. Um dies zu erhalten, hätte Järvi den 2. Satz etwas ruhiger angehen und die Dynamik noch flexibler gestalten können. Das überschwängliche Finale lief dann nahezu von alleine, flottes Tempo und virtuoses Spiel mischten sich zu einem sehr guten Ausklang dieses ersten "Exilkonzertes".

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