Montag, 23. Juni 2014

In Schwung gespielt

Das "Kammerorchester ohne Dirigenten" im Klotzscher Sommerkonzert

Wenn sich Dresden gerne "Musikstadt" nennt, so sollte man dabei immer die Summe aller Musiker im Blick haben und nicht nur die Leuchttürme professionellen Musikschaffens. Dabei dürften einige tausend Menschen zusammenkommen, die in Orchestern, Chören, Ensembles und Bands ihrer Leidenschaft nachgehen und so in allen Vierteln der Stadt für ein lebendiges Musikleben sorgen. Nicht wenige dieser Ensembles können schon auf eine große Tradition zurückblicken und zeigen sich kontinuierlich im Konzertkalender. So wurde das "Kammerorchester ohne Dirigenten" bereits 1967 gegründet.

Was sich da im Ensemblenamen als Besonderheit offenbart, ist für die Musiker sicherlich schon Alltag geworden und das sommerliche Konzert in der Christuskirche Klotzsche zeigte nicht nur, dass diese ungewöhnliche Musizierform funktioniert, sie hält auch zum aufmerksamen Miteinander an. Wer in diesem Ensemble mitspielt, kann sich nicht verstecken, die Ohren sind in alle Richtungen offen. Zwar finden sich hinter einigen Pulten Mitglieder mit durchaus musikalischen Berufen, doch viele gehen auch einer "gewöhnlichen" Tätigkeit nach. Das gut besuchte Konzert wusste zu erfreuen, da man vier Werke ausgesucht hatte, die das Ensemble nicht überforderten, aber dennoch gute Vorbereitung und Fertigkeiten benötigten.

Georg Friedrich Händels Ouvertüre zur Oper "Alcina" war zu Beginn noch ein bißchen mit Aufregung behaftet, trotzdem gab man sich in den barocken Wassern stilsicher. Gleich zwei Solokonzerte standen auf dem Programm, mit dem ersten konnten die Zuhörer gleich einen recht unbekannten Dresdner Komponisten kennenlernen: Joseph Schubert war ein Zeitgenosse von Carl Maria von Weber und Bratschist in der Hofkapelle - sein Bratschenkonzert C-Dur schrieb er wohl zum eigenen Gebrauch. Urs Stiehler gestaltete den Solopart dieses eingängigen, dem Zeitgeschmack verpflichteten Werkes aus und unterstützte gleich danach wieder seine Kollegen bei der Ausführung von Ottorino Respighis Suite "Alte Arien und Tänze für die Laute" - ein schönes Beispiel der Bewahrung der frühen italienischen Barockmusik im neuen Streichorchestergewand.

Hier hatte sich das etwa fünfundzwanzigköpfige Ensemble richtig in Schwung gespielt - es war viel Verständnis für Klangfarben und den Rhythmus der alten Tänze vorhanden. Dennoch lohnte natürlich immer ein Blick zum Konzertmeister Olaf Spies, der sich aber das ganze Konzert über freundlich einordnete - nur zum Finale zeigte er sich selbst als Solist in Wolfgang Amadeus Mozarts Violinkonzert G-Dur, hier in reiner Streicherbesetzung aufgeführt. Es war das sicherlich anspruchsvollste Werk des Konzertes, und es wurde achtbar gemeistert - vielleicht finden sich ja auch beim nächsten Mal noch einige Bläser, die die Ambitionen des Kammerorchesters unterstützen.

Ernste Angelegenheit

Rachmaninow und Ravel bei der Dresdner Philharmonie

Irgendwann müssen sie alle hindurch: das 2. Klavierkonzert c-Moll von Sergej Rachmaninow ist für junge Pianisten im Konzert und in Wettbewerben meist ein erstes Glanzstück, bevor man sich an das ungleich diffizilere dritte herantraut. Für Rachmaninow selbst war es nach der einigen missglückten sinfonischen Experimenten der auch nach einer seelischen Krise dringend benötigte Durchbruch, wenngleich sich an Rachmaninows schmachtenden Melodien auch heute gern die Geister scheiden. Pianisten wissen viel damit anzufangen, gerade das 2. Klavierkonzert bietet reichlich Spielmaterial für eigene Auslegung und Emphase bestimmter Empfindungen.

Die venezolanische Pianistin Gabriela Montero war am Wochenende zu Gast bei der Dresdner Philharmonie - bei ihr wurde das Konzert interessanterweise zu einer recht ernsten Angelegenheit. Diese Nuance mag zwar aufgrund der Moll-Tonart einleuchtend erscheinen, doch man hat bei diesem Konzert viele eher dramatisch-vorpreschende Sichtweisen in Erinnerung. Um so aufmerksamer wurde man schon bei den einleitenden Takten, die Montero bedächtig und mit Sinn für die dunklen Klangfarben des Klaviers setzte - das wurde auch sogleich vom Orchester aufgenommen. Am Dirigentenpult war Stefan Solyom, amtierender Generalmusikdirektor in Weimar, für Alain Altinogru eingesprungen. Orchester und Solistin begaben sich in einen gegenseitig inspirierenden Dialog, wobei Monteros manchmal eigenwillige Atmung in einigen Phrasen höchste Aufmerksamkeit erforderte.

Mit der offenliegenden Virtuosität hatte Montero wenig Probleme, aber hier lag auch nicht ihr Hauptinteresse - dieser Rachmaninow war von viel Melancholie und fast untergründigem Schmerz geprägt; erst im dritten Satz kann sich ein aufbegehrender, zum Ende hin drängender Impetus durchsetzen. Wer Gabriela Montero kennt, dürfte gespannt die Zugabe erwartet haben - die Pianistin widmet sich schon lange der Improvisation und bezieht diese auch selbstverständlich in ihre Konzerte ein. Das Dresdner Publikum schien etwas überrascht von der plötzlichen Interaktion und so kam das Motiv schließlich aus dem Orchester: Über Beethovens "Schicksals"-Thema legte Montero quasi eine Bach-Busoni-Fantasie hin, die aufgrund der harmonischen Fortschreitungen und immer virtuoseren Verzierungen großen Beifall hervorrief. Nach dem Konzert gab Gabriela Montero im "Epilog" noch weitere Improvisationen zum Besten und verwandelte dabei beispielsweise den Klassiker "Yesterday" in ein südamerikanisches Klavierfeuerwerk.

Doch zuvor hatte die Dresdner Philharmonie noch ein gewaltiges sinfonisches Werk zu bewältigen: Das Ballett "Daphnis und Chloé" schrieb Maurice Ravel 1912 für Serge Diaghilews "Ballets Russes", für das auch Strawinskys "Le Sacre du Printemps" ein Jahr später entstand. Statt der beiden Suiten hatte die Philharmonie das komplette etwa einstündige Ballett, von Ravel "choreografische Sinfonie" betitelt, auf den Pulten liegen. Stefan Solyom schuf eine präzise, weitgehend auf sicheres Spiel bedachte Interpretation. Diese vermochte vor allem in vielen dramatischen Passagen zu überzeugen, jedoch änderte dies nichts an einer insgesamt etwas nüchternen Grundhaltung mit vielen das Werk zerstückelnden Generalpausen, außerdem wurde auch der von Ravel eingesetzte Vokalisen-Chor eingespart - schade. Beeindruckend war jedoch, wie die teilweise sehr schweren Solopassagen vor allem der Bläser gemeistert wurden, auch das Schlagwerk kam mit Solyoms klar organisierendem Dirigat gut zurecht. Letztlich fehlte der Aufführung ein Quentchen französischer Duft und damit die Bereitschaft zu einer leichten Übertreibung - in alle emotional denkbaren Richtungen.

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