Freitag, 1. Juni 2012

Ein Recital als Gesamtkunstwerk

Pierre-Laurent Aimard spielte Kurtág, Ligeti, Liszt und Schubert

Die Interpreten der Dresdner Musikfestspiele scheinen sich in diesem Jahrgang zu besonderen Höhenflügen bereiterklärt zu haben - anders läßt sich der exorbitant gute Klavierabend mit dem Franzosen Pierre-Laurent Aimard im Palais am Freitagabend nicht erklären. Aimard ist bekannt für sein intellektuell durchdrungenes Spiel, das Tradition und Gegenwart in einen inspirierenden Bezug setzt. So war es auch bei diesem Recital, in dem die Linie der Donauländer Österreich, Ungarn und Rumänien den äußerlichen Rahmen für ein weitreichendes musikalisches Spannungsfeld bildete.

Aimard ordnete die Komponisten György Kurtág, György Ligeti, Franz Schubert und Franz Liszt so geschickt aneinander, dass ein zweiteiliges musikalisches Gesamtkunstwerk entstand und den Hörern nach zwei Stunden Spieldauer einen seltenes Glücksgefühl vermittelte, wie stark doch Musik wirken kann, stellt man sich komplett in ihren Dienst und läßt die Stücke miteinander korrespondieren. So legte Aimard eine "dunkle" und eine "helle" Konzerthälfte an, gruppierte die aphorismenartigen Stücke aus Kurtágs "Játékok"-Zyklus so, dass eine fast philosophische Betrachtung zwischen Stille und Bewegung entstand.

Der erste Konzertteil war dem spielerischen, positiven Element gewidmet; Aimards Interpretation der ersten kleinen und kleinsten Stücke war bereits so tiefsinnig, dass man in eine Konzentration gezogen wurde, die sich dann bei den zerbrechlich-zarten Schubert-Walzern und Ländlern zögerlich auflöste und Liszt, von dem die "Wasserspiele" im ersten und der "Unstern" im zweiten Teil erklangen, in eine Umgebung verfrachtete, in der man ihm neu und unverkrampft begegnen konnte.

Als eine geistig-musikalische Zusammenfassung der Teile setzte Aimard jeweils drei Etüden von György Ligeti an das Ende, schuf nahtlose Übergänge auch in den Tonarten und Tonzentren und bearbeitete den Steinway in den Extremen der Lautstärken derart willensstark, dass einem beim Zuhören der Atem stockte. Auch in den extrem komplizierten Etüden waren die Korrespondenzen zu der Simplizität des Anfangs gegeben.

Aimard hielt eine wunderbare Spannung vor allem durch die Transparenz der Rhythmen und Tonlängen und einer nur fabelhaft zu nennenden Anschlagskultur. Auf diese Weise gelang es Aimard, die Hörer für die spannenden Werke der Zeitgenossen zu fesseln und gleichzeitig für das Neue im Alten zu öffnen. Musik kann kaum mehr leisten, eine Zugabe hätte dieses Kunstwerk auch nur beschädigt. Stark.

Trackback URL:
https://mehrlicht.twoday.net/stories/97043723/modTrackback

mehrLicht

Musik Kultur Dresden

Aktuelle Beiträge

Sie haben ihr Ziel erreicht.
Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, sie haben...
mehrLicht - 20. Jul, 12:04
Ein Sommer in New York...
Was für eine Überraschung, dieser Film. Der Uni-Professor...
mehrLicht - 19. Jul, 21:53
Sturmlauf zum Schlussakkord
Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche Auch...
mehrLicht - 14. Jul, 18:54
Wenn der "innere Dvořák"...
Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert Mit...
mehrLicht - 14. Jul, 18:53
Ohne Tiefgang
Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des...
mehrLicht - 14. Jul, 18:51
Sich in Tönen zu (ent-)äußern
Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader"...
mehrLicht - 14. Jul, 18:50
Chopins Cellowelten
Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta Für...
mehrLicht - 14. Jul, 18:48
Fest der Klangfarben
Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum Verklungen...
mehrLicht - 14. Jul, 18:46

Lesen!

Hören!

van anderen

Comeback des Schattenwolfs
…nachdem er vor 13000 Jahren ausgestorben war....
Kreidler - 19. Apr, 05:22
Roboterpferd
Wird die Pferdemädchen kaum überzeugen-
Kreidler - 18. Apr, 05:20
Wie man Keilschrift schrieb
How ancient Sumerian was written on clay tablets [image...
Kreidler - 17. Apr, 05:19
Fotos von Galaxien
#Natur new hubble image to cleanse the timeline [image...
Kreidler - 16. Apr, 05:18
Verbrauchertipp des Tages
Man wird davon besoffen [image or embed] — Johannes...
Kreidler - 15. Apr, 05:18
MARY
MARY (2025) Sigh, 3D print on acrylic glass 120 x...
Kreidler - 14. Apr, 05:18

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

stuff

PfalzStorch Bornheim Pinguin-Cam Antarktis
Conil de la Frontera
Kram Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Status

Online seit 7058 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


Dresden
hörendenkenschreiben
nuits sans nuit
Rezensionen
Weblog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren