Freitag, 4. Januar 2008

Eternity

Dieses Rauschen im Telefonhörer war von seltsamer Natur. Gleich nachdem er den Hörer abnahm, hörte er dieses leise Knistern, das er vom Radio kannte, wenn man die Frequenz auf der Mittelwelle zwischen den Sendern einstellte, wo keinerlei Radio empfangbar war, aber etwas, was den Begriff Äther akustisch formte, ihm Gewicht verlieh. Ein sanft flirrender Raum aus Knacksern, Rauschen, 3D-Tonmolekülen im Tanz des Nirgendwo. Das Rauschen hielt ihn am Hörer, wäre nur Nichts gewesen, er hätte sicher aufgelegt, aber dies war mehr als Nichts und umgab ihn augenblicklich. Er hörte hinein in die fraktalen Strukturen des Zirpens, Flötens und einiger hölzerner Tapser im Hintergrund. Töne gaben sich mit Geräuschen die Klinke in die Hand, Sinusschwingungen formten ruhige Bögen über dieses Tonnirwana, in das er sich hörend immer weiter hinein vertiefte. Die Außenwelt verschwand langsam, und seine Gedanken kreisten um dieses Rauschen. Woher kam der Anruf? Wer hatte ihm diese Kraterwelt aus Oszillationen bereitgestellt? Seine Hand umkrampfte den Hörer fester, er versuchte sich zu konzentrieren. Aus den eher nicht wesenhaft wirkenden Geräuschen kristallisierte sich nach und nach eine regelmäßige Bewegung, ein Hauchen, das er erst nach Minuten einer menschlichen Stimme zuordnen konnte. Doch dies war kein Atmen oder Hecheln, keine bekannte Regung. Ihm war, als sei er in einen ruhig daliegenden Menschen eingestiegen, dessen Atmung er nun von innen wahrnahm, ruhig hebend und senkend. Nah dabei und die Wärme des Körpers spürend und doch in der akustischen Wirkung unendlich fern, wie man einen Windhauch an einem Berghang spürt, den man gerade noch verfehlt. Aus unerfindlichen Gründen ließ man ihn teilhaben an diesem anderen Leben. War es überhaupt ein Leben? Hörte er über den so elend materiellen Telefonhörer nicht gerade in eine Mondlandschaft der Seelen hinein? Alle schienen anwesend, niemand sprach, nur die Geborgenheit der stetig präsenten Luftsäule vermittelte ihm die Botschaft: DU bist da, du bist angekommen, sei willkommen. Er schloß die Augen, schaltete die Welt ab. Die Geräuschplaneten umkreisten ihn immer sanfter und doch eindringlicher. In der Auflösung seiner Gedanken verwandelte sich der Hörer in ein Staubkorn, gleichzeitig fing seine Hand an zu brennen, als würden ihn die ostinaten Geräuschfiguren immer wieder, immer öfter stechen. Für Gedanken war keine Zeit mehr. Gleich einer Saltofigur eines Turmspringers wurde er in einer einzigen rasanten Bewegung in seine eigene Hand gesogen. Im Wohnungsflur pendelte die hörerlose Strippe des Telefons noch einige Male über dem Boden und stand dann still. Seine Reise hatte begonnen.

Original hier. Dort kann übrigens jeder schreiben, im Januar gibt es wieder neue Textanfänge für Geschichten!

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