Donnerstag, 19. November 2015

Keimende Zukunft und traditionelle Gesänge

Musikprojekt "Mekomot - Orte" gastierte mit Uraufführungen in der Neuen Synagoge Dresden

Ein außergewöhnliches Musikprojekt befindet sich seit Anfang Oktober auf einer Reise durch Mitteleuropa: "Orte - Mekomot" erkundet ehemalige und neue Synagogen in Deutschland und Polen und möchte diese Orte nicht nur in Erinnerung rufen, sondern sie auch mit neuer Musik erschließen, die eigens für das Projekt von fünf jüdischen Komponisten geschrieben wurde. Beziehungsreich und ungewöhnlich ist dieser Zugang, der aber für Besucher und Zuhörer viele Türen öffnet: zur jüdischen Kultur allgemein, zur Auseinandersetzung mit Tradition und Gegenwart, mit Sprache, Gottesdienstgebräuchen und vielem mehr.

Am Dienstag traf "Mekomot" zu seinem bereits dritten Konzert in der Dresdner Synagoge ein. Dieses Haus ist eine der wenigen neu gebauten und aktiven Synagogen in Deutschland, an anderen Orten sind die 1938 in der Pogromnacht zerstörten Gebäude anderen Nutzungen zugeführt worden oder bestehen als Mahn- und Gedenkmal und Begegnungsstätte. Eingebettet in die 19. Jüdische Woche Dresden fanden sich viele interessierte Zuhörer ein, die diese Inklangsetzung des Gottesdienstraumes miterlebten. Da alle Werke exklusiv für das Projekt entstanden und zudem ein Kantor (Assaf Levitin - der in beeindruckender Weise auch umfangreiche Gesangsaufgaben in den neuen Stücken bewältigte) mit dem Nachmittagsgebet "Minchah" im Synagogalgesang die Stücke einrahmte, entstand trotz der unterschiedlichen Handschriften ein gemeinsamer, intensiver Ausdruck.

Eine internationale Schar hervorragender Musiker hatte sich zusammengefunden, das Instrumentalensemble selbst war an den schon in der Bibel erwähnten Instrumenten ausgerichtet. Dies schuf einen spannenden Klangraum einer Archaik, die zeitenumspannend in ihrer großen Achtung der kulturellen Wurzeln erschien. Gleichzeitig werden die Musiker auf ihrer "Mekomot"-Reise viele unterschiedliche Räumlichkeiten erfahren und die - gleichen - Stücke so auch jedes Mal anders interpretiert werden und widerhallen. Bnaya Halperin-Kaddaris "El" setzte sich zu Beginn mit den Namen Gottes auseinander, drei Widderhörner (Schofar) formten den Nachhall dieser litaneiartigen Anrufung. Eres Holz beschäftigte sich mit dem Kaddisch-Gebet und setzte dem die Fassung des Amerikaners Allen Ginsberg gegenüber - Trauer als Grundzustand brach sich hier in einer nur als - authentische - Zumutung empfindbaren Klangeruption Bahn und ließ den Zuhörer einigermaßen atemlos zurück. Einen völlig anderen Zugang wählte Amit Gilutz, der den vierten Satz aus der 3. Sinfonie von Gustav Mahler Angela Merkels umstrittenen Äußerungen bei der Begegnung mit einem Palästinenserkind in Rostock im Juli 2015 unterlegte. "O Mensch gib acht!" contra "Politik ist manchmal hart" - dieser kompositorisch absichtsvolle Auffahrunfall war gelungen.

Amir Shpilman steuerte dann eine sinnliche Komponente mit "Resisim" bei, Zerbrochenes und Fragmentarisches in der Komposition wies in unterschiedlicher Beleuchtung des Gegenstandes eben auch auf Reste, auf "Verwertbares" oder neues Wachstum hin. Schließlich äußerte sich Sarah Nemtsov, gleichzeitig künstlerische Leiterin des Projektes, in einer Auseinandersetzung mit dem "Ashrei"-Gebet, einer Lobpreisung, die aber hier in rhythmisch entfesselter Art gebrochen erscheint. Das Stück war ein Lebenstanz, der für eine wechselvolle jüdische Geschichte ebenso stehen mag, wie für die Hoffnung, aus dem Neuen und Neuartigen Zukunft keimen zu lassen.


http://www.mekomot.de

Tiefgründiges "Happy Birthday"

Geburtstagskonzert des Dresdner Streichtrios im 2. Kammerabend der Staatskapelle Dresden

Als Musikstudent findet man schnell heraus, wer in seinem Studienjahr gerade ähnlich "tickt" und wer am Notenpult nebenan der musikalisch interessanteste Partner ist - daraus bilden sich oft vielversprechende Kammermusikformationen. Zu oft verstreut man sich jedoch dann in alle Winde, hat der Zauber des Beginns selten Bestand. Ob die drei jungen Musiker des Dresdner Streichtrios sich bei den ersten Konzerten 1995 vorgestellt haben, wie es wohl in 20 Jahren sein wird? Jörg Faßmann (Violine), Sebastian Herberg (Viola) und Michael Pfaender (Cello), schon 1995 in Solistenpositionen bei der Staatskapelle Dresden und beim MDR Sinfonieorchester tätig, hatten damals die Idee, die Gattung des Streichtrios mit ihrem gemeinsamen Spiel wiederzubeleben - und sie hatten einen langen und inspirativen Atem, der bis heute und hoffentlich noch weitere Jahre reicht.

So bildete das 2. Kammerkonzert der Staatskapelle Dresden einen würdigen Rahmen für das Geburtstagskonzert des Dresdner Streichtrios, mit dem die Musiker sich und die Zuhörer beschenkten. Statt einem opulent-partywürdigem Spektakel standen lediglich zwei Werke von Alfred Schnittke und Wolfgang Amadeus Mozart auf dem Programm, die aber sinnbildlich für den Charakter des Ensembles stehen und jedes für sich ohne Zweifel meisterlich zu nennen sind. Zwar war der Bezug auch gerade in Schnittkes 1985 entstandenen Streichtrio durch die Verarbeitung der Melodie von "Happy Birthday" gegeben, aber eine tiefgründigere, zuweilen auch dramatischere Würdigung eines Geburtstages ist kaum denkbar, ist doch dieses Werk in seiner Zerrissenheit zwischen Tradition und Gegenwart, zwischen Persönlichkeit und etwas, was als "common sense" vielleicht kulturelles Gemeingut darstellt, ein Dokument einer auch verzweifelten Suche nach Identität.

Das Dresdner Streichtrio brach hier mit den ersten Tönen eine Distanz zum Werk auf, schaffte es gar, dass man den großen Raum der Semperoper für Momente vergaß, weil man über die fragilen Linien sehr nah an den Kern der Musik vorgelassen wurde. So konnte sich sowohl die schubertsche Verlorenheit des 2. Satzes entfalten wie auch die plötzlichen, ebenso herausbrechenden wie versiegenden Höhepunkte: kurze Eruptionen, die im Brachialwalzer alles vom Tisch fegten, was mühevoll bis zu diesem Punkt erdacht wurde. Diese "Gratulation", die gleichzeitig ein starkes Statement für die faszinierende Musik des seit seinem Tod 1998 merkwürdigerweise von den Konzertplänen fast verschwundenen Schnittke war, beeindruckte sehr und hinterließ Interpreten wie Zuhörer bewegt in die Pause.

Dass auch monetäre Spannungszustände bei Künstlern oftmals besondere Werke hervorriefen, dafür gibt das Divertimento Es-Dur KV 563 von Wolfgang Amadeus Mozart ein Beispiel. Es ist ein Gipfelpunkt seiner Kammermusik, in welchem der Komponist in allen sechs Sätzen Reife und Persönlichkeit, aber eben auch die Fähigkeit zu genussvoller Unterhaltung demonstrierte - um letztlich seine Gönner zu überzeugen. Wenn bei Schnittke die Reife der Interpretation im stetigen Nachvollzug der zerklüfteten Partitur bestand, war es hier die ausufernde, aber niemals ins Parlieren geratende Leichtigkeit der Musik - mit deutlichem Schwerpunkt etwa auf den mit kaum Vibrato etwas entrückt vorgetragenen Moll-Variation des Andante oder der Dur-Spielfreudigkeit der Ecksätze.

Die besondere Klanglichkeit des Dresdner Streichtrios war an diesem Abend viel mehr als die Summe des individuellen Könnens - das Aufgehen in der gemeinsamen Sache erzeugt schlicht einmalige musikalische Erlebnisse. Statt Blumen gab es am Ende Johann Sebastian Bach - die Aria aus den "Goldberg-Variationen" war als Zugabe ein überaus klangschöner, beruhigender Ausklang.
(3.11.2015)

Donnerstag, 5. November 2015

Erlebnis Raumklang und Poesie

José María Sánchez-Verdú ist Composer-in-Residence der Dresdner Philharmonie

In Dresden ist der spanische Komponist José María Sánchez-Verdú (*1968) noch weitgehend unbekannt, bisherige Aufführungen seiner Werke hier sind nicht verzeichnet. Um so mehr ist man gespannt auf seine Musik, seit die Dresdner Philharmonie bekanntgegeben hat, dass der Künstler composer in residence der Saison 2015/2016 sein wird. In dieser Woche besucht der Komponist anlässlich der ersten Philharmonie-Aufführung am 7. November Dresden - und er nutzt diesen Besuch, um sich auch an der Musikhochschule Dresden vorzustellen: in Kooperation mit dem KlangNetz Dresden arbeitet er mit Kompositionsstudenten, ist Gast eines Workshops an der Hochschule und die Studenten werden ein Konzert mit Kammermusik von Sánchez-Verdú am Mittwochabend im Konzertsaal der Hochschule ausgestalten.

Der Komponist, der in Madrid und Frankfurt studiert hat und heute in Spanien und Deutschland lebt und lehrt, freut sich besonders auf seine Residenz in Dresden: "Kreative Projekte mit der Dresdner Philharmonie zu entwickeln ist für mich eine große Ehre. Die Arbeit verspricht eine sehr spannende Erfahrung zu werden, denn als Künstler versuche ich immer, eine musikalische Verbindung zwischen der Tradition und dem Neuen und Unbekannten herzustellen. Das ist ein Abenteuer, das uns gemeinsam in unerwartete poetische Sphären bringen wird." - Am Sonnabend steht die Deutsche Erstaufführung von Sánchez-Verdús "Libro del frío" (Buch der Kälte) auf Texte des spanischen Dichters Antonio Gamoneda (*1931) an, Simone Young wird die Aufführung leiten, Solist ist der spanische Countertenor Carlos Mena.

Das 2008 entstandene, etwa dreiviertelstündige Stück kann als Lied-Kantate beschrieben werden, doch der Komponist, dessen Interesse in der Vergangenheit vor allem musikalischen und szenischen Projekten mit Licht- und Raumdramaturgien galt, hebt noch weitere Ebenen der Komposition hervor: "Die Interaktion zwischen Raum, Musik, Akustik und Poesie (Stimme) sind Hauptbestandteile des "Libro del Frío", das für Countertenor, Orgel und 5 Orchestergruppen im Raum verteilt komponiert ist. Es ist ein musikalisches Experiment, den Raum, die Akustik und die poetischen Inhalte der Gedichte von Antonio Gamoneda (1931) zu erfahren." - So gibt sich die Frauenkirche, in der das "Libro del Frío" aufgeführt wird, als ein sehr passender Ort für das Werk - die Uraufführung fand in der Kathedrale von Léon in Spanien statt. Der Raumklang wird hier zu einer neuen Inschrift des Gedichtes werden und den Wortklang, den Nachhall und die Atmosphäre des Textes vervielfachen und spiegeln. Das Interdisziplinäre und das Erforschen neuer Ebenen mittels der Verbindung des bereits (scheinbar) Bekannten scheint ein roter Faden in Sánchez-Verdús OEuvre zu sein: "Immer mehr bilden Raum und Architektur, zusammen mit Geometrie, Abstraktion und gleichzeitig Energie und Tiefe die Hauptlinien meiner Arbeit. Eigentlich finde ich keinen Unterschied in der tieferen Substanz von Poesie, Musik, Malerei und Architektur."

Am Pulsschlag der Rezitation also wird sich das "Libro del Frío" verorten lassen und mit der Aufführung in Dresden einen neuen Ort erkunden. Mit der Dresdner Philharmonie sind noch zwei weitere, ganz neue Werke geplant, die Basis eines Diptychons (Doppelbildes) sein werden - die Titel KEMET "Schwarze Erde" und DESHERET "Rote Erde" weisen bereits darauf hin, aber auch auf die Beschäftigung des Komponisten mit arabischen und altägyptischen Kulturen. Diese Stücke werden von der Dresdner Philharmonie dann im Juni 2016 uraufgeführt.


José María Sánchez-Verdú in Dresden
Mittwoch, 4.11., 11.15 Hochschule für Musik, Kompositionsworkshop Raum W4.07

Mittwoch, 4.11., 19.30 Gesprächskonzert im Konzertsaal der Hochschule für Musik
10. Streichquartett "Barzaj", Hekkan I + II, Arquitecturas del límite
Studenten der Hochschule für Musik, Ltg. Jura Kravets, Moderation: Jörn Peter Hiekel

Sonnabend, 7.11., 20 Uhr Frauenkirche, "Libro del Frío"
Dresdner Philharmonie, Carlos Mena, Leitung: Simone Young

3. und 4.6.2016, Schlosskapelle "KEMET - Schwarze Erde" (UA), Dresdner Philharmonie, Leitung Andreas Spering

18. und 19.6.2016, Albertinum "DESHERET - Rote Erde" (UA), Dresdner Philharmonie, Leitung Michael Sanderling

Messerscharf und im Kern erfasst

Alan Gilbert und Frank Peter Zimmermann begeistern im 3. Kapellkonzert

Ganze sechs Jahre hat es gedauert, bis das Dresdner Publikum am Wochenende den amtierenden Chefdirigenten der New Yorker Philharmoniker, einem der besten Orchester der Welt, zum Debut bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden erleben durfte. Sicher waren die Terminkalender da im Spiel und die Wunschliste der Kapelle läßt sich bei den begrenzten Möglichkeiten der Sinfoniekonzerte nur langsam abarbeiten. Ganz unbekannt ist Gilbert indes in Dresden nicht, er gastierte mit seinem Orchester bereits zweimal zu den Musikfestspielen. Im 3. Sinfoniekonzert widmete er sich zunächst einer Komposition des aktuellen Capell-Compositeurs György Kurtág.

Ähnlich wie kürzlich im Aufführungsabend machte sich hier bemerkbar, dass die Wirkung dieser oft kaum zehnminütigen, aphoristischen Stücke angesichts der anschließenden Umbaupausen und einem folgenden sinfonischen Kontrastprogramm von ungleich größerer zeitlicher Gewichtung problematisch ist. Kurtág hilft dem Zuhörer da nicht - die Momentaufnahme gilt, und wer da noch nicht mit der Konzentration dabei ist, hat verloren.

Nicht ganz optimal gelang die Anordnung der Orchestergruppen von "Grabstein für Stephan" an verschiedenen Plätzen in den Rängen der Semperoper, ein wirklicher Raumklang stellte sich nicht ein. Dem Stück hätte ein deutlicher Wille zur Langsamkeit gutgetan - Gilbert setzte mehr auf Puls denn auf Meditation, und daher standen die einleitenden Gitarrenakkorde (Uwe Fink) eher verloren im Raum, als dass sie sich eindringlich entfalten durften. Trotzdem stellte sich vor allem durch die klangfarblich sensible Arbeit im Orchester nach einem explosiven Ausdruck des (Todes-)Entsetzens bald eine spannende, melancholisch-nachsinnende Aura ein.

In interessanter Nachbarschaft stand 2. Violinkonzert von Dmitri Schostakowitsch - dieses Spätwerk ist ein wenig der ungeliebte Bruder des so erfolgreichen 1. Konzertes, und doch ist es ein phänomenales Stück in seiner kargen, durchweg intensiven Klangsprache, die keinerlei Pomp und Äußerlichkeiten heranzieht. Dafür braucht es einen besonderen Solisten und kein besserer konnte gefunden sein als Frank Peter Zimmermann, dessen Blick auf die Noten von Anfang an verriet, dass hier ein unumkehrbarer, existenzieller Weg bis zum letzten Takt beschritten werden würde. So gab sich auch sein Spiel: mit unglaublich intensiver Steigerung im ersten, fahl-einsamem Gesang im zweiten und einer willensstarken, prägnanten Gestaltung im dritten. Das mahnte fast an die Oistrachsche Kultur der Unnachgiebigkeit des musikalischen Flusses und führte auch im von Gilbert aufmerksam bedachten Orchester zu einem Nachvollzug, der begeisterte.

Weil jede noch so kurze Phrase, jeder Einwurf und Dialog mit dem Orchester von Zimmermann und Gilbert im Kern erfasst waren, gelang eine Interpretation mit Höchstspannung, die vom Publikum bejubelt und von Frank Peter Zimmermann mit einer messerscharfen Bach-Zugabe beantwortet wurde. Mit Peter Tschaikowskys 4. Sinfonie f-Moll stand nach der Pause ein im Ausdruck insgesamt lichteres, wenngleich nicht weniger dramatisches Werk an. Alan Gilbert stellte das Stück vor allem als mitreißendes Meisterwerk heraus, indem er ein tolles Timing für die Tempoentwicklung in allen Sätzen zeigte. Ohne Stab und auswendig formte er mit den Händen immer wieder flexibel und mit viel Kontakt zu den einzelnen Musikern, was er hören wollte - besonders weiche kantable Linien und ein exakter, impulsgenauer Zugriff im Tutti waren die Folge. Gilberts spielfreudige Lesart verleitete die Kapelle zu Höchstleistungen, und im neuen Konzertzimmer der Oper gab es keinerlei Probleme, auch beim größten fortissimo im vierten Satz strahlenden Klang hervorzurufen: Debut gelungen, baldige Wiederkehr erhofft!

Traum CXI

Doppeltraum
1) ich spiele in einem Opernhaus "Eugen Onegin" mit, es ist Bühnenprobe, ich bin im Chor, wir sind Polizisten und haben nur einmal die Bühne zu überqueren. Ich habe eine russische Polizistenmütze auf. In der Garderobe begrüße ich Freude aus dem Opernchor. Die Probe gerät zu einem Desaster, nicht nur weil der Dirigent ausrastet ("Sind denn hier alle verrückt geworden?"), mir wird auch geraten, aufgrund der besonderen Akustik den letzten Ton wegzulassen. Meine Rolle weitet sich dann doch aus: ich sitze dann auf einem Publikumssitz, die Dame der weiblichen Hauptrolle ist Evelyn Herlitzius, die von einem Häscher gejagt wird. Sie kommt angelaufen, setzt sich neben mich, sie flüstert mir zu, "jetzt den linken Arm", ich lege den linken Arm um sie, daraufhin verschwindet sie, wird unsichtbar.
2) mal wieder ein Hotel, mal wieder Chor, irgendwas mit Abfahrt und Kofferpacken. Ich befinde mich im Zimmer von G. und seiner Freundin, der Raum ist von oben bis unten an allen vier Wänden mit Abwasch zugestellt, die Stimmung ist dennoch gelassen. Ich kündige an, mich noch eine halbe Stunde zurückzuziehen - in ein nun aufgeräumtes Zimmer, wo ich mich hinlege. Ich bin nicht alleine im Raum, kann aber nicht erkennen, wer die zweite Person ist.

Samstag, 24. Oktober 2015

Blick nach Rumänien

Uraufführungen von Doina Rotaru und Violeta Dinescu im Sinfonietta-Konzert

Bei der Fülle an Musik auf dieser Welt erscheint es seltsam, dass sich in den Konzertsälen ein Kanon mitteleuropäischer Musik herausgebildet hat, bei dem nur selten - und dann meist mit dem wörtlich zu nehmenden Begriff des Außergewöhnlichen einhergehend - Grenzen gesprengt und Horizonte erweitert werden. Für das Ensemble Sinfonietta Dresden ist das Besondere selbstverständlich - seit Jahren erkunden die Musiker nicht nur die zeitgenössische Musik in unserer direkten Umgebung, sondern widmen sich auch den musikalischen Landschaften in Osteuropa. Innerhalb der Reihe KlangNetz-Konzertreihe "An die Freunde" kam es am Donnerstagabend in Kooperation mit dem Deutschen Hygiene-Museum zu einer intensiven Begegnung mit der Musik in Rumänien.

Sinfonietta Dresden beschränkte sich nicht auf die bloße musikalische Darbietung - die beiden rumänischen Komponistinnen Doina Rotaru und Violeta Dinescu steuerten je eine Uraufführung bei und standen auch vor und nach dem Konzert zum Gespräch zur Verfügung - dazu lud Dirigentin Judith Kubitz am Ende des Konzertes zu rumänischem Rebensaft ein. Das war am Ende eine willkommene Abrundung eines musikalischen Abends, der sich auch musikalisch vollmundig und apart gab: George Enescus in seiner radikalen Einstimmigkeit einzigartiges "Prélude à l'unisson" aus dessen 1902 entstandener 1. Orchestersuite rahmte das Konzert, im Mittelpunkt stand Debussys berühmtes "Prélude à l'après-midi d'un faune" (1894) - Stücke, die für die beiden rumänischen Komponistinnen, die derselben Generation angehören, einen besondere Rolle in ihrem Schaffen spielen.

Doina Rotaru (*1951) lebt noch heute in Bukarest, während Violeta Dinescu (*1953) in den 80-er Jahren nach Deutschland übersiedelte. Was alle Kompositionen einte, war eine faszinierende Farbigkeit und Sinnlichkeit im Umgang mit sehr verschiedenen Orchesterbesetzungen - von der aus Bautzen stammenden Dirigentin Judith Kubitz wurde das höchst sorgfältig und mit viel Lebendigkeit zu überzeugendem Klangcharakter angeleitet. Doina Rotarus Ensemblestück "Centrifuga" etwa verlor auf diese Weise nie den leichten, spielerischen Charakter im Umgang mit Geschwindigkeiten und rotierenden Rhythmen.

Violeta Dinescus "Akrostichon" hingegen bildete sofort einen Kontrast in einer fast episch zu verstehenden, zerklüfteten und auch zeitlich gedehnten Klanglandschaft, deren Zusammenhang sich schwieriger erschloss. Stetig sah man sich mit neuen Tongebirgen konfrontiert, in der die phantasievoll auskomponierte Klangfläche dominierte. Wiederum erfrischend anders gab sich Dinescus Filmmusiksuite zu Friedrich Wilhelm Murnaus "Tabu" als Beweis, dass sich zeitgenössisches Musikdenken und eine handwerklich sauber zu absolvierende Begleitmusik nicht ausschließen. Im an Höhepunkten reichen Konzertabend war das in seinen Zeitmaßen sehr kompakt komponierte Klarinettenkonzert von Doina Rotaru "Fragile II" eindrucksvoll in einer stark emotionalen Interpretation, die vom Solisten Emil Visenescu ausging und sich sofort auf das feinsinnig musizierende Ensemble übertrug.

Danach hatte es Enescus wiederholtes "Prélude" leicht und klang plötzlich ganz anders als bei der ersten Runde: Was zu Beginn noch neu und fremd war, klang auf den gleichen Saiten gespielt anderthalb Stunden später viel vertrauter. Man hatte Freundschaft geschlossen mit der erfindungsreichen, den Melos und die eigene Tradition nie vergessenden rumänischen Musikkultur.

Musik bewahren und zugänglich machen

Das Deutsche Komponistenarchiv in Hellerau wird zehn Jahre alt

"Meine Zeit wird kommen." formulierte Gustav Mahler einst und er hatte Recht behalten. Ob sich Mahler beim Verfassen dieses Satzes in einem Brief an seine Frau Alma darüber Gedanken gemacht hat, was mit seinen vielen Noten und Skizzen, Briefen und Entwürfen einst geschehen wird? Er dürfte Glück gehabt haben - das Zusammenspiel von Verlagen, Archiven und Bibliotheken ermöglicht heute den tiefen Einblick in sein Musikdenken. Doch nicht jeder Fall ist so einfach: oft landen Nachlässe auf Dachböden, hat sich der Komponist selbst gar nicht zu Lebzeiten um seine kiloschweren Partituren gekümmert und eine Aufbereitung fällt erst recht schwer, wenn Rechte, Erben und ein in alle Welt verstreutes Material zu berücksichtigen sind.

Den Handlungsbedarf für die Gründung eines Deutschen Musikarchives sah Komponist Harald Banter, Mitglied des GEMA-Aufsichtsrates, als er selbst Materialien seines Freundes Georg Haentzschel, einem der großen Komponisten im UFA-Filmgeschäft in den 30er- und 40er-Jahren, erhielt. Es sollte ein Archiv entstehen, das allen bedeutenden deutschen Komponisten offensteht, gleich in welchem Genre sie tätig waren oder sind. Das Deutsche Komponistenarchiv wurde 2005 mit Förderung der GEMA-Stiftung gegründet - und befindet sich in institutionell fester Eingliederung im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau in Dresden. Wenn jetzt das zehnjährige Bestehen gefeiert wird, ist der Blick auf die vergangene Zeit relativ zu sehen, denn ein solches Archiv, das in der Bewahrung der Komponistennachlässe sozusagen eine Art musikalisches Gedächtnis bildet, hat natürlich immer die Ewigkeit im Blick.

Danach richtet sich auch die professionelle Ausrichtung, die in Hellerau verfolgt wird, denn die Handschriften und Noten sollen natürlich auch in ferner Zukunft noch verfügbar sein. Um die Aufnahme, Archivierung und Pflege kümmert sich die Leiterin des Archivs, Julia Landsberg. Vor Ort nimmt sie Wünsche der Einsicht in die Manuskripte, Tonträger, Rezensionen und Korrespondenzen entgegen - es stehen auch kontinuierlich zu übergebende, künftige Nachlässe auf der Warteliste. Das Interesse wiederum wächst mit der Bedeutung des Archivs, das aber schon jetzt wichtige Anlaufadresse für Musikwissenschaftler, Biografen oder Dirigenten ist: Nachlässe von über 30 Komponisten lagern im Archiv, darunter Filmmusikkomponisten wie Hans-Martin Majewski ("Menschen im Hotel") oder Rolf Alexander Wilhelm, der die Musik zu Filmen von Loriot schrieb. Der erst kürzlich verstorbene, im Osten berühmte Musical-Komponist Gerd Natschinski übereignete seine Kompositionen dem Archiv ebenso wie der Geiger Helmut Zacharias oder die Komponisten Ernest Sauter und Karl-Gottfried Brunotte.

Am heutigen Montag wird in Hellerau gefeiert: in der Festveranstaltung zum Zehnjährigen Bestehen wird nicht nur in Beständen gestöbert und die Bedeutung des Archivs gewürdigt, sondern es werden auch Werke von Ernest Sauter, Karl-Gottfried Brunotte, Norbert Schultze und Gerd Natschinski erklingen - so erfüllt das Deutsche Komponistenarchiv an diesem Abend eines seiner wesentlichen Ziele: die Musik zu bewahren, und sie wieder zum Klingen und damit in die Erinnerung zu bringen.
(19.10.2015)

Poetisches Gedenken

Landesjugendorchester Sachsen im Konzert mit Werken von Paul Aron, Iris ter Schiphorst und Robert Schumann

Zweimal im Jahr lädt das Landesjugendorchester Sachsen in Dresden zum Konzert ein und stellt die zuvor in einer Projektphase erarbeiteten Werke vor. Doch was sich dann im zweistündigen Konzertabend manifestiert, geht weit über das bloße Präsentieren eines Ergebnisstandes hinaus. Der künstlerische Leiter Milko Kersten prägt seit fünfzehn Jahren das Ensemble und zeichnet verantwortlich für Projekte mit alter und neuer Musik - das Sprengen der Grenzen zwischen den Künsten und Stilen ist ihm nicht nur vertraut, die Offenheit und der Bezugsreichtum zeigt sich auch immer wieder im Enthusiasmus der Jugendlichen - die Projektwochen vor den Abschlusskonzerten geraten intensiv.

Auch das Konzert am Sonnabend war eines, das an keiner Stelle das bloße Musizieren und Repertoireaneignen zum Ziel hatte. Die Musik wies direkt in unsere Gegenwart hinein und die Konfrontation mit aktuellen Themen, die uns in Dresden und in Europa derzeit bewegen, war unumgänglich und beabsichtigt. Sie geschah auf eine künstlerische Weise, die das Experiment in den Vordergrund stellte und damit auch nicht von vornherein bestimmte Antworten zu geben bereit war. Im Mittelpunkt stand bei "In Memoriam" ein poetisches Gedenken an die Pogromnacht 1938, die sich am 9. November jährt. Mit diesem Motto gestaltete das Landesjugendorchester Sachsen einen offenen, interdisziplinären Raum zwischen Musik, Theater und Poesie.

Beispielhaft für die Schicksale der NS-Zeit stand in diesem Konzert die Erinnerung an den 1886 in Dresden geborenen Musiker und Komponisten Paul Aron, der zwischen den Weltkriegen über 200 Werke zeitgenössischer Komponisten in seiner eigenen Konzertreihe aufführte und maßgeblich zum Musikleben der Stadt beitrug, eher er bereits 1933 ins Exil in die Tschechoslowakei und später in die USA gehen musste. Man muss dem Landesjugendorchester höchst dankbar sein, dass es gleich zwei Werke des Komponisten wieder zu Gehör brachte - die "Four Ostinatos" (in der Orchestrierung von Milko Kersten) erwiesen sich in der stilistischen Farbigkeit der dreißiger Jahre ebenso als Entdeckung wie die drei Lieder auf Texte von William Butler Yeats, die die Sopranistin Salome Kammer mit warmem Timbre in ihrem poetischen, oft kammermusikalisch anmutenden Raum beließ. Poesie oder der Versuch, sich mit Worten dem oft Unaussprechlichen zu nähern (was eben auch die Musik zu leisten vermag, darin besteht ihre faszinierende Nähe), bildete einen roten Faden des Konzertes.

Von der in diesem Jahr mit dem Ingeborg-Bachmannpreis ausgezeichnete Lyrikerin Nora Gomringer sprach die Schauspielerin Karina Plachetka (Staatsschauspiel Dresden) Texte, die der Musik eine weitere Ebene hinzufügte, Nachdenken und Nachsinnen ermöglichte, ohne bloß das Erklungene verbal zu bebildern. Hinzu kam eine Uraufführung der Komponistin Iris ter Schiphorst mit dem Titel "An den Stränden der Ruhe..., wo die Sonne untergeht". Auch dies war Wort-Klang-Collage, die sich hier explizit auf die politische Gegenwart der Flüchtenden im Mittelmeerraum bezog - die nun mit Masken spielenden Orchestermusiker spiegelten Schicksale der Unbekannten, wie überhaupt hier mit von den Jugendlichen hervorragend umgesetzten, bedrohlichen Klängen und theatralischen Aktionen bald eine Atmosphäre entstand, die vom Kunstmachen bald in die Dramatik einer Dokumentation des Tatsächlichen kippte. Das war als Konzerterlebnis gleichzeitig eine einzigartige, vielleicht widersprüchliche, aber vor allem aufwühlende Erfahrung. Wenn ein Wunsch offenblieb, dann der, dass man die Texte Gomringers oder die in ter Schiphorsts Werk skandierten, akustisch nicht verständlichen Worte gerne noch einmal nachgelesen hätte, was das Programmheft nicht anbot.

Dass im zweiten Teil des Konzertes Robert Schumanns 1. Sinfonie B-Dur, die "Frühlingssinfonie", nun mit deutlich helleren Texten von Gomringer verknüpft, erklang, war nach diesem aufrüttelnden ersten Konzertteil ein schroffer Kontrast. Hier war noch einmal hohe Konzentration gefragt, denn auch dieses scheinbar bekannte Werk will erst einmal zusammengesetzt sein. Doch weniger als die letzte Präzision gelang ausgerechnet mit diesem von den jungen Musikern mit viel Kraft und Lebendigkeit angefüllten Stück der Blick nach vorn, der bei allem Erinnern unabdingbar ist. Und dieser Blick darf auch ruhig einmal das Wagnis, die Vorwitzigkeit, das kleine Scheitern und den maximalen, überraschenden Erfolg beinhalten - sonst wäre die Kunst kalt und tot.
(18.10.2015)

Traum CX

Bin in einem Haus mit 10 anderen und einem Killer. Dieser hat angekündigt, sechs von uns erschießen zu müssen. Große Angst bei allem, der Typ prüft von jedem Unterlagen und Papiere und legt fest, wer erschossen wird. Als Grund gibt er z. B. an, dass in den Unterlagen Plakate mit Autogrammen dabei sind. Die Signaturen sind kyrillisch, es ist neben einer Choristin auch jemand aus Russland dabei. Ich sorge mich zunächst, dass es das wohl war mit mir, das wandelt sich aber im Laufe des Traums und ich bin mir sehr sicher, dass ich überleben werde. In den letzten "Einstellungen" des Traums schaue ich von außen auf das Haus, es ist ein freistehendes, etwa vierstöckiges Gebäude aus Backsteinen. Mir ist unklar, wie wir dort rauskommen sollen, es scheint aber verborgene Gänge zu geben. Die Erschießung selbst ist nicht Bestandteil des Traums.

Montag, 12. Oktober 2015

Traum CIX

zweiteiliger Traum (10. auf 11.10.): zunächst eine Orchester-Uraufführung von T.A., von M.K. dirigiert, in einem Konzert auf einer Open-Air-Bühne. Im Wortsinne ver-rücktes Setting der Veranstaltung: die Bühne befand sich (innerhalb einer Stadt auf einem Platz) weiter unten, dazwischen kam ein große Straßen-Baustelle mit Zäunen und Erde, weiter oben eine Zuschauertribüne, die rechtwinklig zur Konzertbühne aufgebaut war, man musste also den Kopf schräg nach links drehen, um hinten in der Ferne hinter der Baustelle die Bühne wahrzunehmen. Als wir alle saßen, nahmen wir erst wahr, dass irgendwas nicht stimmen könnte (neben mir saß U.-M.) und ich machte mich auf zur Bühne und stolperte durch die Baustelle hinunter. Hier aber Ende dieses Teils.
Im zweiten Teil bin ich beim Arzt und es gibt eine Untersuchung, die in einem Labor auf der anderen Seite des Hausflurs stattfinden soll. Alle zu untersuchenden Patienten gehen hinein, doch der Boxer, der am Ende der Schlange auch hineinwill, muss leider draußenbleiben. Es ist unklar, ob ich einer der Patienten bin oder der Arzt, was wahrscheinlicher ist, weil ich nicht in das Labor hineingehe, sondern alle Patienten samt (meinem?) Hund dabei beobachte.
In dieser Nacht muss ich gesprochen haben (nicht bewusst mit einem der beiden Träume), und zwar in Hochdeutsch - also klar und deutlich - den Satz "Lass uns jetzt nach draußen gehen."

Dienstag, 6. Oktober 2015

Alles kreist

Opera Spaziale "Copernicus" von Oliver Korte in Hellerau uraufgeführt

Der Astronom Nikolaus Kopernikus tat vielleicht gut daran, erst kurz vor seinem Tod 1543 seine Schrift "Über die Umläufe der Himmelskreise" zu veröffentlichen, nicht nur, weil einige Gedanken zu der Zeit noch hypothetischer Natur sein mussten, sondern weil ihm möglicherweise die Erschütterung des bis dahin vorherrschenden geozentrischen Weltbildes bewusst war. Galileo, Kepler und Newton setzten die naturwissenschaftlichen Annahmen fort, mittlerweile untersuchen wir schwarze Löcher und Unendlichkeiten.

Und immer noch enthält uns das Universum viele Antworten vor. Der Ansatz der neuen Oper von Oliver Korte, die am Sonnabend von den Landesbühnen Sachsen in Kooperation mit dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau im Festspielhaus Hellerau uraufgeführt wurde, liegt aber vor allem in der Gemengelage der Wissenschaften in der Renaissance, in der sich Geistes- und Naturwissenschaften durchdrangen und von verschiedenen Anknüpfungspunkten aus eine Neuzeit proklamiert wurde, deren Dynamik bis heute nichts von ihrer Faszination verloren hat.

Weniger als retrograde Renaissance-Oper gemeint konzentrierte sich Oliver Korte auf himmlische Sphären und den Statements großer Denker dazu: seine "Opera Spaziale" nimmt den Raum wörtlich: als Himmelsraum, als Gedankenraum, als musikalischen Raum. In der zweistündigen, fünfaktigen Darstellung beeindruckte die konsequente Umsetzung dieses Ansatzes. Das Orchester nimmt elliptisch um das Publikum angeordnet planetäre Aufgaben war, die Bläser werden gar zu Wandelsternen und tönen mal von Nordost, mal von Südwest. Eine Handlung findet nicht statt, vielmehr stellt Korte Kopernikus' Thesen im ersten Akt in den - wörtlichen - Raum und konfrontiert sie mit den Folgen.

Eine wesentliche Problematik des Stückes entsteht daraus, dass Korte in fast allen Akten das Publikum mit einer wenig reflektierten und auch kaum bearbeiteten Textmasse konfrontiert, die zwar einen netten Renaissance-Bilderbogen mit Einschüben von Shakespeare über Einstein bis zu Thomas Bernhardt anbietet, aber den Zuhörer ansonsten hoffnungslos alleine läßt. Man vergräbt sich gleichsam einen Abend lang in einer riesigen Bibliothek weiser Worte aus allen Zeiten, die Korte dann auch noch dupliziert: Was der Sänger lateinisch singt, wird deutsch nachgesprochen. Ein tieferer Sinn dieser Untertitelung ergibt sich nicht. Szenisch werden die von Korte sorgsam angebotenen kompositorischen Formen auch nicht gerettet.

Jan Michael Horstmann dirigiert sonnengleich vom Zentrum aus die hervorragend musizierenden Elblandphilharmonie-Himmelskörper und hat auch die Regie übernommen. Doch die beiden Gesangssolisten (Stephanie Krone und Kazuhisa Kurumada mit überzeugend dargebotenen, umfassenden Hauptpartien) muss mit Sprechern (Sarah Bauer, Utz Pannike, Manuel Schöbel) und Chorquartett ein ums andere Mal in der Mitte der Bühne um Laute, Harfe und Dirigent auf einem engen Podest herumschleichen, um Pest, Inquisition, Liebesduett und Madrigal zu deklamieren. Handlung, Geste und Bedeutung wurde dem Stück immer wieder aufgepfropft, wo man sich doch als Zuhörer eigentlich irgendwo in den Textblättern so schön seltsam verloren findet und eine traumwandlerische, zutiefst künstlerische Abstraktion dieser vielen Überlegungen und Prophezeiungen viel mehr dran wäre als ein bemühtes Theaterspiel.

An den Wänden laufen dazu Videos, besser: es ist eine Art uninspiriertes VJing, was erst im 5. Akt mit dem Sphärenhimmel der Villa Stuck eine gewisse phantastische Ebene erreicht - davon, und vor allem von Gefühl, Visionen und einer Botschaft kam zu wenig an. Trotz der wandelnden Bläser herrschte durchweg eine Arbeitsatmosphäre, und wenn im Text von Blut die Rede war, kam der rote Scheinwerfer zum Einsatz. Die visuellen Möglichkeiten blieben in Hellerau seltsam ungenutzt, und es entstand der Eindruck, dass der wohl immense musikalische Aufwand der Vorbereitung bei anderen Ebenen zu zu einfach gedachten Lösungen führte. Wegträumen durfte man sich hingegen bei Kortes teilweise kongenial komponierter Musik, etwa dem Madrigal (Antje Kahn, Patrizia Häusermann, Peter Diebschlag und Bojan Heyn) zur Inquisition des Giordano Bruno am Ende des vierten Aktes. Manches ist in Kortes Musik polystilistisch, erinnert an Messiaen oder Schostakowitsch, bekommt aber eine starke eigene Handschrift, weil Korte sich in den durch das Thema vorgegebenen Formen diszipliniert und dadurch spannende Raum-Musiken erfindet, die die Musiker höchst aufmerksam im ganzen Saal verteilt umsetzen.

Wenn Korte die Musik am Ende in pulsarisches Pochen auflöst (und selbst die akustischen Signale der Mondlandung erscheinen im Kontext historistisch), verschwinden all die in Jahrhunderten mit großen Gedanken erstellten schweren Bücher, Pamphlete und Thesen im All. Eine plausible, schöne Vorstellung, die uns aber das weitere Nachdenken nicht nehmen sollte. Allein das 21. Jahrhundert, die Gegenwart, blieb in dieser vornehmlich akademisch wirkenden Himmels- und Erdenschau seltsam unberücksichtigt - vielleicht sind die Kopernikusse unserer Zeit rar geworden?

Weitere Termine: 9., 10.10., 5. und 6.3. -> Hellerau

Samstag, 3. Oktober 2015

Traum CVIII

Meine Gesprächspartner liegen bereits unter dem Tisch. Alkohol und Schweiß. -- Wir ziehen um.

Traum CVII

Auf Reisen mit S. und dem Chor (was nicht zusammengeht). Glückliche Zeit. Verirrungen lösen sich auf (ich helfe).

Dienstag, 29. September 2015

Konsequent kompromisslos

Gustav Mahlers 6. Sinfonie a-Moll im 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle

Sicher, dieser Sonntagvormittag im September besaß - zumindest vor dem Konzertbeginn um elf Uhr - einen anderen, lichteren Grundklang und man benötigte eine gewisse Offenheit, um im Konzert einem Werk wie der 6. Sinfonie von Gustav Mahler zu begegnen, die einem schonungslos in vier Sätzen in Musik gegossene Abgründe menschlichen Daseins präsentiert - auch 109 Jahre nach der Uraufführung ist die Modernität und Emotionalität dieses Werkes schon nach wenigen Takten evident. Dennoch erklärt dies nicht die etwas gelichteten Reihen beim 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden, über die man sich nur wundern muss.

Der Erste Gastdirigent des Orchesters, der koreanische Dirigent Myung-Whun Chung, setzte mit der Sechsten seinen über mehrere Jahre angelegten Mahler-Zyklus fort und schuf auswendig dirigierend eine nachhaltig bewegende Interpretation. Nach der 4. Sinfonie in der letzten Saison hätte man vermuten können, auch dieses Werk bekäme von Chung einen weltlich-gnädigen Tupfer, doch hier regieren andere Mächte: der zwingende und energische Beginn Chungs mit dem Marsch-Thema des 1. Satzes legte die Gangart für die gesamte Sinfonie fest. Flexibilitäten im Tempo erlaubte sich Chung nur auf der Basis des einen großen Zusammenhang stiftenden, stets leicht nach vorne drängenden Grundtempos. Die wenigen piano-Stellen des 1. Satzes mit ihrer Kuhglocken-Fernwelt erreichten so einen hohlen, von bizarrer Einsamkeit geprägten Ausdruck.

Gerade die klangfarbliche Ebene spielt in der 6. Sinfonie eine besondere Rolle, und Chung schaffte es hier und in dem an zweiter Stelle platzierten Scherzo, mit den spielerischen Qualitäten der Kapellmusiker vor allem die scharf geschnittenen Übergänge zwischen gegensätzlichen Stimmungswelten wie Marsch und Ländler überzeugend zu zeichnen - die beiden ersten Sätze wirkten so wie aus einem Guss und gleichermaßen kraftvoll wie unglücksahnend. Eine Sonderstellung nimmt im Werk und auch in Chungs Interpretation der 3. Satz ein. Sorgsam wurden in diesem Andante Moderato die Streicher geführt; warme und dunkle Farben überwogen in diesem nicht beruhigenden, sondern eher gedanklich wegschweifendem Satz, den Chung in den Höhepunkten im letzten Drittel zu einem in einem einzigen Bogen schwingenden ernsten Gesang ausformte. Die hier zu bewundernde Homogenität des gesamten Ensembles wurde zu einem Höhepunkt der Aufführung und von Chung auch bewusst geformt als kantable, dennoch mit schmerzlichem Ausdruck versehene Insel innerhalb der sinfonischen Höllenfahrt.

Letztere wurde mit dem Finale fortgesetzt, das eine Geröllwüste aus musikalischen Fetzen aller Sätze darbietet. In der Rezeption ist dieser Satz wie die ganze Sinfonie bis heute mit teils wunderlichen Geschichten aus Mahlers Psyche, philosophischen Exkursen und Deutungen umgeben, um am Ende doch bei der Musik selbst und der schlichten Frage, was ihn da bloß geritten hat, zu landen - das Ende aller Deutungsversuche scheint erreicht, die Musik ist ohnehin wichtiger, sie bohrt sich ins Ohr. Neben der Satzreihenfolge, die Mahler selbst länger beschäftigte, wird auch die Diskussion über die Anzahl der Hammerschläge im letzten Satz mit jeder neuen Aufführung fortgesetzt. Chung entschied sich für die Version mit dem dritten, "vernichtenden" Schlag in der Coda - andere Dirigenten bevorzugen zwei Hammerschläge, aus Urschriften werden gar fünf herauszitiert. Doch weniger als Chiffren und Rätsel zeigte Chung den Zuhörern schlicht das sinfonische Meisterwerk, das offen vor uns liegt und in kompromissloser Konsequenz sowie mit blitzartiger Aufmerksamkeit von den Kapellmusikern umgesetzt wurde. Gewohnt bescheiden und freundlich seinen Musikern dankend, nahm Chung nach diesem viele Dimensionen sprengenden Werk einen sehr verdienten, großen Applaus entgegen.

Fragmente, Schattierungen und ein sinfonisches Kleinod

Kurtág, Ligeti und Haydn im 1. Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle

György Kurtág ist der neue Capell-Compositeur der gerade begonnenen Saison der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Der 1926 geborene ungarische Komponist gilt als eine der großen Stimmen des 20. Jahrhunderts, und doch ist er vergleichsweise selten in Konzerten zu hören. Trotz eines umfangreichen OEuvres stellt es auch eine Schwierigkeit dar, diese besondere Musik anderer gegenüberzustellen, einen passenden Rahmen zur Entfaltung zu wählen, wo doch - das wurde auch im 1. Aufführungsabend der Staatskapelle am Mittwoch deutlich - die Stücke sich üblichen Kategorien entziehen. Kurtágs Werke sind beziehungsreich, manchmal gar verrätselt miteinander verbunden, sie verbleiben oft im Fragmentarischen, Aphoristischen und stellen einen flüchtigen Gedanken, einen Moment in den Vordergrund.

Selbst dieser ist oft mehrschichtig, schattiert oder von derart pastellener Farbe, dass sich das Ohr in einem Zwischenraum des Hörens und Verstehens bewegt. Das vierminütige Stück "Merran's Dream" aus den "Neuen Botschaften" für Orchester ist so ein Werk, das wie ein verwirbeltes Notenblatt kurz eine - allerdings enorme - Aufmerksamkeit benötigt, aber dann schon wieder verweht wird. Ungünstig wirkte sich aus, dass das danach folgende Stück eine ganz andere Besetzung hatte, somit die Umbaupause gleichsam zeitlich ähnlichen Umfang wie das Werk selbst besaß und jegliche Art von Atmosphäre, die schon der leider obligate Schmuckvorhang der Oper für dieses Konzert nicht ausstrahlt, zunichte machte. Ein Konzentrationsraum für diese Spuren von Vergänglichkeit wäre schön gewesen, ebenso eine ganze Konzerthälfte Kurtág, um zunächst mit der Musik und dem Komponisten vertraut zu machen.

Mit den "Brefs Messages" erklangen im neunköpfigen gemischten Ensemble dann vier ebenso kurze Sätze, die etwas mehr strukturelle Entwicklung, gar Abwechslung aufwiesen - mehr als ein kurzer Lichtstrahl auf den kurtágschen Kosmos gelang hier aber nicht; freundlichen Applaus für die Kapellisten, kompetent und klar angeleitet vom neuen Musikdirektor des Orchestre Philharmonique de Luxembourg, Gustavo Gimenez, gab es trotzdem.

Dieser steigerte sich beim folgenden Konzertwerk, dem "Hamburgischen Konzert" für Horn und Kammerorchester von György Ligeti, deutlich, und das war einer hervorragenden Leistung des Ensembles, dem in allen Registern und Spielarten äußerst versiert agierenden Solisten Jochen Ubbelohde (Horn) und den vier unterschiedlich gestimmten Naturhörnern im Orchester zu verdanken - daraus erwuchs beinahe ein Hornquintettkonzert. Deutlicher spürbar als bei Kurtág setzt Ligeti hier in seinem im Jahr 1999 geschriebenen Werk auf traditionelle Kompositionsformen, die in komprimierter Setzweise zumeist heftig ins Extrem getrieben werden. Mit einer klassischen Sinfonie im zweiten Teil des Konzertes deutete sich Kontrast an, doch die 94. Sinfonie "Mit dem Paukenschlag" von Joseph Haydn war in diesem Zusammenhang klug gewählt, stellen die einzelnen Satzformen bei Haydn doch wahre Kleinode dar, die ebenso punktgenau gespielt werden müssen, um die optimale Wirkung zu erzielen.

Das gelang Gimeno vortrefflich, nach dem borstigen ersten Satz besaß der berühmte Paukenschlag-Satz ein gutes Maß an eleganter Naivität, und Menuett und Finale wirbelten eher im Presto denn Allegro vorbei, was aber die Spielfreude und Wirkung erhöhte. Gimeno brauchte hier wenig tun, denn die Kapellmusiker übernahmen dankbar seine Anleitung und badeten sich im Esprit dieser meisterlichen Sinfonie.

Samstag, 26. September 2015

Traum CVI

Fahre Auto. Und zwar schlafend, in genau dem Zustand, in dem ich dies träumte - mit geschlossenen Augen, wissend, dass man schläft, unmöglich, die Augen zu öffnen. Ich fahre meinen alten Audi, ein Beifahrer neben mir, ich kann nicht erkennen, wer. Die Strecke kenne ich "im Schlaf", dennoch fahre ich am Ende einer Straße auf einen Bürgersteig und höre ein "Pass auf!!" neben mir. Mehr passierte nicht.
[vor-3-Uhr-Traum]

Donnerstag, 17. September 2015

Traum CV

Ich war eine Woche lang Innenminister. Mir war schlecht. Das gefiel mir alles nicht. Schreibe ich ihr in einer SMS. Chorprobe. Pause. Wir stehen draußen rauchend. Sie auch. Sie ist ohnehin die ganze Zeit dabei. Ich krabbel in meinen von M.K. kurzgeschlossenen Audi, suche irgendwas, der Fond ist entsetzlich unaufgeräumt. Sie fährt auch einen Audi, einen sehr alten. Ich helfe ihr, sie kennt sich nicht aus im Hinterzimmer/Kiosk ? Um mich herum hupt alles. Es wird stiller, die Probe geht weiter. Ich stecke S. einen Bleistift zu.

Freitag, 11. September 2015

Traum CIV

[lange Phase -fast- ohne erinnerte Träume]

eigene Uraufführung geträumt, die aber einer Performance glich, möglicherweise vorher mit Orchester, dann aber drapierte ich Dinge auf der Bühne, ein Brot auf einem Sockel beispielsweise. Vier Kinder bat ich am Ende nach vorne, es kamen nur Erwachsene, die bekamen Schokoriegel. Parallel (?) habe ich noch zwei Frauen im Auto den Weg zur Polizei gezeigt, einmal über die Schulhöfe meiner alten Schule, dann saß ich selbst im Auto und lotste sie durch eine Großstadt (Köln?).

Donnerstag, 10. September 2015

Schmerzliche Nostalgie und Fragezeichen

Elgar und Schostakowitsch zur Saisoneröffnung der Dresdner Philharmonie

Eine in in Töne gesetzte, nachdenkliche Rückschau auf eine vergangene Ära, auch auf Krieg und Unterdrückung, verband die beiden Werke des Saisoneröffnungskonzertes der Dresdner Philharmonie im Albertinum am vergangenen Wochenende. Trotzdem liegen Welten zwischen dem 1919 entstandenen Cellokonzert von Edward Elgar und der 10. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch, im Todesjahr Stalins 1953 entstanden. Beide Werke - hier das unbestritten auch durch Interpretinnen wie Jacqueline du Pré bekannteste Cellokonzert des frühen 20. Jahrhunderts, dort die mit den Initialen D-Es-C-H offen und gleichzeitig verstörend daliegende Bekenntnismusik - konnten vor allem durch eine jeweils herausragende Interpretation nebeneinander bestehen.

Die argentinische Cellistin Sol Gabetta, Artist-in-Residence dieser Saison bei der Dresdner Philharmonie, ließ vom ersten Ton an keinen Zweifel daran, dass dieses Konzert eine schmerzlich-nostalgische Komponente birgt, die Gabetta mit vollem Klang der kantablen Linien hervorbrachte: dunkelgrau und warm in der Tiefe, und deutlich formulierend, aber niemals grell in der Höhe. Zwei Ausnahmequalitäten in Gabettas Spiel erzeugten eine große Spannung über alle vier Elgar-Sätze: da ist zum einen ihre imponierende Palette klangfarblicher Register, die sie in den accompagnati im Dialog mit dem Orchester hervorzauberte, zum anderen ein unaufgeregter Atem, mit dem sie die richtige Zeit für einen großen Melodiebogen findet. Fast fremdartig, wenngleich von Gabetta völlig mühelos bewältigt, wirken bei diesem emotionalen Höhenflug hingegen die virtuos-trubeligen Passagen im zweiten und vierten Satz, doch hier ist maximal Elgar selbst zu kritisieren, dessen sorglose Ornamentik einige Male für Verwirrung im Stück sorgt.

Die reife, klangsatte Interpretation von Sol Gabetta wurde vom Orchester unter Leitung von Chefdirigent Michael Sanderling sehr kontrolliert begleitet, die Priorität von Aufmerksamkeit und Präzision war fast ein wenig zu viel spürbar, doch so konnte die Solistin sich vertrauensvoll und frei entfalten. Mit Pablo Casals "El cant des ocells" (Der Gesang der Vögel) beantwortete sie den großen Applaus und versicherte sich einer stimmungsvollen Begleitung durch die Cellogruppe der Philharmonie.

Dmitri Schostakowitschs Sinfonien spielen in den Programmen Sanderlings eine große Rolle - nicht nur wegen einer starken persönlichen Affinität. Man spürte auch an diesem Abend deutlich, wie die wiederholte Annäherung an diese Partituren die Philharmoniker zusammenschweißte, wie Verständnis und Klangartikulation eine nur mehr staunenswerte Kompetenz bildeten. Sanderling beließ es nicht bei Details (und selbst die sind aufregend, wie etwa die hier klasse gestalteten Soli der Fagottgruppe), sondern erfasste die ganze zehnte Sinfonie in ihrer spezifischen Art. Dazu gehört eine Atmosphäre des "zu schön, um wahr zu sein", die er mit ahnungsvoller Natürlichkeit im ersten Satz ausbreitete. Der zweite Satz jagte ohne jeglichen Gedanken an ein Zurück vorbei, dieser Aufschrei - auch das gelang überzeugend - kann nicht in stechender Präzision daherkommen.

Flüssig und mit deutlicher Zeichnung einer pastosen Zwischenwelt nahm Sanderling den dritten Satz, das Finale hingegen hat eine zwingende Kraft, wobei die stärksten Momente aber nicht im Schluss lagen, sondern in dem musikalische Fragezeichen aufstellenden Übergang zwischen Andante und Allegro. Dass ein solches Werk Spuren hinterläßt, wurde deutlich, als Sanderling sich beim donnernden Schlussapplaus zum Publikum umdrehte: ein leichtes Entsetzen war noch in seinem Gesicht geschrieben - Zeichen für eine bedingungslose Hingabe an dieses Werk, Schichten hervorholend, die keineswegs zum Zurücklehnen einladen, sondern Teilnahme und Nachvollzug erfordern. Dieser Anspruch macht sehr gespannt auf die reichhaltige neue Konzertsaison.

Wimmelbilder und Lockpfeifen

Zeitgenössisches mit dem elole-Trio im Coselpalais

Nicht jeder von uns hat immer die Gelegenheit, diejenigen Musikfestivals in Europa zu besuchen, bei denen zeitgenössische Musik im Vordergrund steht. Im Medienzeitalter haben wir die Möglichkeit, die neuen Werke per Übertragung oder Stream mitzuerleben, doch eine Live-Aufführung ist ein anderes Erlebnis. Insofern kann man dem Dresdner elole-Klaviertrio dankbar sein, dass es nicht nur zum wiederholten Male bei den Tagen für Neue Musik in Ostrava aufgetreten ist, sondern die dort vorgestellten und zum Teil erstaufgeführten Werke nun auch in Dresden im Konzert gespielt hat. Das Konzert im Pianosalon im Coselpalais am Donnerstag war zwar nicht übermäßig gut besucht, dafür aber schätzten die Besucher die vom Trio ausgehende konzentrierte Spannung, die das ganze Konzert durchzog.

Vier Kompositionen aus Tschechien, Italien und Japan hatte elole ausgewählt, die - das konnte man am Ende nach dem Hörerlebnis aller Stücke feststellen - als gemeinsames Element das konsequente Durchführen einer Idee im Stück aufwiesen. Dennoch konnten die Kompositionen unterschiedlicher nicht sein: Petr Bakla, ein 1980 in Prag geborener Komponist, verbindet und verstrickt in seiner Musik Elemente, die zunächst nackt und unentwickelt erscheinen. Das Schlimme an der Musik ist das Tolle an der Musik: sie erreicht nie den Punkt, wo es von der scheinbaren Beliebigkeit in das "so und nicht anders" wechselt. Bei dieser Gratwanderung befindet man sich im Hören in einem spannenden Grenzbereich, wobei die Abstraktion eine große Rolle spielt. Dass der Werktitel "Dog Variations" auf die Kompositionsmethode des Erschnüffelns von Strukturen hinweist, erscheint dabei nur sympathisch. Schwer zugänglich war dann Makiko Nishikazes "trio - stella": die Komponistin erkundet in piano-Räumlichkeiten immer neu entstehende Klänge, ohne dass ein Ziel erkennbar ist. Zeit verstreicht, Aufmerksamkeit schwindet und die überwiegend vibratolos gestrichenen Töne wirken seltsam kernlos, nahezu musikalisch unterernährt. Es ist fraglich, ob diesem etwas saftlosen Stück eine Interpretation noch mehr Leben einhauchen könnte, als sich elole darum schon merklich bemühte.

Ganz anders gab sich Salvatore Sciarrinos Trio aus dem Jahr 1975: ein hochvirtuosen Wimmelbild, in dem Töne wie Schlingpflanzen wucherten und ein sinnliches, vom Rhythmus getriebenes Klangbild entstand. Hier begeisterte das elole-Trio schon mit Sinn für eine überaus plastische Wiedergabe, und dies setzte sich mit Theatralik im letzten Werk des Abends fort: dass zeitgenössische Musik mit feinem Humor und einem unkonventionellen Zugang ebenfalls Spaß machen kann, zeigte Petr Ciglers "Jagdtrio", das kürzlich in Ostrava uraufgeführt wurde. Erfrischend anders ist schon der grundsätzliche Zugang zur Musik des Komponisten, der als weitere Berufe übrigens Hornist, Chemiker und Molekül-Designer angibt - Neugier und Wissenschaft verbinden sich hier auf überraschende Weise. Die wilden Klaviertrio-Szenen mit Lockpfeifen waren dann auch weit von einer puren Albernheit entfernt, denn die durchaus ernste Interpretation von elole wies auf das Ritual hin, auf Abmachungen und festgelegte Abläufe, denen man nur mit Enten- oder Bauernschläue entkommen kann - eine Art moderne "Pet(e)r und der Wolf"-Szenerie entstand, die, das sei dem Trio als Idee einer Besucherin gerne mitgegeben, auch in einem Kinderkonzert begeisterte Ohren fände.

Mittwoch, 2. September 2015

Beethoven-Nacht und kontrastreiche Romantik

Konzerte in Schloss Proschwitz und in der Moritzburger Kirche

Mit insgesamt vier Konzerten startete das Moritzburg Festival seinen Schlussspurt, das hohe Niveau der internationalen Interpreten sorgte noch einmal für großen Publikumsandrang. So auch bei der Beethoven-Nacht auf Schloss Proschwitz bei Meißen - das Weingut des Prinz zur Lippe war schon zum dritten Mal Austragungsort feiner Kammermusik - und nicht nur das: basierend auf zeitgenössischen Quellen wurde auch das Menü der Beethoven-Zeit angepasst; es ist davon auszugehen, dass die Proschwitzer Haushälterinnen jedoch einen besseren Stand genießen durften als diejenigen Beethovens, der panische Angst besaß, vom dargereichten Essen vergiftet zu werden.

Musikalisch war die Programmfolge mit einer großen Steigerung aufgebaut: das "Duett mit zwei obligaten Augengläsern" entstammt Skizzenbüchern Beethovens und wurde erst im späten 19. Jahrhundert veröffentlicht. Adrien La Marca (Viola) und Anssi Karttunen (Cello) widmeten sich diesem nicht sehr aufregenden Werk mit schöner Klanggebung, ersterer sogar ohne Brille. Dass Duette, die als Gelegenheitsarbeit oder Schenkung entstanden sind, auch ernsten, gar existenziellen Charakter erhalten können, wurde bei Bohuslav Martinůs Duo für Violine und Cello D-Dur H371 deutlich: was sich da im Adagio an schwermütigen, am Ende stufenweise nach unten führenden Linien entspinnt, ist die Stimme eines Komponisten, der im Wissen um seine todbringende Krankheit nicht zwanglos freundliche Musik schreiben kann - das wurde von Kai Vogler und Anssi Karttunen eindringlich ausgeführt.

Gewichtig gab sich das letzte Werk des Konzertes: Beethovens "Erzherzog-Trio" B-Dur war bei Kai Vogler, Johannes Moser und Lise de la Salle in besten Händen. Schön war hier zu bemerken, wie die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Interpreten die verschiedenen Charaktere des Werkes von großer Zergrübelung bis hin zu feinem Humor so formten, dass bei aller Kontrastgebung große Einigkeit in Phrasierung und Zielrichtung entstand.
Alexander Keuk

Vor den Abendkonzerten in Moritzburg waren auch in diesem Jahr einige kurze Porträts zu erleben, in denen sich die Musiker solistisch vorstellten. Am Sonnabend war es allerdings ein Duo - Kyle Armbrust (Viola) und Lise de la Salle (Klavier) verstehen sich nicht nur musikalisch gut - die Liaison wurde bereits vor drei Jahren in Moritzburg geknüpft. Nicht nur deswegen dürften die Zuhörer sich freuen, dass die französische Pianistin und der amerikanische Bratschist mit Sicherheit wiederkehren werden. Im Porträt gelang den beiden eine jugendlich-verspielte und in der klanglichen Abstufung jederzeit spannende Darstellung der späten Viola-Sonate f-Moll, Opus 120 von Johannes Brahms.

Mit Kraft und großem Ton des Streichinstruments wurden dann einige Tänze aus Sergej Prokofieffs Ballett "Romeo und Julia" dargeboten - Lise de la Salle, die beim Festival ohnehin einen Löwenanteil bestritten hat, zeigte sich hier geradezu erfreut, einmal einen pianistisch reichhaltig-sinfonischen Part zu übernehmen. Im folgenden Abendkonzert waren mit Werken von Mendelssohn, Brahms und Korngold drei sehr verschiedene Welten zu erleben, wenngleich die namentlichte Nennung der Komponisten zumindest eine musikgeschichtliche Abfolge vortäuscht. Denn selbst die Kammermusik von Felix Mendelssohn Bartholdy läßt sich schwer auf einen Nenner bringen.

Die beiden nachgelassenen Quartettsätze aus Opus 81 sind in ihrer Reife und vor allem in der Leichtigkeit der sich stets neu verbindenden Stimmen faszinierend - von Vineta Sareika, Tim Vogler, Adrien La Marca und Jan Vogler wurde das einfühlsam nachgezeichnet. Schlägt man hingegen eine Partitur von Erich Wolfgang Korngold auf, muss man bereits aufpassen, dass die ersten Noten nicht bereits herauskippen, bevor man überhaupt einen Ton gespielt hat - so überreich und polyphon gesetzt gelangt hier Kammermusik an einen Punkt, wo der Spannungsatem leicht in Hinterherhecheln zu immer neuen Akzenten und virtuosem Ornament mutieren könnte. Nicht so in Moritzburg: Yura Lee, Mira Wang, Kyle Armbrust, Anssi Karttunen und Oliver Triendl - mit des Komponisten üppig ausgesetztem Klavierpart - kümmerten sich aufopferungsvoll um Korngolds Klavierquintett und ernteten laute Bravo-Rufe für ein Werk, dass eben aufgrund permanenter Überreizung des Materials ein Faszinosum ist.

Mit Johannes Brahms zweitem Streichquintett Opus 111 wurden zum Abschluss sanftere Töne angeschlagen. Dieses lichte Spätwerk des Meisters fand mit Kai Vogler, Henning Kraggerud, Yura Lee, Kyle Armbrust und Anssi Karttunen versierte Interpreten, die eine Lesart wählten, die mit großer Weichheit und einem damit verbundenen stark bevorzugten Legato-Spiel aufwartete. Dass diese konsequent undramatisch-legere Haltung alle vier Sätze durchzog, war ein wenig überraschend, denn es gibt durchaus Möglichkeiten zur deutlicheren Konturengebung in diesem Werk. Doch am Ende war die Erkenntnis, dass bei Brahms nicht jeder Ton einen Erdkrater an Schwere hinterlassen muss, eben auch eine Bereicherung, die durch diese ansprechende, das Leise und Leichte in den Vordergrund rückende Interpretation entstand.
(31.8.2015)

Sonntag, 30. August 2015

Kammermusikalische Perle

Saint-Saëns, Pintscher und Dvořák beim Moritzburg Festival

Mit drei sehr unterschiedlichen Werken wartete das Moritzburg Festival am Mittwochabend im Monströsensaal des Schlosses auf - eigentlich hatte eine Uraufführung von Matthias Pintscher den Abend bereichern sollen, doch Jan Vogler musste krankheitsbedingt absagen, damit entfiel das Solowerk für Cello, das er selbst interpretiert hätte. Ein weiteres Werk von Pintscher für Cello und Klavier, "Uriel" aus dem Jahr 2012, gehört in eine zyklische Werkbindung mit dem nun ungehörten neuen Werk und wurde aber dennoch gespielt.

Zwei mit zeitgenössischer Musik ungemein vertraute Interpreten, der Pianist Oliver Triendl und der Cellist Anssi Karttunen widmeten dem Werk, das vom Höreindruck eine vorsichtig-zerbrechliche Charakterzeichnung der Engelsgestalt ergab - in Zusammenhang mit dem gleichnamigen Bild von Barnett Newman, auf das sich Pintscher bezog, trat noch eine weitere Ebene, abstraktere Ebene zwischen Licht und Dunkel hinzu. Karttunens äußerst ruhige und feinsinnige Auslotung der Cellolinien mit leichtem Echo im Klaviersatz war spannungsgeladen, das Werk wurde auch auf diese Weise sehr zugänglich.

Zuvor hatte ein hochkarätig besetztes Solistenensemble eine Perle der Kammermusik gehoben, die vielen kaum bekannt sein dürfte. Vielleicht ist Camille Saint-Saëns Klavierquartett B-Dur zu eigen, auch zu extrovertiert, als dass es in gängige Programme passt? In der jederzeit sich stark für die Musik einsetzenden, im Ensemble völlig homogenen Interpretation von Vineta Sareika (Violine), Kyle Armbrust (Viola), Johannes Moser (Cello) und Lise de la Salle (Klavier) machte das Zuhören große Freude. Nur der erste Satz schwebt in lyrischem Sanftmut, wie man ihn auch von Gabriel Fauré kennt, vorbei, danach wird es ernst: ein Choralsatz gemahnt in der Motivik an Wagners Ring und könnte im vorgeschriebenen maestoso beinahe in Kitsch abgleiten, doch die vier Interpreten sorgten hier für einen sehr guten Fluss der Musik. Das einen weiten Tonraum durchgaloppierende Scherzo wirkt dann im Ausdruck leichter. Überraschend unterbrechen zwei von Vineta Sareika und Lise de la Salle auftrumpfend und frei interpretierte Rezitative das muntere Treiben, bevor das pulsierende und noch einmal virtuose Finale den Zuhörer mitreißt.

Im Gegensatz zu diesem saftig-romantischen Werk, ist ausgerechnet das das Konzert beschließende Streichquintett Es-Dur Opus 97 Antonín Dvořák ein eher sanfter Vertreter seines Genres. In ähnlicher Motivik wie in den Nachbarwerken, dem "amerikanischen" Streichquartett und der 9. Sinfonie, wird hier ein lyrisches Klangideal in allen vier Sätzen hochgehalten - die Heimatverbundenheit leugnet der Melodiker Dvořák ohnehin nie. Yura Lee, tags zuvor noch an der Bratsche zu erleben, war in dieser Aufführung die Primaria, ihr wäre allerdings ein in den Linien intensiverer, auch manchmal genauer führender Klang zu wünschen gewesen. Im Quintett sorgten weiterhin Kai Vogler, Adrien La Marca, Kyle Armbrust und Christian Poltéra für eine an vielen Stellen vor allem in den Mittelsätzen aufhorchende, jederzeit den zumeist unbeschwerten Charakter des Werkes nachfühlende Aufführung.
(27.8.2015)

Musik über Bilder und schwarze Tonarten

Beethoven, Pintscher und Brahms in Moritzburg

Nicht immer läuft alles nach Plan, auch in der Kultur nicht. Im aktuellen Jahrgang des Moritzburg Festivals steckt ein wenig der Besetzungswurm - nachdem kurz vor Beginn die Geigerin Karen Gomyo abgesagt hatte, musste sich nun Cellist Jan Vogler selbst krankheitsbedingt für die Mitwirkung an den Konzerten am Dienstag und Mittwoch ausklinken. Für die Klasse des Kammermusikfestivals spricht, dass man nicht nur hochkarätigen Ersatz in beiden Fällen fand, sondern dass in den nun neuen Besetzungen genauso geistvoll und auf hohem Niveau musiziert wurde, wie es eben der Moritzburger Anspruch ist.

Dabei ist der Cellist Christian Poltéra hier gesondert zu würdigen, der eigentlich nur für ein Stück des Dienstagkonzertes im Schloss Moritzburg besetzt war, nun aber das komplette Konzert mühelos und mit vollem Engagement in der kammermusikalischen Gemeinschaft bestritt. Der Abend im Monströsensaal des Schlosses begann mit dem Streichtrio c-Moll von Ludwig van Beethoven. Da auch Johannes Brahms 3. Klavierquartett in dieser Tonart steht, war das in der Mitte stehende zeitgenössische Werk von Matthias Pintscher, dem Composer-in-Residence des Festivals sozusagen in diesen c-Moll-Raum eingebettet.

Dieser Klangraum jedoch konnte unterschiedlicher nicht ausfallen: in Beethovens Trio gelangt man dabei nahezu an einen Urgrund der Kammermusik mit drei Melodieinstrumenten, denen Beethoven 1798 noch recht konventionelle Aufgaben gibt. Genussvoll legten sich Vineta Sareika (Primaria des Artemis-Quartetts), Adrien La Marca und Christian Poltéra in die Wogen dieses Werkes. Mit viel Differenzierung gelang ihnen eine gute Nachzeichnung und vor allem die Darstellung des an Haydn und Mozart gemahnenden klassischen Charakter des Werkes.

Von Matthias Pintscher gab es dann ein Quartettwerk namens "Study IV for Treatise on the veil" (etwa: Studie IV über die 'Abhandlung über den Schleier') zu hören. Mira Wang, Robert Chen, Yura Lee und Christian Poltéra schufen eine spannungsgeladene Interpretation dieses Stückes, das im Beziehungsgeflecht von Kunst über Kunst artifiziell und abstrakt wirkte, dabei aber eine konsequent durchgehaltene Ebene aus leisesten Geräuschlinien und punktuellen Gesten vorstellte. Zwei Wünsche blieben offen: wenn der Werkbezugspunkt ein Bild des Malers Cy Twombly ist, sollte diese visuelle Ebene im Konzert auf jeden Fall in irgendeiner Weise erfahrbar sein - der stetige Blick auf das Geweihensemble im Monströsensaal war eher ein absurdes Surrounding für dieses Stück. Und für Dialoge mit Publikum oder Interpreten wäre die ohnehin obligate Anwesenheit eines Composer-in-Residence nützlich gewesen, doch Pintscher glänzte durch Abwesenheit. Trotz hervorragendem Einsatz der Interpreten trägt ein solches Durchwinken der zeitgenössischen Musik nicht unbedingt zum Verständnis bei.

Nach der Pause ging es zurück zu c-Moll und zu Johannes Brahms - doch nach der Beethoven-Erfahrung in der gleichen Tonart war hier deutlich spürbar, wie schwarz diese Tonart in Brahms Tonsetzung nun gefärbt war. Das über Jahre hinweg nicht komponierte, sondern schwer errungene Werk bekam von Francesco Piemontesi vom Klavier aus immer wieder dramatische und außerordentlich genau geformte Attacken, die sich wie Lunten in die Streichinstrumente legten und zu vielen vor Spannung berstenden Höhepunkten führten. Auf diese Weise erhielt das Scherzo seinen traurigen Sarkasmus, fragte das Andante trotz wunderschöner Cellolinie ständig "was wäre, wenn?" und erst im Finale schien sich vorsichtig die Anspannung zu lösen, wenngleich die unwirkliche Sehnsuchtswelt erhalten blieb. Diese Hochromantik war bei Piemontesi, Mira Wang, Yura Lee und Christian Poltéra in den besten Händen und wurde vom Publikum stark gefeiert.
(26.8.2015)

Gemeinsame Sache

Herbert Blomstedt und das Gustav Mahler Jugendorchester in der Frauenkirche

Unangetastet lag die Partitur auf dem Pult. Was darin steht, verbreitete sich durch Blicke und sparsame Gesten geführt im Raum der Frauenkirche. Wenn Herbert Blomstedt eine Sinfonie von Anton Bruckner leitet, ist dies ohnehin ein besonderes Ereignis, denn sicherlich gehört dieser Komponist zu seinen Favoriten, hat sein überreiches musikalisches Leben intensiv begleitet und entsteht in jeder Aufführung, angereichert mit der enormen Erfahrung und einem gehörigen Schuss Weisheit, den nur ein 88jähriger versprühen kann, immer wieder neu.

Und dabei gerät man ein ums andere Mal ins Staunen, wie Blomstedt - hier bereits zum vierten Mal für ein Tourprojekt des Gustav Mahler Jugendorchesters am Pult stehend - nicht nur die musikalischen Angebote der jungen, exzellenten Musiker vor ihm aufnimmt, sondern wie sich hier im Höreindruck der 8. Sinfonie c-Moll das sinfonische Riesengemälde derart auftut, dass einem eher Gedanken von Leichtigkeit, Esprit und Frische in den Sinn kommen, denn die eines verstaubten Kolosses, als die man die ja unwidersprochen monumental konzipierte Sinfonie in manch sesselschwerer Einspielung auch kennt. Das 1986 auf Initiative von Claudio Abbado gegründete Gustav Mahler Jugendorchester gastierte auf Einladung und in Kooperation mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden vor deren Saisoneröffnung. Dieser Prolog weist nicht nur auf die Nachwuchsarbeit hin - viele ehemalige GMJO-Musiker sind heute Kapell-Musiker - sondern vermittelt auch ein Bild des aktuellen, hohen Ausbildungsniveaus in Europa; schließlich ist das GMJO nicht ein aus Spaß an der Freude inszeniertes Sommerprojekt, sondern hier versammelt sich die Elite der Musikstudierenden in Europa, um besondere gemeinsame Konzerterlebnisse zu schaffen.

Atemberaubende Präzision in der Ausführung war dann auch der Eindruck, den man vom Orchester im ersten Satz der Sinfonie erhielt. In der hellwachen Konzentration der Musiker war die Musik zwar sehr transparent und durchhörbar, manchmal eben aber auch im perfekten Gelingen etwas zu kühl im Ausdruck, von Blomstedt aber auch in der Übersicht der ganzen Sinfonie im Hinblick auf Kommendes konzipiert. Wenn hier noch maximal der Trompetenklang im Tutti etwas zu scharf geriet, gewöhnten sich die Musiker dann immer mehr an den Frauenkirchenraum und Blomstedt gab Übergängen genug Atem, damit Schlussakkorde und Neueinstiege organisch und natürlich wirkten. Nach dem in ganzen Takten weich pulsierenden Scherzo inklusive einem flüssig, fast drangvoll dargestellten Trio geriet das mächtige Adagio zum Höhepunkt der Aufführung, nicht nur wegen des hier von Blomstedt völlig ohne äußerliche Anstrengung hergestellten Spannungsaufbaus, sondern auch mit vielen klanglich überzeugenden Details.

Hörner und Tuben waren solistisch wie im Ensemble ein einziger Genuss, und der vibratolose Einstieg der Violinen zu Beginn des Satzes glich einer Toröffnung zu einer anderen Welt, die am Ende des Satzes ebenso traumwandlerisch sicher wieder verlöschte. Auch die Tempogestaltung von Herbert Blomstedt war hier flexibel genug, dass Steigerungen natürlich gerieten und kammermusikalische beleuchtete Entwicklungen genug Raum erhielten. Das Finale bekam - kaum verwunderlich, aber dennoch frappierend einleuchtend - von Blomstedt auch den finalen Charakter verliehen, mit mehreren Anläufen zur Großartigkeit bestimmt, dennoch nie den Rahmen sprengend. Die stehenden Ovationen des Publikums galten dem Werk, dem exzellenten Orchester und vor allem Herbert Blomstedt, dessen herausragende Musikalität am eindrücklichsten wirkte, wenn er milde lächelnd schlicht einer Streichergruppe bei der Entfaltung eines Themas zuhörte - die Vermittlung des Vertrauens in der gemeinsamen Sache Musik war eine schöne Konstante in dieser nachdrücklich wirkenden Aufführung.
(25.8.2015)

Brennen für Beethoven

Gala-Konzert mit überraschendem Finale beim Moritzburg Festival

Mit einem "Gala-Konzert mit anschließendem Dinner" wartete das Moritzburg Festival am Freitagabend auf. Nimmt man Gala wörtlich, so definiert man damit eine besonders festliche Veranstaltung, einen Höhepunkt des Festivals gar? Doch vermutlich musste nur für das für normalsterbliche Besucher im Preis unerschwingliche Gesamtpaket aus Konzert und Exklusiv-Dinner ein Name gefunden werden. Die Programmauswahl rechtfertigte den Titel nicht unbedingt, wenngleich man dem Festival insgesamt mühelos das Flair des Festlichen bescheinigen kann.

Da alle Gäste noch ein 4-Gänge-Menü zu absolvieren hatten, beließ man es im Konzert bei drei kompakten Gängen ohne Pause - etwas mehr als eine gute Stunde Musik kam da zusammen. Wirklich festlich waren die zu Beginn vorgestellten "Quatre Petite Pièces" von Charles Koechlin (1867-1950) auch nicht gedacht. Einerseits war man froh, dass der unkonventionelle französische Tonsetzer endlich mal wieder in einem Konzertprogramm auftauchte, doch diese kleinen Stücke sind eher klassische Studien - wenn der Reiz der aparten Besetzung Violine, Horn und Klavier sich gerade einmal entfaltete, war das Stück auch schon zu Ende. Mira Wang (Violine), Felix Klieser (Horn) und Alessio Bax (Klavier) zeigten dabei vor allem mit gedeckten, warmen Klangfarben, dass auch eine Miniatur erfreuen kann - der Komponist hingegen sollte nicht an diesen Stücken gemessen werden, da gibt es noch ganz andere Diamanten zu entdecken.

Jan Vogler und Janne Saksala gaben sich dann dem Duo D-Dur für Cello und Kontrabass von Gioachino Rossini hin, wobei Hingebung die Musizierweise der beiden wohl treffend beschreibt: die leichtfüßige Virtuosität und der buffoneske Humor wurde schön herausgearbeitet, wobei der Belcanto im tief(st)en Register ebensowenig zu kurz kam wie die bassige Koloratur. Beide spielten Rossini mit großer Geste, und hier ist diese auch angebracht und führt nicht zur Karikatur, sondern zu zwingender Lebendigkeit.

Robert Chen, Annabelle Meare, Lawrence Power, Yura Lee und Guy Johnston fanden sich zum Konzertabschluss im Quintett zusammen und widmeten sich dem Streichquintett C-Dur, Opus 29 von Ludwig van Beethoven in einer solch anspruchsvollen Spielkultur, dass man erschrocken und bewegt auf der Stuhlvorderkante saß. Beethoven kann ja einen Zuhörer furchtbar kalt lassen, wenn die Interpretation die Nervenstränge des Werkes nur partiell erreicht. Hier war aber von den ersten Tönen an klar, dass tiefes Eindringen und extreme Auslotung der Charaktere zur gemeinsamen Sache gehörte. So formten sich schon im ersten Satz homogene Klangfarben und ein atmendes Spiel, bei welchem alle fünf Musiker sich gegenseitig genug Raum gaben, um die zahlreichen Parallelstraßen, Sackgassen und auch findige Abkürzungen der Partiturreise mühelos darzustellen. Ob diese "brennende" Aufführung dafür verantwortlich war, dass kurz nach Verklingen der letzten Töne tatsächlich die Feuerwehr im Moritzburger Schloss anrücken musste, wird wohl nicht gelöst werden. Unversehrt konnten die Besucher nach einem kurzen Aufenthalt an der frischen Abendluft - fachmännisch Evakuierung benannt - dann aber vom musikalischen zum kulinarischen Menü überwechseln.
(23.8.2015)

Beethoven-Krimi und flotter Mozart

Eröffnungskonzert des Moritzburg Festivals mit dem Akademie-Orchester

Traditionell öffnet das Moritzburg Festival nicht vor den Toren Dresdens seine Pforten, sondern mitten in der Stadt - mit einem Orchesterkonzert in der VW-Manufaktur. Hier stellt sich die Moritzburg Festival Akademie vor, ein Ensemble aus rund 40 jungen Musikern, die eigens jedes Jahr ausgewählt werden, um mit den renommierten Solisten des Festivals und einem Dirigenten Orchester- und Kammermusikliteratur zu erarbeiten. Insofern erreichte das Festival schon zu Beginn einen ersten Abschluss, denn diesem Konzert ging bereits eine intensive Probenwoche voraus.

Der diesjährige Schirmherr, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Innenminister und Kuratoriumsvorsitzender Thomas de Maizière und der musikalische Leiter Jan Vogler freuten sich auf den neuen Festival-Jahrgang, in dem bis zum 30. August über ein Dutzend Konzerte stattfinden werden. Bei der Eröffnung zeigte sich also möglicherweise die kommende Generation großer Kammermusiksolisten, und was diese in einem ad hoc zusammengestellten Orchester unter den nicht einfachen Bedingungen des Manufakturraumes leisteten, war beachtlich.

Eine schöne Homogenität war gleich in der einleitenden Suite "Le Tombeau de Couperin" von Maurice Ravel festzustellen, in der sich delikat vor allem die zahlreichen Linien entfalteten, die Ravel der Oboe geschenkt hat. In diesem Jahr ist der in Wien lebende Fagottist und Dirigent Milan Turković mit der Leitung des Orchesters betraut, er sorgte für einen lebendigen Fluss des Werkes und zahlreiche Nuancen dynamischer Art traten zu Tage, die den über dem Boden schwebenden Charakter des Werkes intensivierten.

Zum Höhepunkt des Abends geriet das Solokonzert mit der französischen Pianistin Lise de la Salle. Sie ist erneut zu Gast beim Festival und wird in der kommenden Woche auch in Kammermusikwerken am Klavier mitwirken. Im Eröffnungskonzert widmete sie sich dem 4. Klavierkonzert G-Dur von Ludwig van Beethoven. Sie sorgte dafür, dass in allen drei Sätzen Höchstspannung auf der Bühne wie im Publikum herrschte, denn die Klarheit ihrer Artikulation gepaart mit Leidenschaft und einem in den Ecksätzen toll geführten metrischen Puls machte das Konzert fast zu einem Krimi. Jede einzelne Phrase wurde da zum Ereignis, de la Salle gestaltete klug und verdeutlichte harmonische und dynamische Entwicklungen besonders plastisch. Stark wirkte im 2. Satz der Dialog mit dem in schroffem Kontrast hereinfahrenden Orchester, und die Kadenz des 1. Satzes gelang Lise de la Salle überzeugend und in selbstbewusster, erdiger Manier. Trotz der wohl aus technischen Gründen ungewöhnlichen Platzierung des Flügels zwischen Celli und Bratschen, die dazu führte, dass Turković nur den Rücken der Pianistin sah, gelang die Zwiesprache mit dem Orchester sehr gut, ein Zeichen also, dass alle Musiker permanent in höchster Aufmerksamkeit agierten.

Die letzte, die so genannte "Jupiter"-Sinfonie C-Dur, KV 551von Wolfgang Amadeus Mozart beschloss den Abend - Milan Turković setzte dabei auf flüssige Tempi, die im zweiten und vierten Satz zwar dazu führten, dass viele Dinge zusammengefasst erschienen und manche Feinheiten und Flexibilitäten gerade im Andante Cantabile erhielten so weniger Raum. Die Akademie setzte diese Intentionen mühelos um, besonders das Finale schlug trotz rasant auszuführender Figuren nie in Hektik um - da war großes Können und Lust an der gemeinsamen Sache zu beobachten. Davon werden wir in den kommenden zwei Wochen in Moritzburg sicher noch mehr erleben.
(17.8.2015)

Orchesterwerkstatt "con brio"

Moritzburg Festival Akademie stellte sich in den Flugzeugwerken vor

Wenn das Moritzburg Festival am Sonntag mit dem Eröffnungskonzert in der VW-Manufaktur beginnt, dann haben die Teilnehmer der Festival-Akademie bereits eine ganze Woche harte Arbeit absolviert. Die 39 jungen Akademisten aus aller Welt bringen sich dann im Orchesterspiel, auf Tourneekonzerten und mit Kammermusiken unter anderem bei der "Langen Nacht der Kammermusik" am kommenden Donnerstag ein. Den Zuhörern wurde mit der Orchesterwerkstatt am Sonnabend also nicht nur eine Art Prolog zum Festival präsentiert, man erhielt auch interessante Einblicke hinter die Kulissen.

Der künstlerische Leiter Jan Vogler moderierte die Werkstatt im Flugzeughangar bei den Elbe-Flugzeugwerken - eine imposante Umgebung, die ebenfalls Arbeitsatmosphäre ausstrahlte und somit perfekt geeignet schien. Weniger ging es um ein perfektes Ergebnis, dafür nahm man auch Abstriche in der Akustik in Kauf, eher um einige kurzweilige Einblicke: Musik und Menschen standen im Vordergrund. Jan Vogler unterhielt sich mit zwei Akademisten, einer Geigerin aus Texas und einer Fagottistin aus Österreich, die sichtlich begeistert von ihren Erfahrungen berichteten. In diesem Jahr ist der Fagottist und Dirigent Milan Turković musikalischer Leiter der Akademie und berichtete von der außergewöhnlichen Erfahrung, binnen einer Woche die unterschiedlichen Nationen und Kulturen, aber auch Spieltalente zu einem homogenen Ensemble zusammenzuschweißen. Dass dies noch vor der Eröffnung - aber bereits nach einem absolvierten Tour-Konzert in Bad Elster - gelungen ist, davon konnten sich die Zuhörer in einigen Musikbeispielen überzeugen.

Zunächst erklang die Ouvertüre zur Oper "Die Hochzeit des Figaro" spielfreudig und mit viel Sinn für die von Mozart auf engstem Raum angesiedelten Kontraste. Von Jörg Widmann, 2012 zuletzt selbst Composer-in-Residence beim Festival (in diesem Jahr ist es Matthias Pintscher), wurde ein kurzes Orchesterstück namens "Con Brio" vorgestellt, das sich mit hoher Virtuosität mit den Charakteren beethovenscher Sinfonik befasst und damit permanent auf der Brücke zwischen Altem und Neuem unterwegs ist. Damit wurde eine Art gedanklicher Beethoven-Raum geschaffen, der - der Titel verrät es - "mit Feuer" zu spielen ist und derartig auch die Hörer begeisterte. Turković bat sich zwar aus, eben im Rahmen des Werkstattcharakters auch unterbrechen zu dürfen, doch der wilde Ritt gelang mit ordentlich Adrenalin bei den Musikern bis zum Finale, hier besonders vom unermüdlich werkelnden Paukisten Brandon Ilaw angetrieben.

Die französische Pianistin Lise de la Salle, die seit 2010 schon mehrfach in Moritzburg gastierte und die sommerliche Zusammenarbeit mit den Musikern hier auch als Höhepunkt ihrer eigenen Konzertsaison empfindet, interpretierte dann den 1. Satz aus Beethovens 4. Klavierkonzert G-Dur. Hier war es interessant, auch einmal verbal von der Interpretin die Richtung angezeigt zu bekommen: im Kontrast etwa zum Dritten Konzert sieht Lise de la Salle dieses Werk, und hier besonders die Ecksätze, als Ausdruck von Freude und Helligkeit, wie sie eigentlich so unverschattet selten in Beethovens Werk zu finden sind. Den Worten folgte man in der Musik prompt: Lise de la Salle ging mit klarem, ausdrucksstarken Spiel zu Werke, und die Akademisten begleiteten mit aufmerksamem Nachvollzug dieser Intentionen. Ein spontan von Vogler vorgeschlagenes Finale der Orchesterwerkstatt mit einem Auszug aus der "Jupiter"-Sinfonie von Mozart fiel den fehlenden Noten auf den Pulten zum Opfer, doch das Publikum wurde mit einem Da Capo der Figaro-Ouvertüre versöhnt in den Abend entlassen.
(16.8.2015)

Romantischer Schmelz und irdischer Mozart

Die Junge Deutsch-Polnische Philharmonie gastierte in der Martin-Luther-Kirche

Schon seit 15 Jahren existiert die Junge Deutsch-Polnische Philharmonie, und von Beginn an hatte sich das Orchester auf die Fahnen geschrieben, nicht nur einmal im Jahr ein Konzertprogramm mit Jugendlichen aus der Grenzregion von Polen und Deutschland auf die Beine zu stellen. Der Grundgedanke geht weit darüber hinaus: Immer wieder nehmen die Programme auf aktuelle Ereignisse oder Feierlichkeiten Bezug, so auch in diesem Jahr zum fünfzigsten Jahrestag des Hirtenbriefs der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder, der einen der ersten Schritte der Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete. Die Versöhnung kann man in dem Musikprojekt fortgesetzt sehen - eine Woche lang proben die Jugendlichen intensiv unter fachkundiger Anleitung und ziehen dann durch Kirchen und Konzertsäle.

In diesem Jahr scheint der Schwerpunkt des Projektes wieder mehr in Polen zu liegen - vier Konzerten in der Umgegend von Breslau stand das die Tournee beendende Konzert in der Martin-Luther-Kirche Dresden gegenüber. Hierher strömte am Mittwochabend eine treue Fangemeinde und war gespannt auf das diesjährige Programm. Romantischer Musik von Johannes Brahms und Henri Wienawski stand das "Requiem" von Wolfgang Amadeus Mozart gegenüber. Damit kam das Orchester auch in den Genuss chorsinfonischer Arbeit und der Chor der Technischen Universität Breslau durfte sich auf der kleinen Konzerttournee präsentieren. Auch die Solisten sind zumeist Studenten oder (ehemalige) Mitglieder des Orchesters.

Als Dirigent stand der Leiter des Vogtlandkonservatoriums in Plauen, Jörg Leitz, zur Verfügung. Mit sattem romantischem Schmelz zogen zu Beginn die Klänge der "Tragischen Ouvertüre" von Johannes Brahms durch das Kirchenrund und vermittelten gleich einen guten Eindruck von dem, was hier in kurzer Zeit zusammengewachsen ist: Streicher und Bläser spielten nicht nur sauber und aufmerksam, sie bemühten sich auch um zielgerichtete Phrasierung und verlieh dem Stück dadurch viel Charakter. In Henri Wienawskis 2. Violinkonzert, ein übrigens viel zu selten erklingendes Werk, hatte nicht nur die Solistin Krystyna Wasik umfangreiche Aufgaben zu bewältigen - dem Orchester kommt hier im spätromantischen Satz eine ebenso wichtige Rolle zu. Bis auf wenige Wackler in den schnellen Passagen des 3. Satzes gelang das außerordentlich gut. Krystyna Wasik wiederum konnte man nur beglückwünschen, weil sie das doch mit allerhand virtuoser Ornamentik gespickte Konzert ruhig, mit einem schönen großen Ton und vor allem stets mit einem Ohr auf das hinter ihr begleitende Orchester anging. Dass hier und da die Intonation im Gesamtgefüge etwas litt, war angesichts der schönen Musikalität zu vernachlässigen.

Ähnliches gilt für das Mozart-Requiem, das sich - dies ist bei einem Projekt mit Jugendlichen ein Kritikpunkt - ohne Pause für Musiker und Publikum anschloss. Nicht mehr ganz reichte da die Aufmerksamkeit für die verschiedenen, oft sehr plötzlich entstehenden und wieder vergehenden Charaktere der Musik. Hier war vor allem der Chor der Technischen Universität Breslau die Anschubkraft. Malgorzata Sapiecha-Muzol hatte die knapp 40 Sänger hervorragend vorbereitet: die Rufe des "Rex tremendae" etwa waren prägnant, es wurde dynamisch sehr differenziert gesungen und der Text sehr gut deklamiert. Jörg Seitz tat gut daran, überwiegend auf flüssige Tempi zu setzen, die den Ensembles zur Musizierlust verhalfen. Die vier studentischen Gesangssolisten aus Breslau, Daria Stachowicz, Agnieszka Pulkowska, Bartosz Nowak und Stavros Chatzipenditis lösten ihre Aufgaben gut gut - sicherlich war aber hier noch Entwicklungspotenzial vorhanden und vor allem Stachowicz hatte mit ihrem volltönenden Soprantimbre mit den feinen Mozartlinien einige Probleme. Zum Ende hin fehlte dann doch die werkübergreifende Intensität, das "Lux Aeterna" in eine transzendente Atmosphäre zu überführen - Erleichterung überwog in diesem eher irdisch musizierten Ende. Und doch - gerade wenn Jugendliche sich dieser wunderbaren Musik nähern, bekommt man eine große Ahnung, was Leben, Versöhnung, Verständigung alles bedeuten kann. Allein dafür sind die Konzerte der Jungen Deutsch-Polnischen Philharmonie höchst wertvoll und die Musiker nehmen auch in diesem Jahr sicher ein unvergessliches Erlebnis mit nach Hause.
(30.7.2015)

Donnerstag, 27. August 2015

Pardon.

Hinter mir liegen einige Ereignisse fernab jeglicher Tastatur- und Blogwelten, weswegn hier einiges zu kurz kam. Insbesondere zu erwähnen ist jedoch ein Urlaub, den ich ganz für mich allein und nach sehr langer Zeit des Entbehrens machen durfte. Davon zehre ich immer noch und dementsprechend flott geht es nach dem Urlaub mit vielen Konzerten und auch neuen Projekten weiter. Texte und Rezensionen folgen wieder, vielleicht schaffe ich gar wieder regelmäßiges Bloggen und dann auch mal einen fälligen Umzug desselben.

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